Polarisierung der albanischen Parteienlandschaft als Hindernis
Einvernehmen besteht zwischen den albanischen Medien, der albanischen Politik und den europäischen Akteuren lediglich darüber, dass eine rasche, erfolgreiche Einigung zwischen den politischen Parteien über den Umfang und die neue Struktur des Wahlrechts und die anschließende Umsetzung bei den Kommunalwahlen 2019 als Schlüsselaufgabe der albanischen Politik für den Start von EU-Beitrittsverhandlungen im Juni nächsten Jahres zu betrachten ist.
Seit der Einberufung eines im Oktober 2017 auf Initiative der oppositionellen Demokratischen Partei (DP) eingerichteten Sonderausschusses für eine Wahlreform gab es zwar erste positive Schritte in Richtung von Neuerungen für die Kommunalwahlen 2019 zu beobachten (Einigung auf sechs Kernbereiche; neue Technologien für die Durchführung von Wahlen; Möglichkeit der Teilnahme von Auslandsalbanern an Wahlen; Vorgehen gegen Stimmenkauf), jedoch schaffte es dieser Sonderausschuss laut Opposition in den ersten Monaten seines Bestehens nicht, entscheidende Forderungen von EU und OSZE/ODIHR abzuarbeiten, welche die Sicherstellung fairer Wahlbedingungen für das gesamte politische Parteienspektrum ermöglichen.
So kristallisierte sich im Sommer 2018 immer deutlicher heraus, dass eine Einigung auf eine von allen maßgeblichen Parteien getragene gemeinsame Wahlrechtsreform eine gewisse Entpolitisierung der handelnden Akteure erfordern würde, diese aber nicht vorhanden ist und somit die DP und die Sozialistische Partei (SP) nach wie vor keine Übereinstimmung erreichen konnten.
Das politische Klima ist dabei von Misstrauen und Freund-Feind-Denken gekennzeichnet, Zugeständnisse an den politischen Wettbewerber, der als Gegner und Feind betrachtet wird, werden als Schwäche ausgelegt und als Gefahr für die eigene Machtoption angesehen. Die Parteien sehen sich folglich vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer Anpassung des Wahlsystems vor den Kommunalwahlen nicht in der Lage, eine solche auch gemeinschaftlich zu verabschieden. Keine Partei möchte über den eigenen Schatten springen.
Die Opposition macht hierbei die regierende SP als Bremser einer wirklichen Wahlreform aus und boykottiert seit der Sommerpause aus Protest die Plenarsitzungen. Die Situation erscheint festgefahren.
Wettlauf gegen die Zeit und Frustration der Opposition
Dabei wird das Zeitfenster für eine rechtzeitige Verabschiedung und Umsetzung einer Wahlrechtsreform bis zu den Lokalwahlen 2019 stetig kleiner und seit der Einberufung des Sonderausschusses (sog. Ad-Hoc Kommission mit jeweils einem Ko-Vorsitzenden aus Regierung und Opposition) gibt es keine objektiv feststellbaren größeren Fortschritte oder gar Durchbrüche. Bei der Opposition überwiegt dementsprechend Frustration, was den ehemaligen Premierminister Sali Berisha gar zu der radikalen Äußerung veranlasste, dass es keine Wahlrechtsreform und keine freien Wahlen mit dem Premierminister Edi Rama geben werde und dass nur Aufstände zum Sturz von Rama führen könnten. Man unterstellt der SP von Seiten der Opposition, dass die regierende Partei sich einer umfassenden Wahlreform verweigere, um den eigenen Machtanspruch nicht zu gefährden.
Deutsche Unterstützung und albanische Alleingänge
Seit Anfang Juli 2018 unterstützen die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Friedrich Ebert Stiftung und die Deutsche Botschaft in Tirana auf Initiative des Europarats und der beiden Ko-Vorsitzenden der Ad-hoc Kommission den Wahlrechtsreformprozess. Hierbei wird ein albanisches Expertenduo finanziert, dass für die Ad-hoc Kommission auf Grundlage der Forderungen von EU und OSZE/ODIHR einen Entwurf einer neuen Wahlgesetzgebung erarbeitet.
