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Politische Ikonographie in Russland

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Heilsglauben und Heroismus zu verbinden, ist ein wirksames Motiv in Historienschmökern. Das öffentliche Schwärmen für Felix Dahns auf Nationalstolz zielenden Roman Ein Kampf um Rom über die Ostgoten in der Spätantike und sein in Szene gesetztes problematisches Bild von Karl dem Großen als dem „Begründer des Abendlandes“ sorgten noch in den späten 1970er-Jahren für die Präsenz eines Herrscherbildes als deutscher Nationalheiliger – in enger Verbindung mit dem Motiv des Krieges.

Zur Inszenierung eines Herrscherbildes als (literarisches) Denkmal gehört der Fokus auf die Person und die Bildpolitik ihres Körpers. Das Herrschaftsverständnis wird danach fluide von diesem Bild aus gestaltet und medial zur Darstellung gebracht.1 So ging beispielsweise das Finger Pointing als Markenzeichen Donald Trumps mit der Idee von America First um die Welt. Angespielt wird auf das berühmte Rekrutierungsplakat für die Armee der Vereinigten Staaten, das der Illustrator James Montgomery Flagg während des Ersten Weltkriegs entwarf. So erinnert Trumps Geste an den Finger von „Uncle Sam“, der entschlossen auf den Betrachter zeigt, und dessen Botschaft „I Want You“.

picture alliance / Zoonar | Bruno Coelho
Fürst-Wladimir-Denkmal in Moskau

Putin-Ikonen in Souvenirshops ernteten in der „westlichen Welt“ hingegen bisher nur Kopfschütteln. Medial in Szene gesetzte Bilder der Person Wladimir Putins mit nacktem Oberkörper hoch zu Ross, auf der Jagd nach Hechten oder auf einem „russischen Bären“ reitend, wurden als Fake Facts belächelt oder als ein Propagandabild der „Rückkehr des starken Mannes“ oberflächlich interpretiert. Eine nähere Analyse dieses Herrscherbildes und der damit verbundenen Herrschaftsstrategien schien – im starken Kontrast zum Medienhype um die Person und Körpersprache Trumps – damals der Mühe nicht wert. Trotz aller Umbrüche blieb der Blick nach Osten offensichtlich allzu lange dem Status quo ante verhaftet.2

Das von Putin in Szene gesetzte und im Westen unterschätzte Herrscherbild folgt erneut der Verbindung von Heilsglauben und Heroismus und ist Teil einer äußerst wirksamen Authentifizierungsstrategie. Diese könnte darin bestehen, dass in Russland seit Jahrzehnten eine politische Ikonographik des „mittelalterlichen Russland“ als „authentisches Russland“ im öffentlichen Raum aufgerufen und immer wieder aktualisiert wird.3 Sowjetische Historienfilme des legendären Regisseurs Sergei Eisenstein über Alexander Newski oder Iwan den Schrecklichen, die diese Herrscher als Nationalheilige darstellen, haben vermutlich Eingang in die Aktualisierung gefunden. Denkbar sind aber auch frühere Einflüsse der Petersburger Künstlervereinigung Mir Iskusstwa („Welt der Kunst“) um das Jahr 1900 sowie Buchillustrationen russischer Märchen von Wiktor Wasnezow (Tretjakow-Galerie), die im politischen Raum über das Zeitalter des sowjetischen Imperiums hinweg bis heute äußerst wirksam sind und mit ihren Herrschaftsbildern ein „authentisches Russland“ zu illustrieren versuchen.

In den 2000er-Jahren lässt sich eine Zunahme des „authentischen“ traditionellen russischen Stils im öffentlichen Raum, etwa des Moskauer Stadtbilds, beobachten. Auf dem Gut Kolomenskoje wurde beispielsweise der Holzpalast Zar Alexejs, des Vaters Peters des Großen, nach alten Skizzen restauriert. Die Kreml-Nachbildung im Freizeit- und Kulturpark Ismailowo erfolgte im Stil einer „authentischen“ russischen Architektur, die sich an den Zustand des 16. und 17. Jahrhunderts mit Elementen früherer Epochen anlehnt.

picture alliance /imageBROKER | Peter Seyfferth
Kreml-Nachbildung im Freizeit- und Kulturpark Ismailowo

Welche Elemente der Ideengeschichte auch immer einfließen – die Ikonographie eines „authentischen“ Russland ist außerordentlich wirksam und geht ikonographisch weit über die Staatssymbolik hinaus. Längst steht das in Szene gesetzte „authentische“ Russland für ein Nationalheiligtum und einen neuen Heilsglauben, der mit Kreuz und Schwert verteidigt wird. Der Fokus der neueren politisch-religiösen Tendenzen liegt nicht allein auf der nationalstaatlich-kirchlichen Verbindung von „Thron und Altar“, die sich in der Nähe von Wladimir Putin zu Bischof Tichon oder Kyrill I. widerspiegelt. Dabei greift das Narrativ eines „authentischen“ Russland als homogenes Gebilde staatlicher und medialer Machtpropaganda viel zu kurz. Vielmehr bildet sich ein Konglomerat (zum Teil) konkurrierender Elemente und Ideen der eigenen nationalstaatlich-religiösen Identität.


