Wie sieht es derzeit an der griechisch-türkischen Grenze aus?
Die Lage hat sich seit mehr als einer Woche zunehmend beruhigt. Das hat mehrere Gründe: Zum einen hat die strikte Abriegelung der griechischen Seite die noch an der Grenze ausharrenden Migranten entmutigt, weiter auf eine Durchreise zu hoffen. Sie sind ins Landesinnere der Türkei zurückgekehrt. Zum anderen hat die Coronakrise jetzt nicht nur Europa sondern auch die Türkei fest im Griff. Präsident Erdogan hat inzwischen ebenfalls seine Grenzen aufgrund der Gefahr der weiteren Ausbreitung schließen müssen. Jedoch baut Griechenland an der Landgrenze seine Befestigungen aus, um für einen möglichen neuen Ansturm gerüstet zu sein. Derzeit kommen allerdings wegen Covid-19 auch über den Seeweg so gut wie keine Migranten auf den griechischen Inseln an.
Wie sieht es in den griechischen Hotspots auf den Inseln aus? Sind diese für eine mögliche Ausbreitung von Covid-19 gewappnet?
Die Situation in den Camps ist weiter schlimm. Zwar hat die Athener Regierung einige Maßnahmen zur Vorbereitung auf mögliche Coronafälle getroffen und gottseidank gibt es bis heute keine Infektion unter der Lagerbevölkerung auf den Inseln. Doch bei den derzeitigen, dicht gedrängten und unhygienischen Zuständen würde das einer Ausbreitung wahrscheinlich wenig entgegensetzen.
Immerhin, die auch in Griechenland bestehende landesweite Ausbreitungsgefahr hat jetzt die Mehrheit der Inselbewohner überzeugt, dass die von der Regierung im Bau befindlichen geschlossenen Einrichtungen außerhalb von einheimischen Ballungsräumen ein Schritt nach vorne sein könnten. Diese müssen aber unbedingt menschengerechte Lebensumstände für die Migranten und eine ausreichende gesundheitliche Versorgung gewährleisten können. Dafür müssen wir uns weiter einsetzen. Die EU und einzelne Mitgliedsstaaten wie Deutschland sind dazu in engem Austausch mit Athen.
Die Medien berichteten darüber, dass Deutschland und andere Länder eine Anzahl besonders bedürftiger Menschen und unbegleiteter Minderjähriger aufnehmen wollte. Jetzt haben die Niederlande und andere ursprünglich bereitwillige Staaten deren Aufnahme bis zur Entspannung der Coronakrise ausgesetzt. Und Deutschland?
Letzte Woche hat Berlin bekräftigt, trotz der derzeitigen Ausnahmesituation mehrere hundert Personen baldmöglichst aufnehmen zu wollen. Auch Luxemburg und Portugal sind dabei. Allerdings wird die Aufnahme durch Brüssel in direktem Austausch mit Athen koordiniert, damit nicht jeder Staat quasi eigenhändig Menschen auswählt. Dieser Prozess dauert noch an. In der gegenwärtigen Situation wäre ein schnelles Handeln jetzt aber eine gute Gelegenheit, die derzeit unter den Mitgliedsstaaten immer noch nicht ausreichend ausgeprägte europäische Solidarität unter Beweis zu stellen.
Ist eine neue Flüchtlingswelle nach dem Ende der Coronakrise wahrscheinlich? Was muss getan werden, um erneute Bilder wie vor einem Monat zu vermeiden, aber auch um endlich die Situation auf den Inseln nachhaltig zu verbessern?
Die Fluchtursachen werden nach Ende der Coronakrise wahrscheinlich noch stärker sein als bisher. Deshalb erscheint mir die Hilfe von der EU für die Bekämpfung von Covid-19 in den Entwicklungsländern eindeutig geboten. Aber klar ist auch: Die Türkei an der Grenze zu Europa spielt aufgrund ihrer Geografie eine Schlüsselrolle für uns, ob wir es wollen oder nicht. Deshalb führt kein Weg an einer Zusammenarbeit mit Ankara vorbei. Der EU-Türkei-Deal ist dafür immer noch die beste Grundlage. Derzeit laufen bereits auf Arbeitsebene Verhandlungen zwischen Brüssel und Ankara zu einer Neuauflage. Ich bin zuversichtlich, dass diese zustande kommt.
Was die Entlastung der Hotspots angeht, spielt Athen natürlich weiter eine Schlüsselrolle. Anders als unter der Vorgängerin hat die neue Regierung den Gesetzesrahmen angepasst, um die Asylverfahren zu beschleunigen. Darin liegt, das wissen wir aus eigener Erfahrung in Deutschland, der Schlüssel für eine Entlastung. Es ist noch ein weiter Weg zu gehen, aber Athen geht derzeit sehr konstruktiv vor, stimmt sich mit der EU ab und bekommt auch in diesen Zeiten ausreichend Unterstützung von Deutschland und der EU, nicht nur finanziell, sondern vor allem auch praktisch. In Sachen Migration müssen wir weiter - und bestimmt auch langfristig - eng zusammenarbeiten.