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Als Tim Fehlbaums Kinodebüt „Hell“ im Jahr 2011 in die deutschen Kinos kam, war das eine kleine Sensation. Ein Genrefilm in Deutschland. Eine beeindruckende, apokalyptische Zukunftsvision, die sich durchaus mit amerikanischen Vorbildern messen lassen konnte. Ein intimer Blick auf die globale Klimakatastrophe, die sich fast wie eine Endzeitdokumentation anfühlte. Finanziert wurde „Hell“ mit moderaten europäischen Mitteln, unterstützt von Roland Emmerich, der zu den ersten deutschen Regisseuren gehörte, die in Hollywood erfolgreich große Action- und Sciencefiction-Filme produzierten.
Tim Fehlbaum, geboren 1982 in Basel, studierte von 2002 bis 2009 an der Hochschule für Film und Fernsehen in München (HFF) Regie. Dort entstanden mehrere Kurzfilme, unter anderem der mit dem Shocking Short Award ausgezeichnete „Für Julian“. Nach seinem Kinodebüt „Hell“ brauchte es zehn Jahre bis zum nächsten Film – ein Prozess, in dem Fehlbaum entschied, sich nicht von Hollywood verführen zu lassen. In „Tides“ entwarf er erneut ein düsteres Bild der Zukunft, auf die Dürre von „Hell“ folgte die Überschwemmung, wieder aus einem realen Ort heraus erzählt. Der Schweizer hatte die deutsche Nordseeküste entdeckt, und fand, dass sie recht apokalyptisch anmutete. „Wenn man da einen Menschen im Astronautenanzug ins Wasser stellt, entsteht der Eindruck einer völlig fremden Welt.“
Nach zwei Sciencefiction-Filmen ging Tim Fehlbaum mit seinem dritten Film“ September 5“ radikal neue Wege – mit einem historischen Stoff, der als Kammerspiel im Newsroom angelegt ist. So wie in den Zukunftsvisionen von „Hell“ und „Tides“ ein Kommentar zum Klimawandel mitschwang, spielt Fehlbaum nun über die Vergangenheit des Münchner Olympia-Attentats auf den heutigen Umgang mit Medien an. Amerikanische Kritiker haben „September 5“ für die Oscars ins Spiel gebracht.
Die Idee, einen Film über München 72 zu machen, gab es lange, bevor der Film seine jetzige Form als Kammerspiel im Newsroom gefunden hat. Was hat Sie als Nachgeborener dieser Ereignisse an dem Stoff gereizt, der ja auch schon mehrfach verfilmt wurde?
Tim Fehlbaum: Zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung gekommen bin ich mit dem Dokumentarfilm „One Day in September“ von Kevin MacDonald. Hinzu kommt, dass ich an der HFF in München studiert habe, wo diese Geschichte immer noch sehr präsent ist. Wir hatten das Gefühl, dass da noch ein Bindeglied fehlt, zwischen „München“ von Spielberg, in dem es um die Auswirkungen danach geht, und dem Fernsehfilm „München 72 – das Attentat“ von 2012, in dem Dror Zahavi die Ereignisse nachgestellt hat. Aus unserer Sicht fehlte eine direkte, filmische Auseinandersetzung mit diesem historisch wichtigen Tag. Der Fokus auf die Medien kam dann ein bisschen später dazu.
Wie haben Sie zu diesem sehr speziellen Blickwinkel gefunden?
Tim Fehlbaum: Der Autor Moritz Binder, die beiden BerghausWöbke-Produzenten Thomas Wöbke und Philipp Trauer und ich hatten sehr viel recherchiert. Mit „Hell“ und „Tides“ hatte ich vorher zwei völlig andere Filme gemacht, wusste also, wenn wir diesen historisch wichtigen Tag angehen, müssen wir ganz genau wissen, worüber wir reden. Während der Recherchen wurde mir dann klar, was für eine entscheidende Rolle die Medien gespielt haben, ja, dass dieser Tag ein Wendepunkt in der Mediengeschichte war, in vielerlei Hinsicht eine Präzedenzsituation, auch weil zum ersten Mal live über ein Ereignis berichtet wurde. Das hat mich sehr gereizt. Daraus ergab sich der Kontakt zu Geoffrey Mason, der damals als 28jähriger ausführender Produzent von ABC war und im Film von John Magaro gespielt wird. Er hat diesen 22 Stunden-Live-Berichterstattungs-Marathon hautnah miterlebt und sagt, dass er sich an diesen Tag erinnert, wie an keinen anderen seiner Karriere. Das war die Initialzündung dafür, diese Geschichte auf diese Perspektive zu verengen.
