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Länderberichte

Erneuter Sieg der Sozialisten bei den Europa- und Kommunalwahlen in Spanien

von Dr. Wilhelm Hofmeister
Trotz erneuter landesweiter Verluste verteidigt die Volkspartei in vielen Kommunen ihre Position und kann möglicherweise in bis zu vier Autonomen Gemeinschaften, darunter Madrid, in Koalition mit Ciudadanos die Regionalregierungen stellen.

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Am 26. Mai fanden in Spanien, zeitgleich mit den Wahlen zum Europäischen Parlament (EP), im ganzen Land die Kommunalwahlen sowie in der Mehrzahl der Autonomen Gemeinschaften die Regionalwahlen statt. Doch erst zehn Tage nach den Wahlen zeichnet sich ab, welche Koalitionen in wichtigen Autonomen Gemeinschaften und den größten Städten, Madrid und Barcelona, gebildet werden.

Im Großen und Ganzen haben die Europa- und Kommunalwahlen das Ergebnis der nationalen Wahlen vom 28. April noch einmal bestätigt. Das heißt, die Sozialistische Partei (PSOE) von Ministerpräsident Pedro Sánchez hat landesweit eine deutliche relative Mehrheit vor den anderen Parteien gewonnen. Bei den Wahlen zum EP erreichten die Sozialisten einen Stimmenanteil von 32,84 % – vier Prozentpunkte mehr als bei den nationalen Wahlen vor einem Monat. Die PSOE gewann dadurch sechs zusätzliche Mandate im EP; nach einem eventuellen Brexit erhält sie noch ein zusätzliches Mandat. Die Volkspartei (Partido Popular – PP) kam bei den Europawahlen auf 20,13 % – ebenfalls knapp vier Prozentpunkte mehr als vier Wochen zuvor – aber sechs Prozentpunkte weniger als 2014. Durch den Verlust von vier Mandaten entsendet die PP nur noch zwölf Abgeordnete ins EP; nach einem Brexit werden es 13 sein. Auch die liberal-konservative Partei Ciudadanos hat mit 12,1 % gegenüber den nationalen Wahlen vier Prozentpunkte verloren, entsendet aber nun statt bisher zwei künftig sieben (und nach einem Brexit acht) Abgeordnete ins EP. Für die Linkskoalition von Unidas Podemos, die dieses Mal Izquierda Unida (IU) mit einschloss, setzte sich der Negativtrend fort, nachdem sie bereits bei den Parlamentswahlen gegenüber den Wahlen von 2016 knapp sieben Prozentpunkte verloren hatte. Jetzt verlor diese Koalition gegenüber den Nationalahlen noch einmal vier Prozentpunkte und kam auf einen Stimmenanteil von 10,05 % und sechs Mandate im EP gegenüber 18 % und elf Mandaten, die beide zusammen bei den EP-Wahlen 2014 erzielt hatten. Unidas-Podemos hat somit bei den Europawahlen noch deutlicher verloren als die PP. Auch die rechtsnationale Partei Vox blieb deutlich hinter ihren Erwartungen zurück und erhielt mit 6,2 % drei Mandate im EP und damit vier Prozentpunkte weniger als bei den Parlamentswahlen im April. Die drei Koalitionen der nationalistischen Parteien aus den Regionen des Nordens erhielten zusammen 11% und sechs Mandate.

Da nach den Parlamentswahlen noch keine Verhandlungen über die Bildung der nationalen Regierung und die Wiederwahl von Ministerpräsident Pedro Sánchez begonnen hatten, war das Ergebnis der Wahlen zum EP ein wichtiger Gradmesser des Kräfteverhältnisses innerhalb des Parteiensystems. Auf die Verhandlungen zur Bildung der nationalen Regierung, aber auch vieler Regional- und Lokalregierungen, haben die Ergebnisse der Europawahlen einen großen Einfluss.

