Die politische Opposition lehnt einen BRICS-Beitritt ab
Die Einladung erreicht Argentinien in einem Moment der politischen Instabilität und der Schwäche der derzeitigen Regierung, die den Beitritt vorangetrieben hatte. Am 22. Oktober 2023 finden in Argentinien Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Aus den Vorwahlen am 13. August ging der libertäre Rechtspopulist Javier Milei als Sieger hervor, auf dem zweiten Platz landete das Mitte-Rechts-Bündnis Juntos por el Cambio und die regierenden Peronisten mussten sich mit dem dritten Platz zufriedengeben. Somit ist ein Regierungswechsel im Dezember wahrscheinlich. Aufgrund der ernsten Wirtschaftskrise und der enormen Inflation von knapp 120% im Vergleich zum Vorjahresmonat liegt der Hauptfokus des Wahlkampfes der Oppositionskandidaten auf Wirtschaftsthemen. So nahmen die Oppositionskandidaten Javier Milei von der Partei La Libertad Avanza und Patricia Bullrich (Juntos por el Cambio) als Redner im Rahmen eines Unternehmergipfels zum möglichen BRICS-Beitritt Argentiniens Stellung. Milei betonte, mit ihm als Präsidenten würde es keinen BRICS-Beitritt geben, sondern seine Außenpolitik würde sich an den strategischen Allianzen mit den USA und Israel orientieren. Ein „Pakt mit Kommunisten“ sei für ihn ausgeschlossen. Patricia Bullrich lehnte eine Aufnahme ins BRICS-Bündnis ebenfalls ab. Argentinien müsse im Rahmen einer regelbasierten Weltordnung den Frieden und die Achtung internationalen Rechts fördern und könne somit den BRICS nicht beitreten; insbesondere nicht in Zeiten, in denen eines der Mitglieder einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führe. Auf große Ablehnung in der Opposition und in der Öffentlichkeit stieß zudem die gleichzeitige Einladung insbesondere Irans, mit dem Argentinien eine schwierige Geschichte aufgrund der blutigen Anschläge auf die israelische Botschaft 1992 und die Argentinisch-Israelische Gesellschaft 1994 verbindet, an denen Iraner beteiligt waren und die zu einem vorübergehenden Abbruch der diplomatischen Beziehungen führten. Auch mit den anderen eingeladenen Ländern möchten die Argentinier sich aufgrund deren autokratischer Regierungssysteme und schlechten Menschenrechtsbilanzen nur ungerne verglichen sehen.
Stärkung von Süd-Süd-Kooperation und wirtschaftlicher Zusammenarbeit als Beweggründe für den Beitritt
Die peronistische Regierung von Alberto Fernández reiht sich in der außenpolitischen Prioritätensetzung in die Tradition der ehemaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ein, die nicht zuletzt aus ideologischen Gründen die Süd-Süd-Kooperation massiv gefördert und die Anbindung an Länder wie China und Russland vorangetrieben hatte. Ziel war die Schaffung einer multipolaren Weltordnung, in der die Stimmen von Entwicklungs- und Schwellenländern gehört werden.
Mit dem BRICS-Beitritt verbindet die Regierung des krisengeplagten Landes die Hoffnung, sich auf internationaler Bühne wieder mehr Gehör verschaffen zu können. In der derzeitigen Konjunktur spielen jedoch wirtschaftliche Beweggründe eine herausragende Rolle für einen Beitritt. Brasilien (Platz 1), China (Platz 2) und Indien (Platz 4) haben bereits heute als Hauptabnahmeländer argentinischer Exporte neben den USA (Platz 3) eine enorme wirtschaftliche Relevanz für das südamerikanische Land. Mit großem Interesse und Hoffnung verfolgt man die Diskussionen über den Aufbau einer eigenen Reservewährung innerhalb der BRICS, um die De-Dollarisierung der Wirtschaftsbeziehungen voranzutreiben und somit die Einflussmöglichkeiten der USA durch finanzielle Sanktionen zu minimieren. Bereits jetzt treibt die aktuelle Regierung aufgrund der massiven Devisenknappheit intensiv den Währungsswap mit China voran.
Internationales Werben um das südamerikanische Land
Die Einladung zum BRICS-Beitritt ist der Höhepunkt des intensiven Werbens Chinas, aber auch Russlands um Argentinien. Die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas verfügt über enormes Potenzial in der Produktion von Energie und Nahrungsmitteln und darüber hinaus über zahlreiche begehrte Ressourcen wie z.B. Lithium. China verfolgt überdies das Interesse, Argentinien als Einfallstor in die Antarktis zu nutzen.
