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Fachkräftesicherung durch die Gleichstellung von Frauen

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Noch immer sind Frauen und Männer in Deutschland nicht gleichgestellt. Das illustrierte jüngst eine Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Partizipation und Repräsentation von Frauen in Deutschland.1 Darin gab mehr als jede dritte Frau an, häufiger gegenüber Männern benachteiligt zu werden. Diese Benachteiligung äußert sich besonders deutlich im Arbeitsleben, etwa beim Gehalt. So bestätigte rund ein Drittel der Frauen, bei der Bezahlung bereits Diskriminierungserfahrungen gemacht zu haben. Bei den Männern war es nur jeder Zehnte.

Geschlechterungleichheiten am Arbeitsmarkt, etwa bei der Bezahlung oder den Beschäftigungs- und Aufstiegschancen, führen dazu, dass viele Frauen ihre Existenz nicht eigenständig sichern können. Wirtschaftliche Abhängigkeit und überdurchschnittliche Armutsquoten, insbesondere im Alter, sind die Folge. Für eine demokratische Gesellschaft, die auf dem Grundsatz der Gleichberechtigung aller Bürgerinnen und Bürger fußt, stellt dies einen inakzeptablen Missstand dar. Aber auch aus volkswirtschaftlicher Sicht wird die mangelnde Teilhabe von Frauen am Arbeitsleben zunehmend zum Problem. Denn in vielen Bereichen suchen Unternehmen schon jetzt händeringend nach Fachkräften. Aufgrund des Strukturwandels wird sich die Situation weiter zuspitzen und droht den allgemeinen Wohlstand in diesem Land zu gefährden.

Dennoch kommt in der Debatte um die Fachkräftesicherung die Geschlechterperspektive zu kurz – und das, obwohl bei den Frauen, die in prekärer Beschäftigung, in Teilzeit oder gar nicht (mehr) erwerbstätig sind, ein enormes Beschäftigungspotenzial liegt. Zwar ist die Erwerbstätigenquote von Frauen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen, ihr Arbeitsvolumen liegt jedoch weiterhin deutlich unter dem der Männer. Berechnungen des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) zufolge arbeiteten abhängig beschäftigte Frauen in Deutschland im Jahr 2021 im Durchschnitt 7,4 Stunden weniger als Männer.2 Der Grund ist, dass Frauen, insbesondere Mütter, deutlich häufiger in Teilzeit tätig sind, um neben ihrer Berufstätigkeit zusätzlich Familienpflichten erfüllen zu können. Wären diese Mütter in der Lage, ihre Erwerbstätigkeit durch die gesellschaftliche Umverteilung von unbezahlter Sorgearbeit allein um eine Stunde auszuweiten, würden 2,5 Millionen Wochenstunden an zusätzlicher Arbeitszeit entstehen, was 71.000 Vollzeitäquivalenten entspräche – so das Ergebnis einer aktuellen Studie.3

 

Wo liegen die größten Hürden?

 

Bei den Frauen liegt somit das vermutlich größte inländische Beschäftigungspotenzial. Dieses zu heben, hat sich auch die Bundesregierung zur Aufgabe gemacht, die in ihrer Fachkräftestrategie die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen als eines von fünf prioritären Handlungsfeldern benennt. Doch die Ausweitung der Frauenerwerbsbeteiligung ist alles andere als ein Automatismus, denn Frauen sehen sich in der Arbeitswelt nach wie vor vielen Hürden gegenüber. Dies zeigen auch die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, die im November 2022 im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) durchgeführt wurde.4

Mit Blick auf die Fachkräftedebatte wollte der DGB von den befragten Männern und Frauen wissen, wo ihrer Einschätzung nach die größten Hürden für Frauen in der Arbeitswelt liegen. Zwei Drittel der befragten Frauen nannten daraufhin die niedrige Entlohnung, dicht gefolgt von der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf (63 Prozent). Jede Dritte sah in Sexismus und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sowie im fehlenden Gestaltungsspielraum bei der Arbeitszeit eine der höchsten Hürden für Frauen in der Arbeitswelt. Auf Platz fünf landeten schlechte Arbeitsbedingungen wie hohe Arbeitsdichte und Zeitdruck (28 Prozent).