Tabelle: Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 in Spanien

 

Partei /Koalition Anteil 2019

Mandate im EP aktuell (und nach einem Brexit)

PSOE /PSC

32,84

20   (21)

PP

20,12

12   (13)

Ciudadanos​​​​​​​

12,17

7    (8)

Unidas Podemos Cambiar Europa

10,05

6    (6)

Vox

6,20

3    (4)

Ahora República

5,61

3    (3)

Lliures per Europa

4,58

2    (3)

Coalición por una Europa Solidaria

2,83

1    (1)

Compromiso por Europa

1,32

0

Partido Animalista Contra Maltrato Animal

1,31

0
Total   54 (59)

 

PSOE/PSC - Partido Socialista Obrero Español + Partido de los Socialistas de Cataluña

PP - Partido Popular

C's - Ciudadanos - Partido de la Ciudadanía

Unidas Podemos Cambiar Europa  - Unidas Podemos + Izquierda Unida + Catalunya en Comú + Barcelona en Comú

VOX - VOX

Coalición Ahora Repúblicas l - Esquerra Republicana de Catalunya /ERC + Euskal Herria Bildu + Bloque Nacionalista Galego

Lliures per Europa (Partit Demòcrata Europeu Català/PdCat + Junts per Catalunya / JXCat)

Coalición por una Europa Solidaria  - Partido Nacionalista Vasco /PNV + Coalición Canaria + Compromiso por Galicia + Atarrabia Taldea + Proposta per les Illes Balears y Demòcrates Valencians)

Coalición Compromiso por Europa  - Compromís + En Marea +Chunta Aragonesista + Partido Castellano + Coalición Caballas + Nueva Canarias + Més per Mallorca + Coalición por Melilla + Iniciativa del Pueblo Andaluz + Izquierda Andalucista + Verdes de Europa

PACMA - Partido Animalista Contra el Maltrato Animal

 

Listenführer bei den Sozialisten war der bisherige Außenminister Josep Borrell, der von Juli 2004 bis Januar 2007 Präsident des Europäischen Parlaments war und damals in dieses Amt gewählt wurde, obwohl er dort ein Neuling war. Jetzt wird in Spanien darüber spekuliert, dass Borrell das Amt des „Europäischen Außenministers“ als Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik anstrebt und damit einer der Vizepräsidenten der EU-Kommission werden könnte. Auch wenn außerhalb Spaniens bei den Spekulationen über das europäische Personalkarussell der Name Borrells kaum genannt wird, muss man in Rechnung stellen, dass die spanischen Sozialisten nun die stärkste Gruppe innerhalb der Fraktion der Sozialisten im Europäischen Parlament (S&D) sind und Ministerpräsident Sánchez auf jeden Fall eine wichtige Position für einen Spanier reklamieren wird. Am Tag nach den Europawahlen traf er sich mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dabei haben beide gewiss auch über das künftige europäische Personaltableau gesprochen.

Von Bedeutung ist diese Abstimmung zwischen Macron und Sánchez auch im Hinblick auf die spanische Innenpolitik. Die Partei „Ciudadanos“ ist Mitglied der liberalen Fraktion im EP und legt Wert auf ein gutes Verhältnis zu Macron. Auch wenn sich Ciudadanos im Wahlkampf vor den Parlamentswahlen deutlich von den Sozialisten abgrenzte und eine Wahl von Sánchez sowie eine künftige Zusammenarbeit mit ihm ablehnte, haben die Sozialisten und Ciudadanos im nationalen Parlament zusammen eine Mehrheit der Mandate, die für eine Wiederwahl von Sánchez und eine gemeinsame Regierung ausreichen würde. Bei den Kommunlwahlen ergaben sich vielerorts Konstellationen, die eine Zusammenarbeit von PSOE und Ciudadanos begünstigen, wovon beide Parteien im Hinblick auf die Besetzung von Ämtern der Regionalregierungen und in den Kommunen profitieren würden. Für Ciudadanos hat vorerst jedoch eine Zusammenarbeit mit der Volkspartei Priorität. Weil beide zusammen aber in wichtigen Städten nicht ohne die Unterstützung von Vox regieren können, erschwert das mögliche Koalitionsvereinbarungen, denn Ciudadanos will eine formalisierte Zusammenarbeit mit Vox vermeiden.

