“75 Jahre Grundgesetz” hieß das Motto des Demokratiefests der Bundesregierung in Berlin. Trotz unzähliger Stände, vieler Podien und eines Auftritts des französischen Staatspräsidenten war mein persönliches „Highlight“ nicht Teil des offiziellen Programms. Nach einer Podiumsdiskussion über junges jüdisches Leben in Deutschland, an der ich teilgenommen hatte, kam ein älterer Herr auf mich zu, um mit mir über den Israel-Palästina-Konflikt zu sprechen. Es folgten Thesen, Antithesen und manchmal sogar Synthesen. Beim Thema Terror, insbesondere die Ereignisse am 7. Oktober 2023, fanden wir keinen gemeinsamen Nenner. „Am Terror sind nicht die Terroristen schuld. Es ist ihr einziger Weg zu sprechen.", meinte der ältere Herr. Ob die RAF oder der NSU in der Bundesrepublik Deutschland keine Möglichkeit hatten zu sprechen, fragte ich ihn. Daraufhin beendete er das Gespräch.
Auf dem Weg nach Hause fragte ich mich, was der Grund für die Empathie des älteren Herren für islamistische Terroristen sein könnte. Ist er vielleicht das Produkt der aktuellen politischen Kultur? Schließlich lässt sich fast nach jedem islamistischen Anschlag ein Muster erkennen:
Schritt 1: Statt einer öffentlichen Debatte über Islamismus wird vor einem Generalverdacht gegenüber Muslimen gewarnt. (Den darf es nicht geben, aber man sollte nach einem islamistischen Anschlag über Islamismus sprechen)
Schritt 2: Das explizite Problem des Islamismus wird generalisiert, indem man zum Einsatz gegen Hass im Allgemeinen aufruft.
Schritt 3: Die Suche nach der eigenen Schuld.
Kaum hat ein Attentat stattgefunden, sucht eine Vielzahl von Journalisten, Intellektuellen, „Kulturschaffenden”, Experten und Politikern den Fehler nicht bei den Terroristen, sondern in den Machtstrukturen der westlichen Gesellschaft. So fragte nach den Anschlägen des 11. September 2001 der damalige Generalsekretär des Hauses der Kulturen der Welt, Hans-Georg Knopp, ob nicht unser Kulturbegriff „unter Umständen sogar geradezu Aggressivität“[1] provoziere. Heute vermutet der Kriminologe Dirk Baier, dass die steigenden Lebenshaltungskosten Grund für die Morde in Solingen sein könnten.[2]
Zu einem gefestigten Selbstbild gehört ein realistisches Schuldbewusstsein. Weder sollte die Schuld kategorisch von sich geschoben noch zwanghaft bei sich selbst gesucht werden. Realistische Selbstkritik ist die goldene Mitte, die die westliche Zivilisation stark gemacht hat. Schließlich basieren Demokratie und Wissenschaft auf Korrekturmechanismen, deren Fundament in der Selbstkritik liegt. Doch spätestens seit dem Aufkommen des Postkolonialismus und ähnlichen Ideologien haben wir es mit einer akademisierten Form der Selbsthasses zu tun. Es handelt sich hierbei um ein pseudo-wissenschaftliches Schwarz-Weiß-Denken, das nicht die Wahrheit sucht, sondern behauptet, die Wahrheit schon gefunden zu haben. Ein Zirkelschluss, in dem die Schuldigen immer dieselben sind: der Mann, die Weißen, der Westen oder eben Israel.