In den ersten Wochen der neuen Regierung konnte man in den Medien häufig Bilder sehen, in denen die beiden Parteivorsitzenden der Koalitionsparteien gemeinsame Termine wahrnahmen. Man schaute sich eine Bäckerei an, besuchte eine Pflegeeinrichtung und eine Polizeiinspektion – um nur einiges zu nennen. Die Botschaft war klar: Wir werden gut zusammenarbeiten, wir sind gewillt, eine erfolgreiche Regierung zu sein. Vertrauensbildendende Maßnahmen sozusagen. Die Umfragewerte zeigten, dass das Bemühen der Koalitionäre anerkannt wurde. Aber es gab so manchen, der von der guten Stimmung nicht überzeugt werden konnte; derzeit ist Honeymoon und irgendwann kommt dann der reale Alltag, die Koalitionsvereinbarungen bleiben hin-ter den Notwendigkeiten an Reformen zurück – so der Tenor vor allem aus der Wirtschaft. Sprach man mit Abgeordneten, war zu spüren, dass sie sich der ungewohnten Konstellation bewusst waren und dass es notwendig war, einander erst einmal besser kennenzulernen. Für den grünen Partner war es dabei besonders schwierig, in kurzer Zeit die benötigte Expertise zu beschaffen. Sowohl die alltäglichen Routinen mussten erst gefunden, die Ansprechpartner und Zuständigkeiten festgelegt, als auch Experten für die Ministerkabinette akquiriert werden. Die Grünen waren erst neu ins Parlament zurückgekehrt, nachdem sie 2017 den Einzug verpasst hatten, und Regierungserfahrung auf Bundesebene gab es noch gar keine.
Schon bald wurde deshalb mit konkreter Politik begonnen. Eine Reihe von Vorhaben wurde auf den Weg gebracht, wie beispielsweise die Schaffung von 2.000 neuen Ausbildungsplanstellen und 2.300 zusätzlichen Planstellen für die Polizei, ein neues Berufsausbildungsgesetz mit dem Ziel einer Aufwertung der Lehre, die Senkung der ersten Steuerstufe von 25 auf 20 Prozent und die Erhöhung des Budgets für Frauenpolitik auf 12 Mio. Euro mit insgesamt 4 Mio. Euro zusätzlich für Gewalt- und Opferschutz.
Ein Anfang ist gemacht und erste Minister konn-ten sich profilieren. Erfrischend fiel unter anderem das Temperament der neuen Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) auf. Da es den Verdacht von Schmiergeldzahlungen im Zuge der Beschaffung von Eurofighter gab, forderte sie mit Verve gegenüber Airbus Aufklärung. Noch schneller erreichte die Justizministerin Alma Zadić (Grüne) hohe Bekanntheit, allerdings aufgrund eines unglaublichen Hasses, der ihr von rechtsextremer Seite entgegenschlug. Dabei hat Zadić einen beeindruckenden Werdegang vorzuweisen: von einem bosnischen Flüchtlingskind zur ersten Ministerin in Österreich mit Migrationshintergrund.
Migrationspolitik als Feld für Dissonanzen
Im Bereich der Migrationspolitik wird sie umso sensibler agieren. Es ist der Politikbereich, der für die Koalition zur Nagelprobe werden kann. Nicht ohne Grund waren die Koalitionsverhandlungen besonders an diesem Punkt kritisch. Es musste die strikte Haltung der ÖVP, im Besonderen von Bundeskanzler Kurz, die Migration soweit wie möglich zu begrenzen, mit der offenen Haltung der Grünen in Übereinstimmung gebracht werden. Die beiden Parteien waren dazu nicht in der Lage. Und so wurde eine einmalige Konstruktion in den Koalitionsvertrag aufgenommen, die den beiden Seiten – nach Ausschöpfung jeglicher Bemühungen und dafür vorgesehenen Verfahrensschritte – erlauben würde, im Fall des Falles für seine Positionen jenseits der Koalition nach Mehrheiten im Parlament zu suchen. Im Februar, nachdem die Türkei die Grenzen zu Griechenland geöffnet hatte und die Lage auf den griechischen Inseln immer belastender wurde, konnte beobachtet werden, wie fragil das Bündnis in diesem Punkt war. Bundeskanzler Kurz gab klar die Politik vor, Vizekanzler Kogler konnte mit persönlichen Anmerkungen zwar Akzente setzen, aber keine Politiken bestimmen. Mit sich zuspitzender Lage hätte es schon früh zu Regierungsbeginn zu einer Krise kommen können. Mit Eintreffen des Corona-Virus in Österreich gab aber eine andere Krise das Regierungshandeln vor.
