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Eine „geostete Wessin“ ärgert sich über Stereotype

Wie Vorurteile 35 Jahre nach dem Mauerfall die Ost-West-Frage bestimmen

Stereotype und Medienberichte zeichnen ein einseitiges Bild vom "Osten". Franca Bauernfeind fordert ein differenzierteres Verständnis und eine faire Betrachtung der gesellschaftlichen Realität in Ostdeutschland.

Café, Kuchen – keine Kartenzahlung. Zwei Münchnerinnen genießen den Nachmittagscafé in der Erfurter Innenstadt. Als sie ihre Rechnung begleichen wollen, zücken sie die Kreditkarte. Kleinlaut gebe ich – die studentische Aushilfskellnerin – zu verstehen: „Keine Kartenzahlung möglich.“ „Das ist hier drüben also noch so!“, lautet die mürrische Reaktion. Ich verzichte darauf, zu kontern, dass es auch in Straubing, Freising oder Oberammergau Geschäfte gibt, die nur Bargeld annehmen. Verlorene Mühe!

Als gebürtige Nürnbergerin, die inzwischen fast die Hälfte ihres Lebens in Thüringen verbracht hat, bin ich so weit „geostet“, dass mich „westliche“ Stereotypen, vor allem über die vermeintliche Rückständigkeit des „Ostens“, ärgern. Kaum einer weiß, dass Jenoptik Raketentechnik herstellt. Will man es wissen?

Eine von Westen auferlegte Ost-Identität bekommt man nicht allein in Straßencafés zu spüren. Damit könnte man leben. Es geht aber zu weit, wenn der „Osten“ pauschal für die wachsende gesellschaftliche Spaltung verantwortlich gemacht wird und ihm negative Entwicklungen wie Populismus, mangelndes Demokratieverständnis, Rassismus, Verschwörungsmythen und Armut exklusiv zugeschrieben werden.

Zur vermeintlichen Zurückgebliebenheit passt die Erzählung über Populismus, nach der die AfD im „Osten“ eben eine logische Konsequenz darstelle. Dass Björn Höcke und andere seinesgleichen aus dem Westen kommen, wird mal eben ausgeblendet. Und dass die AfD bei den letzten Landtagswahlen in Hessen und Bayern 18,4 bzw. 14,6 Prozent erreichte, juckt offenbar auch niemanden so richtig. Dass äußerst rechte bis rechtsextreme Parteien in westlichen Nachbarländern wie in den Niederlanden, Österreich oder Frankreich bei Wahlen erfolgreich sind, ändert die eingefahrene Wahrnehmung ebenso wenig. Rechter Extremismus ist ein riesiges Problem, bisher noch größer in Ostdeutschland als in Westdeutschland, aber es ist verfehlt und hilft nicht, wenn man sich darauf allein als „Ostproblem“ fixiert.

Der Blick, was der „Osten“ ist und wie er wahrgenommen wird, kommt vor allem von außen. Die Medien spielen dabei eine wichtige Rolle: Als im Mai 2024 die Ergebnisse der Thüringer Kommunalwahlen feststanden und die CDU als klare Siegerin daraus hervorging, berichtete die „Tagesschau“ fast ausschließlich über die AfD: Weshalb die AfD doch nicht Wahlsieger geworden sei, wo die AfD trotzdem Stimmenzuwachs verbucht hätte und wie die AfD bei den Stichwahlen weiter vorgehen würde. Nur am Rande kamen die anderen Parteien und ihre Ergebnisse vor. Für jemanden, der nicht aus Thüringen kommt, blieb von diesem Wahlabend fatalerweise nur eines hängen: Der Ostdeutsche wählt AfD – obwohl dieser mehrheitlich doch eigentlich CDU gewählt hatte!

„Für jemanden, der nicht aus Thüringen kommt, blieb von diesem Wahlabend fatalerweise nur eines hängen: Der Ostdeutsche wählt AfD – obwohl dieser mehrheitlich doch eigentlich CDU gewählt hatte!“

Franca Bauernfeind

Der neue Thüringer Landtag wird am 1. September 2024 gewählt. Wie bei der letzten Wahl 2019 wird nicht unbedingt der Wahlabend, sondern es werden die Gemengelagen und die Gespräche der Parteien in den Wochen danach Aufschluss über die politische Zukunft des Freistaates geben. Die CDU tut alles, um sich im Wahlkampf als eine Stabilität schaffende Kraft zu profilieren. Wie die ex-linke Partei BSW und der alt-linke Amtsinhaber Bodo Ramelow abschneiden, kann man bislang nur schwer einschätzen. Und ob FDP, Grüne und SPD überhaupt die Fünf-Prozent-Hürde erreichen, ist fraglich. Von all diesen Faktoren hängt ab, wie es in der Landespolitik im Herbst weitergeht – die AfD ist nur ein Element von vielen. Und das sollte auch so vermittelt werden.

Solange es so erscheint, als gäbe es im Osten nur die AfD, wird sich auch 35 Jahre nach dem Mauerfall an einem deutschlandweiten Miteinander und gegenseitigem Verständnis füreinander nicht viel ändern. Der „Osten“ ist vielleicht noch und weiterhin in manchen Dingen anders, aber vor allem anders und differenzierter, als man im Westen denkt.

Daniel Beck

Franca Bauernfeind (geb. 1998) studierte an der Universität Erfurt im Masterstudiengang Staatswissenschaften. Sie war Bundesvorsitzende des Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) und Mitglied im Bundesvorstand der Christlich Demokratischen Union (CDU). Zur Bundestagswahl 2021 kandidierte sie als Spitzenkandidatin der Jungen Union in Thüringen. Sie engagierte sich in verschiedenen Hochschulgremien und ist publizistisch tätig.

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