Das Ergebnis der Regionalwahlen

In 12 der 17 Autonomen Gemeinschaften fanden am 26. Mai Regionalwahlen statt. Dabei bestätigte sich der nationale Trend: die Sozialistische Partei gewann in zehn Autonomien eine relative Mehrheit. Nur in Cantabria und Navarra lagen Regionalparteien vorne. Die Volkspartei verlor auch in ihren bisherigen Hochburgen ihre absolute bzw. relative Mehrheit mit zum Teil deutlichen Stimmenverlusten gegenüber früheren Wahlen. Besonders schmerzlich sind die Niederlagen für die PP in Madrid, Castilla y León und Murcia. Dort, und eventuell zusätzlich in Aragón, haben die Mitte-Rechts-gerichteten Parteien dennoch die Möglichkeit, den Regionalpräsidenten zu stellen, wenn neben Ciudadanos auch Vox einwilligt. Der Vorsitzende der Volkspartei, Pablo Casado, hat deshalb in der Wahlnacht bereits einen „Sieg“ in der Autonomie und auch in der Stadt Madrid gefeiert, wo PP, Ciudadanos und Vox zusammen eine Mehrheit haben. Doch in den Tagen nach der Wahl wehrte sich Ciudadanos gegen eine sichtbare oder gar formalisierte Vereinbarung, an der auch Vox beteiligt ist. Ciudadanos will nur mit der Volkspartei sprechen und es hinnehmen, wenn die PP die Unterstützung einer Koalitionsregierung aus Volkspartei und Ciudadanos durch Vox erreicht. In Andalusien wurde auf diese Weise im Dezember eine Regierung von Volkspartei und Ciudadanos gebildet. Der Vorsitzende von Vox, Santiago Abascal, hat jedoch angekündigt, dass er als gleichberechtigter Partner anerkannt werden will und keinen „Sicherheitsabstand“ um seine Partei herum zulassen will. Wenn Ciudadanos nicht bereit sei, auch mit Vox zu sprechen und Vox nicht explizit in Vereinbarungen mit der Volkspartei eingebunden würde, würde Vox nirgendwo eine Regierung aus Volkspartei und Ciudadanos akzeptieren. Für Ciudadanos ergab sich daraus das Dilemma, entweder eine irgendwie geartete bzw. eine zumindest indirekte Zusammenarbeit mit Vox hinzunehmen, oder aber den Avancen der Sozialisten nachzugeben. Denn die Sozialisten haben unterdessen angeboten, in der Autonomie Madrid und auch in anderen Autonomien und Städten Vereinbarungen mit Ciudadanos zu treffen und diese Partei an Regional- und Stadtregierungen zu beteiligen. Der Führer der linkspopulistischen Liste „Más Madrid“ in der Autonomen Gemeinschaft Madrid hatte sogar in Aussicht gestellt, im Stadtrat die Kandidatin von Ciudadanos zur Bürgermeisterin zu wählen, sofern die Partei den Kandidaten der Sozialisten zum Regionalpräsidenten wähle. Dadurch sollte eine Wahl der PP-Kandidaten für die beiden Positionen verhindert werden. Die Linkspopulisten wären somit bereit gewesen, die bisherige Bürgermeisterin von Madrid, die bei den Kommunalwahlen eine relative Mehrheit gewann, zugunsten einer gemeinsamen Front gegen die „extreme Rechte“ zu opfern. Selbstverständlich hätte ein solches Zusammengehen von Ciudadanos mit den Sozialisten und Linkspopulisten auch über Madrid hinaus große Bedeutung, nicht zuletzt im Hinblick auf die Wiederwahl von Pedro Sánchez zum Ministerpräsidenten, die Ciudadanos bisher strikt ablehnte.

