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Wohlstand und soziale Durchlässigkeit durch Arbeit und Leistung

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Ludwig Erhards Versprechen vom „Wohlstand für alle“ stammt aus einer Zeit, in der sich Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich und gesellschaftlich neu aufstellen musste. Die Soziale Marktwirtschaft mit ihren fundamentalen Prinzipien (Preisstabilität, freier Wettbewerb) war in der Bevölkerung weniger gefestigt als heute und stand im Systemwettbewerb mit der staatsdirigistischen Planwirtschaft im Ostblock. Doch sie bewährte sich und ließ den freien Teil Deutschlands zu einer der führenden Industrienationen aufsteigen. Anfang der 1960er-Jahre herrschte Vollbeschäftigung, und die materielle Existenzgrundlage weiter Teile der Bevölkerung war nach den Entbehrungen der Nachkriegsjahre gesichert.1

Bis heute hat sich der Wohlstand weiter vermehrt. Richtig ist aber auch, dass ein Teil des hinzugewonnenen Wohlstands des letzten Jahrzehnts durch die aktuellen Krisen verloren gegangen ist. Der durch den Angriff Russlands auf die Ukraine ausgelöste Preisschock verdeutlicht, dass Erhard der Preisstabilität zu Recht einen hohen Stellenwert einräumte. Inflation reduziert Wohlstand in kürzester Zeit. Das real verfügbare Einkommen der privaten Haushalte liegt nun wieder auf dem Niveau von 2018/19.2 Das ist jedoch nicht das Ende des deutschen Wohlstandsversprechens: Die Beschäftigung ist hoch, die Arbeitslosigkeit gering, und viele Luxusartikel der Vergangenheit sind heute selbstverständliche Standardausstattung fast aller Haushalte.3 Technologischer Fortschritt, inklusives Wirtschaftswachstum und die menschliche Schaffenskraft waren und sind dafür die Basis.

Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie gab es in Deutschland zudem eine lange Periode inklusiven Wirtschaftswachstums mit ähnlich hohen Wachstumsraten entlang der gesamten Einkommensverteilung, wobei die Einkommen aus selbstständiger und abhängiger Beschäftigung mit fast zwei Dritteln weiterhin die wichtigste Einkommensquelle der Privathaushalte bilden. Die Verteilung der verfügbaren Haushaltseinkommen (Nettoeinkommen nach Steuern, Abgaben und Transferleistungen inklusive Rentenzahlungen) ist seit 2005 weitgehend unverändert geblieben, wenn auch das Niveau der Ungleichheit höher ist als in den 1990er-Jahren.4 Ein Grund dafür, dass die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen – anders als die der Markteinkommen oder Bruttostundenlöhne vor der Corona-Pandemie – nicht nennenswert gesunken ist, liegt in der Zuwanderung. Begleitstudien zum Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigen mithilfe kontrafaktischer Verteilungsanalysen für den Zeitraum von 2005 bis 2016, dass die positive Beschäftigungsentwicklung für sich genommen die Ungleichheit der verfügbaren Haushaltseinkommen verringert hätte. Auch die Entwicklung der relativen Armutsgefährdungsquote5 war davon beeinflusst, da seit 2010 viele Menschen mit wenig Einkommen und Vermögen zugewandert sind.6 Wie sich die aktuell hohen Preise auf diese Indikatoren ausgewirkt haben, ist Gegenstand aktueller Forschung.

