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Vom "ring of friends" zum "ring of fire"

Die Europäische Union und ihre Nachbarn

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Die Europäische Union (EU) hat als Friedensprojekt und aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolgs nach dem Zusammenbruch des sowjetisch beherrschten Ostblocks eine enorme Attraktivität für die ihre Nachbarstaaten entwickelt. Für die EU war eine erfolgreiche Transformation ihrer osteuropäischen Nachbarn nach ihrem Vorbild von zentralem Interesse. Im Rahmen der Beitrittsprozesse konnte sie einen beachtlichen Einfluss auf die innenpolitischen Reformen ausüben und Stabilität in ihrer östlichen Nachbarschaft sichern.

Anfang der 2000er-Jahre war jedoch klar, dass die Stabilisierungs- und Gestaltungspolitik der Europäischen Union nicht weiter maßgeblich über den Assoziierungsprozess im Zuge eines Beitritts erfolgen konnte. Die große Erweiterungsrunde von 2004, im Rahmen derer zehn Staaten beitraten, die anstehenden Beitritte Bulgariens und Rumäniens sowie die versprochene Beitrittsperspektive für die Staaten des Westbalkans veränderten die EU-Außengrenze und damit die Herausforderungen in der neuen Nachbarschaft gravierend. Darüber hinaus wurde mit Blick auf die Westbalkan-Staaten deutlich, dass die Strategie der Stabilisierung im Wege eines Beitritts ihre Grenzen erreichte, sodass die EU eine neue Strategie ohne die automatische Aussicht auf eine spätere Mitgliedschaft benötigte.

Ende 2002 sprach der damalige Kommissionspräsident Romano Prodi von einem neuen Wider Europe-Konzept, um einen ring of friends um die EU von Marokko über das Schwarze Meer bis Russland zu schließen. 2004 initialisierte die EU die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) als einheitliches Politikkonzept gegenüber den östlichen Nachbarn – Belarus, Moldawien, Ukraine sowie den Südkaukasusstaaten Armenien, Georgien, Aserbaidschan – und den südlichen Mittelmeeranrainern – Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Jordanien, Syrien, Libanon, Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten. Die ENP soll den übergeordneten Rahmen der EU-Beziehungen zu den sechzehn Nachbarstaaten bilden, um mittels politischer Assoziierung sowie ökonomischer Entwicklung und Integration, jedoch ohne Beitrittsversprechen, Stabilität und Sicherheit in der Nachbarschaft zu erreichen.

Der vornehmlich bilaterale Fokus der ENP soll über Aktionspläne mit den Partnerländern deren Übernahme europäischer Normen und Werte voranbringen, im Gegenzug für finanzielle Unterstützung und das langfristige Angebot der Integration in EU-Politiken wie den gemeinsamen Binnenmarkt. Darüber hinaus ergänzte die EU ihre Aktivitäten mit den Nachbarstaaten durch subregionale, multilaterale Initiativen, die sich vor allem konkreten Projekten und sektoralen Politikfeldern wie Energiekooperation, Infrastrukturausbau und Wirtschaftsförderung widmen und die Zusammenarbeit auch zwischen den Partnerstaaten fördern sollen. Die 1995 initiierte Euro-Mediterrane Partnerschaft, auch als Barcelona-Prozess bekannt, wurde 2008 mit der Union für das Mittelmeer (UfM) neu aufgestellt und bezieht alle Mittelmeerstaaten ein, das hieß auch die (potenziellen) Beitrittskandidaten des westlichen Balkans, die Türkei, Monaco sowie Mauretanien. 2009 kam ferner mit der Östlichen Partnerschaft (ÖP) ein multilaterales Forum für die östliche Dimension der ENP hinzu.

Konzeptionell hat die EU damit in den letzten fünfzehn Jahren einen umfassenden und ambitionierten Ansatz mit einem breit aufgestellten Instrumentarium zur Stabilisierung und Transformation ihrer Nachbarstaaten entwickelt. Seine Umsetzung ist jedoch nicht nur hinter den Zielen der Strategiepapiere, sondern auch den Erwartungen beider Seiten zurückgeblieben.

Hindernisse bei der Implementierung

Das hochgesteckte Ziel eines Rings gut regierter Staaten, die die Werte und Prinzipien der Union teilen, an gemeinschaftlichen Politiken der EU zum beiderseitigen Wohl partizipieren und damit eine sichere EU-Nachbarschaft bilden, scheiterte aufgrund von Ursachen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Europäischen Union.

