„Shockingly blue sky“ – so beschrieb der Online-Nachrichtendienst BuzzFeed den Himmel über der chinesischen Hauptstadt Peking während der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Asien. Der Grund für dieses meteorologische Wunder: Schon Wochen zuvor waren Zehntausende Fabriken in sechs Provinzen um Peking zur Einstellung ihrer Produktion veranlasst worden. Bereits wenige Tage1 nach dem Ereignis waren die Pekinger wieder in schweren, grauen Smog gehüllt, der in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zum Bestandteil ihres täglichen Lebens geworden ist. Für die meisten Chinesen wird blauer Himmel wohl weiterhin ein „chinesischer Traum“ (zentraler Slogan der politischen Führung)2 bleiben.
Was den Pekingern das Atmen erschwert, bleibt auch für das globale Klima nicht ohne gravierende Folgen. Seit 2011 hat China den höchsten absoluten CO2-Ausstoß aller Staaten weltweit – und ist jetzt dabei, auch pro Kopf mehr klimaschädliche Gase zu produzieren als der bisherige „Spitzenreiter“ USA. Diese dramatische Entwicklung ist nicht zuletzt Folge eines bislang kaum gebremsten, weiter ansteigenden Energieverbrauches. Falls es nicht zu einem radikalen Wandel des Entwicklungsmodells kommt, wird das Land 2040 die Hälfte der weltweiten Energie verbrauchen. Beim jetzigen Energiemix würde das alle Anstrengungen, das Zwei-Grad-Ziel einer Erderwärmung doch noch zu erreichen, illusorisch machen.
Vor dem UN-Klimagipfel COP21 in Paris im Dezember 2015 richten sich deshalb große Erwartungen auf die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wie wird das Land seiner gewachsenen klimapolitischen Rolle auch international gerecht? Gelingt eine massive Umsteuerung des bisherigen Wachstumsmodells, das der Volksrepublik zwar einen beispiellosen Wohlstandszuwachs bescherte, dessen Umweltbilanz aber genauso beispiellos besorgniserregend ist? Gelingt China eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Integration von Klima- und Energiepolitik – national und international?
Gefangen im Dilemma des „energiepolitischen Dreiecks“?
Die Frage, wie das „energiepolitische Zieldreieck“3 aus „Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit“ erreicht werden kann, stellt sich gegenwärtig in der Volksrepublik China somit deutlich schärfer als etwa in der Europäischen Union. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die im Reich der Mitte auch in den nächsten Jahrzehnten in Richtung eines weiter steigenden Energieverbrauches wirken werden. Sie erklären auch, wieso eine wirkliche Umkehr des Energieverbrauches und seiner klimaschädlichen Emissionen bislang nicht erreicht werden konnte.
Chinas Tendenz zur Urbanisierung wird sich fortsetzen, der Anteil des Konsums am Volkseinkommen soll ausgeweitet werden, um auch in Zukunft einen steigenden Wohlstand für immer mehr Menschen zu garantieren. Neue Verbrauchsgewohnheiten, wie etwa die individuelle Motorisierung, werden den (fossilen) Energieverbrauch ankurbeln. Zugleich steht die energieintensive Erschließung und Entwicklung der zentralen und westlichen Gebiete des Landes durch gigantische staatliche Infrastrukturprojekte etwa im Verkehrssektor und in der Energieversorgung an – nachdem drei Jahrzehnte die Investitionen vor allem in die Ostküstenregionen geflossen sind.
Schon heute stehen chinesische Unternehmen im wachsenden Wettbewerb auf den globalen Märkten. Neben steigenden Löhnen werden schärfere Umweltauflagen und steigende Energiepreise den Kostendruck erhöhen. Deshalb ist seitens der Unternehmen mit erheblichem Widerstand gegen allzu drastische Energiesparmaßnahmen zu rechnen. Betrachtet man die Angebotsseite der im Land selbst verfügbaren Energieträger, so verfügt China über die weltweit größten Kohlevorkommen. Dies erklärt, wieso gegenwärtig immer noch zwei Drittel der Primärenergie des Landes aus Kohle (meist Braunkohle) stammen, selbst wenn dieser Anteil in den letzten Jahren langsam zurückgegangen ist. Hinzu kommt, dass sich die von quantitativen Kriterien und materiellen Zuwächsen geprägte Bewusstseinslage bei politischen Entscheidungsträgern und der Gesellschaft Chinas nur sehr langsam wandelt.
