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Herausforderungen durch „neu-rechte“ Modernisierer

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Seit wenigen Jahren zählt Deutschland nicht mehr – wie etwa Portugal und die Republik Irland – zu den Ausnahmeländern in Europa ohne erfolgreiche Rechtsaußenparteien auf nationaler Ebene. Damit scheint auch eines der zentralen Argumente für die deutsche Sonderrolle entkräftet: Man habe die Lektionen aus der verbrecherischen Geschichte des Nationalsozialismus gelernt. Die Auseinandersetzung mit der Alternative für Deutschland (AfD) folgt diesem Interpretationspfad, indem sie sich häufig aus dem Arsenal des klassischen Antifaschismus bedient, „Nazis“ und „Völkische“ am Werk sieht und mahnend das Ende der Weimarer Republik beschwört.

Vor allem Vertreter des am 30. April 2020 ohne erkennbare Folgen offiziell aufgelösten AfD-„Flügels“ liefern solchen Deutungen reichlich Nahrung. So treten Kontinuitäten ins Zentrum, während offenkundige Diskontinuitäten zu wenig Beachtung finden. Mit Recht warnen Historiker wie Heinrich August Winkler vor einer Überstrapazierung historischer Analogien, einer Überdehnung von Begriffen wie Faschismus und einem Weimar-Alarmismus, der wenig zur Diagnose der aktuellen Lage beiträgt: „Es ist absurd, ständig den Untergang der Weimarer Republik zu beschwören. Das, was in Erfurt geschehen ist, ist alarmierend genug. Aber mit falschen Analogien wird die gegenwärtige Situation der deutschen Demokratie in ein völlig falsches Licht gerückt.“ Offenbar sei vergessen, dass der Republik 1932 eine demokratische Mehrheit im Reichstag fehlte und auf den Straßen bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten. Die AfD ähnele eher den damaligen Deutschnationalen, eine „antidemokratische, nationalistische und reaktionäre Rechtspartei mit einem starken völkisch-rassistischen Flügel“.1 Und in der Tat scheinen die erinnerungspolitischen Signale, wie sie von „Kyffhäusertreffen“ oder dem Plädoyer für die Dekontaminierung der deutschen Kolonialgeschichte ausgehen, eher in Richtung Wilhelminismus zu weisen.

Jedoch dürfen die unleugbaren Kontinuitätslinien, die zu den Pickelhauben und zum Deutschnationalismus führen, nicht zu fett gezeichnet werden. Gegenüber der „alten Rechten“ erbringt die „neue Rechte“ (wenn man sie so nennen will) Modernisierungsleistungen – durchaus wertneutral zu verstehen –, deren Missachtung ihre Mobilisierungskraft zu einem unauflösbaren Rätsel macht.

 

Moderne Rechtspopulisten

 

Diese Modernisierungsleistungen lassen sich gut im Vergleich zur Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) erkennen, die nicht aufgrund des (gescheiterten) Verbotsverfahrens, sondern wegen der gemäßigteren Konkurrenz einstweilen „in der Versenkung verschwunden“ zu sein scheint. Die ausgeprägte NS-Affinität dieser Partei haben Verfassungsschutzbehörden, Verfassungsrichter und Extremismusforscher umfangreich dokumentiert und analysiert. Ihr einziger Vertreter im Europaparlament vor dem Scheitern bei den Wahlen vom Mai 2019 wurde von der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF) um Marine Le Pen gemieden wie ein Aussätziger, während die AfD inzwischen zum festen Bestandteil der Nachfolgefraktion „Identität und Demokratie“ (mit dem Rassemblement National, der Lega Matteo Salvinis und der Freien Partei Österreichs [FPÖ]) geworden ist. Die AfD hat sich im Vergleich zu ihren Anfängen unter Bernd Lucke radikalisiert, aber weniger im Sinne der NPD als in Richtung auf das ideologisch-programmatische Profil der „rechtspopulistischen“ Parteienfamilie, wie sie sich um Le Pen und Salvini versammelt.

Diese Parteien stellen sich auf den Boden der „Jerusalemer Erklärung“ (2010), die – unter maßgeblicher Beteiligung der FPÖ – den Kampf gegen „den Islam als ein totalitäres System mit dem Ziel der Unterwerfung der Welt“ zum Schutz auch der „jüdisch-christlichen kulturellen Werte“ propagiert, das Existenzrecht des Staates Israel und die Notwendigkeit der „Selbstverteidigung“ gegenüber „islamischem Terror“2 betont. Diese Position lässt sich zugespitzt als prozionistischen Antiislamismus kennzeichnen, und sie passiert eine Grenze, die von NS-affinen Parteien wie der NPD niemals überschritten werden könnte. Denn Antisemitismus wird hier nicht von „lunatic fringe“ auf den hinteren Rängen (wie einem seit Kurzem aus der AfD ausgeschlossenen Wolfgang Gedeon im Stuttgarter Landtag) kultiviert, sondern bildet den Markenkern. Daher wäre es undenkbar, dass sich in der NPD eine Vereinigung „Juden in der NPD“ formiert, die sich unter anderem gegen die „unkontrollierte Masseneinwanderung junger Männer aus dem islamischen Kulturkreis“ mit einer „antisemitischen Sozialisation“3 wendet. Die NPD wettert seit einigen Jahren ebenfalls gegen Deutschlands „Islamisierung“, sucht jedoch gleichzeitig Einvernehmen mit dem Chef der Hisbollah im Libanon, um deren Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und den Einsatz für die Opfer des „alltäglichen israelischen Terrors“4 gebührend zu würdigen.

