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Kann die deutsche G7-Präsidentschaft die wachsenden sozialen Ungleichheiten entschärfen?

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Genua, am 20. Juli 2001: Silvio Berlusconi, damals Premierminister Italiens, hatte zum G8-Gipfel in die altehrwürdige Hafenstadt geladen. Gekommen sind auch Zehntausende Demonstranten, die gegen diesen Gipfel protestieren wollen. Sie sehen den Club der Acht als Ursache allen Übels, als Hort des Neoliberalismus, verantwortlich für die Ungerechtigkeit auf der Welt. An jenem 20. Juli erreichen die Proteste einen ersten, ungleich dramatischen Höhepunkt. Durch eine Polizeikugel, abgefeuert vom zwanzig Jahre jungen Carabiniere Mario Placanica, stirbt der drei Jahre ältere Carlo Giuliani. Die politischen Themen verblassen angesichts der Ereignisse. Man verabredet, sich künftig lieber irgendwo in abgeschiedenen Gegenden zu treffen.

2008 erschüttert der Lehman-Crash die Finanzmärkte. Die Welt blickt in den Abgrund. Die G8 merken schnell, dass sie das Problem nicht allein lösen können. Man entsinnt sich des Forums der G20, das bislang nur auf der Ebene der Finanzminister agiert, und ernennt es zur Krisenfeuerwehr. Im November 2008 sitzen die Staats- und Regierungschefs erstmals in Washington gemeinsam am Tisch. In der Folge verliert die Gruppe der Acht an Bedeutung, im Sommer 2010 versucht man in Kanada eine Art Doppelgipfel: erst G8, dann G20. Doch auch das stoppt nicht den Bedeutungsverlust. Die G8 geben sich ein neues Profil und versuchen sich als außenpolitisches Forum. Die Weltwirtschaft soll künftig im G20-Kreis debattiert werden. Doch auch dort erlahmt die Dynamik mit der zunehmenden Überwindung der Weltfinanzkrise. Man hat sich nicht mehr viel zu sagen, zu weit liegen die Interessen auseinander.

So glauben die Acht an eine neue Chance: Als „Wertegemeinschaft“ will man für die Probleme der Welt Lösungsansätze suchen. Eines dieser großen Probleme ist die ungleiche Verteilung von Wohlstand in der Welt. Immer wieder finden sich in den Abschlussdokumenten diverser G6-, G7- oder G8-Gipfel entsprechende Anmerkungen, die Armut zu bekämpfen, das Kapital stärker zu besteuern, den Protektionismus zu bekämpfen oder die Steuerpraktiken internationaler Großkonzerne besser zu kontrollieren. Doch oft gelingen wenn überhaupt – nur Trippelschritte. Bei der Vermögensverteilung wird das besonders deutlich. So wuchs das Vermögen der achtzig reichsten Menschen der Welt in den vergangenen vier Jahren (also nach der Finanzkrise!) von 1,3 auf 1,9 Billionen US-Dollar. Dieser Club der Superreichen besitzt einer Studie der britischen Hilfsorganisation Oxfam zufolge so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit – und das sind immerhin 3,5 Milliarden Menschen. Ähnlich sind die Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Demnach entfallen im globalen Durchschnitt rund vierzig Prozent aller Einkommen auf die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung. Hingegen kommen die ärmsten zehn Prozent nur auf zwei Prozent des weltweiten Gesamteinkommens. Diese Ungleichheit betrifft nicht nur den Nord-Süd-Vergleich zwischen reichen und armen Ländern. Es genügt schon ein Blick in die USA. Dort verdienen die Chefs der im Börsenindex S&P 500 gelisteten Firmen mehr als das 250-Fache eines durchschnittlichen Arbeiters. Gleichzeitig leben mehr als 45 Millionen US-Amerikaner von Lebensmittelmarken.

Das alles wissen die Staatenlenker der mittlerweile – ohne Russland – nur noch sieben Staaten. Wirkliche Rezepte gegen diese Auswüchse eines ungehemmten Finanzkapitalismus sind nicht zu erkennen. Es gäbe freilich eine Chance für die erlesene Runde: Im kommenden September sollen auf einem UN-Sondergipfel in New York die Post-2015-Nachhaltigkeitsziele (SDG) verabschiedet werden. Hier könnten sich die G7 im Vorfeld zu eigenständigen Zielen verpflichten und ausformulieren, wie sie konkret dazu beitragen wollen, bis 2030 die extreme Armut in der Welt zu beseitigen. Sie müssten gezielter noch als bisher auch steuerpolitische Maßnahmen ergreifen, denn die Konzerne, die sich bei der Steuervermeidung hervortun, haben ihren Sitz zumeist in einem der G7-Länder. Sie müssten dafür sorgen, dass entlang der gesamten Lieferkette die ökologischen, sozialen und arbeitsrechtlichen Standards eingehalten werden – und zwar nicht auf freiwilliger Basis, sondern verbindlich. Insofern hat die deutsche G7-Präsidentschaft durchaus die richtigen Schwerpunkte gesetzt. Die Frage bleibt: Lassen sich die Ziele im G7-Kreis auch durchsetzen? Nur wenn es gelingt, auch multinationale Konzerne auf solche Standards zu verpflichten, nur dann hätte der Club der G7 die Bezeichnung „Wertegemeinschaft“ verdient. Über diesen Weg lässt sich die tickende soziale Zeitbombe entschärfen. Es war vor einiger Zeit ausgerechnet der Multimilliardär Paul Tudor Jones, ein Trader und Hedgefonds-Manager, der die Sache auf den Punkt brachte. Man sei, sagt Jones, inmitten einer desaströsen Marktmanie, der schlimmsten, die er erlebt habe. Der Abstand zwischen dem einen Prozent und dem Rest könne nicht von Dauer sein.

 

Henrik Böhme, geboren 1958 in Leipzig, Chef vom Dienst Online, Deutsche Welle Wirtschaftsredaktion.

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