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Zu Horst Möllers aktueller Biografie über Franz Josef Strauß

Horst Möller: Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell, Piper Verlag, München 2015, 832 Seiten, 39,99 Euro.

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Es sind schon viele Bücher erschienen, die sich mit Franz Josef Strauß beschäftigen. Das vorliegende Werk von Horst Möller ist mit über 800 Seiten das umfassendste, das mir bisher begegnet ist. Sein Umfang erklärt sich auch dadurch, dass Möller wichtige Teile des Strauß’schen Nachlasses erstmals zugänglich waren und er diese intensiv auswertete. Sein Ziel war es, eine wissenschaftlich fundierte Biografie über Strauß zu schreiben, „die auf der Basis zentraler Quellenbestände sein politisches Handeln und Denken ins Zentrum rückt, um seine Leistung in der Geschichte der Bundesrepublik und Nachkriegseuropas ermessen zu können“. Dieser Versuch ist Möller insgesamt gelungen.

So schildert er anschaulich die Einstellung Strauß’ und seines Elternhauses gegenüber dem Nationalsozialismus und seinen raschen Aufstieg innerhalb der CSU, die sich – nicht zuletzt dank seiner Bemühungen gegen den Widerstand von Alois Hundhammer und anderen – zu einer überkonfessionellen Volkspartei entwickelt und in der Folge ihren exzeptionellen Einfluss auf der Bundesebene bis heute behauptet hat. Möller beschäftigt sich ebenso intensiv mit seinem Wirken als Atomminister, als Bundesminister der Verteidigung und Bundesminister der Finanzen sowie mit seiner Tätigkeit als treibende Kraft in der Union während der Oppositionszeit in den Jahren 1969 bis 1978 und sein Wirken als bayerischer Ministerpräsident bis zu seinem Tod im Jahre 1988. Als wichtigste Leistungen stellt Horst Möller zu Recht Strauß’ Mitwirkung an der von Konrad Adenauer erfolgreich betriebenen Westintegration der Bundesrepublik, seinen Anteil an der Entwicklung der rechtlichen Grundlagen für eine friedliche Nutzung der Kernenergie und den zügigen Aufbau der Bundeswehr als einer Parlamentsarmee von Bürgern in Uniform heraus. Des Weiteren nennt er Strauß „Vater der Finanzreform“ und Miturheber der Maßnahmen zur Konjunkturbelebung während der ersten Großen Koalition. Deshalb charakterisiert er ihn auch als die treibende Kraft hinter der wirtschaftlichen Modernisierung Bayerns und der Bundesrepublik.

Zu einzelnen dieser Leistungen sind allerdings ergänzende Anmerkungen am Platze. Das gilt etwa für die Tatsache, dass die SPD mit der berühmten Rede Herbert Wehners vom 30. Juni 1960 alsbald nach der Verabschiedung ihres Godesberger Programms ihren Widerstand gegen die Westintegration aufgab und sie von da an auf ihre Weise unterstützte – eine vergleichbare öffentliche Positionskorrektur in einer zentralen Frage sucht man bei Strauß vergeblich.

 

„Plisch und Plum“

Hinsichtlich der friedlichen Nutzung der Kernenergie gab es seinerzeit die von Möller geschilderte breite Übereinstimmung. Das erleichterte Strauß’ Aufgabe. Der Aufbau der Bundeswehr auf 500.000 Mann während seiner Amtszeit als Verteidigungsminister binnen sechs Jahren war in der Tat eine besondere Leistung. An der Ausgestaltung des Charakters der Bundeswehr als Parlamentsarmee und des Prinzips der Inneren Führung haben allerdings Sozialdemokraten – zu nennen ist etwa Fritz Erler – wesentlich mitgewirkt. An Strauß’ Erfolgen in der Großen Koalition war von Anfang an Karl Schiller – damals noch Sozialdemokrat – als Wirtschaftsminister beteiligt. Nicht ohne Grund nannte man die beiden wegen ihrer gut abgestimmten Kooperation „Plisch und Plum“.

Die Modernisierung Bayerns förderte Strauß vor allem durch eine wirtschaftsfreundliche Politik. Er nutzte dabei günstige Voraussetzungen, wie die Tatsache, dass Ernst (nicht Hermann) von Siemens unmittelbar nach dem Kriege den Hauptsitz seines Unternehmens von Berlin nach München verlegt hatte. Oder dass Bayern – zuerst noch ein Agrarland – für neue Strukturen offener war als beispielsweise das Ruhrgebiet. Auch sollte nicht verschwiegen werden, dass Bayern bis 1986, also noch in der Amtszeit von Strauß als Ministerpräsident, im Länderfinanzausgleich ein Nehmerland war. Ein spezieller Erfolg von besonderer Bedeutung war jedenfalls Strauß’ Einsatz für Airbus beschieden. Davon profitieren Bayern und die Bundesrepublik noch heute.

Ich kann einen weiteren Beitrag von Strauß zur Entwicklung Münchens und Bayerns anführen, der weithin unbekannt ist und auch bei Möller unerwähnt bleibt. Das ist Strauß’ Wirken als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Olympia-Baugesellschaft von 1967 bis 1969. Für dieses Amt hatte ich ihn in einem persönlichen Gespräch gewonnen, weil es mir sehr nützlich erschien, den Bundesfinanzminister bei kostenträchtigen Entscheidungen mit am Tisch zu haben. Er hat dann auch die Entstehung des Olympiaparks und des Olympiastadions durch seine positive Haltung zu den Kostenfragen sehr erleichtert. Auch hat er in einer kritischen Situation eine Personalentscheidung herbeigeführt, die sich als sehr segensreich erwies.

 

Sozialdemokratische Positionen

Es gibt noch andere Leistungen von Strauß, deren spezifischen Charakter Möller nicht genügend betont. Ich meine damit solche, bei denen er sozialdemokratische Positionen übernahm, sie aber in der Öffentlichkeit als seine Ideen erscheinen ließ. Das tat er bei der Vermittlung des Milliardenkredits für die DDR im Jahr 1983. Denn damit geschah etwas, was den Prinzipien der von ihm geradezu erbittert bekämpften, von Kohl aber auf seine Weise fortgeführten Deutschlandpolitik entsprach. Bei über zwanzig privaten Treffen zwischen Strauß und dem DDR-Unterhändler Alexander Schalck-Golodkowski, die in diesem Zusammenhang stattfanden, könnte man sogar leicht ironisch von einem „Wandel durch Annäherung“ sprechen. Und das gilt verstärkt für die Tatsache, dass Strauß zwischen 1983 und 1987 fünfmal Gespräche mit Erich Honecker führte.

Zwei weitere Beispiele lieferte er in Bayern. Die SPD kämpfte dort in den 1960er-Jahren auch mit der Ankündigung von Volksbegehren für den Übergang von den getrennten Bekenntnisschulen zu christlichen Gemeinschaftsschulen und unter dem Stichwort „Rundfunkfreiheit“ für die Verminderung des staatlichen Einflusses auf den Bayerischen Rundfunk. In beiden Fällen widersetzte sich die CSU unter dem Vorsitz von Strauß längere Zeit den Vorschlägen und Forderungen der SPD. Erst als er befürchten musste, dass sich das Volk für die Position der SPD entscheiden würde, lenkte Strauß ein und unterstützte die jeweils ausgehandelten Ergebnisse, die in ihrer Substanz völlig den SPD-Anliegen entsprachen – bei der „Rundfunkfreiheit“ übrigens mit dem originellen Argument, dass sonst die „Neue Heimat“ für ihre Siedlungen einen eigenen, „linksorientierten“ Sender errichten würde.

 

Sogenannte Skandale

Bemerkenswert ist die Auseinandersetzung Möllers mit den Vorwürfen gegen Strauß und seinen sogenannten Skandalen. Da stärken seine Recherchen die Auffassung, dass weder Gerichtsverfahren noch Untersuchungsausschüsse zu Ergebnissen gelangt sind, die Strauß zweifelsfrei rechtswidriges oder gar strafbares Verhalten zur Last legen. Selbst in der sogenannten Spiegel-Affäre sei ihm nur die Verletzung von Zuständigkeitsregeln vorzuwerfen, weil er als Bundesverteidigungsminister Oberst Oster, den deutschen Militärattaché in Madrid, dazu veranlasst habe, sich für den Vollzug des vom Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erlassenen Haftbefehls gegen Conrad Ahlers einzusetzen. Nur habe er diesen Sachverhalt bei seiner Befragung in der Bundestagssitzung vom November 1962 so unklar und zögerlich dargestellt, dass gegen ihn dann der breit akzeptierte Vorwurf der Lüge erhoben werden konnte.

Ich kann mir dazu selbst kein abschließendes Urteil bilden. Aber wer sich künftig mit diesen Themen beschäftigt, wird sich jedenfalls mit den Möller’schen Argumenten auseinanderzusetzen haben. Das gilt auch für seine Einschätzung der jahrelang ausgetragenen Feindschaft zwischen Strauß und dem Spiegel. Meines Erachtens hat sie Strauß bei aller nervlichen Belastung zumindest in Bayern auch geholfen, da sie ihm immer wieder eine breite Öffentlichkeit verschaffte und ihm die Möglichkeit gab, sich als vom Norden her verfolgter Bayer darzustellen. Auch muss insgesamt berücksichtigt werden, dass Strauß harsche Pressereaktionen durchaus auch durch eigene scharfe Attacken auslöste und sich – ich komme noch darauf zurück – sowohl Gegnern als auch Freunden gegenüber immer wieder einer sehr pointierten, ja beleidigenden Sprache bediente.

Eine Biografie, die das politische Handeln und Denken eines Mannes ins Zentrum rücken will, um seine Leistungen ermessen zu können, muss sich aber auch seinen Irrtümern, seinen Fehlentscheidungen und seinen Entgleisungen widmen. Denn auch sie sind Teil seines politischen Handelns und seinem Denken entsprungen. Möller weicht dem nicht aus. Jedoch behandelt er sie nicht mit der gleichen Intensität wie die Leistungen. Oft erklärt er sie aus den jeweiligen aktuellen Gegebenheiten. Und auch mit Strauß’ Niederlagen geht er eher mitfühlend um.

 

Irrtümer und Niederlagen

Ein schwerwiegender Irrtum war das NEIN von Strauß zum Atomwaffensperrvertrag; der stelle „ein Versailles in kosmischen Ausmaßen“ dar. Möller erwähnt das zwar, räumt aber nicht ein, dass sich ohne diesen Vertrag die Zahl der Staaten, die über Atombomben verfügen würden, wesentlich erhöht hätte. Auch lässt er offen, ob Strauß nicht doch noch in seinem Denken an der früher öffentlich vertretenen Meinung festhielt, auch die Bundesrepublik müsse mit Atomwaffen ausgerüstet sein und sie produzieren können.

Nicht minder gravierend ist das Strauß’sche NEIN zur Brandt’schen Ost- und Deutschlandpolitik und zur Ratifizierung der Schlussakte von Helsinki. Möller widmet diesem Thema viele Seiten. Aber dabei wird nicht deutlich, dass dieser Irrtum in seiner Bedeutung den Irrtum der Sozialdemokratie über die Notwendigkeit und den Nutzen der Westintegration zumindest erreicht. Und er teilt auch nicht mit, dass die Union mit dem von ihm entschieden vertretenen NEIN zu Helsinki an der Seite Albaniens und der italienischen Kommunisten stand. Ganz zu schweigen davon, dass Strauß – anders als Wehner in der Frage der Westintegration – nicht zu einer öffentlichen Korrektur bereit war.

Die von ihm veranlasste Klage gegen den Grundlagenvertrag hat daran nichts geändert. Zwar widersprach das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 in seiner Begründung schon seit geraumer Zeit auftretenden Tendenzen zur Relativierung des Wiedervereinigungsgebots. Aber die Fortsetzung der Ost- und Deutschlandpolitik hat es nicht verhindert. Und das war damals ja das eigentliche Ziel von Strauß. Daher kann ich mich der Möller’schen Bewertung, Strauß habe mit der Klage eine fundamentale deutschlandpolitische Weichenstellung erreicht, nicht anschließen. Übrigens gehörte Strauß selbst lange Zeit zu den Relativierern. Noch 1966 schrieb er beispielsweise in einer Publikation Entwurf für Europa: „Ich glaube nicht an die Wiederherstellung eines deutschen nationalen Staats, auch nicht innerhalb der Grenzen der vier Besatzungszonen. Ich kann mir unter den gegebenen und vorausschaubaren Umständen und den möglichen Entwicklungen und Entwicklungslinien nicht vorstellen, daß ein gesamtdeutscher Nationalstaat wieder entsteht, sei er auch neutralisiert, aber ungebunden.“

 

Kanzleramt blieb ein Traum

Die gravierendsten Niederlagen von Strauß waren nach dem Ausscheiden aus dem Verteidigungsministerium die Rückgängigmachung des Kreuther Trennungsbeschlusses im Jahre 1976 und die Niederlage als Kanzlerkandidat im Jahre 1980. Möller bewertet sie zutreffend. Und er macht deutlich, dass Strauß letztere besonders schwer getroffen hat, weil er das Kanzleramt seit Langem als sein Lebensziel angestrebt hatte und weil Helmut Kohl ihn damit in der Union endgültig auf den zweiten Platz verweisen konnte.

Von seinen Entgleisungen waren in meinen Augen die Sonthofen-Rede vom November 1974 und die Wienerwald-Rede vom November 1976 die schlimmsten. In der ersten Rede sagte er sinngemäß, dass alles noch schlimmer werden müsse, damit die Chancen der Union steigen und dass die Union nicht genug an allgemeiner Konfrontation schaffen könne. Die Union dürfe deshalb gegen die Verschlimmerung nichts tun. In der zweiten warf er unter anderem Kohl vor, dass ihm alle Voraussetzungen für das Kanzleramt fehlen würden. Sogar Möller spricht in diesem Zusammenhang von „üblen Ausfällen“, und Kohl meinte sogar, dass Strauß ein „Machtmensch“ mit „zuweilen brutalen Zügen“ gewesen sei. Aber wiederum versucht Möller zugleich, Strauß zu entlasten, indem er unterstellt, unter den weit über tausend Reden, die Strauß gehalten habe, sei kaum eine von der Art der Wienerwald-Rede. Und selbst die Sonthofen-Rede sei mit ihr nur begrenzt vergleichbar. Man dürfe deshalb nicht verallgemeinern. Aber das ist für einen Mann seines Ranges und seiner Verantwortung keine ausreichende Entschuldigung.

 

Strauß und Schmidt

Bleibt die Würdigung seiner Persönlichkeit. Für mich ist und war er eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Was seine öffentliche Präsenz, sein politisches Engagement und seine Durchsetzungsfähigkeit angeht, kann er durchaus zu Recht in einem Atemzug mit Helmut Schmidt genannt werden. Es ist ja auch kein Zufall, dass beide bei aller Meinungsverschiedenheit einen durchaus verträglichen Umgang miteinander pflegten. Beide strebten nach der Macht. Aber auch für Strauß gilt, dass er die Macht nicht um seiner Selbstbestätigung willen, sondern als Mittel zum Zweck, nämlich als Mittel zur Durchsetzung seiner politischen Ziele, innehaben wollte. Und die leitete er, wie Helmut Schmidt, nicht zuletzt aus der Katastrophe des NS-Gewaltregimes und des Zweiten Weltkriegs ab, die er ja selbst miterlebt hatte.

Strauß verfügte über ein umfassendes Wissen, eine nicht alltägliche Intelligenz und eine nahezu unerschöpfliche Lebens- und Arbeitskraft. Zugute kam ihm auch seine bayerische Herkunft, der er nicht wenige spezielle Eigenschaften – etwa seinen Pragmatismus oder seine Trinkfreudigkeit – verdankte. Außerdem war er ein begnadeter Redner, der seine Zuhörer im Parlament ebenso erreichte wie im Bierzelt. Dabei halfen ihm seine Schlagfertigkeit, seine Fähigkeit, Dinge zuzuspitzen und auf den Punkt zu bringen, und vor allem sein Temperament.

Das war aber auch sein Problem. Denn es war so stark, dass er immer wieder die Selbstbeherrschung verlor. Mir gab das Anlass, ihn des Öfteren mit einem Kraftwerk zu vergleichen, dessen Turbinen hundert Megawatt erzeugen können, das aber nur mit Sicherungen für drei Stalllaternen ausgestattet war.

Möller verzichtet auf eine solche Gesamtwürdigung. Aber über sein Buch verstreut erkennt er Strauß dieselben Attribute zu. Bei allen unterschiedlichen Beurteilungen in vielen Einzelfragen stimmen wir darin also wieder überein: Ja – Franz Josef Strauß war einer der Männer, die die politische Nachkriegsgeschichte unseres Landes geprägt haben. Aber er war eben auch nur ein Mensch – „nehmt alles nur in allem“.

Hans-Jochen Vogel, geboren 1926 in Göttingen, von 1960 bis 1972 Oberbürgermeister von München, von 1972 bis 1974 Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, bis 1981 Bundesminister der Justiz und schließlich im Jahr 1981 Regierender Bürgermeister von Berlin. Bei der Bundestagswahl 1983 SPD-Kanzlerkandidat, von 1987 bis 1991 Bundesvorsitzender der SPD und von 1983 bis 1991 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, lebt in München.

 

P. S.:
Um meinen Ruf als Pedant zu bewahren, mache ich noch auf zwei kleine Unrichtigkeiten aufmerksam. Keitel und Jodel sind nicht erst im „Wehrmachtprozess“ (Seite 42), sondern schon im vorausgegangenen Hauptkriegsverbrecherprozess zum Tode verurteilt worden.
Auf Seite 34 sind im zweiten Absatz die Münchner Wahlergebnisse in Prozenten der Wahlberechtigten, die Reichsergebnisse hingegen in Prozenten der abgegebenen Stimmen angegeben. Das führt zu einer niedrigeren Einschätzung der in München für die NSDAP abgegebenen Stimmen. Werden sie als Prozente der abgegebenen Stimmen wiedergegeben, so lauten die Münchner Zahlen für 1928 10,7 Prozent, für 1930 21,7 Prozent, für Juli 1932 28,9 Prozent, für November 1932 24,8 Prozent und für den 5. März 1933 37,8 Prozent.

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