Die Bilder dieses schwarz gekleideten, schemenhaften, maskierten Mannes auf dem Balkon sind Ikonen der Medienberichterstattung, sie wurden damals von einer Milliarde Menschen gesehen, das waren mehr als drei Jahre zuvor bei der Mondlandung. Wann haben Sie diese Bilder zum ersten Mal bewusst wahrgenommen?
Tim Fehlbaum: In dem Dokumentarfilm „One Day in September“.
Ihr Film hat einen gewissen Antonioni-„Blow-Up“-Effekt: Da gibt es ein schemenhaftes Bild und die Frage, was verbirgt sich dahinter, in diesem Fall, was bedeutet es in Bezug auf die Medienrezeption?
Tim Fehlbaum: Genau. Interessant fand ich in der Vorbereitung, dass viele Menschen gar nicht so genau wissen, was an dem Tag konkret passiert ist. Was aber jeder kannte, war genau dieses Bild. Das sagt für mich viel aus über die Macht der Bilder und was sich ins kollektive Gedächtnis einbrennt.
Eine wichtige Rolle in Ihrem Film spielen die Originalaufnahmen der ABC von damals. Wie haben Sie diese Bilder mit den von Ihnen selbst inszenierten verschmolzen?
Tim Fehlbaum: Nicht alle Bilder, die man auf den Monitoren sieht, sind Archivmaterial, einige davon haben wir nachgedreht. Trotzdem war es mir extrem wichtig, das Originalmaterial zu bekommen. Die Ereignisse im Olympiadorf kann man nachinszenieren, was sich nicht reproduzieren lässt, ist das menschliche Element, etwa von Jim McKay, der damals Sport-Moderator von ABC war. Solche Momente mit einem Schauspieler authentisch nachzustellen, ist praktisch unmöglich. Diese Originalbilder nahtlos mit unseren inszenierten Szenen zu verbinden, war mir ein essenzielles Anliegen. Aus diesem Grund liefen sie auch schon beim Dreh auf den Monitoren in echt, was sehr viel einfacher klingt, als es de facto ist: Die ganze Technik wollten wir unbedingt akkurat darstellen, mit der Körnigkeit der Siebzigerjahre-Bilder auf allen Monitoren. Die Zuschauer müssen ein Gefühl für die analoge Technik von damals bekommen, das heißt, die Displays im Hintergrund durften auf keinen Fall die Qualität von heute haben. Entsprechend mussten die neuen, von uns gedrehten Szenen an das Material von damals angeglichen werden. Darum hat der Kameramann Markus Förderer eine ganze Reihe von Testaufnahmen auf Film gedreht.
Was Ihre sehr unterschiedlichen drei Spielfilme verbindet, ist so ein diffuses Element: der Staub und die Sonne in „Hell“, Nebel und Wasser in „Tides“ und jetzt in „September 5“ die grobkörnigen Fernsehbilder aus den Siebzigerjahren. Ist das auch ein Trick, um Kosten zu sparen und damit Hollywood-Geschichten in europäischem Budgetrahmen erzählen zu können?
Tim Fehlbaum: Ich bin überzeugt, dass eine Begrenzung der finanziellen Mittel dazu anregen kann, kreativ interessante Lösungen zu finden. Mit „Hell“ wollten wir mit sehr kleinem Budget einen apokalyptischen Film drehen. Da wir uns computergenerierte Bilder nicht leisten konnten, haben wir die Bilder überstrahlt. Jetzt in „September 5“ gibt es die Begrenzung des Raumes, ein breiterer Ansatz wäre sehr viel schwieriger zu finanzieren gewesen. Oft ist es aber auch sehr viel besser, etwas nicht zu zeigen. Das beste Beispiel dafür ist in meinen Augen immer noch „Der weiße Hai“ von Steven Spielberg. So unheimlich ist der Hai vor allem, weil man ihn lange nicht sieht. Damals ist das aus einer Not heraus entstanden, weil der Roboter-Hai einfach nicht funktioniert hat. Man musste nach Alternativen suchen, die den Film viel interessanter und eindringlicher gemacht haben.
Tom Ziora
Geplant war der Film lange vor dem Attentat der Hamas, und am 7. Oktober 2023 war er auch schon abgedreht. Dieser Tag hat Ihren Film noch brisanter gemacht. Haben sie darauf im Schnitt reagiert?
Tim Fehlbaum: Nein, wir waren bereits in der Postproduktion, als der Konflikt auf so tragische Weise eskaliert ist. Natürlich wird das aktuelle Weltgeschehen Einfluss darauf haben, wie der Film jetzt wahrgenommen wird. Aber uns geht es ganz klar um diesen historischen Moment und den Wendepunkt in der Mediengeschichte. Der Film soll eher dazu anregen, sich Gedanken über den eigenen Medienkonsum zu machen, über die Komplexität von Krisenberichterstattung und über die Macht der Bilder.
