Der letzte Podcast der Konrad- Adenauer- Stiftung beschäftigte sich mit Inklusion im Sport. Heute am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen möchte ich eine „Sportart“ vorstellen, die nicht nur Durchhaltevermögen und Geduld erfordert, sondern auch Teamgeist, Ausdauer und die Bereitschaft, ständig dazuzulernen und viel zu trainieren. Vor allem macht sie aber viel Spaß und bringt uns alle als Gesellschaft weiter: Inklusive Partizipation.
Nicht umsonst fordert die internationale Behindertenbewegung seit Jahrzehnten „Nothing about us without us!“- Nichts, was uns betrifft, sagen Menschen mit Behinderungen, soll über unseren Kopf hinweg überlegt, verhandelt und beschlossen werden. Lassen Sie uns noch weitergehen: es muss heißen „Nothing without us!“, denn Menschen mit Behinderungen haben in allen Angelegenheiten, die Menschen betreffen, auch wenn es nicht speziell um ein Inklusionsthema geht, etwas beizutragen und ein Mitspracherecht.
Partizipation ist ein Menschenrecht. Sie muss daher so organisiert werden, dass auch alle Menschen dieses Recht wahrnehmen können, auch Menschen mit Behinderungen. In der Theorie ist dies weitestgehend anerkannt. Spannend wird es, wenn wir uns die Praxis ansehen.
2020 hat sich CBM gemeinsam mit der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GiZ) unter Organisationen von Menschen mit Behinderungen und Mitarbeitenden der GiZ weltweit umgehört, wie es um die Partizipation von Menschen mit Behinderungen in der Entwicklungszusammenarbeit bestellt ist. Leider wenig überraschend erfuhren wir von nur punktueller und unsystematischer Einbindung von Verbänden, dem Ausschluss von Menschen mit Behinderungen von wichtigen Gesprächen aufgrund fehlender Barrierefreiheit und vielen Fällen von nur scheinbarer Partizipation. So berichtete uns der Leiter eines Verbands, er sei mit anderen Vertreter*innen von Behindertenverbänden vom Präsidenten des nationalen Parlaments eingeladen worden. Vorort angekommen habe er dann aber am Gespräch nicht teilnehmen können, weil das Büro des Politikers im ersten Stock lag und nur über eine Treppe zugänglich war. Er habe daraufhin nur einem Termin mit einem Mitarbeiter bekommen und so seine Anliegen nicht direkt mit dem Parlamentspräsidenten besprechen können.
Zugleich hörten wir von einzelnen Erfolgsgeschichten die zeigen, wie sehr die Qualität von Vorhaben steigen kann, wenn die Perspektive von Menschen mit Behinderungen einbezogen wird. So forderten Organisationen von Menschen mit Behinderungen erfolgreich bei einer nationalen afrikanischen Wahlkommission ein, eine Person für die inklusive Organisation der Wahlen einzustellen, um Zugangsbarrieren für Menschen unterschiedlicher Beeinträchtigungen abzubauen. So erreichten sie eine bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an den Wahlen.
Wer sich auf das Abenteuer der Partizipation einlässt, erfährt immer wieder Überraschungen. Wer glaubt, er wisse, was Menschen unterschiedlicher Hintergründe voraussichtlich sagen werden, irrt oft gewaltig. Wir bei CBM haben uns auf dieses Abenteuer eingelassen. Wir wollten es nicht bei der Forderung nach inklusiven Partizipationsprozessen belassen. Wir wollten zeigen, dass und wie inklusive Partizipation gelingen kann. Gemeinsam mit unterschiedlichen Akteuren, mit CBMs Erfahrungen in unserer Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderungen in unseren Projekten im Rucksack, und natürlich in enger Zusammenarbeit mit Behindertenverbänden weltweit, haben wir einen Werkzeugkasten erstellt, der über eine barrierefreie Website allen zur Verfügung steht, die mehr über Partizipation lernen und praktische Tipps erhalten wollen. CBM’s Inclusive Participation Toolbox bietet alles von den menschenrechtlichen Grundlagen für Partizipation, Hinweisen zu Partizipation in der entwicklungspolitischen Praxis, Unterstützung bei der Überwindung von Schwellenangst (z.B. sensible Kommunikation und Interaktion mit Menschen mit Behinderungen), über Kontakte zu Behindertenverbänden bis zu einer Vielzahl von Checklisten, die die Planung inklusiver Partizipationsprozesse erleichtern.
Auch wir wurden häufiger überrascht. Nicht alle unsere Annahmen stellten sich als richtig heraus. So haben wir unterschätzt, wie oft die Verbände, die meist auf freiwilligem Engagement aufgebaut sind, an ihrer Belastungsgrenze arbeiten. Nicht jede Anfrage nach Beratung können sie neben ihrer Aufgabe der Interessenvertretung ihrer Mitgliedschaft beantworten. Und nicht immer waren wir auf der Höhe unserer eigenen Ansprüche. Inklusive Partizipationsprozesse profitieren oft von vorausschauender Planung. Wenn Informationen bereits mehrere Tage vor einem Treffen bereitgestellt werden, kann dies vielen Menschen helfen, sich besser vorzubereiten und aktiv einzubringen – unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Diese Praxis berücksichtigt unterschiedliche Bedürfnisse und schafft eine Grundlage für echte Teilhabe und Vielfalt in der Diskussion. Hierzu passt es schlecht, wenn man seine Präsentation erst kurz vorher fertigstellt.
Wir haben viel gelernt und die Anstrengung (ganz klar, Partizipation ist anstrengend!) hat sich gelohnt. Ich möchte Ihnen Mut machen, sich auch auf dieses Abenteuer einzulassen. Denken Sie dabei an eine neue Sportart: Der Einstieg kann herausfordernd sein, aber mit der Zeit kommt Routine ins Spiel. Je mehr Sie üben, desto sicherer werden Sie – und der Spaß am Miteinander wächst. Fangen Sie an, seien Sie nicht zu streng mit sich, geben Sie nicht auf, genießen Sie den Hürdenlauf. Es lohnt sich! Die Qualität Ihrer Arbeit wird sich verbessern. Wenn wir die Perspektiven von Menschen mit Behinderungen von Anfang an einbeziehen, haben wir die besten Chancen, dass unser Vorhaben inklusiv wird. So öffnen wir nicht nur die Tür zur Teilhabe von Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen, sondern auch für andere Gruppen, die von Diskriminierung betroffen sind. Und wie im Sport gilt: Gemeinsam erreichen wir mehr – in der Entwicklungszusammenarbeit genauso wie in unserem Zusammenleben hier in Deutschland.
Veronika Hilber ist Mitarbeiterin im Team Politische Arbeit der CBM Christoffel Blindenmission. Die Juristin engagiert sich seit 20 Jahren für Menschenrechte in der internationalen Zusammenarbeit. Als Mitarbeiterin der Vereinten Nationen in der Demokratischen Republik Kongo leitete sie die Menschenrechtsarbeit in von Armut, Unterentwicklung und kriegerischen Konflikten betroffenen Regionen des Landes und setzte sich dafür ein, die Stimme von Menschen, die in ihren Menschenrechten verletzt wurden, hörbar zu machen und ihr Bewusstsein für ihre eigenen Rechte zu stärken. Für die CBM arbeitet sie seit 2015 an Themen rund um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im internationalen Bereich (Art. 32 UN-BRK). Ein besonderes Anliegen ist ihr die Förderung des Rechts von Menschen mit Behinderungen auf Partizipation.