Innerhalb von Ciudadanos führten diese Angebote zu intensiven Debatten, denn eine Gruppe um den Europaabgeordneten Luis Garicano war durchaus geneigt, solchen Angeboten der Sozialisten und Linkspopulisten nachzugeben. Mehr noch als Rivera dürfte Garicano dabei auch das Echo in Europa im Ohr haben, das einer auch nur informellen Zusammenarbeit zwischen Ciudadanos und Vox folgen würde. Frankreichs Präsident Macron, der auf europäischer Ebene eng mit Ciudadanos zusammenarbeitet, hat wiederholt deutlich gemacht, dass er für eine Kooperation  mit Vox kein Verständnis habe und er dann seine spanischen Partner meiden würde. Der erweiterte Parteivorstand von Ciudadanos hat allerdings am 4. Juni entschieden, dass die Volkspartei der bevorzugte Partner der Liberalen ist, gleichzeitig aber auch eingeräumt, dass die Regional- oder Lokalgliederungen der Partei an manchen Orten auch mit den Sozialisten paktieren können, wenn es die Verhältnisse erfordern. Das gilt beispielsweise für die Stadt Barcelona. Einer Zusammenarbeit mit Vox erteilte Ciudadanos weiterhin eine Absage, will es aber hinnehmen, wenn die Volkspartei die Unterstützung für Regierungskoalitionen aus PP und Ciudadanos verhandelt und Vox dann solche Regierungen unterstützt. Der Beschluss von Ciudadanos wird nun die Verhandlungen mit der Volkspartei beschleunigen und dazu führen, dass beide Parteien – jeweils unter Führung der Volkspartei – die Regierungen in den Autonomen Gemeinschaften Madrid, Castilla y León, Murcia und Aragón stellen.

Das Ergebnis der Kommunalwahlen

Bei den Kommunalwahlen ergab sich zwar ein ähnliches Gesamtergebnis wie bei den anderen Wahlen am 28. April und am 26. Mai, doch mit einigen wesentlichen Unterschieden im Hinblick auf einige Kommunen. Die Sozialisten erhielten landesweit 29,3 % der Stimmen und die Volkspartei 22,2 %. Beide lagen deutlich vor den übrigen Parteien Ciudadanos (8,3 %), Unidas Podemos (5,2 %) und Vox (2,9 %). Die Volkspartei zeigte sich landesweit noch immer gut organisiert und konnte in vielen Städten und Gemeinden weiterhin Mehrheiten gewinnen. Sie gewann in 2.960 Kommunen eine absolute oder relative Mehrheit; mehr als die Sozialisten, die in 2.801 Kommunen vorne lagen. Allerdings erreichte die PSOE landesweit insgesamt 22.329 Ratsmitglieder vor der Volkspartei mit  20.325. Mit großem Abstand folgen die katalanischen Nationalisten von ERC (3.109 Ratsmitglieder) und CIU-Junts (2.799?). Ciudadanos kam auf nur 2.786 Ratsmitglieder, was die weiterhin schwache Repräsentanz dieser Partei in vielen Landesteilen belegt. Albert Rivera musste einsehen, dass ein „Überholen“ der Volkspartei vorerst aussichtslos ist. Das hat seine Einstellung gegenüber den Verhandlungen mit der Volkspartei beeinflusst, weil Rivera nun zu akzeptieren scheint, dass er und Ciudadanos vielerorts bis auf weiteres nur die Rolle eines Juniorpartners spielen können. Andererseits fällt es Rivera schwer, nach seinen Attacken gegen Pedro Sánchez und die PSOE während des Wahlkampfs vor den Parlamentswahlen im April nun ein breites Bündnis mit den Sozialisten einzugehen, ohne sich dem Vorwurf des Opportunismus auszusetzen.

Auch die andere Partei, die wie Ciudadanos infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2011 entstanden war und einige spektakuläre Wahlergebnisse erzielte – nicht zuletzt bei den Kommunalwahlen von 2015 –, erlebte bei den diesjährigen Kommunalwahlen einen erheblichen Rückschlag: die linkspopulistische Partei Unidas Podemos. Landesweit erreicht UP nur 725 Ratssitze, auch wenn man in Rechnung stellen muss, dass an manchen Orten autonome lokale Linksgruppen antraten und einige zusätzliche Mandate gewannen; auf nationaler Ebene fallen deren Stimmen an Podemos. Pablo Iglesias, der Vorsitzende von Podemos, war von dem schlechten Ergebnis für seine Partei sichtbar getroffen; denn dadurch erlitten auch seine Ambitionen auf eine entscheidende Mitsprache bei der nationalen Regierungsbildung einen erheblichen Dämpfer.