„September 5“ ist ein Film über Ethik und Moral der Bilder. In welchem Maße beschäftigt Sie das auch persönlich als Filmregisseur?
Tim Fehlbaum: Das ist eine gute Frage, die wir gerade auch im Schneideraum viel diskutiert haben: Was zeigt man, und wie lang? Da war der Editor Hansjörg Weißbrich für mich ein wichtiger Anker, mit seiner großen Erfahrung hat er ein gutes Gefühl für genau diese Fragen.
Aber welche Fragen stellen Sie sich persönlich in diesem Zusammenhang? Wann hatten Sie mal das Gefühl, aufpassen zu müssen?
Tim Fehlbaum: Zum Glück waren wir nicht wirklich mit der Frage konfrontiert, da am 5. September 1972 vor der Kamera keine Gewalt passierte. Sonst hätten auch wir uns überlegen müssen, zeigen wir das oder nicht? Aber indem wir uns an die Perspektive der Journalisten im Newsroom gehalten haben, war eine relativ klare Linie vorgegeben.
Ich meinte genereller die Fragen, die sich Ihnen als Filmregisseur beim Bildermachen stellen: Was sind ehrliche Bilder, ist die innere Integrität gewahrt?
Tim Fehlbaum: In meiner Arbeit als Kameramann bei Dokumentarfilmen hatte ich es teilweise auch mit schweren Stoffen zu tun, wir haben beispielsweise einen Film über Street Punks in Moskau gedreht. Gelegentlich ertappt man sich bei dem Wunsch, dass vor der Kamera etwas Dramatisches passiert, damit man ein interessantes Bild hat. Mit diesem Dilemma ist man immer wieder konfrontiert, und das ist eine Frage, die sich natürlich auch in „September 5“ widerspiegelt.
Sie haben drei Filme gemacht, die alle die Gegenwart über einen Umweg thematisieren, zweimal über die Zukunft und jetzt über die Vergangenheit. Misstrauen Sie der Gegenwart?
Tim Fehlbaum: Nein, gar nicht. Nehmen wir beispielsweise „Hell“, den haben wir gedreht, lange bevor der Klimawandel so prominent dauerpräsent war. Bei „September 5“ schauen wir in dieser spezifisch historischen Perspektive auf die Vergangenheit und regen damit hoffentlich an, über den Medien- und Nachrichtenkonsum in unserer Gegenwart nachzudenken. Sowohl beim Zukunfts- wie beim Historienfilm finde ich interessant, dass man mithilfe einer anderen Zeit Aussagen über die Gegenwart treffen kann. Es ist ja auch so, dass der zeitliche Abstand den Blick klärt. Inzwischen merke ich, dass es noch eine andere Gemeinsamkeit gibt, die viele meiner Filme verbindet: die Bild im Bild-Idee: Beginnend mit „Für Julian“, meinem ersten Film an der Hochschule, bis zu „September 5“ geht es immer wieder auch um die Entstehung der Bilder im Film, im Fernsehen.
Ihre bisherigen drei Spielfilme sind sehr unterschiedlich in der Realität verwurzelt: Wie sehen Sie das fragile Verhältnis von Realität und Fiktion beim Filmemachen?
Tim Fehlbaum: Das ist die Frage, die man sich bei einem Film über ein wahres Ereignis stellen muss. Das fängt schon damit an, dass wir die reale Dauer von 22 Stunden auf 90 Minuten verdichtet haben. Die Figur, die John Magaro spielt, gab es; andere Figuren, wie die von Leonie Benesch gespielte deutsche Übersetzerin, sind eine Fusion aus mehreren Personen, die damals anwesend waren. Bis hin zum Schnitt ist man ständig damit konfrontiert, wo man möglichst nah an der Realität bleiben will, und wo verdichten wir zum Besseren des Films.
Sie wurden stark von Roland Emmerich gefördert und haben ihn auch als Vorbild bezeichnet Doch im Unterschied zu seinen Blockbuster-Filmen interessieren Sie sich stärker für atmosphärische Orte und komplexe Charaktere. Hätten Sie denn auch mal Lust auf die Möglichkeiten eines grenzenlosen Budgets?