 

Gesellschaftlicher Aufstieg durch eigene Leistung

Angesichts der Unsicherheiten während der Corona-Pandemie ist es umso bemerkenswerter, dass die Deutschen auch im Jahr 2021 noch äußerst optimistisch auf ihre eigene wirtschaftliche Situation und persönliche finanzielle Zukunft blickten und die allgemeine Lebenszufriedenheit der Menschen in Ost und West kaum zurückgegangen ist (2019 befand sie sich auf einem Hochpunkt seit der Wiedervereinigung). Die Mehrheit der Bevölkerung war 2021 überzeugt, dass es den eigenen Kindern in Zukunft besser gehen werde.7 Auf einer Skala von 1 (schlechteste Stellung in Bezug auf Bildung, berufliches Ansehen und Einkommen) bis 10 (beste Stellung in den drei genannten Dimensionen) sollten sich die Befragten erst selbst einordnen und dann die künftige Position ihrer Kinder bestimmen, wenn diese im gleichen Alter sind wie sie selbst zum Befragungszeitpunkt. Über alle betrachteten gesellschaftlichen Gruppen hinweg zeigte sich ein grundlegender Optimismus mit Blick auf die eigene künftige soziale Stellung. 84 Prozent der Befragten rechneten damit, dass es ihren Kindern einmal mindestens gleich gut (36 Prozent) oder sogar besser (48 Prozent) gehen wird.

Menschen mit geringem Bildungsniveau waren besonders zuversichtlich und schätzten ihre Aufstiegschancen deutlich größer ein als im Bevölkerungsdurchschnitt. Mit Blick auf ihre Kinder waren sie noch optimistischer. Hingegen ordneten sich Menschen mit Migrationshintergrund etwas niedriger ein als solche ohne, versprechen sich allerdings einen besonders großen sozialen Aufstieg. Und mehr noch: Die Menschen in Deutschland glauben an den gesellschaftlichen Aufstieg durch eigene Leistung und handeln in dem Bewusstsein, dass Anstrengung und Fleiß zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren gehören. Auch gute Fachkenntnisse auf einem Spezialgebiet oder Begabung und Intelligenz werden als entscheidend für den gesellschaftlichen Aufstieg erachtet. Aus der „richtigen“ Familie zu stammen, erachten hingegen nur 37 Prozent der Befragten als notwendige Voraussetzung für Erfolg und Aufstieg. Die Ergebnisse zeigen, dass der Leistungsgedanke als ein Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft noch immer tief im Bewusstsein der Deutschen verwurzelt ist.

Belegt ist, dass das Elternhaus prägend für die Entwicklung eines Kindes ist und neben Kindergärten und Schulen Einfluss auf den Lebenserfolg hat. Weniger eindeutig ist jedoch die Antwort auf die Frage, ob der Erfolg stärker von an, geborenen Faktoren oder vom Lebensumfeld der Kinder abhängt. Chancengleichheit würde dann bestehen, wenn ausschließlich die persönlichen Anstrengungen eines Kindes und nicht seine Herkunft maßgeblich für dessen späteren Erfolg sind.8 Für Deutschland wissen wir aufgrund der unzureichenden Datenlage noch immer verhältnismäßig wenig über den tatsächlichen Grad der sozialen Durchlässigkeit zwischen den Generationen (intergenerationale Einkommensmobilität). So haben die meisten Studien bislang vor allem den Grad des Zusammenhangs zwischen den Lebensarbeitseinkommen von westdeutschen Vätern und ihren Söhnen untersucht, da für diese Gruppe in der Langzeitbefragung Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) die Einkommen seit 1984 beobachtet werden können.9 Zudem haben Männer in der Vergangenheit nahezu durchgehende Erwerbsbiographien aufgewiesen und fast ausschließlich in Vollzeit gearbeitet, sodass man aus relativ wenigen Einkommensbeobachtungen zur Mitte des Erwerbslebens bereits eine gute Annäherung an die Lebensarbeitseinkommen erzielen kann.