Vermeintlich historische „Authentizität“

Inzwischen bestimmen neuere Reiterstandbilder und Denkmäler historischer Personen, etwa von Iwan IV. oder Wladimir dem Großen, dem bedeutendsten Fürsten der Kiewer Rus, als „Zeugen“ des „authentischen“ Russland den öffentlichen Raum. Was hat diese Flut religiös konnotierter Herrscherbilder zu bedeuten?

Die spätestens seit dem Jahr 2000 zu beobachtende Intensivierung der Präsenz von „heiligen“ Personen, Objekten oder Orten erhält dadurch ihre nachdrückliche Wirkung, dass Motive christlicher Religion mit den historischen Personen, Objekten, Orten oder gar Landesteilen (Krim) verschmolzen und im Sinne einer vermeintlich historischen Authentizität für „wahr“ befunden werden. Die scheinbar authentischen Bilder des Heiligen werden im Kontext des Politischen mit künstlerischen Mitteln visualisiert und inszeniert. Diese Form beziehungsweise dieser politische Stil der Bildbenutzung dient dazu, Bilder in sichtbare Affektbilder zu verwandeln, deren Wirkung sich die sie betrachtende Person kaum entziehen kann.4

„Wladimir“ wirkt! So, wie die Hostie im Herrenmahl, die Heilige in der Reliquie, der Fußballheld im Trikot oder „der Geliebte in der Haarlocke“5 strahlt das Herrschaftsbild des „authentischen“ Russland über Person und Körper Wladimir Putins und des „Systems Putin“ hinaus – als Konglomerat im Kontext des Religionspolitischen. Für die Deutung der hier beschriebenen Dynamik im europäischen Raum gibt es bisher wenig Erfahrung.

Diese Behauptung lässt sich an keinem anderen als dem Fürst-Wladimir-Denkmal in Moskau so gut verdeutlichen (siehe oben). Die den gesamten Körper abbildende Bronzestatue in der Nähe des Roten Platzes überragt die sie umgebenden Gebäude im Stadtraum. Das Gesicht und die muskulösen Hände (mit Rüststücken), Augen, Nase und Mund treten scharf hervor. Das halblange Haupthaar und die Barttracht, Helm, Gewand, Schmuck und Gürtel sind Elemente mittelalterlich-christlichen Ikonographik. Dieser „Wladimir“ ist ikonographisch nahezu identisch mit Wiktor Wasnezows „Bogatyr“, einem mythischen Helden. Auffällig an der Statue ist insbesondere das monumentale Kreuz, das bis zum Himmel zu reichen scheint. Die rechte Hand umschließt dieses Wallfahrtsund Prozessionskreuz, während die bloße linke Hand die Klinge eines Schwerts umgreift.

 

Mit Kreuz und Schwert

Diese Kolossalstatue der umstrittenen historischen Fürstenperson Wladimir I., der als Verfechter der Christianisierung der Heiligen Kiewer Rus verehrt wird, wurde im Jahr 2016 aufgestellt. Der Bildhauer Salavat Scherbakov hat sich auf monumentale Herrscherbildnisse männlicher historisch-mythischer Personen aus der Geschichte Russlands spezialisiert. In Interviews spricht er von dem künftigen Schicksal Russlands, das eine Schlüsselrolle in der Weltgeschichte innehabe. Wladimir Putin wirkt ikonisch als „Wladimir“ durch das Antlitz des heiligen Wladimir hindurch in den öffentlichen Raum als imitatio Christi.6

Dieses neue Herrschaftsbild mit Kreuz und Schwert in Verbindung mit Heilsglauben und Heroismus ist nicht (nur) als bildpolitische Propaganda zu beurteilen. Es sind Formen postsäkularer Auratisierung im öffentlichen Raum, die auf eine neuartige hybride Religion in Rückgriff auf Elemente christlichen Glaubens schließen lassen. Diesen Glauben zu beschreiben und zu deuten, könnte ein Schlüssel zur Verständigung und zur Friedenssicherung in Europa sein.

 

Ina Schaede, geboren 1979 in Moskau, promovierte Theologin, Pastorin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.


1 Zu personalisierten Inhalten im öffentlichen Raum vgl. Anke Finger / Manuela Wagner (Hrsg.): Bias, Belief, and Conviction in an Age of Fake Facts, London 2023.
2 Bernd Löhmann: Editorial, in: Die Politische Meinung, CCCP. Der lange Schatten des sowjetischen Imperiums, 67. Jg., Nr. 577, November/Dezember 2022, www.kas.de/de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/editorial-48.
3 Vgl. Martin Sabrow /Achim Saupe: Einleitung, in: Dies. (Hrsg.): Historische Authentizität, Göttingen 2016, 8. Auflage.
4 Vgl. Wilhelm Gräb: „Sinnsuche. Transformationen des Religiösen in der modernen Kultur“, in: Dorothee Böhm et al. (Hrsg.): Erscheinungen des Sakralen, Bonn 2011, S. 9–22, S. 10.
5 Philipp Stoellger (Hrsg.): Präsenz im Entzug, Tübingen 2011, S. 5.
6 Dazu etwa Ute Kreibich: Die Entwicklung der russischen Ikonenmalerei von Theophanes dem Griechen bis Andrej Rublev, S. 5 ff.

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