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Länderberichte

Der isolierte Vorsitzende, der 80-jährige Reformer und die „lahme Ente“

von Thomas Yoshimura

Politischer Wettbewerb in Korea bleibt von Abwechslung und Corona geprägt

Anlässlich der Wahl eines neuen Vorsitzenden in der Regierungspartei lohnt sich der Blick auf die aktuellen politischen Verhältnisse in Südkorea: Der gewählte Lee Nak-Yeon gilt schon jetzt auch als nächster Präsidentschaftskandidat für 2022, die konservative Opposition zeigt Anzeichen von Wiederbelebung, während die Perspektiven für Präsident Moon Jae-In zwischen Vermächtnis und Entmachtung oszillieren. Die Veränderungen seit den Parlamentswahlen vor dreieinhalb Monaten beweisen, wie wechselhaft politischer Wettbewerb sein kann. Das liegt auch an Corona. Aber nicht nur.

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Zur Erinnerung

Am 15. April 2020 fanden Parlamentswahlen in Südkorea statt. Trotz oder wegen Corona kamen über 60% der ca. 44 Millionen Wahlberechtigten an die Urnen und bescherten der Democratic Party of Korea (DPK) oder Minju-Partei des Präsidenten Moon Jae-In einen eindrucksvollen Sieg und der Opposition unter Führung der United Future Party (UFP) oder Vereinigte Zukunftspartei eine historische und schmerzhafte Niederlage.1

Hauptgründe des klaren Wahlergebnisses waren Fehler der UFP und vor allem die beeindruckende Eindämmung der Pandemie durch die konsequente Anwendung eines Dreiklangs aus Testing , Tracing und Treating. Kurz nach der Wahl verkündete Präsident Moon in Form eines koreanischen New Deal seine Pläne für die verbleibenden zwei Jahre bis zum Ende seiner Amtszeit. Eine Wiederwahl ist per Verfassung ausgeschlossen.

 

Erstens kommt es anders,…

Dreieinhalb Monate später haben sich die Umstände entscheidend verändert. Zurzeit befindet sich Südkorea nach eigenen Angaben inmitten einer zweiten Corona-Welle: die Zahl der täglichen Neuinfektionen ist innerhalb weniger Tage nach oben geschnellt. Seit 1. August kam es zu mehr als einer Verzehnfachung der von den Behörden bestätigten täglichen Neuinfektionen. Das Niveau bleibt mit zuletzt bis zu 441 Fällen pro Tag (27.08.) 2 relativ niedrig, doch die Auswirkungen sind groß. Im Zentrum der Welle steht anders als im Frühjahr die Hauptstadtregion mit ihren über 20 Millionen Einwohnern.3 Die Regierung in Seoul sah sich gezwungen, über Level 2 ihres dreistufigen Systems für „Social Distancing“-Maßnahmen hinauszugehen: Aufruf zum Stillstand, keine Treffen von mehr als 10 Personen, Maskenpflicht innen und im Freien.4

 

… und zweitens als man denkt

Die Auswirkungen bekam auch die DPK direkt zu spüren. Während die Durchführung der Parlamentswahlen trotz widriger Umstände noch zurecht als Leuchtturm gelebter Demokratie erkannt wurde, musste die Parteiversammlung der DPK zur Wahl ihres neuen Vorsitzenden am 29. August in den digitalen Raum verschoben werden. Das eigentlich geplante Zusammentreffen von mehreren hundert Personen war undenkbar geworden. Unter anderem der siegreiche Kandidat, Lee Nak-Yeon, befand sich zudem zum Zeitpunkt seiner Wahl in häuslicher Quarantäne. Der erste Premier Moons galt nicht erst seit seinem erfolgreichen Wahlkreis-Duell im April gegen den damaligen UFP-Chef Hwang Kyo-Ahn als aussichtsreicher Kandidat – auch auf die Kandidatur zur Nachfolge im Blue House.5 Ein Anspruch darauf erwächst aus der Übernahme des Parteivorsitzes allerdings nicht. Er müsste diesen sogar wieder aufgeben, um kandidieren zu können.

 

Vom Spitzenergebnis zum Umfragetief

Der Sieg der Präsidentenpartei in einer Parlamentswahl bildete eine Ausnahme für Korea. Regierungsparteien werden traditionell abgestraft. Der Abstieg in den Umfragen folgte diesmal im Nachgang. Eine Reihe von Entwicklungen schadet dem Präsidenten, seiner Regierung und auch der Partei.