Bei Frauen ist dies durch häufigere Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Geburten und Kindererziehungszeiten sowie einer insgesamt geringeren Erwerbsbeteiligung in der Vergangenheit schwieriger gewesen. Die Ostdeutschen kamen demgegenüber mit anderen Erwerbsbiographien aus vierzig Jahren Sozialismus in den gesamtdeutschen Arbeitsmarkt der 1990er-Jahre und sind daher nicht mit ihren Kindern vergleichbar, die im vereinten Deutschland ihr Erwerbsleben verbrachten. Bruttoarbeitseinkommen werden betrachtet, da diese ein gutes Maß für die individuelle Leistungsfähigkeit einer Person am Arbeitsmarkt sind, während beispielsweise das verfügbare Haushaltseinkommen nicht nur von der Haushaltsgröße und -zusammensetzung, sondern auch von veränderten Steuer- und Abgabenlasten sowie öffentlichen Transferleistungen abhängt. Natürlich beeinflussen diese Faktoren auch die Höhe der Arbeitseinkommen und die individuelle Arbeitsangebotsentscheidung, allerdings nur in einem geringeren Maß. Und es sollte auch nicht übersehen werden, dass wertvolle Arbeit fernab des Arbeitsmarkts in Form von Haus- und Sorgearbeit erbracht wird.

 

Berufliche Selbstständigkeit und soziale Durchlässigkeit

Dies alles im Hinterkopf, kann gezeigt werden, dass rund zwei Drittel der westdeutschen Söhne der Geburtsjahrgänge von 1955 bis 1975 ein höheres Lebensarbeitseinkommen erzielen konnten als ihre Väter (absolute Einkommensmobilität).10 Gerade Söhne von Vätern aus den unteren Einkommensbereichen konnten häufiger ein deutlich höheres Arbeitseinkommen erzielen. Die Inflation wurde dabei herausgerechnet und reale Einkommensgrößen zwischen den Generationen verglichen. Aber auch bei der relativen Einkommensmobilität, die als Gradmesser für Chancengleichheit genutzt wird, zeigt sich Deutschland in einer guten Mittelfeldposition im Vergleich der Industrieländer. So kommen die meisten Studien der vergangenen Jahre zu dem Ergebnis, dass zwischen zwanzig bis vierzig Prozent der Einkommensungleichheit unter den Eltern auf die Kinder übertragen werden. In den skandinavischen Ländern, die oftmals als Vorbilder für Chancengleichheit gelten, sind es eher zwanzig Prozent. In den USA liegt der Wert bei rund fünfzig Prozent. Überraschend fielen zuletzt die Ergebnisse der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD) aus,11 die Deutschland ein besonders schlechtes Zeugnis bezüglich der sozialen Durchlässigkeit ausstellte. Allerdings zeigte sich schnell, dass es sich hierbei um einen Ausreißer handelte, der auf die Nichtberücksichtigung der selbstständig Beschäftigten zurückzuführen war.12

Die darauffolgende Diskussion hat sich als wertvoll erwiesen, denn so wurde der besondere Wert der beruflichen Selbstständigkeit für die soziale Durchlässigkeit in Deutschland aufgedeckt.13 Sie trägt in besonderem Maße zur Innovation, Produktivität und Beschäftigungsvielfalt in Deutschland bei und bietet Menschen aus allen sozialen Schichten die Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu gehen und gesellschaftlich aufzusteigen. So zeichnen sich selbstständige Beschäftigungsverhältnisse im Durchschnitt durch eine höhere Einkommensdynamik gegenüber abhängigen Beschäftigungsverhältnissen aus. Darüber hinaus verfügen Selbstständige heute häufiger über ein höheres Bildungsniveau als abhängig Beschäftigte, was in den 1980er-Jahren noch nicht in gleichem Maß der Fall war. Im internationalen Vergleich fällt dabei das durchschnittliche Qualifikationsniveau deutscher Selbstständiger vergleichsweise hoch aus. Hingegen sind die Unterschiede im Qualifikationsniveau zwischen Selbstständigen mit Beschäftigten und ohne Beschäftigte in Deutschland auf hohem Niveau gering, wenngleich der Anteil mit höheren beruflichen Bildungsabschlüssen unter Selbstständigen mit Beschäftigten tendenziell etwas höher ausfällt als bei Solo-Selbstständigen. Gleichzeitig ist innerhalb der Selbstständigen eine größere Einkommensspreizung zu beobachten als unter allen Erwerbstätigen. Der positive Effekt der Selbstständigkeit auf die Arbeitseinkommensmobilität ist dann besonders stark ausgeprägt, wenn Väter und Söhne jeweils überwiegend unterschiedlichen Erwerbsarten nachgingen.

