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Länderberichte

Die Stunde der Regionen

von Dr. Hubert Gehring, María Francisca Cepeda

Regionalwahlen Kolumbien 2019

Am 27. Oktober 2019 fanden die Wahlen zu insgesamt 22.000 lokalen und regionalen Wahlämtern statt. 32 Gouverneure und 1.101 Bürgermeister sowie zahlreiche Stadträte und Mitglieder von Regionalversammlungen werden ihre Ämter am 1. Januar 2020 antreten.

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Die größten Herausforderungen für die neuen Funktionäre werden in der Formulierung und Umsetzung von territorialen Entwicklungsplänen unter Mitwirkung der Bevölkerung bestehen. Hauptthemen sind dabei Arbeitslosigkeit, Sicherheitsfragen und illegale Wirtschaftszweige. Zudem müssen innovative und effiziente Lösungswege für das Problem der venezolanischen Migranten gefunden und die Umsetzung der Friedensvereinbarungen in den Regionen fortgesetzt werden.

Allgemeine Situation vor den Regionalwahlen

Das vergangene Jahr 2018 war ein Wahljahr in Kolumbien mit Parlamentswahlen im März und Präsidentschaftswahlen im Juni. Wenn diese nationalen Wahlen natürlich große Bedeutung für das Land hatten, so ging es bei den Regionalwahlen dieses Jahres um die seit jeher wichtige politische Vorherrschaft in Gemeinden und Departments. Hierbei waren eine Vielzahl verschiedener politischer Akteure, Koalitionen und Allianzen im Spiel. Gewählt wurden Gouverneure, Abgeordnete zu den Asambleas Departamentales (Regionalversammlungen der einzelnen Departments), Bürgermeister und Stadträte sowie Ediles (Mitglieder der lokalen Verwaltungsräte in den Stadtteilen), die die unterste Stufe der Lokalverwaltung darstellen. 

Eingeschrieben hatten sich über 117.000 Kandidaten. Die Wahlergebnisse zeigen nun die Machtverteilung in den Regionen des Landes. An den Analysen ist abzulesen 1) Welche Regionen treu zur nationalen Regierung sind und in welchen die Opposition stärker ist, 2) Welche Bürgermeister-Kandidaten auf dem zweiten Platz gelandet sind und daher als Vertreter der Opposition ein Recht auf einen Sitz im Stadtrat haben, 3) Wie hoch die Summe ist, die der Staat den Kandidaten als „reposición de votos“ (Erstattung der Wahlkampfkosten gemäß der erreichten Stimmenzahl) zahlen muss.

Die Wahlergebnisse bringen einige Überraschungen mit sich, vor allem in den drei größten Städten Bogotá, Cali und Medellín. Hier kamen die Gewinner der Wahl zum Bürgermeister aus Parteien der politischen Mitte. In Bogotá wurde außerdem zum ersten Mal eine Frau zur Bürgermeisterin gewählt. Sie erlangte 1.11 Mio. Stimmen bzw. 35.2%, ihr schärfster Konkurrent kam auf 32.5%. In Medellín ging die Mehrheit der Stimmen ebenfalls nicht an die in der Vergangenheit traditionell starken Mitte-Rechts-Parteien. 

Generell sind die Stimmen auf die verschiedensten politischen Kräfte verteilt, ohne das eine bestimmte Partei als großer Gewinner aus den Wahlen hervorgegangen wäre. Es ist jedoch eine Tendenz zu mehr links gerichteten Parteien zu beobachten. Neu ist auch die Koalitionsbildung zwischen traditionellen Parteien und neuen politischen Bewegungen, um so dem generellen Ansehensverlust der Parteien entgegenzuwirken.

Wahlen mit Schattenseiten

Nachdem die Wahlen 2018 als die friedlichsten in der jüngsten Geschichte Kolumbiens bezeichnet wurden - vor allem wegen der Demobilisierung der FARC nach dem Friedensabkommen - wurden 2019 die von der ehemaligen Guerilla verlassenen Gebiete von anderen bewaffneten Gruppen und illegalen Akteuren besetzt. Im Wahlkampf wurden so viele Gewalttaten begangen, dass die diesjährigen Wahlen als die gewalttätigsten der jüngsten Geschichte des Landes gelten können. 

