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Organspende: Die Widerspruchslösung kann Leben retten

Die Gesellschaft kann es den Menschen abverlangen, eine Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu treffen

Karl-Josef Lauman darüber, warum die aktuelle Entscheidungslösung nicht ausreicht, wie die Widerspruchslösung funktioniert und welche Vorteile sie bietet – für Betroffene, Angehörige und die Gesellschaft.

Das Thema Organspende beschäftigt mich schon seit sehr langer Zeit. Als die erste Herztransplantation stattgefunden hat, war ich noch ein kleiner Junge. Das war damals eine Riesensensation. Dank des medizinischen Fortschritts haben wir inzwischen ein sehr gutes Netz geschaffen, innerhalb dessen Nieren, Herzen, Lebern und Lungen, ja sogar Bauchspeicheldrüsen transplantiert werden können. Für diejenigen, die ein neues Organ erhalten, ist das – das berichten die Betroffenen immer wieder – wie ein neues Leben. Anders herum ist es für nicht wenige Betroffene ein sicheres Todesurteil, wenn nicht rechtzeitig ein passendes Spenderorgan gefunden wird.

Um das von vornherein klarzustellen: Niemand darf zu einer Organspende gezwungen werden. Es ist ganz allein die Entscheidung eines jeden Einzelnen, ob sie oder er Organe spenden möchte. Die Gesellschaft hat hier jede Entscheidung zu respektieren. Die Entscheidung muss im Übrigen auch nicht begründet werden. Aber ich bin der Meinung, dass die Gesellschaft es den Menschen abverlangen kann, eine Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu treffen. Genau darauf zielt die Widerspruchslösung. Denn in Wahrheit haben wir meines Erachtens kein Problem bei der Bereitschaft der Menschen, Organe zu spenden. In Wahrheit haben wir ein Dokumentationsproblem.

Seit vielen Jahren stehen die Menschen in Deutschland Organspenden positiv gegenüber. Das zeigen die regelmäßigen repräsentativen Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): 2016 waren es 81 Prozent, 2018 waren es 84 Prozent, 2020 waren es 82 Prozent und zuletzt waren es 2022 84 Prozent, die Organspenden positiv gegenüberstehen. Das heißt: Wir haben seit Jahren konstant eine sehr große Mehrheit. Zugleich haben jedoch nur 44 Prozent ihren Entschluss in einem Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder in beidem dokumentiert.

Was das für die Menschen bedeutet, die teilweise dringend auf ein benötigtes Spenderorgan warten, kann man auch in Zahlen verdeutlichen: Deutschlandweit warteten zum Stichtag 31. Dezember 2023 fast 8.400 Patientinnen und Patienten auf ein Spenderorgan. Zugleich wurden im Jahr 2023 in Deutschland nur knapp 2.900 Organe von 965 Personen gespendet. Die Zahlen bewegen sich seit Jahren auf einem vergleichbaren Niveau und das ist deutlich zu wenig. Oder anders ausgedrückt: Das ist eine massive Lücke, die am Ende über Leben und Tod entscheiden kann.

Das alles zeigt mir: Die sogenannte Entscheidungslösung, nach der eine Organentnahme nur dann zulässig ist, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten eingewilligt hat oder, falls keine derartige Zustimmung vorliegt, der oder die nächste Angehörige unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen entscheidet, kann nicht mehr die Lösung sein. In Europa stehen wir damit im Übrigen inzwischen fast einsam da. Im Rahmen von Eurotransplant sind wir schon lange ein Nehmerland, sprich: Wir erhalten von unseren europäischen Partnern viel mehr Organe, als wir ihnen geben können. Von gelebter Solidarität sind wir hier also meilenweit entfernt.

„In der Regel wird dann die Organspende aus Angst davor abgelehnt, möglicherweise gegen den Willen des Verstorbenen zu handeln.“

Karl-Josef Laumann

Vor diesem Hintergrund setze ich mich schon seit langem für die Widerspruchslösung ein. Die Einführung wird diejenigen, die keine Organe spenden wollen, dazu bewegen, dies auch zu dokumentieren. Denjenigen, die Organe spenden wollen, wird die Dokumentation abgenommen, weil sie automatisch als Organspenderinnen und -spender gelten. Zugleich werden im Übrigen auch die Angehörigen entlastet: Wenn Menschen ihre Einstellung nicht hinterlegt haben, müssen diese nämlich entscheiden. In der Regel wird dann die Organspende aus Angst davor abgelehnt, möglicherweise gegen den Willen des Verstorbenen zu handeln.

Aus diesem Grund hat Nordrhein-Westfalen unter meiner Federführung im Bundesrat gemeinsam mit sieben weiteren Ländern einen Antrag zur Einführung der Widerspruchslösung eingebracht, der im Sommer 2024 mit großer Mehrheit von der Länderkammer beschlossen worden ist. Damit stand das Thema auch wieder auf der Agenda des Deutschen Bundestags. Ich habe das übrigens im vollen Bewusstsein getan, dass der Bundestag in der Vergangenheit bereits über dieses Thema beraten und die Widerspruchslösung abgelehnt hat. Warum? Seitdem ist einiges an Zeit vergangen und der Bundestag ist ein anderer, als er es damals war. Und: Die Lücke zwischen den gespendeten Organen und den Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, ist eklatant. Ich bin der Meinung, dass die Menschen in Deutschland vom Gesetzgeber zu Recht erwarten, dass er harte Fakten nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern die rechtliche Lage anpasst, wenn es ein massives Problem gibt.

Zugleich ist mir die veränderte politische Lage mit der anstehenden Auflösung des Bundestags und den Neuwahlen natürlich sehr bewusst. Ich sage aber ganz klar: Der aktuelle Bundestag kann diese Entscheidung noch treffen, und er sollte sie treffen. Für viele Betroffene kann eine weitere Verzögerung über die Entscheidung ansonsten verheerend sein, da wichtige Zeit ungenutzt vergeht. Dessen sollten sich alle Abgeordneten bewusst sein.

Abschließend möchte ich in diesem Zusammenhang an etwas erinnern, was ich auch in meiner Rede im Bundestag angesprochen habe: Ich weiß durch viele Gespräche als Gesundheitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen und in meinem Wahlkreis, welche Hoffnungen nicht nur schwer erkrankte Menschen, sondern auch ihre Familien mit einer Organtransplantation verbinden. Die Bereitschaft zur Organspende ist hier für mich – und das sage ich natürlich auch als überzeugter Christ – der schönste Liebesbeweis, den ein Mensch über sein Leben hinaus der Menschheit erbringen kann.

Land NRW / Ralph Sondermann

Karl-Josef Laumann, geboren 1957 in Riesenbeck, ist Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales und Mitglied des Landtags Nordrhein-Westfalen.

Den Beitrag zur Zustimmungslösung von Hermann Gröhe finden Sie hier.

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