 

Wettbewerb ist die Wurzel des sozialen Aufstiegs

Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass die höhere Einkommensdynamik bei größerer Spreizung der Einkommen nicht nur durch wirtschaftlichen Erfolg entstehen kann, sondern auch durch Misserfolg. In beiden Fällen kann Einkommensmobilität innerhalb und/oder zwischen den Generationen das Ergebnis sein. Angesichts dessen kann man sich auch die Frage stellen, ob ein höheres Maß an Einkommensmobilität in jedem Fall erstrebenswert sein muss. So kann mehr Mobilität innerhalb und zwischen den Generationen auch gleichbedeutend für ein weniger stabiles soziales Gefüge sein – vorausgesetzt, dass dabei gleichzeitig das absolute Wohlstandsniveau für alle steigt, was wir in den 2010er-Jahren beobachten konnten.

Und doch gilt am Ende: Wer die soziale Durchlässigkeit in Deutschland stärken möchte, ist gut beraten, selbstständiges Unternehmertum und den freien Wettbewerb in Deutschland zu stärken. Schon Ludwig Erhard wusste: „Das Wettbewerbsprinzip ist die Wurzel des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstiegs überhaupt und besitzt darum Gültigkeit nicht etwa nur für die Schicht der Unternehmer, sondern für die Angehörigen alle Berufe.“14

 

Maximilian Stockhausen, geboren 1978 in Berlin, promovierter Volkswirt, Senior Economist für Soziale Sicherung und Verteilung, Hauptstadtbüro Berlin des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

 

1 Ludwig Erhard: Wohlstand für alle, Anaconda Verlag, Köln 2009 (Erstausgabe 1957).
2 Eigene Berechnungen auf Basis der Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und des nationalen Verbraucherpreisindex.
3 Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Der Sechste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Berlin 2021, S. 46, S. 496 ff.
4 Maximilian Stockhausen / Kai Maiworm: Wohlstand für alle? Inklusives Einkommenswachstum vor Corona. IW-Verteilungsreport 2021, IW-Report, Nr. 36, Berlin 2021.
5 Die Armutsgefährdungsquote erfasst den Anteil der Personen mit weniger als sechzig Prozent des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens.
6 Rolf Kleimann et al.: Analyse der Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland. Begleitforschung zum Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin 2019, S. 259 ff.
7 Maximilian Stockhausen: Einstellungen zur sozialen Mobilität. IW-Verteilungsreport 2023, IW-Report, Nr. 58, Berlin 2023.
8 Miles Corak: „Do Poor Children Become Poor Adults? Lessons from a Cross-Country Comparison of Generational Earnings Mobility“, in: Research on Economic Inequality, 13. Jg., IZA Discussion Paper Nr. 1993, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, Bonn 2006, S. 143–188.
9 Paul Hufe / Andreas Peichl / Daniel Weishaar: Intergenerationelle Einkommensmobilität: Schlusslicht Deutschland?, ifo Schnelldienst, 71. Jg., Nr. 20, München 2018.
10 Maximilian Stockhausen: „Like father, like son? A comparison of absolute and relative intergenerational labour income mobility in Germany and the US“, in: Journal of Economic Inequality, 19. Jg., Nr. 4/2021, S. 667–683.
11 OECD – Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: A Broken Social Elevator? How to Promote Social Mobility, OECD Publishing, Paris 2018.
12 Maximilian Stockhausen: Ist der Traum vom sozialen Aufstieg ausgeträumt?, IW-Kurzbericht, Nr. 48, Köln 2018.
13 Maximilian Stockhausen: „Berufliche Selbstständigkeit. Ein wichtiger Faktor für die soziale Durchlässigkeit in Deutschland“, in: IW-Trends, 49. Jg., Nr. 3/2022, S. 89–109.
14 Ludwig Erhard, a. a. O., siehe En. 1.

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