Corona-Pandemie als Bewährungs-feld
Am 25. Februar wurden die ersten beiden Corona-Infektionen in Österreich bekannt. Schon bald kamen weitere Fälle dazu, die Nähe zu Italien wurde für Österreich zum Nachteil. Schneller als in anderen EU-Ländern breitete sich das Virus aus. Vor allem die Ski-Orte in Tirol und die Stadt Wien, beides Regionen mit besonders hoher Präsenz internationaler touristischer und dienstlicher Besucher, wurden zu Hotspots der Infektionen. In Tirol wurde zu lange gezögert, Konsequenzen aus den aufgetretenen Infektionen zu ziehen. Dadurch konnte die Verbreitung so massiv werden und durch heimreisende Urlauber auch in andere Regionen getragen werden. Umso entschiedener erfolgte das Handeln der türkis-grünen Regierung. Die Maßnahmen kamen schnell und umfassend. Am Sonntag, dem 15. März, tagten der National- und Bundesrat, um das ‚Covid-19 Gesetz‘ zu verabschieden, das weitreichende Maßnahmen beinhaltete und bereits am 16. März in Kraft trat. Für die Menschen am spürbarsten: einschneidende Ausgangseinschränkungen. Der Bundeskanzler twitterte persönlich, dass es nur noch drei Gründe für den Gang auf die Straße gäbe: unaufschiebbare Arbeit, ein dringender Einkauf im Supermarkt oder in der Apotheke, oder Hilfeleistung für andere Menschen. Die Geschäfte mit Ausnahme lebensnotwendiger Dienstleister wie Lebensmittelläden, Apotheken, Post und Banken mussten schließen. Ebenfalls blieben die Schulen und Kindergärten ab diesem Tag geschlossen, wobei eine Notbetreuung aufrechterhalten wird für Kinder, deren Eltern systemerhaltender Arbeit nachgehen, wie vor allem medizinisches Personal. Die sonst vollen Straßen in Wien waren mit einem Schlag leer, die Spielplätze und Parks des Bundes geschlossen. Inzwischen ist für das Einkaufen das Tragen von Mundschutz Pflicht.
Die Maßnahmen scheinen jetzt schon Wirkung zu zeigen. So sind die Anstiege sowohl der Infektionszahlen als auch der Todesopfer geringer. Was besonders beeindruckend ist: die Zustimmungsrate für die Maßnahmen in der Bevölkerung.
Türkis-grüner Höhenflug
Das entschiedene professionelle Handeln der Regierung und die reibungslose Administrierung der Beschlüsse führt zu einem unbekannten Umfragehoch: Eine am 2. April veröffentlichte neue Umfrage des "Market"-Instituts sieht die ÖVP bei 43 Prozent, die Grünen bei 19 – für beide Parteien Rekordwerte. Während SPÖ und NEOS mit 19 bzw. 7 Prozent noch halbwegs bei ihrem Wahlergebnis liegen, rutscht die FPÖ auf 11 Prozent, und das, obwohl sie mit 16,2 Prozent bei den letzten Wahlen schon etwa 10 Prozent von ihrem Ergebnis bei den Wahlen 2017 eingebüßt hatte.
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