Zu den politischen Gewalttaten zählen unter anderem Attentate, Entführungen, Bedrohungen und Morde. Institutionen wie die Mission zur Wahlbeobachtung MOE bestätigen, dass bereits im Jahr vor den eigentlichen Wahlen ca. 364 Social Leaders, Menschenrechtsverteidiger und Regionalpolitiker der politischen Gewalt in den Regionen zum Opfer gefallen sind. Dabei kommen die Betroffenen aus allen politischen Richtungen, das heißt es handelt sich nicht um einen “erklärten Krieg” gegen eine bestimmte Partei, sondern vielmehr um antidemokratische Praktiken ohne bestimmte Ideologie, die sowohl Personen aus dem linken als auch aus dem mehr rechtsgerichteten Spektrum getroffen haben. Was den Wahlkampf für die Regionalwahlen betrifft, wurden von Anfang Juli bis zum 24. Oktober 2019 132 Kandidaten Opfer von politischer Gewalt.  Allein im September 2019 wurden sieben Kandidaten zu den Wahlen im Oktober ermordet. Diese Zahl ist alarmierend und übersteigt die Anzahl von fünf Kandidaten die im gesamten Wahlkampf 2015, vor den letzten Regionalwahlen, umgebracht wurden.

Über die reine Statistik hinaus ist es besorgniserregend, dass die Wahlen in Kolumbien zu einem Szenario geworden sind wo Gewalt eine Form des politischen Wettbewerbs ist. Man schafft den politischen Gegner eher aus dem Weg, als sich mit Argumenten auseinanderzusetzen. Wenn dies auch nicht verallgemeinert werden kann, so muss dieses Phänomen doch kontrolliert werden, um eine funktionierende Demokratie aufrechtzuerhalten.

Ein weiterer Aspekt, der den Wahlkampf beeinträchtigt hat, waren Wahldelikte wie das Auftauchen verdächtiger Geldsummen und die fehlende Kontrolle der Finanzierung von Kampagnen, Stimmenkauf oder das Verschieben von Stimmen in andere Gemeinden sowie die Unterstützung einzelner Kandidaten durch amtierende Bürgermeister und andere öffentliche Funktionäre. 

Ebenso fehlt es an Transparenz. Nur wenige Kandidaten legten ihre Finanzierungsquellen offen; bis zum 21. Oktober hatten lediglich 8,4% der Kandidaten bei den zuständigen Behörden ihre Einnahmen und Ausgaben gemeldet. Daher ist zu vermuten, dass viele Kampagnen wegen fehlender Transparenz und Korruption nachträglich in Frage gestellt werden. Es muss aber auch betont werden, dass der Staat inzwischen zahlreiche Kontrollinstrumente geschaffen hat, um die Transparenz und Beobachtung der Kampagnen zu gewährleisten; zum Beispiel das Programm Cuentas Claras des Nationalen Wahlrats CNE, das System SICE- Sistema Integral de Capacitación Electoral zur Schulung von Wahlhelfern der Meldebehörde Registraduría Nacional del Estado Civil oder Initiativen wie Pilas con el Voto (Vorsicht mit der Stimmabgabe) von Organisationen der Zivilgesellschaft.


Die wichtigsten Themen auf der Agenda der Kandidaten

Das Thema Migration spielte entgegen der Erwartungen keine große Rolle im Wahlkampf. Nach Ansicht politischer Analysten[1] ist diese Tatsache in erster Linie darauf zurückzuführen, dass  die Kandidaten vermeiden wollten Stimmen zu verlieren, wenn sie sich offen für oder gegen die Migration aussprechen, da die öffentliche Meinung stark gespalten ist, was den ständigen Zuzug von Venezolanern betrifft. Das Thema wurde auch vermieden, da man in den Regionen davon ausgeht, dass sich die Regierung in Bogotá dieses Problems annehmen müsse, in den Regionen gebe es dringendere Themen.

Wichtige Punkte auf der Agenda waren dagegen Unsicherheit und die Verkehrssituation in den Großstädten, die sich von Tag zu Tag verschlechtern, Arbeitslosigkeit und auch Umweltfragen, wie die Zulassung des Fracking (obwohl die Entscheidung darüber auf nationaler Ebene getroffen werden muss).   

Diese Wahlen waren die ersten Regionalwahlen für die FARC als politische Partei. Das war ein großes Wagnis, da es nicht nur um die Einschreibung von Listen für Wahlämter in verschiedenen Regionen des Landes ging, sondern auch Koalitionen mit anderen Parteien gesucht werden mussten. Die Partei FARC setzte dabei vor allem auf Stadträte (60 Listen in 60 Gemeinden) und 13 Kandidaturen für Bürgermeisterämter. 

