Der Bundeskanzler hat die Vertrauensfrage verloren, der Weg für Neuwahlen ist frei. Eigentlich sollte Aufbruchstimmung herrschen. Eigentlich.
Das Ende der Ampel kam früher als gedacht, aber später als wir gehofft hatten. Die Ampel war schon lange am Ende, nur zog sich das Ende quälend lange hin. Das hatte viele Gründe: unter anderem handwerklicher Dilettantismus, persönliche Allüren der drei Haupt-Protagonisten und vor allem völlig unterschiedliche ideologische Ausrichtungen, gepaart mit parteipolitischer Klientelpolitik statt dem Grundsatz „zuerst das Land“.
In der Folge sprach im November 2024 eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey eine deutliche Sprache: Null Prozent der Deutschen gaben an, nach der nächsten Bundestagswahl noch einmal eine Ampel zu wünschen. Auch wenn eine solche Konstellation nachgerade ausgeschlossen ist, sind wir trotzdem nicht von einem optimistischen Fortschrittsglauben ergriffen. Warum ist das so?
Deutschland ist ein großartiges Land. Für mich ist es das schönste Land der Welt. Aber mittlerweile hören wir in jedem Gespräch, dass die Menschen das Vertrauen in die Politik und den Staat verlieren. Wenn es so weitergeht wie in den vergangenen Jahren, laufen wir Gefahr zu zerstören, was unsere Eltern und Großeltern unter Mühen und Entbehrungen aufgebaut haben.
Viele Menschen sind von dem Gefühl beherrscht, dass sich daran auch nach der nächsten Bundestagswahl nichts grundlegend ändern wird. Aus Umfragen wissen wir, dass drei Themen wahlentscheidend sein werden: Wirtschaft, Migration und Sicherheit. Und gerade in diesen Politikfeldern brauchen wir eine echte Wende.
Blicken wir zurück auf den denkwürdigen 6. November 2024. Dieser Tag läutete nicht nur das Ende der aktuellen deutschen Regierung ein, sondern auch einen Politikwechsel in den USA. An diesem Tag wurde die amerikanische Präsidentschaftswahl mit zwei Themen gewonnen: der Entfesselung der amerikanischen Wirtschaft und Grenzschutz. Daraus kann man durchaus Lehren für Deutschland ziehen.
Wahlkampfthemen sind in aller Regel Themen, die für die Zukunft eines Landes von entscheidender Bedeutung sind. Die wirtschaftliche Lage unseres Landes ist dramatisch. Alle ökonomischen Fundamentaldaten zeigen nach unten. Wir sind im fünften Jahr der Stagnation und verzeichnen das zweite Jahr Minuswachstum. Innerhalb von 10 Jahren sind wir in Sachen Wettbewerbsfähigkeit von Platz 6 auf Platz 24 abgerutscht. Also nicht mehr Champions-League, sondern bestenfalls 2. Liga.
„Dass sich etwas verändert hat, merken wir aber auch ohne den Blick auf die Titelseiten der Wirtschaftsmagazine. Wir merken es beim Einkaufen, beim Heizen und an der Miete.“
Caroline Bosbach
Dass sich etwas verändert hat, merken wir aber auch ohne den Blick auf die Titelseiten der Wirtschaftsmagazine. Wir merken es beim Einkaufen, beim Heizen und an der Miete.
Angesichts der anhaltend schlechten wirtschaftlichen Lage wird oft gefragt, ob wir es uns leisten können, den Sozialstaat immer weiter auszubauen. Und doch gibt es vieles, was die Menschen bewegt. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Familien brauchen gute Schulen und ein funktionierendes Betreuungsangebot. Senioren brauchen eine gute Gesundheitsversorgung, eine sichere Rente und eine finanzierbare Pflege. Doch für all das braucht es Geld. Von nichts kommt nichts. Wer das besonders spürt, ist die Jugend.
Ein Blick in die jüngst erschienene Shell-Jugendstudie zeigt: von wegen Generation Greta! Noch vor wenigen Jahren dominierte der Klimawandel die Debatten junger Menschen. Heute ist ihre größte Sorgen die Inflation. Und noch vor dem Klimawandel taucht plötzlich das Thema knapper Wohnraum auf. In den Top 10 erstmalig vertreten ist die Sorge über den Zusammenbruch des Rentensystems.
Ich breche mal eine Lanze für die Jugend. Sie muss heute für vieles herhalten. Bei der Europawahl habe sie zu „rechts“ gewählt, gar nicht zu reden von den Landtagswahlen im Osten: Die Jungen gelten als abtrünnig, als rebellisch und gleichermaßen als ahnungslos. Schuld an der Misere seien die sozialen Netzwerke, allen voran TikTok. So das Narrativ. Doch sind die Gründe für derartige Wahlergebnisse nicht viel eher in der unausgegorenen Politik der Ampelregierung zu finden, die auch die Jugend links liegen gelassen hat? Nein, diese jungen Menschen sind nicht die „Abtrünnigen“ unserer Gesellschaft. Vielmehr sind es Menschen, die einen bestimmten Lebensstil nicht möchten. Und das muss man ernst nehmen.
Es geht mir nicht um die Überzeugungstäter, die die Ränder wählen. Wir sollten uns auch nicht auf die konzentrieren, die noch nie zur Wahl gegangen sind. Aber wir müssen an die Jugendlichen ran. Sie lohnen den Kampf! Während der Pandemie durften sie zeitweise das Haus nicht verlassen, wurde es ihnen versagt, in die Schule zu gehen. Jetzt, wo sie wieder rausdürfen, finden sie im öffentlichen Raum Chaos und Unsicherheit vor. Öffentliche Verkehrsmittel sind in Großstädten für junge Menschen immer weniger sicher, was auch für Plätze gilt, an denen sie sich früher aufgehalten haben.
Wenn wir uns Aufbruch statt Endzeitstimmung wünschen, in einer Zeit, in der wir alle Möglichkeiten haben, ein neues Kapitel aufzuschlagen, kommt es auf zweierlei an: Wir müssen Themen adressieren. Und zwar Themen, die alle betreffen – ob jung oder alt. Wir müssen Dinge ansprechen, die unter Umständen wehtun. Wer die Migration im Wahlkampf nicht thematisieren möchte aus Angst, in irgendeine Ecke gestellt zu werden, spielt dem politischen Rand in die Karten. Und: Wir brauchen eine Wende in der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik, die diesen Namen auch verdient. Kompromissgetriebene, halbgare Lösungen werden mit entsprechenden Wahlergebnissen quittiert. Die Zeit der Reden ist vorbei. Es ist Zeit zu Handeln. Wir müssen Deutschland wieder besser machen.
privat
Caroline Bosbach, geboren in Bergisch Gladbach, ist die Bundesvorsitzende des Jungen Wirtschaftsrats Deutschlands. Nach einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium in Berlin arbeitete sie als Management Trainee, Strategieberaterin und Dozentin, bevor sie ins politische Metier wechselte. Sie sammelte Erfahrung auf Kommunal- und Bundesebene sowie im Parlamentskreis Mittelstand der CDU/CSU-Fraktion.
Aktuell ist sie in der Energiewirtschaft tätig, moderiert Veranstaltungen und schreibt als Autorin – ihr zweites Buch „Zeit für Mut“ erschien 2024. Einem breiteren Publikum wurde sie durch Talkshows und Unterhaltungsformate wie Let’s Dance bekannt.