Wahlbeteiligung und Abschneiden der Parteibündnisse
Die Wahlbeteiligung lag laut Innenministerium bei 66,71 %. Somit sind 32 911 132 Französinnen und Franzosen zu den Wahlen gegangen. Eine ähnlich hohe Wahlbeteiligung gab es zuletzt 1997 mit 67,9% der registrierten Wähler.
Die Kandidaten des Rassemblement National erhielten laut den fast endgültigen Ergebnissen des Innenministeriums 33,15 % der Stimmen. Nach aktuellen Schätzungen könnte die Partei und ihre Verbündeten 230 - 280 Sitze in der Nationalversammlung gewinnen, was keiner absoluten ehrheit entspricht. Diese würde bei 289 Sitzen liegen. Die rechtspopulistische Partei war in der letzten Legislaturperiode mit 89 Abgeordnete in der Nationalversammlung vertreten. Die RN-Fraktionsvorsitzende Marine Le Pen als auch der Parteivorsitzende Jordan Bardella begrüßten die „Auslöschung des macronistischen Lagers“. Bardella bestätigte, dass er Premierminister der Kohabitation werden will und er verkündete, er werde die Verfassung und das Amt des Präsidenten respektieren, aber eine kompromisslose Politik führen.
Die von den Mitgliedsparteien der Neuen Volksfront NFP (darunter La France insoumise, die Sozialistische Partei, Les Ecologistes-EELV und die Kommunistischen Partei) aufgestellten Kandidaten erhielten laut Innenministerium im ersten Wahlgang 27,99% der Stimmen. Damit schneidet die NFP besser ab als die Nupes, das vorherige Wahlbündnis zwischen mehreren linken Parteien, das in der ersten Runde der Parlamentswahlen 2022 25,78 % der Stimmen erhalten hatte. Mit diesem zweiten Platz kann das Bündnis laut aktueller Prognosen auf 125 bis 165 Sitze in der Nationalversammlung hoffen – und wäre damit die zweitstärkste politische Kraft im Plenarsaal. Jean-Luc Mélenchon, der Gründer von La France Insoumise begrüßte "eine schwere und unbestreitbare Niederlage" für das Präsidentenlager.
Das Wahlbündnis Ensemble, das Renaissance, MoDem und Horizons vereint, erhielt laut Innenministerium in der ersten Runde nur 20,04% der Stimmen. Das Präsidentenlager muss sich somit laut einer ersten Hochrechnung mit einem Kontingent zwischen 70 und 100 Abgeordneten abfinden. Staatspräsident Emmanuel Macron begrüßte „die hohe Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang [die] die Bedeutung dieser Abstimmung für alle unsere Landsleute und den Willen zur Klärung der politischen Situation bezeugt“. Der Präsident rief mit Blick auf den zweiten Wahlgang außerdem zu einer „breiten, klar demokratischen und republikanischen Front" gegenüber der RN auf, ebenso wie Premierminister Gabriel Attal, für den „keine Stimme an die Rassemblement National gehen“ darf.
Les Républicains (LR) und das Lager der Bürgerlich-Konservativen konnten in der ersten Runde 10,2% der Stimmen auf sich vereinen. Mit diesem Ergebnis können sie laut einer Schätzung auf 41 bis 61 Sitze hoffen. In der letzten Legislaturperiode stellte LR 61 Abgeordnete in der Nationalversammlung.
Direktwahl, Stolpern der politischen Schwergewichte und Dreieckskonstellationen
Im ersten Wahlgang erhielten 76 Kandidaten genügend Stimmen, um direkt als Abgeordnete gewählt zu werden, davon 39 für Rassemblement National und ihre Verbündeten und 32 für die Neue Volksfront. Das ist allerdings weniger als 2007, als 110 Kandidaten direkt im ersten Wahlgang gewählt wurden.
Marine Le Pen siegte in ihrem Wahlkreis haushoch mit über 58 % der Stimmen. Im linken Lager wurde der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Olivier Faure, mit 53,42 % der Stimmen ebenfalls im ersten Wahlgang wiedergewählt, ebenso wie die Grünen-Abgeordnete Sandrine Rousseau (52,13 %) oder die Kommunistin Elsa Faucillon (64,83 %). Im Präsidentenlager gewann nur Pierre Cazeneuve im ersten Wahlgang mit 53,2 %.