Selbst wenn optimistische Annahmen einträfen, würde China bis 2030 noch einen deutlichen Zuwachs beim Verbrauch und bei den Emissionen fossiler Energieträger verzeichnen.4 Wie stark dieser Zuwachs ausfallen wird und ob zumindest die Grundlagen für eine energie- und klimapolitische Trendwende gelegt werden, hängt von mehreren Faktoren ab.
Bürgerinnen und Bürger des Landes wehren sich inzwischen gegen weitere Umweltbelastungen – nicht zuletzt auch deswegen, weil sich Menschen über das Internet immer besser informieren und vernetzen können. Angst und Unsicherheit unter den Menschen über die gesundheitlichen Auswirkungen des Wachstumsmodells sind weit verbreitet: Schon jetzt lassen sich Hunderttausende von Todesfällen auf die hohen Schadstoffbelastungen gerade in den nordchinesischen Kohle- und Industriegebieten zurückführen, ganz zu schweigen von großflächigen Verwüstungen und Extremwetterlagen, die Folge globaler Klimaveränderungen sind.
Auch vonseiten ausländischer Investoren entsteht Veränderungsdruck hin zu einer nachhaltigeren Energie- und Klimapolitik. Hierzu tragen verminderte Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie Unsicherheiten über die Stabilität der Energieversorgung ebenso bei wie der Druck ausländischer Konsumenten, eine nachhaltigere Produktion anzustreben. Aber auch die immer strikteren umweltpolitischen Vorgaben der chinesischen Regierung lassen China als Standort rein emissionsintensiver Produktionen weniger attraktiv erscheinen.
Neue Energieaußenpolitik
Seit 1999 kann die Volksrepublik ihren Energiebedarf nicht mehr durch inländische Ressourcen decken, obwohl die Förderung fossiler und nuklearer Energieträger und auch der Kraftwerkskapazitäten massiv ausgebaut wurde. Schon früh hat das Land die Sicherstellung der eigenen (fossilen) Energieversorgung als strategische Aufgabe seiner auswärtigen Beziehungen erkannt. Konsequent arbeiten Diplomatie, Militär und private wie staatliche Außenwirtschaftsakteure eng zusammen. Eine Diversifizierung der Bezugsquellen und die Sicherstellung von (maritimer) Transportsicherheit sind dabei entscheidende Kriterien. Die USA konnten durch ihre schon als „Schiefergas-Revolution“ bezeichnete „Energiewende“ ihre jahrzehntelange Abhängigkeit von den Öl- und Gasvorkommen des Nahen Ostens weitgehend lösen. An ihre Stelle ist nun die Volksrepublik China getreten, die mittlerweile zum größten Abnehmer etwa iranischen oder saudi-arabischen Öls geworden ist und damit für erhebliche geopolitische Verschiebungen sorgen wird.5 Doch China versucht, keine einseitigen Abhängigkeiten entstehen zu lassen, und treibt die Erschließung alternativer Bezugsquellen und Transportkapazitäten auch in Asien und Lateinamerika voran. Dabei kommt dem Land seine geografische Lage zugute, denn es grenzt im Norden und Westen direkt an wichtige Exporteure von Erdöl und Gas.
In den letzten Jahren ist Russland zu einem der wichtigsten Lieferanten Chinas von Erdgas geworden. Im „big game“ um Zentralasiens Energiereserven hat die Volksrepublik die Nase vorn. Es initiierte in den ehemaligen Sowjetrepubliken nicht nur den Bau eines umfangreichen Pipeline-Netzes mit Anschluss an das heimische Netz. Die Infrastrukturinvestitionen erstrecken sich auch auf andere Felder wie Bildung und Gesundheit und sind Teil von Chinas Strategie, seinen Einfluss auf die Nachbarn und ihre Entwicklung auszubauen. Als Teil des sogenannten Seidenstraßen-Projektes („One Belt, One Road“) werden aber auch die Zugänge nach Südostasien und in den Indischen Ozean ausgebaut, um die eigene strategische Verwundbarkeit maritimer Seewege zu reduzieren.
Grüne Träume?
Von innen wie außen sieht sich die chinesische Regierung also einem verstärkten Handlungsdruck in Richtung einer nachhaltigeren Energie- und Klimapolitik ausgesetzt. Selbst wenn der Druck auf zivilgesellschaftliche Organisationen in den letzten Monaten6 deutlich gewachsen ist, wird die chinesische Gesellschaft auch in Zukunft steigende Ansprüche an eine verbesserte Lebensqualität doch geltend machen.
