Café, Kuchen – keine Kartenzahlung. Zwei Münchnerinnen genießen den Nachmittagscafé in der Erfurter Innenstadt. Als sie ihre Rechnung begleichen wollen, zücken sie die Kreditkarte. Kleinlaut gebe ich – die studentische Aushilfskellnerin – zu verstehen: „Keine Kartenzahlung möglich.“ „Das ist hier drüben also noch so!“, lautet die mürrische Reaktion. Ich verzichte darauf, zu kontern, dass es auch in Straubing, Freising oder Oberammergau Geschäfte gibt, die nur Bargeld annehmen. Verlorene Mühe!
Als gebürtige Nürnbergerin, die inzwischen fast die Hälfte ihres Lebens in Thüringen verbracht hat, bin ich so weit „geostet“, dass mich „westliche“ Stereotypen, vor allem über die vermeintliche Rückständigkeit des „Ostens“, ärgern. Kaum einer weiß, dass Jenoptik Raketentechnik herstellt. Will man es wissen?
Eine von Westen auferlegte Ost-Identität bekommt man nicht allein in Straßencafés zu spüren. Damit könnte man leben. Es geht aber zu weit, wenn der „Osten“ pauschal für die wachsende gesellschaftliche Spaltung verantwortlich gemacht wird und ihm negative Entwicklungen wie Populismus, mangelndes Demokratieverständnis, Rassismus, Verschwörungsmythen und Armut exklusiv zugeschrieben werden.
Zur vermeintlichen Zurückgebliebenheit passt die Erzählung über Populismus, nach der die AfD im „Osten“ eben eine logische Konsequenz darstelle. Dass Björn Höcke und andere seinesgleichen aus dem Westen kommen, wird mal eben ausgeblendet. Und dass die AfD bei den letzten Landtagswahlen in Hessen und Bayern 18,4 bzw. 14,6 Prozent erreichte, juckt offenbar auch niemanden so richtig. Dass äußerst rechte bis rechtsextreme Parteien in westlichen Nachbarländern wie in den Niederlanden, Österreich oder Frankreich bei Wahlen erfolgreich sind, ändert die eingefahrene Wahrnehmung ebenso wenig. Rechter Extremismus ist ein riesiges Problem, bisher noch größer in Ostdeutschland als in Westdeutschland, aber es ist verfehlt und hilft nicht, wenn man sich darauf allein als „Ostproblem“ fixiert.
Der Blick, was der „Osten“ ist und wie er wahrgenommen wird, kommt vor allem von außen. Die Medien spielen dabei eine wichtige Rolle: Als im Mai 2024 die Ergebnisse der Thüringer Kommunalwahlen feststanden und die CDU als klare Siegerin daraus hervorging, berichtete die „Tagesschau“ fast ausschließlich über die AfD: Weshalb die AfD doch nicht Wahlsieger geworden sei, wo die AfD trotzdem Stimmenzuwachs verbucht hätte und wie die AfD bei den Stichwahlen weiter vorgehen würde. Nur am Rande kamen die anderen Parteien und ihre Ergebnisse vor. Für jemanden, der nicht aus Thüringen kommt, blieb von diesem Wahlabend fatalerweise nur eines hängen: Der Ostdeutsche wählt AfD – obwohl dieser mehrheitlich doch eigentlich CDU gewählt hatte!