In der NPD musste ein Parteivorsitzender unter anderem wegen angeblicher homosexueller Verfehlungen zurücktreten. In der AfD verkörpert Alice Weidel nicht nur den weiblichen Anteil an einer eher kollektiven und uncharismatischen Führung, sondern auch die Anerkennung von Lebensformen, die vom traditionellen Familienbild abweichen. Die europäischen Bündnispartner haben der AfD vorgemacht, wie man auf sozialen Wandel reagiert und durch Wertschätzung neue Wählergruppen erschließt: Geert Wilders trug in der Zeit der Tolerierung des Minderheitskabinetts Rutte (2010/11) mit der rot-grünen Opposition zur Stärkung von LGBT-Rechten (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender) bei, und Marine Le Pen holte eine stattliche Zahl von Vertretern der Community in Führungsämter, um Unvoreingenommenheit und das Abrücken von überholten sozialen Konventionen zu demonstrieren. In ihren Stellungnahmen gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ plustern sich die Vertreter rechtspopulistischer Parteien zu Verteidigern von Menschen-, Frauen- und Homosexuellen-Rechten gegen einen „totalitären“ Islam auf, der eine „Religion der Knechtschaft und der Unterwerfung, der Unterdrückung ‚Ungläubiger‘ und der Entrechtung von Frauen“5 sei. Islamophobie hüllt sich in das Gewand der Aufklärung.

Sind die Verfassungsschutzbehörden angesichts solcher Modernisierungen auf dem Holzweg, wenn sie Teile der AfD unter Beobachtung stellen und für extremistisch erklären? Dies wäre nur dann der Fall, fiele Rechtsextremismus mit NS-Affinität zusammen. Jedoch hat auch die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) die Weimarer Republik mehrheitlich bekämpft (und Hitler später den Weg zur Macht geebnet). Wichtiger aber noch: Der moderne Rechtspopulismus enthält einen extremistischen Kern: Die Gegenüberstellung einer verdorbenen politischen „Kaste“ und eines Volkes, dessen „wahren Willen“ die Populisten gegen deren „Intrigen“ verteidigen, entstammt der Ideenwelt des Antipluralismus.

Solche Vorstellungen haben führende Repräsentanten der AfD offenbar tief verinnerlicht, wenn sie politische Gegner „jagen“ und eine Integrationsministerin mit türkischen Wurzeln „in Anatolien entsorgen“ wollen. Die krassesten Äußerungen kommen vom „Flügel“: „Wir sind die Götterdämmerung dieses globalisierten Multikulturalismus, wir sind die Totengräber der fauligen Reste dieser 68er-Zersetzung, wir sind die Restauratoren dieses am Boden liegenden entmerkelten Restes einer Nation.“6 Diese Kriegserklärung stammt vom Landesund Fraktionsvorsitzenden der brandenburgischen AfD, der für die Gruppe der Spitzenfunktionäre der Partei insofern atypisch ist, als er sich viele Jahre lang in der rechtsextremistischen Szene bewegt hat. In der gleichen Rede greift er das Wort Björn Höckes von der AfD als der „letzten evolutionären Chance“ für Deutschland auf – eine kaum verklausulierte Bürgerkriegsdrohung für den Fall, dass die AfD politisch scheitert.

 

Weicher Extremismus als schleichendes Gift

 