Seit der durch den russischen Angriffskrieg bedingten Energieknappheit und Ernährungskrise blickt auch Europa wieder verstärkt nach Lateinamerika und insbesondere nach Argentinien und Brasilien. Jedoch hat man hier sehr genau wahrgenommen, dass Europa die engere Anbindung in einem Moment der eigenen Schwäche sucht, jedoch nicht zur Stelle war, als das Land, während der Covid-19-Pandemie dringend Unterstützung benötigte.
Bisher hatte Argentinien eine klare Positionierung im Systemkonflikt vermieden. Nun besteht jedoch die Gefahr, dass der BRICS-Beitritt vor allem im Schulterschluss mit Ländern wie Iran seitens westlicher Partner durchaus als klare Positionierung gewertet werden könnte. Dies bringt vor allem den peronistischen Präsidentschaftskandidaten und aktuellen Wirtschafts- und Finanzminister Sergio Massa in Bedrängnis, der nur zwei Tage vor der Einladung durch die BRICS mit der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank neue Kredite ausgehandelt hatte, um das Land vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Argentinien muss zudem die Auflagen bei der Rückzahlung des Superkredits des Internationalen Währungsfonds erfüllen. In Washington dürfte man einen BRICS-Beitritt des südamerikanischen Landes äußerst kritisch beurteilen.
Brasilien, das einer BRICS-Erweiterung sonst eher kritisch gegenüberstand, hatte die Aufnahme Argentiniens aktiv gefördert, um die eigene Machtposition innerhalb des Bündnisses zu stärken. Brasilien und Argentinien verfolgen als Nachbarländer und Mercosur-Partner zahlreiche gemeinsame Interessen.
Für China, das sich für die BRICS-Erweiterung und insbesondere auch die Aufnahme Argentiniens eingesetzt hatte, bedeutet diese einen großen Erfolg und die Ausweitung der eigenen geopolitischen Machtposition und der Einflussmöglichkeiten zur Neugestaltung der internationalen Ordnung.
Ausblick
Aufgrund der Schwäche der nur noch drei Monate im Amt verbleibenden Regierung und der Ablehnung eines BRICS-Beitritts der beiden Präsidentschaftskandidaten der Opposition ist es fraglich, ob es am 01. Januar 2024 überhaupt zu einer Aufnahme in das Bündnis kommt. So steht z.B. das BRICS-Ziel einer De-Dollarisierung der Weltwirtschaft im krassen Widerspruch zum Wahlkampfversprechen der Dollarisierung der argentinischen Wirtschaft des Kandidaten Javier Milei.
Die Unvorhersehbarkeit der argentinischen Politik stellt das Land auf der internationalen Bühne vor Probleme. Es gibt keinen außenpolitischen Konsens der bedeutendsten politischen Akteure. Argentinien hat im September 2022 einen formellen Aufnahmeantrag an die BRICS gestellt. Sollte eine neue Regierung nach einem möglichen Regierungswechsel nun zurückrudern, würde das vor allem bei Brasilien und China als Argentiniens wichtigsten Handelspartnern auf massive Kritik stoßen. Argentinien würde wiederholt als nicht verlässlicher Partner wahrgenommen, was dem Land auch wirtschaftlich schaden könnte. Nichtsdestotrotz ist der Prozess auch Ausdruck der Unseriösität der derzeitigen Regierung, die in einem Moment der absoluten Schwäche Argentinien international kompromittiert, ohne im eigenen Land den Konsens zu suchen.
Die aktuelle Diskussion macht deutlich, dass ein bedeutender Anteil der Argentinier – anders als beispielsweise im mächtigen Nachbarland Brasilien - eine stärkere Westbindung bevorzugt, klar Stellung gegen die Völkerrechtsverletzung durch den russischen Angriffskrieg bezieht und sich nicht an der Seite von Ländern wie Iran, Saudi-Arabien und Ägypten in ein Bündnis mit Russland einreihen will. Vor allem Europa verfügt in Argentinien über eine ausgeprägte Soft Power. Man will leben wie in Europa, die Systeme Chinas oder Russlands hingegen werden von der Mehrheit der Bevölkerung nicht als erstrebenswerte Gesellschaftsmodelle betrachtet. Die leidenschaftlich geführte Debatte über den BRICS-Beitritt ist ein gutes Zeichen für die argentinische Demokratie und die westlichen Partner. Die EU und Deutschland sollten diese Haltung honorieren und vor allem im Falle eines Regierungswechsels eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit Argentinien mit konkreten Angeboten aktiv vorantreiben.
Bereitgestellt von
Auslandsbüro Argentinien
Themen
Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in rund 110 Ländern auf fünf Kontinenten mit einem eigenen Büro vertreten. Die Auslandsmitarbeiter vor Ort können aus erster Hand über aktuelle Ereignisse und langfristige Entwicklungen in ihrem Einsatzland berichten. In den "Länderberichten" bieten sie den Nutzern der Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung exklusiv Analysen, Hintergrundinformationen und Einschätzungen.