Bemerkenswert ist, dass ein ehemaliger Guerillakämpfer in der Gemeinde Turbaco im Department Bolívar im Norden des Landes, als Kandidat einer Links-Koalition zum Bürgermeister gewählt wurde. Er war jedoch nicht für die Partei FARC angetreten.


Bilanz

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts war die genaue Anzahl der erreichten Sitze in den Stadträten und Regionalversammlungen noch nicht bekannt. Vor allem weil die Kandidaten mit der zweithöchsten Stimmenzahl in den nächsten 24 Stunden entscheiden müssen, ob sie das Recht in Anspruch nehmen wollen, das ihnen nach dem neuen Oppositionsstatut zusteht: Die Bürgermeisterkandidaten mit der zweithöchsten Stimmenzahl haben Anspruch auf einen Sitz im Stadtrat, im Fall der Gouverneure, auf einen Sitz in der Regionalversammlung des jeweiligen Departments. 

Klar ist aber schon jetzt, dass in den großen Städten wie Bogotá, Medellín, Cali und Cartagena für neue politische Führer, die nicht aus den traditionellen politischen Familien stammen, gestimmt wurde und damit auch für eine Erneuerung und mehr Unabhängigkeit. Insgesamt geht die Tendenz etwas mehr zum Mitte-Links-Spektrum, nicht nur zu Parteien wie der Alianza Verde, sondern auch zu unabhängigen Bewegungen und Koalitionen, die sich von den traditionellen Parteien distanzieren wollten.

Auf regionaler Ebene fällt auf, dass die neuen Gouverneure Koalitionen aus den verschiedensten Parteien angehören, hier jedoch mehr aus dem Mitte-Rechts-Spektrum.
Im Allgemeinen haben die Parteien selbst jedoch ihre Führungsrolle verloren. 
Auffallend war die hohe Wahlbeteiligung von fast 60% bei den Bürgermeisterwahlen, die höchste in der Geschichte Kolumbiens.

Das Wahlergebnis der neuen Partei FARC, die nach dem Friedensabkommen aus der gleichnamigen Guerilla hervorgegangen ist, war wie zu erwarten schlecht, aber doch mit einigen bemerkenswerten Facetten: So erhielt zum Beispiel der Kandidat zum Stadtrat in Bogotá, obwohl letztendlich nicht gewählt, immerhin 24.000 Stimmen. 

Insgesamt erreichten die beiden Links-Parteien Polo Democratico und Colombia Humana bei den Wahlen zum Stadtrat von Bogotá 6,7% bzw. 6.3%. der Stimmen. Die neue „Partido Evangélico” erlangte mit 3,5% der Stimmen, ein ähnliches Ergebnis wie die Konservative Partei mit 3,6%. Für die Regierungspartei auf nationaler Ebene, Centro Democrático, stimmten in Bogota nur 9,1% der Wähler, während die Partei der neuen Bürgermeisterin Claudia Lopez, Alianza Verde, 19,8% der Stimmen erhielt. Die anderen traditionellen Parteien, Partido Liberal (11,5%) und Cambio Radical (8,2%) erhielten in Bogota ebenfalls kein übermäßig gutes Ergebnis. Es zeigt sich in Bogota, dass das Mitte-Links Spektrum dabei ist, das Mitte-Rechts Spektrum zu überholen.Wenn die großen Städte auch eher zum Mitte-Links-Spektrum mit jüngeren Politikern tendieren, so bleiben die Regionen doch mehr den Mitte-Rechts-Parteien und -Koalitionen treu. 

Wichtigste Schlussfolgerung ist wohl die schwindende Rolle der politischen Parteien aufgrund eines wachsenden Vertrauensverlusts der Bürger. Gleichzeitig gewinnen unabhängige politische Bewegungen an Bedeutung, die sich vor allem in den großen Städten von den traditionellen Parteien absetzen wollen.  Die neuen Bürgermeister und Gouverneure müssen nun eine Partizipation aller politischen Richtungen ermöglichen, den politischen Dialog fördern und einen Konsens schaffen, der zur Einigung des Landes beiträgt. Die starke Wahlbeteiligung und die Wahl von Kandidaten, die nicht den traditionellen Eliten angehören, sind ein Aufruf zum Wandel in Kolumbien.

 

[1] Prieto, J (09. Oktober 2019). “El silencio sobre la migración en la campaña es pura estrategia”. La Silla Vacía. Verfügbar unter: https://lasillavacia.com/silla-santandereana/silencio-sobre-migracion-campana-pura-estrategia-73866M  (Zugang am 10.10.2019)

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