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Hendrik Sittig: „Um Qualitätsjournalismus zu haben, muss man ihn wollen“

Interview mit Hendrik Sittig, Leiter des KAS-Medienprogramms Südosteuropa, für das bulgarische Nachrichtenportal „Mediapool.bg“, veröffentlicht am 5. März 2020.

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Mediapool: Bulgarien steht innerhalb der EU-Mitgliedsländer am Ende der Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ zur Medienfreiheit. Ein ineffizientes Justizsystem und Korruption wurden als Haupthindernisse für die Meinungsfreiheit angeführt. Die Kontrolle der Medien durch Oligarchen und Politiker ist ebenfalls ein großes Problem und als Beispiel für die Marktmonopolisierung sieht man die Medienkonzentration durch den Geschäftsmann und DPS-Abgeordneten Delyan Peevski. Wie sehen Sie die Situation?

HS: Die Mediensituation in Bulgarien ist nach meiner Erfahrung und aus der Perspektive des deutschen Mediensystems schwierig. Sie wissen vom 111. Platz, dem letzten in der Rangliste unter den EU-Länder. Diese Situation hat sich in den vergangenen Jahren nicht verbessert, sondern verschlechtert und ist in der Tat eine sehr traurige Situation für ein EU-Mitgliedsland. Leider jedoch ist Bulgarien kein Einzelfall. Die Situation in allen Ländern in Südosteuropa ist ähnlich. Meines Erachtens sollte jede demokratische Institution in Bulgarien das Interesse und die Motivation haben, die Platzierung in dieser Rangliste zu verbessern. Ich denke, jeder Demokrat sollte sich bewusst sein, dass die Medienfreiheit eines der wichtigsten Elemente jeder Demokratie ist. Ziel unseres Medienprogramms ist es, die Arbeit von Journalisten und Medien zu unterstützen. Wir helfen Ihnen gern und geben unsere Unterstützung für die Medienfreiheit.

Mediapool: In wenigen Wochen läuft die vom bulgarischen Parlament festgelegte Frist für die Ausarbeitung eines "Plans zur Entwicklung des Medienumfelds" durch die bulgarische Regierung ab. Ist es Ihrer Meinung nach möglich, dass so eine Problemlösungstaktik gut funktioniert?

HS: Dies ist zumindest ein Zeichen und ein Hoffnungsschimmer. Denn anscheinend wird die schwierige Situation der Medien in Bulgarien auch in den politischen Kreisen als Problem wahrgenommen. Die Medienlandschaft kann nicht von der Gesellschaft getrennt betrachtet werden. Und deshalb ist die Situation in anderen südosteuropäischen Ländern ähnlich, weil sie alle einen langen Transformationsprozess von einem kommunistischen System zu einer Demokratie durchlaufen. Das Problem mit der Presse ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft, weil sie das Bewusstsein über die Notwendigkeit für freie Medien entwickeln muss. Ich bin allerdings skeptisch, wenn es eine Symbiose zwischen Politik und Medien gibt. Man muss jedoch sehen, dass Politiker die Orientierung für die gesamte Gesellschaft bestimmen. Daher scheint es mir gut, wenn die politischen Kreise eine ernsthafte Motivation entwickeln würden, sich für Medienfreiheit einzusetzen.

Mediapool: Sie sehen also eine Symbiose zwischen Politik und Medien in Bulgarien?

HS: Ja, leider. Das ist ein grundlegendes Problem in ganz Südosteuropa. Unser Medienprogramm beobachtet die Situation in insgesamt zehn Ländern. Diese Mischung aus Medien, Oligarchen und Politik macht die Mediensituation wirklich schwierig. Grundsätzlich sind Investitionen in Medien natürlich notwendig. Allerdings sollte Investoren bewusst sein, dass Medien frei sein müssen. Ein gutes Beispiel dafür ist Jeff Bezos, Eigentümer von „Amazon“, der die „Washington Post“ gekauft hat. Er investiert in die traditionsreiche Zeitung und gibt den Journalisten Freiheit. Dieses Modell ist gut, da weltweit insbesondere Printmedien wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten haben.

