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Ein Mord, ein Zahn, eine Geschichte

Der Aufstieg und Fall des Patrice Lumumba: Vom Hoffnungsträger zum Märtyrer

Die Geschichte eines mutigen Anführers, dessen Traum von Unabhängigkeit den Kongo veränderte – und ihn das Leben kostete.

30. Juni 1960, Léopoldville, heutiges Kinshasa. Die Kolonialmacht Belgien entlässt den Kongo in die Unabhängigkeit. Zwei Reden, die an diesem Tag gehalten werden, gehen in die Geschichte ein: Die Rede des belgischen Königs Baudouin und die von Patrice Lumumba, erster Premierminister des unabhängigen Kongo. Während der König die vermeintlichen Verdienste seiner Landsleute im Kongo rühmt, schreibt Lumumba an seiner Gegenrede, die er kurz darauf aus dem Stegreif halten wird. Er rechnet mit den anwesenden ehemaligen Kolonialherren ab, prangert ihre unfassbare Grausamkeit, ihre Brutalität und die gnadenlose Ausbeutung seines Landes an. Die Angesprochenen sind empört. Die europäische Presse schäumt. Sieben Monate später, im Januar 1961, wird Lumumba ermordet.

„Er hält den anwesenden ehemaligen Kolonialherren ihre unfassbare Grausamkeit, Brutalität und Ausbeutung seines Landes vor. Die Angesprochenen sind empört. Die europäische Presse schäumt. Sieben Monate später wird Lumumba ermordet.“

Jona Thiel

Der Tod des jungen Premierministers hallt bis heute nach. Im Juni 2024 findet der einzige physische Überrest von Patrice Lumumba in Kinshasa seine letzte Ruhestatt: ein goldener Zahn. Eine chinesische Firma hatte eigens ein Mausoleum für ihn errichtet, auf dem größten Kreisverkehr der Stadt. Der Zahn war 2016 in Belgien beschlagnahmt und von der Tochter Lumumbas eingeklagt worden. 2022 ordnete ein belgisches Gericht seine Überführung in den Kongo an. Doch wie kam der Zahn nach Belgien? Gérard Soete, ein belgischer Polizeibeamter beaufsichtigte nach Lumumbas Ermordung die Zerstückelung des Leichnams, der anschließend in einem Säurebad aufgelöst wurde. Nach eigener Aussage schlug er den Zahn aus, nahm ihn an sich und brachte ihn nach Belgien – als Trophäe.

Wer war Patrice Lumumba? Und warum verlor er auf so grausame Weise sein Leben? Patrice Lumumba wurde 1925 als Élias Okit'Asombo geboren. Den Namen Lumumba erhielt er erst später. In der Sprache seines Stammes, der Batetela, wird der Begriff Lumumba für „Mannschaft“ benutzt. Und da er ein guter Redner war, wurde er mit dem Namen zum Wortführer ernannt. Er wuchs in einfachen Verhältnissen auf und besuchte eine von Belgiern betriebene christlichen Missionsschule. Schon früh hinterfragte der junge Lumumba die bestehende Ordnung, stellte kritische Fragen und machte sich Gedanken über die Zukunft seines Volkes. In Stanleyville (heute Kisangani) wurde er Postbeamter und belegte Fernkurse, in denen er sich unter anderem in juristischen Belangen fortbildete. Er gehörte dem Club der Evuluè an. Als Évolués galten Kongolesen, die nach den Maßstäben der belgischen Kolonialherren als ‚zivilisiert‘ galten, weil sie eine höhere Bildung genossen oder sich diese angeeignet hatten. Sie bildeten eine kleine akademische Elite innerhalb der lokalen Bevölkerung. 1956 wurde Lumumba wegen Veruntreuung von Geldern angeklagt und verhaftet.

Jona Thiel

1958 gehörte Lumumba zu den Gründern der Mouvement National (MNC) und wurde als ihr Vorsitzender 1959 ein weiteres Mal verhaftet und von den Belgiern gefoltert. Sie tolerierten keine kongolesischen Parteien, die sich die Unabhängigkeit des Landes auf die Fahnen geschrieben hatten. Als der belgischen Kolonialregierung klar wurde, dass die Unabhängigkeit des Landes nur noch eine Frage der Zeit war, ließ man Lumumba zähneknirschend frei.

Der Zeitpunkt seiner Freilassung fiel mit der sogenannten „Konferenz am runden Tisch“ (auch Kongo-Konferenz) zusammen, die im Januar 1960 in Brüssel stattfand: Verhandelt wurde der Rückzug der Belgier aus dem zentralafrikanischen Land. Lumumba war, obwohl in Haft, einer der wichtigsten Vertreter eines unabhängigen Kongos. Also flog man ihn, direkt aus dem Gefängnis kommend nach Brüssel ein. An seinen Handgelenken waren die Verletzungen durch die während der Folter getragenen Ketten deutlich sichtbar.

Die in Brüssel beschlossene Unabhängigkeit führt uns zurück zum Beginn dieses Artikels. Nach seiner fulminanten Rede am 30. Juni 1960 stand der erst einen Monat zuvor zum Premierminister ernannte Lumumba vor schier unlösbaren Problemen. Weder hatten die Belgier für einen geordneten Übergang in die Unabhängigkeit gesorgt, noch deckten sich ihre Vorstellungen mit denen Lumumbas, was die Dekolonisierung des rohstoffreichsten Landes Afrikas betraf.