Auch die befragten Männer sind sich offensichtlich der Schieflagen auf dem Arbeitsmarkt bewusst: Über die Hälfte von ihnen sah die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf als eine der größten Hürden für Frauen in der Arbeitswelt, 45 Prozent die niedrigere Entlohnung von Frauen. Knapp ein Drittel der Männer erachtete Sexismus und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz als eine der größten Hürden für Frauen, gefolgt vom fehlenden Gestaltungsspielraum bei der Arbeitszeit (25 Prozent) sowie schlechten Arbeitsbedingungen (17 Prozent).

Und wer ist aus Sicht der Menschen am ehesten dafür zuständig, die Hürden für Frauen in der Arbeitswelt abzubauen? Die Antwort auf die zweite Frage der DGB-Umfrage fiel eindeutig aus: Knapp die Hälfte der befragten Männer und Frauen sah hier die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in der Pflicht. Dass die Bundesregierung primär für die Beseitigung der Hürden für Frauen in der Arbeitswelt verantwortlich ist, meint etwa ein Viertel der Befragten (27 Prozent).

 

Gleichberechtigte Teilhabe durch Abbau der zentralen Hemmnisse

 

Die Ergebnisse spiegeln die verschiedenen Handlungsspielräume der Akteurinnen und Akteure beim Abbau der Hürden für Frauen in der Arbeitswelt wider. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt zu schaffen. Gewerkschaften können in der Gesellschaft für gleichstellungspolitische Anliegen werben und sie gemeinsam mit Betriebs- und Personalräten gegenüber Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern einfordern. Doch gehandelt werden muss auf betrieblicher Ebene, damit Frauen gleichberechtigt am Erwerbsleben teilhaben können.

Wie lässt sich also das Beschäftigungspotenzial von Frauen aktivieren? Um die Frauenerwerbstätigkeit substanziell zu steigern und damit dem Fachkräftemangel effektiv entgegenzusteuern, müssen die zentralen Hemmnisse für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben abgebaut werden. Im Fokus sollten dabei die gerechte Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, die gleiche Bezahlung von Frauen sowie gute Arbeitsbedingungen stehen.

Erstens: Tarifbindung erhöhen, Lohnlücke schließen. Die Umfrage des DGB hat gezeigt, dass sich Erwerbstätigkeit lohnen muss, auch für Frauen. Um höhere Löhne für Frauen zu erwirken und die geschlechtsspezifische Entgeltlücke zu schließen, sind die Stärkung sowohl der Tarifbindung als auch der betrieblichen Mitbestimmung zentrale Instrumente. Denn in tarifgebundenen Unternehmen sind die Gehälter höher, Zusatzleistungen (zum Beispiel Weihnachts- und Urlaubsgeld) oftmals Standard sowie die Lohnunterschiede und die Arbeitszeiten kürzer und somit familienfreundlicher.

Zweitens: Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Erwerbstätigkeit muss mit unbezahlter Sorgearbeit, also mit Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen und Hausarbeit, vereinbar sein – auch das wurde in der Umfrage überdeutlich. Hierfür bedarf es neben dem qualitativ hochwertigen und bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuung sowie des Angebots professioneller Entlastungs- und Unterstützungsleistungen für pflegende Angehörige vor allem einer größeren Arbeitszeitsouveränität für Beschäftigte. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert deshalb einen Rechtsanspruch der Beschäftigten auf die Gestaltung von Arbeitszeitarrangements hinsichtlich Dauer, Lage und Rhythmus der vertraglichen Arbeitszeit sowie auf die Wahl des Arbeitsortes. Unternehmen sollten zudem dazu verpflichtet werden, die arbeitszeitbezogenen Bedürfnisse ihrer Beschäftigten zu erheben und im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben betriebliche Arbeitszeitkonzepte zu entwickeln, die auch an tarifliche Regelungen anknüpfen. Nur so lässt sich Erwerbsarbeit für alle Beschäftigten und in unterschiedlichen Lebensphasen mit den Anforderungen des Privatlebens vereinbaren.

Drittens: Partnerschaftlichkeit fördern, Sorgearbeit fair teilen. Damit insbesondere Mütter ihre Erwerbsbeteiligung ausweiten können, müssen Männer in ihrer Verantwortung für die Übernahme von Sorgetätigkeiten gestärkt und die partnerschaftliche Aufteilung von Sorgearbeit gefördert werden. Um Sorgearbeit auch in männlichen Erwerbsverläufen zu etablieren, sollte eine zehntägige, bezahlte Vaterschaftsfreistellung rund um die Geburt eines Kindes eingeführt und das Elterngeld durch eine Erhöhung der Partnermonate weiterentwickelt werden – denn die Einbindung von Vätern in die frühe Familienphase stärkt nachweislich die partnerschaftliche Aufteilung unbezahlter Sorgearbeit.