Von den 24 Ministern, die bei den Parlamentswahlen kandidierten, schafften es 23 in die zweite Runde, jedoch konnte keiner die 50-Prozent-Marke überschreiten. Premierminister Gabriel Attal und Außenminister Stéphane Séjourné erhielten respektive 43,9 % und 46,1 %. 16 Minister müssen sich einer Wahl in einer Dreieckskonstellation stellen. Die Ministerin für Überseegebiete, Marie Guévenoux, sowie die delegierte Ministerin für Stadtpolitik, Sabrina Agresti-Roubache, haben sich als jeweils Drittplatzierte aus dem Wahlkampf zurückgezogen, um einen Sieg des Rassemblement National im Wahlkreis zu verhindern.
Die hohe Wahlbeteiligung von 66,7 % führte dazu, dass es viele Kandidaten in die zweite Runde geschafft haben. Dies ist auf die Wahlregeln zurückzuführen: Jeder Kandidat, der im ersten Wahlgang die Stimmen von mehr als 12,5 % der registrierten Wähler erhalten hat, kommt in den zweiten Wahlgang. Im Jahr 2022 waren sieben Wahlkreise von einer sogenannten Triangulaire (3 Kandidaten qualifizieren sich für den 2. Wahlgang) betroffen. Diesmal sind es 306. In fünf weiteren Wahlkreisen kommt es sogar zu einem zweiten Wahlgang mit vier Kandidaten.
Eine Neuformierung der politischen Landschaft zeichnet sich um drei Blöcke herum ab: Rassemblement National und Verbündete, die Neue Volksfront sowie Ensemble. In 244 Wahlkreisen erzielten die Kandidaten dieser drei Lager im ersten Wahlgang Ergebnisse, mit denen sie sich für den zweiten Wahlgang qualifizieren konnten (Triangulaire). Das ist fast die Hälfte der Wahlkreise, in denen noch ein zweiter Wahlgang stattfinden muss. In 46 weiteren Wahlkreisen entschieden sich die Wähler für Kandidaten der RN, der NFP und der LR und wählten somit das Präsidentenlager ab.
Ausblick auf den zweiten Wahlgang: Entscheidend werden Wahlempfehlungen und Rückzüge aus Dreieckskonstellationen sein[1]
Staatspräsident Emmanuel Macron rief zu einer „breiten, klar demokratischen und republikanischen Front" gegen Rassemblement National auf. Er präzisierte jedoch nicht, wie dies konkret im Rahmen des zweiten Wahlgangs am 7. Juli gelingen soll. Auch die Partei Renaissance blieb vage, was eine konkrete Wahlempfehlung für den zweiten Wahlgang betrifft. In den Wahlkreisen, in denen Renaissance-Kandidaten auf dem dritten Platz gelandet sind, will die Partei zugunsten der Kandidaten zurücktreten, die in der Lage sind, Rassemblement National zu schlagen. Wesentlich sei jedoch, dass Grundwerte geteilt werden. Premierminister Gabriel Attal betonte, dass „nicht eine Stimme an Rassemblement National gehen“ dürfe. Aber auch er forderte die drittplatzierten Kandidaten der Mehrheit auf, zugunsten eines „Kandidaten, der die Werte der Republik verteidigt“, zurückzutreten. Die scheidende Präsidentin der Nationalversammlung war etwas expliziter. Yaël Braun-Pivet rief dazu auf, im zweiten Wahlgang für den „republikanischsten“ Kandidaten zu stimmen, dies schließe jedoch eine gewisse Anzahl der Kandidaten der Nationalen Volksfront aus.
Der ehemalige Regierungschef Edouard Philippe äußerte sich noch deutlicher: „Keine Stimme darf an die Kandidaten des Rassemblement National oder La France insoumise gehen, mit denen wir nicht nur in Programmen, sondern auch in Grundwerten divergieren", schrieb der Präsident von Horizons in einer Erklärung.
