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Landwirtschaftliche Perspektivwechsel

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Als in die Jahre gekommene Dekoration sind ihre Motive in ländlichen Bauernund Gasthöfen immer noch beliebt: Manche von ihnen bilden Landwirte ab, oft während Aussaat oder Ernte. Was so gut wie nie fehlt, ergänzend zu Acker oder Wiese, ist der Himmel in allen denkbaren Formen – von bedrohlich mit dunklen Wolken bis heiter mit Sonnenschein und Schäfchenwolken. Mit Distanz betrachtet, drücken die Darstellungen vor allem eines aus: Landwirtschaft findet „draußen“ statt. Klingt banal, ist aber fundamental.

Unabhängig von ihrem jeweiligen Standort ist die Landwirtschaft weltweit wie vermutlich kein zweiter Wirtschaftszweig von den natürlichen Bedingungen und allen damit verbundenen Unwägbarkeiten abhängig. Und wenn sich das Wetter schon nicht beeinflussen lässt, dann erscheint der Wunsch, es vorhersagen zu können, mehr als verständlich.

 

Satelliten statt überirdischer Mächte

Der Blick nach oben, sprich gen Himmel, gehört ebenso seit jeher zur Landwirtschaft. Eher profan, um zu schauen, wie das Wetter wird, oder mit einem Wunsch an überirdische Mächte, sie mögen es doch bitte richten. Die Landwirtschaft erhält mittlerweile ganz andere Hilfe von oben: Satelliten sind ein Standardinstrument der modernen Agrarproduktion.

Die Europäische Union (EU) verfügt mit Copernicus über ein eigenes Satellitenprogramm zur Erdbeobachtung. Das nach dem latinisierten Namen des Astronomen Nikolaus Kopernikus (1473–1543) benannte Projekt firmiert selbstbewusst als „Europas Auge für die Erde“. „Fernerkundungsmethoden finden bereits heute in Agrarforschung und -entwicklung vielfältige Anwendung“, heißt es dazu vom Julius-Kühn-Institut (JKI) in Braunschweig. Diese landwirtschaftliche Forschungseinrichtung des Bundes nutzt das Copernicus-Netzwerk. „Satelliten- und luftbildgestützte Analysen“, so das JKI weiter, „erleichtern die Vorhersage von Pflanzenwachstum, Ernteerträgen sowie die Begutachtung des Ausmaßes von Schaderregern, Dürre- und Hochwasserschäden.“ Das Forschungsinstitut entwickelt daher – quasi vom Himmel hoch – Verfahren, „um raumbezogene Daten, wie Boden- und Standortdaten, sensorgestützte in-situ-Daten, Wetter- und Klimadaten, mit Satellitendaten zu verknüpfen“. Ziel sei eine „ressourcenschonende Bewirtschaftung, umweltgerechte Düngung sowie effiziente Logistik“.

Doch Europas Auge für die Erde kann mehr: Die technische Himmelsmacht sieht alles. Mit ihr lässt sich das Gute fördern, und „Sünder“ werden entlarvt. Zu Letzteren spricht das Julius-Kühn-Institut über die „Kontrolle der EU-Agrarzahlungen“. Mittels Satelliten erfolge das „Monitoring landwirtschaftlicher Flächen“. Mit anderen Worten: Wer als Landwirt an die irdischen Fördertöpfe der Europäischen Union will, sollte sich vor – auch unbeabsichtigten – falschen Angaben zu seinen Flächen hüten. Copernicus, das „Auge Europas für die Erde“, ist durchaus in der Lage, durch die Offenlegung fehlerhafter Angaben und deren Übermittlung für Bestrafung zu sorgen.

Dagegen regt sich Widerstand. Nicht grundsätzlich gegen die Kontrolle von oben, sondern gegen die einseitige Nutzung der Technologie. Hubertus Paetow, Landwirt in Mecklenburg-Vorpommern und Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), stellte im September 2023 klar: „Wenn der digitale Fortschritt sich in Satellitenbildern zur Auflagenkontrolle erschöpft und eine hundertprozentige Einhaltung der Vorschriften der Ordnungspolitik objektiv für keinen Betrieb mehr möglich ist, dann sind wir fast schon da angekommen, wo wir in Ostdeutschland 1989 aufgehört haben.“ Der DLG-Präsident kritisiert „ein maximal unternehmerverachtendes System, das weder den Fortschritt hin zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem befördert noch auch nur seine eigenen politischen oder ideologischen Ziele erreicht“.