Mediapool: Wie sieht die Situation der öffentlich-rechtlichen Medien aus, insbesondere in den Ländern, in denen Sie eine Symbiose zwischen Politik und Medien sehen?

HS: Dies ist ein Sonderfall. Ich bin ein großer Verfechter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich habe 15 Jahre für solche Medien in Deutschland gearbeitet. Öffentlich-rechtliche Sender, wie ich sie aus Deutschland kenne, sind ein bedeutender Bestandteil der Demokratie - wenn sie unabhängig arbeiten können und gut finanziert sind.

 Mediapool: In den letzten Jahren gab es in den öffentlich-rechtlichen Medien große Turbulenzen. Das Bulgarische Nationalfernsehen (BNT) ist praktisch bankrott und sein Direktor schlägt Gesetzesänderungen vor, damit das Fernsehen mehr Geld vom Staat erhalten kann, indem es auf kommerzielle Werbung verzichtet. Gleiches gilt für das Bulgarische Nationalradio (BNR). Ist dies Ihrer Meinung nach ein richtiger Ansatz zur Stabilisierung der öffentlich-rechtlichen Medien?

HS: Die Diskussion über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt es europaweit, auch in Deutschland. Völlig unabhängige Sender kann es meines Erachtens nur über das Gebührenmodell geben. Denn nur auf diese Weise kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk Sprecher derjenigen sein, die die Gebühren bezahlen. Hierfür ist jedoch bei allen das Verständnis von Nöten, dass ein unabhängiger öffentlich-rechtlich Rundfunk wichtig für die Gesellschaft ist. Vergangenes Jahr haben wir eine Umfrage in ganz Südosteuropa durchgeführt. Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein wichtiger Bestandteil der demokratischen Gesellschaft ist; in Bulgarien waren sogar 80 Prozent dieser Meinung. Gleichzeitig hat jedoch bei der Umfrage das Finanzierungsmodell über Gebühren die geringste Zustimmung erhalten. Es sind also nur wenige Menschen bereit, für dieses Modell zu zahlen. Wenn wir jedoch freie und gut finanzierte öffentliche Medien haben wollen, müssen wir auch einen Weg finden, um dies zu ermöglichen. Öffentlich-rechtliche Sender sollten eine Quelle objektiver, seriöser und glaubwürdiger Information sein, insbesondere vor dem Hintergrund von Falschnachrichten.

Wenn das Finanzierungsmodell durch Rundfunkgebühren möglicherweise nicht durchsetzbar ist, muss ein anderes Modell gefunden werden. Im Prinzip spricht nichts dagegen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch den Staatshaushalt zu finanzieren. Es gibt Länder in Europa, in denen dies der Fall ist. Wenn dieses Modell gewählt wird, muss jedoch im Gesetz festgelegt werden, dass die Finanzierung konstant ist und nicht jedes Jahr geändert wird. Es muss auch gesetzlich sichergestellt sein, dass kein Politiker Einfluss auf die Medien ausüben darf.

Ein weiteres Risiko des politischen Einflusses liegt bei der Wahl der Aufsichtsgremien, die hier meist von politischen Kreisen bestimmt werden. Hier möchte ich auf das deutsche Modell verweisen. Wir haben auch Rundfunkräte, die unter anderem Intendanten wählen und die Etats festlegen, aber keine Kontrolle - weder direkt noch indirekt - über die Berichterstattung ausüben. In Deutschland sind diese Räte praktisch ein Spiegel der Gesellschaft. Sie haben je nach Sender mehr als 30 Mitglieder, die von bedeutenden Gesellschaftsgruppen nominiert und ausgewählt werden.

 

Das Gesamtinterview lesen Sie hier.

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