Bereits vor dem ersten Wahlgang hatten mehrere Politiker der Linkskoalition angekündigt, dass sie sich im Falle von Dreieckskonstellationen mit Beteiligung des RN für einen Rückzug entscheiden werden. Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Olivier Faure, hatte im Vorfeld die Präsidentenmehrheit dazu aufgefordert, sich für seine Aufrufe, Macron im zweiten Wahlgang der letzten Präsidentschaftswahlen 2022 zu wählen, jetzt zu revanchieren.
Jean Luc Mélenchon, Gründer der Partei La France insoumise, verkündete einen Rückzug aller LFI-Kandidaten in den Wahlkreisen, in denen die Partei auf dem dritten Platz liegt. Raphaël Glucksmann von Place Publique, Spitzenkandidat des Sozialistischen Lagers bei den Europawahlen forderte alle drittplatzierten Parteien auf, sich im Falle von Dreieckskonstellationen gegenüber dem RN zurückzuziehen. Er fügte hinzu: „Die Geschichte schaut auf uns und richtet über uns“.
Keine Wahlempfehlungen geben die Républicains, die sich nicht gemeinsam mit Eric Ciotti dem RN angeschlossen haben, ab. Der Interimsvorstand der Partei weigerte sich, in den Wahlkreisen, in denen LR-Kandidaten nicht in die zweite Runde kommen, dazu aufzurufen, gegen die RN zu stimmen. „In den Fällen, in denen wir nicht in der zweiten Runde vertreten sind, gehen wir davon aus, dass die Wähler ihre Wahl frei treffen können, und geben keine nationale Anweisung und lassen die Franzosen nach ihrem Gewissen entscheiden", betonte LR in einem Kommuniqué, das u.a. von Senatspräsident Gérald Larcher, den ehemaligen Parteichefs Laurent Wauquiez und Jean-Francois Copé sowie vom EU-Spitzenkandidaten Francois-Xavier Bellamy unterzeichnet wurde. Der Europaabgeordnete François-Xavier Bellamy betonte noch am Wahlabend, dass „die Gefahr, die unser Land heute bedroht, die extreme Linke ist". Nach den Europawahlen hatte er bereits angekündigt, er werde im zweiten Wahlgang auf jeden Fall lieber für den RN als für das Linksbündnis neue Volksfront stimmen. In Pariser Politikkreisen wird LR mit dem Ausblick auf 41 - 61 Sitze in der Nationalversammlung bereits als Königsmacher für eine absolute Mehrheit des Rassemblement National gehandelt.
Staatspräsident Macron wollte als er antrat, die rechts–links-Spaltung des Landes beenden, doch nun ist sie schlimmer als zuvor. Der erste Wahlgang hat die Prognosen der letzten Tage bestätigt. Frankreich steuert auf eine Kohabitation mit Rechtspopulisten und eventuell auf eine Blockade seines politischen Systems zu. Für das deutsch-französische Verhältnis, die Europäische Union und die NATO sind dies düstere Aussichten. Es wird auf Dauer als Strategie nicht genügen, antiextremistische Notgemeinschaften zu bilden, um jetzt das Schlimmste für den 2. Wahlgang am 7. Juli zu verhindern, sondern die bürgerliche Mitte muss sich neuformieren, strategisch besser aufstellen und deutlich abgrenzen, will sie langfristig in Frankreich eine Chance haben.
[1] Die Studie stützt sich auf die Zahlen vom 1. Juli 12.00 Uhr. Bis zum 7. Juli sind weitere Rückzüge zu erwarten.
Bereitgestellt von
Auslandsbüro Frankreich
Themen
Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in rund 110 Ländern auf fünf Kontinenten mit einem eigenen Büro vertreten. Die Auslandsmitarbeiter vor Ort können aus erster Hand über aktuelle Ereignisse und langfristige Entwicklungen in ihrem Einsatzland berichten. In den "Länderberichten" bieten sie den Nutzern der Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung exklusiv Analysen, Hintergrundinformationen und Einschätzungen.