Die Bedeutung des privaten Vermögens wird im politischen Diskurs in Deutschland noch immer unterschätzt. Gemeint sind damit nicht die Fabriken einer Industriellendynastie, sondern es geht um Besitz in bürgerlichem Rahmen. Breit gestreute Privatvermögen stabilisieren eine demokratische Ordnung und federn in Krisenzeiten soziale Verwerfungen ab. Freilich gilt auch der Umkehrschluss, wie ein Blick in die deutsche Geschichte des letzten Jahrhunderts zeigt.
Der Übergang von einer mehrheitlich agrarisch bestimmten Gesellschaft zur modernen Industriegesellschaft zeigt sich auch im Wechsel des Zahlungsmittels: An die Stelle von Sachleistungen tritt der Geldumlauf. Wurde früher der Knecht auf dem Bauernhof mit freier Kost und Logis bezahlt, bekommt der Industriearbeiter nun Bargeld ausgezahlt. Die moderne Gesellschaft ist eine Lohngesellschaft. Dieser Wechsel hat für das sich im 19. Jahrhundert entwickelnde Bürgertum eine gravierende Folge: Die zuverlässig erfolgenden Geldzahlungen erlauben eine Zukunftsplanung, viel mehr Menschen als vorher können eine Familie gründen und zu ihrer Absicherung Vermögen erwerben. Staat und Gesellschaft fördern diese Entwicklung, Sparen wird zu einer „bürgerlichen Tugend“. Mit den in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufkommenden Sparkassen gibt es staatlich garantierte Banken, die explizit dem Vermögensaufbau von Kleinsparern dienen.
Vor dem Ersten Weltkrieg war das deutsche Vermögen durch das Wirtschaftswachstum und den Exporterfolg des Kaiserreichs stark angewachsen und betrug etwa das Sechsfache des Bruttosozialprodukts. Die hohe Reichsschuld führte dazu, dass für die Geldanlage Staatsanleihen in ausreichendem Maße zur Verfügung standen; eine bürgerliche Familie hatte in der Regel Staatsanleihen, Sparbücher und eventuell eine Kapitallebensversicherung. Die von Bismarck eingeführte Rentenversicherung bot für weite Bevölkerungskreise eine Absicherung im Alter. Immobilieneigentum war bei der städtischen bürgerlichen Bevölkerung nicht unbedingt vorhanden. Zwar gab es mit der Möglichkeit des „Geschoßeigentums“ eine Vorform der Eigentumswohnung, doch war aufgrund des guten Mietmarktes auch für gutsituierte Familien in Städten das Wohnen zur Miete die Regel. Lediglich für Gewerbetreibende und Freiberufler war ein vermietetes Mehrfamilienhaus („Zinshaus“) eine übliche Form der Alterssicherung. Aktien waren ebenfalls nicht weit verbreitet; der „Gründerkrach“ 1873, bei dem auf einen Boom – ausgelöst durch die französischen Reparationszahlungen – der Zusammenbruch einer Reihe betrügerischer Aktiengesellschaften folgte, hatte viele Privatleute dauerhaft von der Geldanlage in Aktien abgeschreckt.
Verluste in den Weltkriegen
Der Erste Weltkrieg führte durch die Kreditfinanzierung der Kriegsführung in Deutschland zu einer immensen Aufblähung der Geldmenge; „Kriegsanleihen“ wurden zur bestimmenden Form der Geldanlage, private Edelmetallvorräte gingen an den Staat („Gold gab ich für Eisen“). Nach der Niederlage 1918 waren die Folgen für die privaten Vermögen verheerend. Die Auslandsvermögen waren fast vollständig verloren, die Geldvermögen wurden durch die Inflation 1923 vernichtet. Da mittlere und kleinere Vermögen häufig allein auf Geldwerten aufgebaut waren, wurde das Bürgertum besonders hart getroffen. Insgesamt summierte sich der Vermögensverlust auf etwa fünfzig Prozent des gesamten Volksvermögens. Der kreditfinanzierte Wirtschaftsboom der späten 1920er-Jahre brachte zwar eine gewisse Erholung, doch bildeten der Vermögensverlust und die Verunsicherung des Bürgertums eine wesentliche Voraussetzung für den Aufstieg Adolf Hitlers, auch wenn sich dies nicht linear in Wahlergebnissen widerspiegelte. Die ohnehin wenig geliebte Weimarer Demokratie war durch die (von ihr nicht verschuldete) Inflation vollends delegitimiert worden.
In der NS-Zeit veränderte die staatliche Politik das Anlageverhalten. Die ungehemmte Geldschöpfung zur Kriegsvorbereitung und -finanzierung sowie die relativ hohen Lohnsteigerungen führten zu einem massiven Anwachsen des privaten Geldvermögens. Aktienbesitz war verpönt und Dividendenausschüttungen wurden behindert; 1938 wurde durch die Außerkurssetzung und Ablieferungspflicht von Goldmünzen des Kaiserreichs privater Edelmetallbesitz stark eingeschränkt. Lediglich privater Immobilienbesitz passte zur NS-Ideologie und wurde gefördert, das „Siedlungshäuschen“ als erschwingbares Eigenheim propagiert.
