Veranstaltungsberichte
"Es gibt etwas, das stärker ist als alle Armeen der Welt, und das ist eine Idee, deren Zeit gekommen ist". Mit diesem Zitat von Victor Hugo eröffnete Annelise Vandremini, Expertin für nachhaltige Finanzen, den Workshop über die Kohlenstoffarme Industrie: Erneuerbare Energie in Lateinamerika. Laut der Expertin ist die Zeit für die unternehmerische Nachhaltigkeit gekommen, was sich dadurch beweisen lässt, dass auf Umweltthemen basierende Geschäftsvorhaben von Aktionären nicht nur immer häufiger werden, sondern auch immer besser ausgefeilt sind, wie kürzlich eine Reportage im Wall Street Journal angab.
Die Veranstaltung wurde vom Regionalprogramm Energiesicherheit und Klimawandel in Lateinamerika der Konrad Adenauer Stiftung (EKLA-KAS) und dem Zentrum für Nachhaltigkeitsstudien (GVces) der Hochschule für Betriebswirtschaftslehre der Getúlio Vargas Stiftung in São Paulo (FGV-EAESP) organisiert, um die Ergebnisse einer Studie zum Panorama der erneuerbaren Energien: der Industriesektor Lateinamerikas zu präsentieren.
Paula Peirão (GVces) stellte die Ergebnisse dieser Publikation vor, die auf der Grundlage von lateinamerikanischen Fallstudien (Mexiko, Chile, Peru und Kolumbien) beurteilt, wie innovative und effiziente Wirtschaftsinstrumente neben Vorschlägen von Public Policies die erneuerbare Energie in Brasilien fördern können.
Warum Studien über Lateinamerika? Die nationalen Klimaschutzbeiträge (Nationally Determined Contributions -NDCs), die von den vier untersuchten Ländern ratifiziert wurden, zeigen ähnliche Minderungsziele und Barrieren wie in Brasilien auf und ermöglichen aufgrund von gemeinsamen Herausforderungen einen gegenseitigen Lernprozess. Untersucht wurden gesetzliche Rahmen und Verwaltungsverfahren, die Finanzierungsmechanismen und die Schwierigkeiten dieser Länder, was die Umsetzung einer Politik für erneuerbare Energien angeht. Eine groβe Herausforderung für die Studie war die Beschaffung von Informationen, da die Datenbanken kaum standardisiert sind. Sogar der Begriff der erneuerbaren Energie selbst ist nicht einheitlich in der Region.
Die Barrieren des Sektors wurden erfasst und systematisiert, was als Grundlage diente, Vorschläge zur Förderung der Nutzung von erneuerbaren Energien in der Industrie auszuarbeiten. Die erfassten Barrieren wurden eingeteilt in direkte und indirekte sowie in solche von niedriger, mittlerer und hoher Intensität. Sie betreffen u.a. Probleme der Regulierung, der Entwicklungsstrategie sowie der fachlichen Ausbildung. Besonders hervorgehoben sind die wirtschaftlich-finanziellen Barrieren, zu denen u.a. die Einschätzung des finanziellen Risikos, Subventionen und Konkurrenz zu anderen Energieträgern, die Investitionskosten, das Vorhandensein und die gute Zugänglichkeit von Finanzierungsmechanismen zählen.
Der Präsentation folgte eine Diskussion zwischen den Referenten und dem Publikum.
Heloísa Schneider (Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik - CEPAL) lobte die Studie und zollte ihren Schussfolgerungen anerkennenden Beifall, vor allem hinsichtlich der Finanzierung. Sie teilte mit, dass eine dritte Fassung der Publikation der CEPAL über "Finanzierung der Abwendung des Klimawandels in Lateinamerika und in der Karibik" zum Jahresende veröffentlicht würde. Laut der von Schneider vorgestellten Daten betrug die Klimafinanzierung in Lateinamerika 2013, 2014 und 2015 etwa 19,7, 21,6 bzw. 21,1 Milliarden Dollar, wobei Brasilien einer der gröβten Klimafinanzierer der Region war. Auβerdem hätten lokale Entwicklungsbanken traditionell höhere Beteiligung als internationale Akteure, wie etwa die BNDES (Brasilianische Entwicklungsbank), gröβter Investor neben dem Klimafonds, dem Amazonas-Fonds und Brasiliens Kooperationsagentur ABC.
Grüne Anleihen zeigen langsam ihre Wirkung in der Region, besonders in Mexiko, Peru und Brasilien. Fonds für saubere Technologien und erneuerbare Energie sind historisch gesehen die, die am meisten bei der Klimafinanzierung in Lateinamerika gewachsen sind, wobei sich die Einsetzung der Mittel zu 40% auf die Erzeugung und Verteilung von Energie konzentriert, häufig zum Nachteil des Forstsektors, der Geldmittel an den Energiesektor verloren hat. Neue Nischen der erneuerbaren Energie entstehen in der Region, wie die Geothermie in Chile, die risikoreiche Prospektionsprojekte einschlieβen, die zwar ein groβes Potential darstellen, jedoch noch kaum bekannt sind.