 

Himmelsgrenzen

Die „Kontrollsatelliten“ befinden sich von der Erde aus gesehen zwar im Himmel, aber genau genommen kreisen sie mit mehr als 700 Kilometern Flughöhe über ihm. So definiert die Internationale Raumfahrtbehörde die „Himmelsgrenze“ bei 100 Kilometern über dem Meeresspiegel, und die NASA setzt das Limit bei achtzig Kilometern über dem Meeresspiegel. Der Himmel als „Ort des Wetters“ ist wiederum viel niedriger: Nach wissenschaftlicher Nomenklatur handelt es sich um die Troposphäre. Diese unterste der fünf Atmosphärenschichten reicht laut Deutschem Wetterdienst (DWD) „bis etwa 17 Kilometer Höhe in den Tropen und bis sieben Kilometer Höhe an den Polen“. „Da die Troposphäre fast das gesamte Wasser unserer Atmosphäre enthält, spielt sich hier unser tägliches Wetter mit all seinen Facetten und Wolkenformen ab“, erläutert der DWD: „Antrieb für unser Wetter ist die unterschiedlich starke Sonnenstrahlung, die den Erdboden erwärmt. Da warme Luft aufsteigt und kalte Luft absinkt, wird die Troposphäre durch verschiedene Wirbel durchmischt (Konvektion). Daher leitet sich ihr Name vom altgriechischen Wort ‚trope‘ (Wendung, Änderung) ab.“

Vom Wetter ist es nicht weit zum Klima. Wetter als kurzfristige Aussichten für die kommenden Tage unterscheidet sich vom Klima, das durch einen langfristigen Trend über mehrere Jahrzehnte gekennzeichnet ist. Für das Klima beobachten Wissenschaftler den Trend hin zu einer massiven Erderwärmung. „Nicht nur in Deutschland ist dessen Existenz inzwischen nachweisbar – und für jedermann zu spüren“, beschreibt der Deutsche Bauernverband (DBV) die Lage und Aussicht: „Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881 steigt die Jahresdurchschnittstemperatur in Deutschland sowohl im langfristigen Trend als auch im 30-jährigen Mittel.“ Das hat Konsequenzen für das Wirtschaften unter freiem Himmel.

Milde Winter begünstigen laut DBV die Verbreitung neu eingeschleppter Schädlinge und Unkräuter. Zudem erkennt der Bauernverband drohende Probleme für Ackerkulturen wie Raps, Gerste oder Weizen: „Diese Pflanzen werden bereits im Spätsommer oder Herbst gesät und brauchen im Winter einen Kältereiz (Vernalisation), damit sie im Folgejahr zur Blüte kommen. Bei allzu mildem Wetter bleibt dieser Reiz aus – es drohen Ernteausfälle.“ Weniger oder ungünstig im Jahreslauf verteilte Niederschläge sind weitere Gefahren für landwirtschaftliche Produktion.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) formuliert das (Klima-)Geschehen zwischen Himmel und Erde wesentlich drastischer. „Die größte Gefahr für die Landwirtschaft ist die Klimakrise, denn der Schutz von Klima, Böden, Wasser und Artenvielfalt entscheidet darüber, ob wir auch morgen noch unsere Nahrung sichern können“, heißt es dazu aus seinem Agrarressort. Schwerpunkte der Klimaschutzanstrengungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums in der Land- und Forstwirtschaft sind, „Emissionen zu mindern – und Ressourcen effizienter einzusetzen und damit insgesamt noch nachhaltiger zu produzieren“. Außerdem sollen die Kohlenstoffspeicherpotenziale der Landund Forstwirtschaft gefördert werden.

 

Fehlende Patentrezepte

Dem widersetzt sich die Landwirtschaft nicht. „Die Landwirtschaft leidet nicht nur unter dem Klimawandel, sie trägt auch zu ihm bei“, bekennt der Deutsche Bauernverband. „Viehhaltung und die Düngung lassen klimaschädliche Treibhausgase, wie Methan und Lachgas, entstehen. Um deren Effekte mit denen des Kohlendioxids vergleichen zu können, werden die Mengen in der Maßeinheit CO2-Äquivalent angegeben.“ Die Reduktion schädlicher Treibhausgase in der Landwirtschaft liege im ureigenen Interesse der Landwirte, versichert der Bauernverband. Während sich Emissionen im Energiebereich durch alternative Energiequellen vergleichsweise einfach verringern ließen, fehlten derlei Patentrezepte für natürliche Prozesse in der Landwirtschaft. Die Landwirtschaft bleibe, so der DBV, „immer mit gewissen Emissionen verbunden, es sei denn, man würde völlig auf sie verzichten und damit die Ernährung aufs Spiel setzen“. Diesem Ansatz habe die Politik allerdings eine klare Absage erteilt. Der Bauernverband verweist auf das Pariser Klimaabkommen von 2015. Dessen Präambel enthalte den Grundsatz, „dass die Gewährleistung der Ernährungssicherheit und die Beendigung des Hungers grundsätzlich Vorrang haben vor dem wichtigen Ziel, eine weitere Erwärmung der Erde zu verhindern.“

Die Beziehung „Landwirtschaft – Himmel“ hat sich grundlegend gewandelt. War es über Jahrtausende ein mythologisch respektive religiös geprägtes Verhältnis, so dominiert heute, zumindest in der westlichen Welt, die wissenschaftlich-politische Sichtweise. Beiden Perspektiven ist jedoch eines gemein: Auf Erden ist die Landwirtschaft dafür verantwortlich, dass die Teller nicht leer bleiben.

Dietrich Holler, geboren 1966 in Herborn, Agrarwissenschaftler, Journalist, Redaktionsbüro „vox viridis“ („Grüne Stimme“), Berlin.

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