Nach dem verlorenen Krieg beseitigte die Währungsreform vom 20. Juni 1948 in den Westzonen den Geldüberhang, der durch die NS-Wirtschaftspolitik entstanden war, die Sowjetische Besatzungszone folgte drei Tage später. Im Schnitt betrug der Vermögensverlust bei Bankguthaben im Westen 93,5 Prozent. Gleichzeitig war das Immobilienvermögen drastisch reduziert worden; durch die Beschädigungen im Bombenkrieg und die Gebietsverluste 1945 dürfte der Wert des Grundbesitzes sich um etwa die Hälfte verringert haben. Insgesamt hat das deutsche Volksvermögen durch den Zweiten Weltkrieg wiederum einen Verlust von schätzungsweise etwa fünfzig Prozent hinnehmen müssen. Da der Vermögensverlust durch den Ersten Weltkrieg ähnlich hoch war, betrugen alle deutschen Vermögenswerte, private und öffentliche, 1948 nur noch circa ein Viertel des Wertes vor dem Ersten Weltkrieg, gemessen in Relation zum Bruttosozialprodukt.
„Bundesschätzchen“, „Volksaktien und Sparbücher
Allerdings wurden durch das „Wirtschaftswunder“, der zwanzig Jahre anhaltende Wirtschaftsaufschwung in der Bundesrepublik, die privaten Vermögen wieder neu aufgebaut. Die Politik der Sozialen Marktwirtschaft begünstigte gezielt eine breite Verteilung der Vermögen; Ludwig Erhards Forderung nach „Wohlstand für alle“ wurde tatsächlich umgesetzt. Über das Lastenausgleichsgesetz 1952 kam es zur Umverteilung von nominal fünfzig Prozent der erhalten gebliebenen Privatvermögen; dadurch, dass die Zahlung in Raten über mehrere Jahrzehnte erfolgte, dürfte der reale Satz aber eher bei etwa zwanzig Prozent gelegen haben. Trotzdem wurden so die Kriegsverluste gerechter über die ganze Bevölkerung verteilt, Vertriebene und Bombenkriegsopfer entschädigt. Die Förderung von vermögensbildenden Maßnahmen begünstigte vor allem die kleinen und mittleren Einkommensbezieher. Eine stabile D-Mark sowie die Unabhängigkeit der Bundesbank und ein solider Bundeshaushalt sorgten für breite Anlagemöglichkeiten. Eine typische bundesdeutsche Familie der 1970er-Jahre hatte eine oder mehrere Kapitallebensversicherungen, Sparbücher für alle Familienmitglieder, möglicherweise ein Wertpapierdepot mit den beliebten „Bundesschätzchen“ (Bundesschatzbriefen) und besparte einen Bausparvertrag für eine Eigentumswohnung oder ein Reihenhaus. In der Aufzählung fehlen Aktien, da trotz mehrfacher Anläufe der Politik mit „Volksaktien“ von VW in den 1960eroder der Telekom in den 1990er-Jahren die Deutschen sich in ihrer Mehrheit nicht für Unternehmensbeteiligungen begeistern konnten. Ebenfalls unterhalb der europäischen Vergleichswerte blieb der Anteil der Immobilienbesitzer. Trotz der relativ hohen Kaufkraft der Privathaushalte in der Bundesrepublik sorgten der streng regulierte, aber im ganzen funktionierende Mietmarkt dafür, dass die Eigentümerquote in der „alten“ Bundesrepublik immer unter fünfzig Prozent blieb.
Private Vermögensdaten für die DDR liegen kaum vor; sie wären auch nur eingeschränkt vergleichbar, da wesentliche Faktoren wie Immobilienbesitz kaum zu marktgerechten Preisen bilanzierbar sind – einen freien Immobilienmarkt gab es in der DDR nicht. Dementsprechend war privates Vermögen in der DDR deutlich anders strukturiert. Der Besitz eines Mehrfamilienhauses bedeutete eine Belastung, da die auf dem Stand von 1943 festgeschriebenen Mieten nicht kostendeckend waren, Einfamilienhäuser wurden kaum neu gebaut. Eine gemietete Plattenbauwohnung war dagegen zwar kein Eigentum, aber ein sehr erstrebenswerter Besitz, an den man oft nur durch gute Beziehungen kam. Vermögen in Form von Aktien oder Wertpapieren war verboten; Betriebsbeteiligungen gab es nach der letzten Verstaatlichungswelle 1972 nur noch bei Kleinbetrieben unter zehn Angestellten. Die mit Abstand wichtigste Form der privaten Geldanlage in der DDR war das Geldvermögen in Form von Sparbuch beziehungsweise Spargirokonten. Aufgrund der niedrigen Renten und der mangelnden Anlagemöglichkeiten wurde darauf aber viel gespart; 1989 betrugen die privaten Einlagen etwa 175 Milliarden Mark der DDR, circa siebzig Prozent des geschätzten Bruttoinlandsprodukts. Der Fall der Mauer und die darauf folgende Währungsunion am 1. Juli 1990 brachten erneut einen Währungsschnitt; zwischen der Hälfte und zwei Dritteln der nominalen Geldvermögen der DDR-Bevölkerung gingen verloren. Es gibt Deutsche, die im 20. Jahrhundert dreimal – 1923, 1948 und 1990 – von einem Währungsschnitt betroffen waren.