Auch die internationale Staatengemeinschaft erwartet ein deutlich höheres Engagement Chinas in Umwelt- und Energiefragen. Neben den USA wird China sicherlich im Rampenlicht der im November und Dezember 2015 in Paris stattfindenden Klimawandel-Konferenz der Vereinten Nationen (COP21) stehen. Wie immer eine Nachfolgelösung für das auslaufende Kyoto-Protokoll aus dem Jahr 1992 aussehen wird: Auch China steht vor einem dramatischen Umbau seiner energetischen Grundlagen – und könnte hiermit zum Vorbild für andere Entwicklungs- und Schwellenländer werden. Die chinesische Führung ist sich dessen bewusst. Ausgeschlossen ist es nicht, dass sie den aus vielen Gründen notwendigen wirtschaftspolitischen Strukturwandel zu einer „Energiewende à la chinoise“ nutzt.
Bereits in den letzten beiden Fünfjahresplänen haben die Ziele „Energieeffizienz“ und „Emissionsreduzierung“ eine wichtige Rolle bei der gesamtwirtschaftlichen Steuerung gespielt. Im kommenden Frühjahr steht die Verabschiedung des nächsten Fünfjahresplanes für die Jahre 2016 bis 2020 an. Dieser fällt in eine Zeit großer wirtschaftlicher Herausforderungen. Dennoch darf davon ausgegangen werden, dass die bisherigen Reduktionsziele eher noch früher erreicht werden sollen als bislang angestrebt.
Angesichts steigender geopolitischer Instabilitäten muss China im eigenen Interesse auf langfristige Strategien zu einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen setzen, um die innere Stabilität zu gewährleisten und als verlässlicher Partner für weitere internationale Kooperationen auf den Feldern Energie und Klima zu gelten.
Politik und Unternehmen Chinas sind zu diesem Kraftakt durchaus in der Lage. Wichtige umwelt- und energiepolitische Rahmengesetze und administrative Steuerungsinstrumente sind, nicht zuletzt mit Unterstützung Deutschlands, in den letzten Jahren geschaffen worden. Diese gilt es jetzt effektiver einzusetzen und auch international zu vernetzen, etwa bei der energetischen Sanierung von Gebäuden oder beim Emissionshandel.
Dabei erscheint es vorteilhaft, wenn die chinesische Führung nicht nur auf das bisherige, zentralistisch strukturierte Entscheidungssystem setzen würde. Die vielschichtigen dynamischen Entwicklungen des chinesischen (Energie-)Marktes und lokale Bedürfnisse lassen sich kaum zentral steuern. Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, welche hohe Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit chinesische Unternehmer, aber auch Lokalregierungen besitzen, wenn es um die Lösung konkreter Herausforderungen geht. Schon heute zeichnet sich ab, dass China auch bei grünen Technologien ein ernst zu nehmender Konkurrent auf dem Weltmarkt werden wird. Im Bereich der Wind- und Solartechnik sind chinesische Unternehmen jetzt schon führend, auch wenn falsche Anreize und fehlende Regulierungen, zum Beispiel bei der Einspeisung dezentral erzeugter Energie in überregionale Netze, einen weiteren Durchbruch dieser Technik noch häufig hemmen.
Peter Hefele, geboren 1968 in Kempten (Allgäu), seit März 2015 Leiter des Regionalprojektes „Energiesicherheit und Klimawandel in Asien-Pazifik (RECAP)“ der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Hongkong (SAR / VR China), von 2010 bis 2015 Leiter des Büros Shanghai der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Johannes Vogel, geboren 1987 in München, seit März 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Regionalprojekt RECAP.
1 www.buzzfeed.com/beimengfu/blue-skies-for-beijing#.ueKAgvkyJ [letzter Zugriff: 14.09.2015].
2 „中国梦“ („Zhong guo meng“): der „Chinesische Traum“.
3 Vgl. Karin Pittel, „Das energiepolitische Zieldreieck und die Energiewende“, in: ifo Schnelldienst 12/2012, S. 22–26.
4 Am 24. November 2014 hatten die USA und die Volksrepublik China neue Klimaschutzprogramme verkündet.
5 http://time.com/3853451/china-crude-oil-top-importer/ [letzter Zugriff: 14.09.2015].
6 Hierzu hat wesentlich das neue NGO-Gesetz beigetragen, das gerade auch die internationale Zusammenarbeit zwischen chinesischen und ausländischen Organisationen deutlich erschwert.