Das Justizministerium, das unter der kurzen Leitung von Cho Kuk 2019 für viel Kritik am Präsidenten sorgte,6 steht wegen eines Bestseller dazu7 sowie einem Machtkampf zwischen Ministerin Choo Mi-Ae und Generalstaatsanwalt Yoon Seok-Youl in der Presse.8 Yoon war von Moon 2017 zum Staatsanwalt in Seoul ernannt worden und verantwortete die Prozesse gegen dessen konservative Amtsvorgänger Lee Myung-Bak und Park Geun-Hye, bevor er 2019 in sein jetziges Amt befördert wurde. Darin führt er allerdings u.a. die Ermittlungen gegen Moons Vertrauten Cho und hat sich so auch für Mitglieder der jetzigen Regierung zu einem Gegenspieler entwickelt.9

Park Won-Soon, der im Juli verstorbene Bürgermeister Seouls und Weggefährte von Präsident Moon, war mit schweren Anschuldigen konfrontiert, deren Aufarbeitung spätestens nach Abflachung der aktuellen Corona-Welle wieder im Licht der kritischen Öffentlichkeit stehen wird.10

Im Zentrum der größten Kritik steht das Blue House selbst. Wohnungspreise in Seoul explodieren. Die Regierung konzentriert sich auf spekulative Jeonse-Investitionen11, Kritiker sagen, zu einseitig.12 Dazu gilt die Vorgabe, dass kein Mitarbeiter Moons mehrere Wohnungen besitzen soll. In einem Paukenschlag boten in diesem Zusammenhang sechs führende Stabmitglieder, darunter dessen Leiter Noh Young-Min, ihren Rücktritt an. Vier davon hat Moon schon ersetzt, seinen engen Vertrauten Noh nicht.13

 

Erneuerung in der Opposition?

Noch am Abend des 15. April war der geschlagene Hwang Kyo-Ahn als UFP-Vorsitzender zurückgetreten. Sein Versuch, einen Neuanfang der Konservativen nach der Amtsenthebung von Präsidentin Park anzuführen, war offenbar gescheitert. Die Partei startete nochmal einen personellen und programmatischen Umbau, an dessen Spitze ein „Notfall Management Komitee“ unter Leitung des 80-jährigen Kim Chong-In gestellt wurde, der zuvor für die Kampagne der UFP verantwortlich war. Der in Münster promovierte Wirtschaftswissenschaftler und Germanist soll die Geschicke der Partei bis zum 7. April 2021 leiten, wenn in Seoul und Koreas zweitgrößter Stadt Busan Wahlen zur Nachbesetzung der Bürgermeisterposten anstehen. Eine Reihe von Veränderungen in personellen wie inhaltlichen Positionen wurde angekündigt und auch bereits vorgenommen. Immerhin: am 13. August konnte die UFP erstmals seit 2016 wieder in einer Umfrage an der DPK vorbeiziehen. Diese Entwicklung wird auch auf Kim zurückgeführt und so liest man bereits Spekulationen über eine Verlängerung seiner Amtszeit.17 Ob ein Veteran wie er aber nachhaltig für die erforderlichen Reformen stehen kann, erscheint fraglich. Allerdings fehlen der UFP noch die überzeugenderen Alternativen.18

 

Lackmustest: Corona und Wirtschaft

Die Wahrnehmung der Regierung wird vom Umgang mit den oben genannten Kritikpunkten abhängen. Darüber hinaus liegt die mit Abstand höchste Aufmerksamkeit auf der zweiten Corona-Welle. Die Regierung muss der Bevölkerung beweisen, dass ihre Instrumente noch wirken.

Mit Blick auf die jüngsten Wirtschaftsprognosen19 wachsen außerdem Pessimismus und Erwartungen an den von Moon skizzierten New Deal,20 der mit sozialpolitischen, aber vor allem auch digitalen und grünen Komponenten eine südkoreanische Führungsrolle in Innovation und Wirtschaft begründen soll.21

Sollte die Regierung nicht liefern, so kritische Stimmen, bestehe für Moon zumindest die Gefahr, dass sich Wähler und neue Parteiführung von ihm abwenden und er als „lahme Ente“ 22 endet. Falls sich sein Management in der Krise aber aufs Neue bewährt und die Neuaufstellung der Opposition weiter auf sich warten lässt, könnte er auch der Herr der Lage bleiben.

 

Fazit

Zustand und Bedingungen des Wettbewerbs zwischen DPK und UFP haben sich seit dem 15. April wieder fundamental gewandelt. Corona spielt weiterhin eine zentrale Rolle und verändert viel, aber nicht alles. Manche Probleme reichen länger zurück oder stehen für sich. Koreanische Politik bleibt volatil. Bis 2022 ist noch ein weiter Weg. Schon nächstes Jahr stehen aber die Wahlen neuer Bürgermeister in Seoul und Busan vor der Tür. Doch selbst bis dahin wird die Welt in und für Korea wieder anders aussehen.

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