Mit solchen Äußerungen rückt der AfD-„Flügel“ dicht an den „harten“ Rechtsextremismus der NPD heran und sendet Signale aus, die gewaltgeneigte Gruppen gern empfangen, auch wenn die Partei insgesamt mit den militanten Szenen weit weniger Verflechtungen aufweist als die NPD. Mit dieser Partei gemeinsam ist weiten Teilen der AfD die Wertschätzung des „Ethnopluralismus“, eines Konzepts, das neu-rechte Zirkel in Frankreich und Deutschland ersonnen haben und das im Zentrum des Selbstverständnisses der sogenannten „Identitären“ steht. Es betont die legitime Vielfalt gleichrangiger Völker (im Unterschied zur NS-Rassenhierarchie), deren ethnische Substanz zu bewahren/wiederherzustellen sei. Das damit verbundene ethnische Reinheitsideal oszilliert zwischen kulturellen und biologischen Anforderungen, lässt also für die politische Praxis unterschiedliche Auslegungen zu. Stets geht von ihm jedoch ein Druck auf Minderheiten aus, die seinen Anforderungen nicht entsprechen. Wer sich der Verschwörungstheorie vom „großen Austausch“ bedient und lauthals „Remigration“ schreit, flößt nicht nur denen Angst ein, die davon unmittelbar betroffen sind. Und wenn das AfD-Grundsatzprogramm im Punkt 7.6.1 kategorisch erklärt: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, müssen deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens befürchten, dass ihr Rechtsstatus von einer regierenden AfD infrage gestellt würde. All dies widerspricht dem Geist von Artikel 1 des Grundgesetzes.

Der „weiche Extremismus“, wie ihn Eckhard Jesse und Tom Thieme definiert haben,7 ist in der AfD weit verbreitet. Er ist zudem wirksamer als der „harte“ NS-affine, weil er wie ein schleichendes Gift in die Zellen der demokratischen Gesellschaft eindringt.

Diese Herausforderung kann kaum bestehen, wer blind auf die Rezepte aus dem Medizinschrank des historischen Antifaschismus vertraut. Eine Diagnose, die Übereinstimmungen mit alten Krankheiten erkennt, aber Mutationen missachtet, führt selten zu einer wirksamen Therapie. Eine differenziert-argumentative Auseinandersetzung muss den Kern der Herausforderung treffen. Vor allem gilt es, aufzuzeigen, wohin eine Politik führt, die politische Gegner unisono als korrupt und „volksverräterisch“ diffamiert und so den Boden für Debatte, Deliberation und Kompromissfindung zerstört; die Migranten vorzugsweise als „Taugenichtse“ und Kriminelle verunglimpft und Muslime als Schwulenhasser, Fanatiker und Terroristen; die auf Totalkritik an der Europäischen Union gebürstet ist und in stillschweigender Komplizenschaft mit Wladimir Putins Desinformationskampagnen agiert; die erinnerungspolitisches Porzellan zerschlägt und fragwürdige Traditionsbestände wieder aufleben lässt.

Der „Cordon sanitaire“ zu einer solchen Partei ist notwendiger denn je. Gleichzeitig muss den Verführten klargemacht werden, dass sich nicht ernsthaft auf das „jüdisch-christliche Abendland“ berufen kann, wer soziale Brücken einreißt und gesellschaftliche Spaltungen vertieft. Und dass nicht jede Form des Islam, wohl aber ethnozentrisches Stammesdenken mit den Werten des Grundgesetzes und der Christdemokratie unvereinbar ist. Zugleich sollte nicht zuletzt in den Hochburgen des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus8 der Dialog mit den Bürgern (gerade auch den wankenden und verführten) gesucht, Politik in ihrer Komplexität noch besser erklärt und nicht als vermeintlich alternativlos der Diskussion entzogen werden.

 

Uwe Backes, geboren 1960 in Greimerath (Kreis Saarburg), Politikwissenschaftler, Stellv. Direktor des Hannah-Arendt-Instituts, außerplanmäßiger Professor am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Dresden.

 

 

1 Zitiert nach: „Historiker: Faschismusbegriff wird inflationär verwendet“, www.zeit.de/news/202002/09/historiker-faschismus-begriff-wird-inflationaer-verwendet [letzter Zugriff: 21.04.2020].

2 Zitiert nach dem Abdruck unter www.diepresse.com/616660/jerusalemer-erklarung-gegenislamismus-im-wortlaut [letzter Zugriff: 21.04.2020].

3 Juden in der AfD e.V., Grundsatzerklärung, www.j-afd.org/grundsatzerklaerung [letzter Zugriff: 21.04.2020].

4 „Europäische Abgeordnete treffen sich im Libanon mit Hisbollah-Vertretern“, https://npd. de/2019/03/udo-voigt-ehrt-im-kampf-gegen-den-is-gefallene-hisbollah-kaempfer [letzter Zugriff: 20.06.2019].

5 Alice Weidel: Widerworte. Gedanken über Deutschland, 2. Aufl., Kulmbach 2019, S. 117.

6 Andreas Kalbitz: Rede auf dem Kyffhäusertreffen 2018, 11. Juli 2018, www.youtube.com/watch? v=PB2mWTMT2V4 [letzter Zugriff: 21.04.2020].

7 Vgl. Eckhard Jesse / Tom Thieme (Hrsg.): Extremismus in den EU-Staaten, Wiesbaden 2011, S. 20.

8 Vgl. jetzt auch Uwe Backes / Steffen Kailitz (Hrsg.): Sachsen – Hochburg des Rechtsextremismus?, Göttingen 2020.

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