Anfang Oktober 2018 präsentierte die SP jedoch ohne vorherige Absprache mit den beiden oben genannten politischen Stiftungen und ohne Beteiligung der DP einen ersten Gesetzesentwurf zur Wahlrechtsreform. Die DP spricht hierbei zu Recht von einem unilateralen Schritt, ist sie bis zu diesem Zeitpunkt doch selbst die Partei gewesen, die die Relevanz der Reform verkannte und diesen wichtigen Prozess teils auch behinderte. Denn die DP knüpfte die gemeinsame Ausarbeitung der Wahlrechtsreform an den Beschluss eines sog. Vetting für Politiker und möchte vorher nicht gemeinsam mit der SP an einem Gesetzesentwurf für das Wahlrecht arbeiten. Jedoch gab es für die Ad-hoc Kommission im Hinblick auf die Präsentation eines von Regierung und Opposition getragenen Gesetzesentwurfs eine Frist bis Ende Oktober. Der Druck, sich konstruktiv zu verhalten und die Reformbemühungen voranzutreiben, galt und gilt somit für alle Parteien des Parlaments, die einen EU-Beitritt Albaniens befürworten. Das unilaterale Agieren der SP hat dabei nicht die Chancen vergrößert, die DP an den Verhandlungstisch zurückzuholen und einen gemeinsamen Entwurf auch gemeinsam zu präsentieren.
Derweil stellte die Opposition, ebenso Anfang Oktober 2018, eine Plattform zur „Befreiung der Wahlen von Kriminalität“ vor. Dabei machte Oppositionsführer Lulzim Basha, wie schon Sali Berisha vorher deutlich, dass es mit der SP in der Regierung aus Sicht der DP keine freien Wahlen geben werde. Konkret oder konzeptuell hinsichtlich einer Wahlrechtsreform wurde Basha jedoch nicht. So blieben nach diesem medienwirksamen Termin Zweifel, ob sich die DP überhaupt noch an einer parlamentarisch getragenen gemeinsamen Wahlrechtsreform beteiligt oder schon längst eigene Pläne verfolgt.
Die bisher von dem Expertenduo ausgearbeiteten Vorschläge zur Wahlrechtsreform beinhalten vor allem die Empfehlungen der OSZE/ODHIR und umfassen daher auch die Entpolitisierung der Wahlkommissionen, die Kontrolle über die Parteien in ihrer Wahlkampffinanzierung sowie die Garantie der Geschlechterausgeglichenheit in den Wahllisten. Von Seiten der OSZE sowie der Deutschen Botschaft wurden die Vorschläge, versehen auch mit dem Hinweis auf den Zeitdruck, explizit begrüßt. Die Opposition wurde von der deutschen Botschafterin aufgefordert, die parlamentarische Arbeit wieder aufzunehmen und konstruktiv an einer zu beschleunigenden Wahlrechtsreform mitzuwirken.
Resümee
Es kann daher resümiert werden, dass in Albanien weiterhin eine politische Streitkultur fehlt, die Kompromisse sowie Konsens insbesondere bei zentralen Fragen nicht als Schwäche auslegt, sondern als konstituierendes Element der Demokratie versteht.
Eine überparteiliche Einigung auf eine Wahlrechtsreform, welche die Forderungen von EU und OSZE/ODHIR erfüllt, würde dabei nicht alle Herausforderungen im Zusammenhang mit Wahlen über Nacht beseitigen, wäre jedoch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und zudem Ausweis von EU-Beitrittsreife.
Ob dies aber noch bis zu den Lokalwahlen 2019 gelingt und EU-Beitrittsverhandlungen danach starten können, ist in der momentanen Situation stark anzuzweifeln. Leidtragende wären die Bewohner Albaniens, die sich mehr Demokratie und eine europäische Perspektive wünschen.
Bereitgestellt von
Auslandsbüro Albanien
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