Umverteilung oder Vermögensbildung gegen Aufspreizung der Gesellschaft?
Die Einführung der D-Mark brachte für die Deutschen in den jungen Ländern einen freilich nur auf den Konten sichtbar werdenden Vermögensverlust. Hinzu kam bei vielen die temporäre Arbeitslosigkeit, die einen Vermögensaufbau tatsächlich kaum zuließ. Dagegen führte ein steigendes Zinsniveau aufgrund der anwachsenden Staatsverschuldung zur Finanzierung des Aufbaus Ost zu deutlichen Zinsgewinnen bei Anleihesparern. Die anschließende Wirtschaftskrise und der Konkurrenzdruck in einer globalen Wirtschaft erlaubten seit der Jahrtausendwende kaum noch Reallohnsteigerungen; die massiven Exporterlöse der deutschen Industrie kamen nur den Aktionären zugute. Aufgrund der absehbaren demografischen Entwicklung steuerte die Politik bei der Förderung der Vermögensbildung um. Mit der Abschaffung der Eigenheimzulage 2006 wurde die Förderung von Immobilienbesitz weitgehend abgeschafft, die frei werdenden Mittel wurden für den Aufbau der Förderung der privaten Altersvorsorge („Riester-Rente“ und „Rürup-Rente“) verwendet. Die für den Arbeitsmarkt sinnvollen Hartz-Reformen 2002/03 hatten den Nebeneffekt, dass die stärkere Heranziehung der Privatvermögen zur Finanzierung des Lebensunterhalts von Arbeitslosen genau wie die Einstellung der Eigenheimzulage vor allem die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen betraf. Gleichzeitig wurde in der Bundesrepublik, einem internationalen Trend folgend, seit dem Jahr 2000 der Spitzensteuersatz deutlich gesenkt und 2009 mit der Abgeltungssteuer für Zins- und Dividendenerträge vor allem die Besitzer größerer Vermögen entlastet. Nicht verwunderlich ist, dass sich in der Folge die Schichtung der deutschen Gesellschaft verstärkt hat. Wenn auch nach neueren Forschungen die Furcht vor einem Verschwinden der Mittelschicht in Deutschland übertrieben ist – der Anteil der Mittelschicht an der deutschen Bevölkerung ist seit dem Jahr 2000 trotz aller subjektiven Ängste im Wesentlichen stabil geblieben –, setzt sich doch die obere Einkommensschicht immer deutlicher ab. Besaß das reichste Zehntel der deutschen Bevölkerung im Jahr 1998 nach Messung des Statistischen Bundesamtes noch 45 Prozent der Vermögenswerte, so waren es 2008 schon 53 Prozent. Wird hier nicht gegengesteuert, wird dies mittelfristig negative Folgen für den sozialen Zusammenhalt haben. Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, der die Entwicklung des Kapitalvermögens in der westlichen Welt untersucht hat, fordert deshalb, von einer linken Position ausgehend, über Steuern Vermögen stärker umzuverteilen. Die Union als die klassische Partei der bürgerlichen Mitte sollte dies als Anstoß verstehen, zu der in der Anfangszeit der Sozialen Marktwirtschaft vertretenen Politik zurückzukehren: Nur eine Förderung der Vermögensbildung kann auf marktverträgliche Weise eine weitere Aufspreizung der Privatvermögen verhindern.
„Quantitative Easing“
Die gegenwärtige Eurokrise bedeutet ein massives Risiko für die bürgerlichen Vermögen in Deutschland. Auch heute noch sind im internationalen Vergleich die Vermögen der deutschen Privathaushalte überwiegend in Geldwerten angelegt – Sparbücher, Bundesanleihen, Lebensversicherungen. Allerdings zeigt sich eine deutliche Schichtung der Anlageprodukte: Je höher Einkommen und Vermögen, umso größer ist der Anteil der Sachwerte wie Aktien oder Immobilien am Gesamtvermögen der Privathaushalte. Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank und die Ausweitung der Geldmenge durch „Quantitative Easing“ seit Anfang 2015, die aller Wahrscheinlichkeit nach noch Jahre anhalten wird, wird einen deutlichen Kaufkraftverlust bei Geldvermögen mit sich bringen. Besonders wenn es nicht gelingen sollte, den Übergang zu einer Verringerung der Geldmenge und die Rückkehr zu historisch normalen Zinssätzen langsam zu gestalten, oder es gar zu einem Auseinanderbrechen des Euroraums käme, droht den Deutschen ein erheblicher Verlust von Geldvermögen.
Wolfgang Tischner, geboren 1967 in Berlin, Abteilungsleiter Publikationen/Bibliothek, Wissenschaftliche Dienste /Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung.