Äthiopien – ein Land mit einer dreitausend Jahre alten Geschichte – und mit geopolitischem Einfluss. Hier befinden sich der Sitz der Afrikanischen Union und der UN-Wirtschaftskommission für Afrika. Es ist das Land von Kaiser Haile Selassie, der einst als Vermittler in innerafrikanischen Konflikten galt. Noch im Jahr 2020 beschrieb die Bundeszentrale für politische Bildung Äthiopien als regionale Friedensmacht. Doch 2025 hat sich das Bild gewandelt: Äthiopien ist in zahlreiche Konflikte mit seinen Nachbarn verwickelt, die von Grenzstreitigkeiten über den Kampf um Ressourcen bis hin zu einem blutigen Bürgerkrieg reichen.
Im Jahr 2019 schien alles noch so noch anders. Der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed wurde für den historischen Friedensvertrag mit Eritrea, das bis 1993 Teil Äthiopiens war, mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Das Abkommen beendete einen 20 Jahre währenden Grenzkonflikt. Ahmed erhob keinen Anspruch mehr auf die Stadt Badme und nahm die diplomatischen Beziehungen zu Eritrea wieder auf. Ein Durchbruch. Die Weltöffentlichkeit feierte ihn als Hoffnungsträger eines neuen Äthiopiens. Doch die Hoffnungen zerschlugen sich bald.
2020 brach der Tigray-Krieg aus. Die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), die in der nördlichsten Region Äthiopiens regiert, hielt eigene Wahlen ab, nachdem die äthiopische Regierung die nationalen Wahlen wegen der COVID-19-Pandemie verschoben hatte. Ahmed erklärte die Wahlen in Tigray für illegal, was in einem militärischen Konflikt eskalierte. Tigray wurde isoliert – mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung. Zwar fanden sich nach einer UN-Untersuchung keine Beweise, dass Ahmeds Regierung, Hilfslieferungen für die leidende Bevölkerung blockiert hat. Doch – so wird geschätzt – verloren in diesem Krieg bis zu 600.000 Menschen infolge von Gewalt und Hunger ihr Leben.
Die unverhältnismäßige Brutalität des Krieges schadete Ahmeds internationalem Ansehen schwer. Amnesty International warf seinen Truppen Kriegsverbrechen vor, und die USA verhängten Sanktionen gegen Äthiopien.
Während der innenpolitische Druck auf Ahmed wuchs, spitzten sich weitere außenpolitische Konflikte zu. Ein zentraler Streitpunkt ist der Große Renaissance-Staudamm, ein Prestigeprojekt Äthiopiens. Der Damm soll den Energiebedarf des Landes decken, doch der Sudan und Ägypten befürchten, dass er ihre Wasserversorgung beeinträchtigen könnte. Mehrere Verhandlungsrunden führten zu keinem Ergebnis, sodass die Streitfrage um den Staudamm bestehen bleibt und die äthiopisch-ägyptisch-sudanesischen Beziehungen belastet. Während der Sudan aktuell durch einen brutalen Bürgerkrieg abgelenkt ist, hat die ägyptische Regierung deutlich kommuniziert, dass sie bei einer starken Beeinträchtigung ihrer Wasserrechte nicht vor militärischen Maßnahmen zurückschrecken würde.
Der Streit um den Großen Renaissance-Staudamm ist nicht der einzige Zwist, der die Beziehungen zwischen Äthiopien und dem Sudan vergiftet. Ein weiterer Konfliktherd ist die Grenzregion Al-Fashaga. Al-Fashaga ist eine fruchtbare Grenzregion zwischen beiden Ländern, die seit Jahrzehnten von äthiopischen Bauern genutzt wird. Der Sudan beansprucht das Territorium; Äthiopien hatte seine Ansprüche 2008 aufgegeben, operierte jedoch militärisch weiter in dem Gebiet. Als die Streitkräfte Abiy Ahmeds im Tigray-Krieg gebündelt waren, nutzte der Sudan – drei Jahre vor Beginn seines eigenen Bürgerkriegs – die Gelegenheit und besetzte die gesamte Region. Es kursierten Meldungen über einen Rückeroberungsversuch Addis Abebas, der jedoch nie bestätigt und von Ahmed dementiert wurde. Neben dem Streit um Wasserrechte reihte sich nun ein ungelöster Grenzkonflikt in die Differenzen zwischen Äthiopien und seinen nördlichen Nachbarn ein.
Doch auch im Osten ist die Lage mehr als angespannt. Im Juli 2022 startete die Terrormiliz al-Shabaab eine erfolgreiche Invasion äthiopischen Gebiets und setzte sich in Teilen der östlichen Provinz Bale fest. Die Streitkräfte Äthiopiens konnten die Invasion zwar nach zwei Wochen aufhalten, jedoch nicht zerschlagen. Noch Ende 2024 erreichten die Medien Berichte über al-Shabaab-Kämpfer, die Angriffe in der Bale-Region ausführten. Die Miliz hat offensichtlich auf äthiopischem Territorium Fuß gefasst.
Anfang 2024 führte eine Absichtserklärung zwischen Äthiopien und Somaliland zu zusätzlichen Spannungen. Äthiopien signalisierte seine Bereitschaft, die Unabhängigkeit Somalilands anzuerkennen, um sich Zugang zu Häfen am Golf von Aden zu verschaffen. Dies stieß in Somalia, das Somaliland als Teil seines Staatsgebiets betrachtet, auf scharfe Ablehnung. Äthiopiens Vorgehen illustriert, dass es selbst um den Preis guter Nachbarschaftsbeziehungen sein Ziel verfolgt, sich Zugang zum Meer zu verschaffen. Am 14. Dezember 2024 klang der Ton aus Addis Abeba zwar etwas versöhnlicher: Man wolle gemeinsam mit Somalia nach Lösungen suchen. Doch wie eine solche Übereinkunft aussehen könnte und ob sie den entstandenen diplomatischen Schaden wiedergutmacht, bleibt abzuwarten