Maria Netto (Interamerikanische Entwicklungsbank IDB), verantwortlich für den Bereich Kapitalmärkte und Finanzinstitute, betonte, dass die Debatte über die Finanzierung der erneuerbaren Energien in dem weiteren Kontext der notwendigen Investitionen in die allgemeine Infrastruktur Lateinamerikas (Transportwesen, Wasser, Abwasserentsorgung. Häfen und Flughäfen) eingebunden ist. Laut der IDB ist diese Finanzierung ohne den Zugriff auf private Investitionen nicht durchzuführen. Vor allem langfristige Investitionen sind ausschlaggebend, um technische Innovation zu fördern, die für den Sektor unerlässlich ist. Dafür reicht es nicht, das Finanzierungsangebot zu diskutieren, vielmehr ist es auch notwendig, den Finanzierungsbedarf zu verstehen, was zwangsläufig eine Analyse der Barrieren einschlieβt.
Die Referentin verdeutlichte am Beispiel Kolumbiens, wo 60% des Territoriums noch nicht an das Stromnetz angeschlossen ist und 90% der Bevölkerung in den Bergen lebt, dass diese abgelegene Bevölkerung ihren Strom mit Dieselöl als Kraftstoff erzeugt, der hohe Transportkosten mit sich bringt und hohe Subventionen erhält, was seinerseits die Regierung mit hohen Kosten belastet. Die Gemeinden sind prekär und verfügen kaum über ein strukturiertes Konzessionssystem (für auf kommunaler Ebene produzierte Energie). In diesen Fällen soll die IDB nicht nur Finanzierung bieten, sondern auch im Rahmen ihres Fachbildungsauftrages Modelle vermitteln, wie Konzessionen und Standardverträge strukturiert werden können, damit ein gröβerer Anteil von privaten Investitionen zugelassen wird und sich die Notwendigkeit von staatlichen Subventionen auf lange Frist verringert.
Renata Camargo (World Wildlife Fund - WWF Brasilien), Analystin für Public Policies, konzentrierte ihren Vortrag vor allem auf die Solarenergie, die eine wichtige Rolle in der nötigen Diversifizierung des Energiemixes spielt, was bezogen auf die brasilianische Energiesicherheit als wichtige Herausforderung angesehen wird. In den letzten Jahren hat der erhöhte Einsatz von thermischen Ersatzkraftwerken, verursacht durch den Ausfall von Wasserkraftwerken, den Prozentsatz an erneuerbarer Energie im brasilianischen, traditionell als sauber geltenden Energiemix reduziert. Gleichzeitig werden die hohen Kosten solcher thermischen Ersatzkraftwerke an den Verbraucher weitergegeben. Was die Reduzierung der Treibhausgase angeht, war stets die Bodennutzung die Hauptsorge (Landwirtschaft, Abholzung, Viehzucht), jedoch zeigt sich eine klare Tendenz zur Steigerung der Emissionen des Energiesektors als Ganzes, einschlieβlich des Verkehrswesens.
Anhand des Beispiels Deutschlands, das nur die Hälfte der brasilianischen Sonneneinstrahlung aufweist, wurde die einzigartige und gegenwärtige Chance zur Entwicklung der Solarindustrie in Brasilien betont, deren Wahrnehmung jedoch hauptsächlich von politischen Entscheidungen über die im Land einzuschlagende Richtung abhänge. Bei einem klaren Signal der Regierung würde sich der private Sektor stärker beteiligen, wobei die global spürbare Tendenz der Kostenreduzierung der Solaranlagen auch vielversprechend ist. Die Entwicklung der Photovoltaik wurde weltweit durch die sogenannten Einspeisetarife angekurbelt. So etwas ist möglich, wenn Regierungen die politische Entscheidung treffen, die Produktion von Energie mittels Kostenbeteiligung der Verbraucher zu fördern, wie es der Fall in Deutschland, Italien, Japan, den USA und Spanien ist.
Die Resolution Nr. 482/2012 der brasilianischen Energieagentur ANEEL gab einen wichtigen Impuls zur Förderung der Solarenergie im Land, zumal dadurch das Thema in den Mittelpunkt der Energiedebatte rückte. Weltweit ist mithin ein Prozess des Übergangs zur kohlenstoffarmen Wirtschaft eingeleitet, jedoch muss noch die Herausforderung angenommen werden, wie diese gerecht und nachhaltig gestaltet werden kann. Der regionale Austausch ist in diesem Sinne essentiell.