 

Prävention von Sexismus und geschlechtsspezifischer Gewalt

 

Viertens: Fehlanreize im Steuerrecht beseitigen. Zentral ist zudem die Beseitigung negativer Erwerbsanreize für Frauen im Steuersystem. In seiner aktuellen Form begünstigt das Steuersystem ein asymmetrisches Modell, in dem in der Regel der Mann Alleinoder Hauptverdiener ist und die Frau allenfalls hinzuverdient. Vor allem die Steuerklasse V mit ihrer übermäßig hohen Steuerbelastung für die weniger verdienende Person in der Ehe mindert die Attraktivität regulärer Beschäftigung und treibt Frauen in Minijobs. Deshalb ist die Steuerklassenkombination III/V durch die Steuerklassenkombination IV/IV zu ersetzen – ergänzt um das Faktorverfahren, bei dem die Lohnsteuer nach dem Anteil berechnet wird, den jeder Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner zum gemeinsamen Einkommen beiträgt. Zudem muss die geringfügige Beschäftigung, die eine besonders prekäre Form (weiblicher) Teilzeitbeschäftigung darstellt, nachhaltig reformiert werden. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist es höchste Zeit, auch geringfügige Beschäftigung ab der ersten Arbeitsstunde sozial abzusichern und für die überwiegend weiblichen Minijobber damit Anreize zu setzen, ihre Arbeitszeiten auszuweiten.

Fünftens: Sexueller Belästigung am Arbeitsplatz entgegentreten. Gute Arbeitsbedingungen und ein wertschätzendes, diskriminierungs- und gewaltfreies Miteinander sind für Frauen in der Arbeitswelt von zentraler Bedeutung. Auch das haben die Ergebnisse der DGB-Umfrage gezeigt. Vor diesem Hintergrund plädiert der Deutsche Gewerkschaftsbund dafür, die Prävention von Sexismus und geschlechtsspezifischer Gewalt stärker in den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu integrieren. Außerdem ist es unerlässlich, endlich das Übereinkommen Nr. 190 der International Labour Organization (ILO) von 2019 („ILO-Konvention 190“) „über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt“ auch in Deutschland zu ratifizieren und wirksam umzusetzen.

Damit ein Mangel an Fachkräften nicht zum Hemmschuh der wirtschaftlichen Entwicklung und der sozial-ökologischen Transformation wird, sollten sich Politik und Arbeitgeber bewusst machen, welche Rolle Frauen für die Zukunft unserer Wirtschaft spielen können – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen für eine Steigerung ihrer Erwerbstätigkeit stimmen. Als Gewerkschaften sind wir der Überzeugung: Wer Fachkräfte gewinnen will, kann auf Frauen nicht verzichten!

 

Elke Hannack, geboren 1961 in Gladbeck, Stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).

 

1 Dominik Hirndorf: Frauen, Männer und kaum Unterschiede? Eine repräsentative Umfrage zu Partizipation und Repräsentation von Frauen in Deutschland, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Berlin, März 2023.

2 Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ): Entwicklung der Wochenarbeitszeit nach Geschlecht 1991–2021, Quelle: Statistisches Bundesamt, 2022, www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Arbeitsbedingungen/Datensammlung/PDF-Dateien/abbV9.pdf [letzter Zugriff: 31.03.2023]

3 Nina Altmann / Markus Hoch / Dagmar Weßler-Poßberg: Fachkräftesicherung durch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Prognos Policy Paper, 17.10.2022, www.prognos.com/de/projekt/fachkraeftesicherung-durch-die-vereinbarkeit-von-familie-und-beruf [letzter Zugriff: 31.03.2023].

4 Die Umfrage basiert auf Online-Interviews mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern des YouGov, Panel Deutschland. Insgesamt nahmen 2.043 Personen an der Umfrage teil, davon 993 Männer und 1.050 Frauen. Die Ergebnisse wurden gewichtet und sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren. Erhebungszeitraum 09.–11.11.2022.