Tim Fehlbaum: Für mich ist das vom Stoff abhängig. Mich interessiert nicht, ob es ein großer oder ein kleiner Film ist. Mich interessiert in erster Linie die Geschichte, die Idee. Eine der wichtigsten Lektionen, die ich aus „September 5“ gelernt habe, ist die Bedeutung der Perspektive: Wenn man sich streng auf eine konzentriert, kann man wirklich in die Tiefe gehen. Sehr prägend war für mich auch meine Zeit an der Filmhochschule, in der ich viel Kameraarbeit für Dokumentarfilme gemacht habe. Bis heute suche ich immer nach einer dokumentarisch anmutenden, inneren Wahrhaftigkeit in der Darstellung.
Europäische Filmemacher träumen oft von Hollywood. Sie scheinen dagegen ziemlich immun zu sein. Nach „Hell“ gab es viele Angebote aus Amerika, die Sie alle ausgeschlagen haben, um die dystopische Vision von „Tides“ an der Nordsee zu drehen.
Tim Fehlbaum: Mir liegt sehr viel an meiner Filmfamilie. Mit dem Produzenten Thomas Wöbke habe ich jetzt den dritten Film gemacht, mit seinem Partner Philipp Trauer den zweiten. Ich habe ein wunderbares Team, mit dem ich schon so viel zusammengearbeitet habe. In Europa Filme zu machen ist schon toll.
Wie kam es nach dem großen Erfolg ihres Debütfilms „Hell“ zu den zehn Jahren Pause bis „Tides“?
Tim Fehlbaum: Die Pause war zu lang, auch weil mich dieser Erfolg überwältigt hat. Eine Zeitlang bin ich dann in Amerika in diese Meetings gegangen, habe Drehbücher gelesen, um aber bald zu begreifen, dass das nicht meine Art des Filmemachens ist, dass ich lieber mit den Leuten, die ich hier kenne, weiterarbeiten will. Dieser Prozess hat viel Zeit beansprucht, dazu kam dann noch die sehr lange Schreib- und Vorbereitungsphase meines zweiten Films. Im Vergleich dazu ging jetzt alles sehr viel schneller.
Wird Ihnen nicht ein bisschen schwindlig, angesichts der Hymnen, die aus Amerika kamen nachdem „September 5“ auf den Festivals in Venedig und Telluride lief. Da gab es Vergleiche mit Robert Altman oder Alan J. Pakulas „Die Unbestechlichen“, dem vielleicht berühmtesten aller Journalistenfilme über die Watergate-Affäre.
Tim Fehlbaum: Vor allem fühle ich mich geehrt, dass der Film auch nur annähernd in diesem Zusammenhang wahrgenommen wird. Besonders gefreut hat uns, dass sehr viele Leute aus der Fernsehwelt, gerade auch in Amerika, uns gesagt haben, dass sie ihre Welt im Film sehr authentisch dargestellt sehen. Das größte Kompliment war, als Geoffrey Mason, der im Film von John Magaro gespielt wird, sich nach der Sichtung des Films zu uns umgedreht hat und nur sagte: „Genau so hat es sich angefühlt.“ So ging es auch Sean McManus, dem Sohn des Sportreporters Jim McKay, der damals als Teenager dabei war. Das war schon ein besonderes Lob.
Zweimal Science Fiction, jetzt Historie. Zweimal die Weite der Landschaft, jetzt der begrenzte Raum eines Kammerspiels: Das klingt fast wie ein Neustart?
Tim Fehlbaum: Das ist schon ein starker Bruch, und ich muss sagen, dass ich diese intensive Arbeit mit dem Ensemble sehr genossen habe. Vor allem war es angenehm, nicht so abhängig von den Wetterbedingungen zu sein: Man weiß immer, man ist im Studio und wird auf jeden Fall drehen.
privat
Anke Sterneborg, geboren 1960 in Erlangen, Studium Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Publizistik in München und Berlin. Seit 1989 freie journalistische Arbeit über Film und Kunst u.a. für Süddeutsche Zeitung, ZEITonline, epdFilm. Diverse Veröffentlichungen u.a. in Reclam Filmklassiker, Katalog der Retrospektive Traumfrauen, Filmkonzepte Roman Polanski und Michael Haneke, Katalog Birgit Brenner, Wolfsburg 2021.
Seit 1990 regelmäßige Beiträge für rbbKultur, Portraits, Kritiken, Reportagen, „Kulturtermine“ (25 Minuten Features) unter anderem über Jean Seberg, Danny Boyle, Anton Corbijn, Clint Eastwood, Die Veränderung des filmischen Erzählens durch das Telefon, Heimat im Deutschen Film, Blindheit im Kino, Katastrophen im Kino. Zusammen mit Irene Höfer Arte-Documania-Portraits „IRIS“ über Iris Berben und „Barbara Sukowa - Spielen wie ein Kind“.