Die schier unermesslichen Ressourcen des Kongo – Gold, Mangan, Cobalt, Uran – waren für die westlichen Ökonomien seit jeher von hohem Interesse. Als die Kolonialmacht Belgien das Land in die Unabhängigkeit entließ, hatte sie im Bergbau eine Monopolstellung. Und auf eine Unabhängigkeit, wie sie Lumumba vorschwebte, die den Zugriff auf die eigenen Ressourcen einschloss, waren die westlichen Unternehmen überhaupt nicht erpicht. Unter dem Deckmantel der Freiheit waren sie fest entschlossen, den Kongo weiter auszubeuten.

Patrice Lumumba hatte anderes vor. Er wollte einen souveränen und geeinten Kongo schaffen, einen Staat, der die eigenen Ressourcen kontrolliert und der die verbliebenen belgischen Militärs, die sogenannte „Force Publique“, des Landes verweist. Alles, was Lumumba wollte, widersprach den Absichten der westlichen Staaten. Lumumba wurde zum Feindbild erklärt, als Kommunist und Anti-Weißer verunglimpft. Und das, obwohl er zunächst sogar die Nähe zu den USA gesucht hatte. Als sich jedoch kurz nach der Unabhängigkeit im ressourcenreichen Süden Kongos Regionen abspalteten und aus den Vereinigten Staaten keine Hilfe zu erwarten war, wandte sich Lumumba an die Sowjetunion. Man versprach ihm Unterstützung. Doch die Zeit des jungen Regierungschefs war fast abgelaufen.

Zu viele Akteure sahen in der Person Lumumbas ihre Interessen gefährdet – ob belgische Siedler, Bergbauunternehmen, Belgien oder die USA. Der CIA erwog schon bald seine Ermordung. Spätestens im August 1960 war die Entscheidung gefallen: CIA-Direktor Allen Dulles genehmigte in einer später berühmtgewordenen Depesche die „Entfernung“ des Ministerpräsidenten, womit euphemistisch seine Ermordung gemeint war. Auch der belgische Geheimdienst und belgische Beamte wurden eingeweiht und begannen, den damals noch jungen Offizier Joseph-Désiré Mobutu als Nachfolger aufzubauen.

Noch ahnte Patrice Lumumba noch nichts von den Plänen seiner Widersacher. Im September 1960 führte Mobuto mit Unterstützung der Belgier und der USA einen Staatsstreich durch, in dessen Folge Lumumba aus seinem Amt als Premierminister entlassen wurde. Lumumba reagierte mit der Absetzung des ebenfalls in die Verschwörung verwickelten Staatspräsidenten Kasavubu. Das war der Auslöser für Lumumbas Verhaftung. Das Gewaltmonopol lag in den Händen der Armee und Mobuto konnte frei agieren: Lumumba wurde unter Hausarrest gestellt.

Ob es US-Präsident Eisenhower oder der CIA-Leiter im Kongo, Devlin, war, ist bis heute nicht geklärt. Dass aber einer von den beiden die Ermordung Lumumbas vorantrieb, steht zweifelsfrei fest. Eisenhower hatte bereits im August 1960 angeordnet, Lumumba mithilfe von Gift zu töten. Der unter Hausarrest stehende Lumumba versuchte zu fliehen, wurde jedoch von Mobutos Soldaten aufgespürt und inhaftiert.

Von da an sind einige Abläufe ungeklärt und bis heute Teil der Forschung. Der Gefangene wurde nach Élisabethville geflogen – es gibt Filmaufnahmen vom Flugfeld, die den gefesselten Lumumba zeigen, der von Mobutus Männern und von Belgiern geschlagen und bespuckt wird. Schon während des Fluges hatte man Lumumba offenbar schwer misshandelt. Man bringt ihn eine unscheinbare Hütte und foltert ihn.

Am 17. Januar 1961 endete das Martyrium von Patrice Lumumba. Der für wenige Monate erste Premierminister des Kongos wird von einem belgisch-kongolesischen Erschießungskommando hingerichtet. Sein Leichnam wird vergraben, einige Tage später wieder ausgegraben, unter dem Kommando von Gérard Soete zerstückelt und in Säure aufgelöst.

„Am 17. Januar 1961 endete das Martyrium des Patrice Lumumbas, als er von einem belgisch-kongolesischen Erschießungskommando hingerichtet wurde. Seine Leiche wurde vergraben, einige Tage erneut ausgegraben und in Säure aufgelöst.“

Jona Thiel

Mit dem 35-jährigen Mann, der den Kongo in die Unabhängigkeit geführt hatte, starb nicht nur die bedeutendste Person der modernen kongolesischen Geschichte, sondern auch die Hoffnung auf ein neues Zeitalter. Statt Freiheit, Demokratie und Prosperität folgten Fremdbestimmung, Diktaturen und viele Kriege.

Jona Thiel, geboren 1999 in Troisdorf (Nordrhein-Westfalen), ist studierter Geschichts- und Politikwissenschaftler. Er publiziert als freier Journalist und fungiert als Sprecher, sowie Autor der Forschungsgruppe "Afrika" des Think Tanks "Kölner Forum für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik". Zudem ist der Historiker als Autor für die Forschungsgruppe "Friedens- und Konfliktforschung" tätig,  seit 2024 ist er stellvertretender Vorstand des BSH Trier (Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen. Thiel führt einen Blog, welcher sich primär historischen und außenpolitischen Themen zuwendet (Instagram: @gepo.global).

 

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