Einerseits trug die Idee einer einheitlichen Nachbarschaftspolitik – trotz der bilateralen Ausrichtung der ENP – der enormen Diversität der adressierten Staaten zu wenig Rechnung. Dies gilt besonders im Hinblick auf die jeweilige Ausgangslage, die Ziele der Nachbarschaftspolitik, ihres Grades der Kooperation mit der EU sowie der Annäherung an deren Werte und Politikgestaltung. Auch die subregionalen, multilateralen Initiativen UfM und ÖP umfassten bereits bei ihrer Etablierung die unterschiedlichsten Staaten als formal gleichwertige Partner: Während die UfM autoritäre Staaten wie Libyen unter Muammar al-Gaddafi und Syrien unter Baschar al-Assad, kooperationsbereite und reformorientierte Länder wie Marokko und Jordanien sowie das quasieuropäische Israel in einem Kooperationsforum zusammenbrachte, saßen in der ÖP Belarus als die „letzte Diktatur Europas“ und die „Erb-Autokratie“ Aserbaidschan zusammen mit demokratisch und europäisch orientierten Staaten wie der Ukraine und Georgien an einem Tisch.

Mit Blick auf die Umsetzung der Ziele der Europäischen Nachbarschaftspolitik vermochte die EU vor allem im politischen Bereich guter Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte ihr schärfstes Schwert – die Bindung ihrer Mittelvergabe an Fortschritte der Partnerländer (Konditionalität) – nicht immer konsequent einzusetzen. Ferner gelang in den bilateralen Kooperationsbeziehungen keine wirkliche Schwerpunktsetzung. So glichen die auf einige Jahre angelegten und bilateral ausgehandelten Aktionspläne eher einem endlosen Wunschzettel als übersichtlichen kurz- und mittelfristigen Prioritäten.

Andererseits erschütterten diverse Entwicklungen die Stabilität und Sicherheit in der südlichen und östlichen Nachbarschaft und verschlechterten die Wirkungsmöglichkeiten für die Europäische Union im Rahmen der ENP massiv. Nachdem die zivilgesellschaftlichen Aufstände in den arabischen Mittelmeerländern Anfang 2011, die die autokratischen Herrscher in Tunesien und Ägypten hinwegfegten, zunächst Hoffnungen auf tiefgreifende Reformen und eine demokratisch orientierte Entwicklung weckten, ging der „Arabische Frühling“ mit den Bürgerkriegen in Libyen und Syrien sowie dem Militärputsch in Ägypten schnell in einen „Arabischen Winter“ über und destabilisierte die gesamte Region zunehmend. In der Ukraine löste die Weigerung der prorussischen Regierung unter Viktor Janukowitsch, das mit der EU ausgehandelte Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen, Ende 2013 die proeuropäischen Maidan-Proteste aus, in deren Folge Russland 2014 die Krim annektierte und ein Bürgerkrieg zwischen der ukrainischen Regierung und separatistischen, von Russland unterstützten Gruppen in den ostukrainischen Oblasten Donezk und Luhansk ausbrach. Eine dauerhafte Lösung ist weder für die Territorialfrage der Krim noch den weiterhin gewaltsam ausgetragenen Konflikt in der Ostukraine in Sicht. Die Ukraine ist auf unabsehbare Zeit destabilisiert, und die EU sowie ihre östlichen Nachbarn sind hinsichtlich der russischen Intentionen in der Region nachhaltig verunsichert.

Den gravierenden Veränderungen in ihrer Nachbarschaft versuchte die Europäische Union durch mehrere Überarbeitungen der Europäischen Nachbarschaftspolitik zu begegnen. Bereits 2011 reagierte sie auf die zunächst positiven Entwicklungen in der südlichen Nachbarschaft und versprach, die Beziehungen auf „eine qualitativ neue Stufe zu heben“, indem sie „gezielter, innovativer und ehrgeiziger“ den Bedürfnissen der Menschen und Gegebenheiten vor Ort Rechnung trage (vgl. Europäische Kommission / Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik: Eine Partnerschaft mit dem südlichen Mittelmeerraum für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand, KOM(2011) 200, Brüssel, 08.03.2011). Die im Mai 2011 vorgestellte „neue Antwort“ der Europäischen Nachbarschaftspolitik präsentierte jedoch nichts wirklich Neues mit Ausnahme des „Mehr-für-mehr“-Prinzips, das eine höhere finanzielle Unterstützung an konkrete Fortschritte bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit koppeln sollte (vgl. Europäische Kommission / Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik: Eine neue Antwort auf eine Nachbarschaft im Wandel, KOM(2011) 303, Brüssel, 25.05.2011).

Verbesserte Konzepte der Europäischen Nachbarschaftspolitik?

