Das Thema Organspende beschäftigt mich schon seit sehr langer Zeit. Als die erste Herztransplantation stattgefunden hat, war ich noch ein kleiner Junge. Das war damals eine Riesensensation. Dank des medizinischen Fortschritts haben wir inzwischen ein sehr gutes Netz geschaffen, innerhalb dessen Nieren, Herzen, Lebern und Lungen, ja sogar Bauchspeicheldrüsen transplantiert werden können. Für diejenigen, die ein neues Organ erhalten, ist das – das berichten die Betroffenen immer wieder – wie ein neues Leben. Anders herum ist es für nicht wenige Betroffene ein sicheres Todesurteil, wenn nicht rechtzeitig ein passendes Spenderorgan gefunden wird.
Um das von vornherein klarzustellen: Niemand darf zu einer Organspende gezwungen werden. Es ist ganz allein die Entscheidung eines jeden Einzelnen, ob sie oder er Organe spenden möchte. Die Gesellschaft hat hier jede Entscheidung zu respektieren. Die Entscheidung muss im Übrigen auch nicht begründet werden. Aber ich bin der Meinung, dass die Gesellschaft es den Menschen abverlangen kann, eine Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu treffen. Genau darauf zielt die Widerspruchslösung. Denn in Wahrheit haben wir meines Erachtens kein Problem bei der Bereitschaft der Menschen, Organe zu spenden. In Wahrheit haben wir ein Dokumentationsproblem.
Seit vielen Jahren stehen die Menschen in Deutschland Organspenden positiv gegenüber. Das zeigen die regelmäßigen repräsentativen Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): 2016 waren es 81 Prozent, 2018 waren es 84 Prozent, 2020 waren es 82 Prozent und zuletzt waren es 2022 84 Prozent, die Organspenden positiv gegenüberstehen. Das heißt: Wir haben seit Jahren konstant eine sehr große Mehrheit. Zugleich haben jedoch nur 44 Prozent ihren Entschluss in einem Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder in beidem dokumentiert.
Was das für die Menschen bedeutet, die teilweise dringend auf ein benötigtes Spenderorgan warten, kann man auch in Zahlen verdeutlichen: Deutschlandweit warteten zum Stichtag 31. Dezember 2023 fast 8.400 Patientinnen und Patienten auf ein Spenderorgan. Zugleich wurden im Jahr 2023 in Deutschland nur knapp 2.900 Organe von 965 Personen gespendet. Die Zahlen bewegen sich seit Jahren auf einem vergleichbaren Niveau und das ist deutlich zu wenig. Oder anders ausgedrückt: Das ist eine massive Lücke, die am Ende über Leben und Tod entscheiden kann.
Das alles zeigt mir: Die sogenannte Entscheidungslösung, nach der eine Organentnahme nur dann zulässig ist, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten eingewilligt hat oder, falls keine derartige Zustimmung vorliegt, der oder die nächste Angehörige unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen entscheidet, kann nicht mehr die Lösung sein. In Europa stehen wir damit im Übrigen inzwischen fast einsam da. Im Rahmen von Eurotransplant sind wir schon lange ein Nehmerland, sprich: Wir erhalten von unseren europäischen Partnern viel mehr Organe, als wir ihnen geben können. Von gelebter Solidarität sind wir hier also meilenweit entfernt.