Im November 2015 präsentierte die Kommission nach einer weiteren Überprüfung und einem öffentlichen Konsultationsprozess erneut eine „verbesserte ENP“, in der die Schwachpunkte und Schwierigkeiten bei der Umsetzung eingestanden und Anpassungen vorgeschlagen wurden, wie Diskussionen über Charakter und Prioritäten der jeweiligen Zusammenarbeit, ein neues Bewertungskonzept der Fortschritte sowie eine Verstärkung des Prinzips der Flexibilität (vgl. Europäische Kommission / Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik: Überprüfung der Europäischen Nachbarschaftspolitik, JOIN(2015) 50 final, Brüssel, 18.11.2015).

Explizit gestärkt werden soll das Engagement der Europäischen Union für mehr Kooperation mit den Nachbarn in Sicherheitsfragen zur Unterstützung der Stabilisierung der Nachbarschaft und ihrer Resilienz. Zwar werden vier Schlüsselprioritäten für die Europäische Nachbarschaftspolitik festgelegt, doch sind diese von „guter Regierungsführung, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte[n]“ über „wirtschaftliche Entwicklung als Mittel zur Stabilisierung“ bis hin zu „Sicherheit“ sowie „Migration und Mobilität“ insgesamt erneut so breit gefasst, dass keine wirkliche Priorisierung erkennbar ist. Die für die ENP bereitgestellten Mittel wurden im Finanzrahmen 2014 bis 2020 moderat auf 15,4 Milliarden Euro erhöht, was bei sechzehn Ländern jedoch nur einem theoretischen Anteil von 137 Millionen Euro pro Land und Jahr entspricht.

So setzt die Europäische Union in der Europäischen Nachbarschaftspolitik rhetorisch auf größere Flexibilität sowie Differenzierung und Sensibilität gegenüber den Staaten, bleibt ihrem langfristig angelegten Transformations- und Assoziierungsansatz jedoch treu (vgl. Europäische Kommission / Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik: Bericht über die Umsetzung der überprüften Europäischen Nachbarschaftspolitik, JOIN(2017) 18 final, Brüssel, 18.05.2017). Die Europäische Nachbarschaftspolitik ist in Konzeption und Instrumentarium im Kern gleichgeblieben und stellt für die Europäische Union weiterhin das zentrale Instrument dar, um Stabilität, Sicherheit und Entwicklung in der Nachbarschaft zu erreichen.

Die Herausforderungen, das umzusetzen, sind in den letzten Jahren nicht weniger geworden. Im Gegenteil muss konstatiert werden, dass ein ring of friends heute ein weiter entferntes Ziel denn je ist. Vielmehr ist die Europäische Union derzeit von einem ring of fire umgeben, sodass sich die Frage stellt, ob die Europäische Nachbarschaftspolitik das adäquate Konzept ist, den vielfältigen und brisanten Herausforderungen zu begegnen.

Mut zur Priorisierung

Eigentlich sollte die Europäische Union ein attraktiver Partner für ihre Nachbarn sein, vor allem mit Blick auf die finanziellen Hilfen und sektoralen Kooperationsmöglichkeiten. Obwohl die Europäische Nachbarschaftspolitik, ergänzt um die multilaterale Union für das Mittelmeer beziehungsweise die Östliche Partnerschaft, praktisch alle Bereiche und Instrumente für Kooperationen abdeckt, ist der europäische Einfluss auf die Stabilität und Entwicklung in den Nachbarstaaten insgesamt begrenzt. Zum einen, da der Wille zur Annahme der Kooperationsangebote den Staaten nicht aufgezwungen werden kann. Dieser ist vor allem dort vorhanden, wo eine politische Entscheidung für diesen reformweg bereits gefallen ist. Wo er fehlt, bietet die Europäische Nachbarschaftspolitik zumeist nicht genügend Anreize für umfangreiche Veränderungen. Zum anderen ist die EU nicht der einzige Spieler auf diesem Feld. Insbesondere sicherheitspolitisch ist die EU schwach und hat den Einflüssen anderer Akteure, sei es des Verbündeten USA oder regionaler Konkurrenten wie Russland oder Iran, wenig entgegenzusetzen. Darüber hinaus bieten China oder die Golfstaaten alternative Finanz- und Investitionsquellen.

Die EU sollte in ihrer Nachbarschaftspolitik daher Mut zu einer wirklichen Priorisierung und Differenzierung beweisen. Einerseits sollten die multilateralen Foren nicht zwingend geografisch definiert werden, sondern Zusammenarbeit von der Erfüllung von Vorbedingungen abhängig machen. Andererseits sollte sich die Europäische Union in der Europäischen Nachbarschaftspolitik stärker auf reformwillige Staaten konzentrieren, ihnen attraktive Kooperationsangebote unterbreiten und dabei die bestehenden Instrumente und Prinzipien der Konditionalisierung sowie des „Mehr für mehr“ konsequent umsetzen.

Antje Nötzold, geboren 1982 in Meerane, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur Internationale Politik, Technische Universität Chemnitz.

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