Vor allem in den größeren und wichtigeren Städten, in denen Podemos und die ihnen nahestehenden örtlichen populistischen Bewegungen vor vier Jahren Triumpfe feierten und seither die Bürgermeister stellten, erlebten die Populisten deutliche Einbußen. In Madrid erreichte die Bürgermeisterin Manuela Carmena, zwar noch eine relative Mehrheit (31 %), aber selbst zusammen mit den Sozialisten hat sie keine absolute Mehrheit um ihre Wiederwahl zu garantieren. Frau Carmena ist nicht Mitglied von Podemos, erhielt aber vor vier Jahren deren Unterstützung. In diesem Jahr sprach sich Podemos für den Kandidaten der Izquierda Unida aus, dessen Liste aber nicht ein einziges Mandat gewann. In Barcelona unterlag Bürgermeisterin Ada Colau knapp an Stimmen ihrem Herausforderer von den nationalistischen Linksrepublikanern und sie kann ebenfalls nicht allein mit den Stimmen der Sozialisten wiedergewählt werden. In Zaragoza, La Coruña und Ferrol werden wohl die Sozialisten künftig den Bürgermeister stellen. In Valencia und Cádiz können sich die populistischen Bürgermeister möglicherweise mit Hilfe der Sozialisten halten.

Innerhalb von Podemos sind nun die kritischen Stimmen gegenüber Pablo Iglesias lauter geworden, nachdem diese Partei bereits seit Monaten innere Konflikte und Austritte wichtiger Mitglieder erlebte und schon bei den Parlamentswahlen ein schwaches Ergebnis erzielte. Iglesias aber lehnt es vorerst ab, einen Parteitag einzuberufen, um die Parteiführung zu bestätigen oder neu zu wählen, wie einige Mitglieder fordern. Der nächste ordentliche Parteitag von Unidas Podemos soll nach seinem Willen erst 2021 stattfinden.

Verhandlungen in Madrid und Barcelona

In Spanien müssen die Bürgermeister 20 Tage nach den Wahlen von den Stadträten gewählt werden; das ist in diesem Jahr der 15. Juni. Sofern bis zu diesem Zeitpunkt keine Mehrheit zustande kommt, wird automatisch derjenige Bürgermeister, dessen Liste die meisten Stimmen auf sich vereint. In Barcelona ist das die nationalistische Republikanische Linkspartei (ERC), in Madrid die Liste der Bürgermeisterin Carmena. Im Hinblick auf die Frist 15. Juni gibt es in Madrid und Barcelona auch lagerübergreifende Gespräche und Verhandlungen, um breite Koalitionen für die Bürgermeisterwahl zu schmieden.

In Barcelona überraschte Manuel Valls, der ehemalige französische Premierminister mit spanischem Pass, der mit Unterstützung von Ciudadanos als Bürgermeister kandidiert hatte, mit dem Angebot, Ada Colau im Stadtrat ohne Bedingung zur Bürgermeisterin wiederzuwählen, sofern diese ein Bündnis mit der Sozialistischen Partei eingehe, um einen nationalistischen Bürgermeister zu verhindern. Frau Colau hatte dieses Angebot zwar im ersten Moment abgelehnt, weil sie mit ihrer populistischen Bewegung gerne alleine weiterregieren würde. Doch dafür felt ihr selbst mit den Stimmen der Sozialisten die Mehrheit im Stadtrat. Auch die Nationalisten werben um sie, doch dann würde sie ihr Amt verlieren. So  bleibt abzuwarten, ob sie sich doch noch auf das Angebot von Valls einlassen wird, um ihr Amt zu behalten. Manuel Valls überraschte mit seinem Vorschlag die Führung von Ciudadanos. Der Vorsitzende Albert Rivera war zunächst nicht einverstanden, doch der Parteibeschluss vom 4. Juni eröffnet einen Spielraum für eine Zustimmung zur Wahl von Ada Colau, um Barcelona nicht in die Hände der Separatisten fallen zu lassen.

In Madrid haben die Volkspartei, Ciudadanos und Vox rechnerisch eine Mehrheit, um den Kandidaten der PP zum Bürgermeister zu wählen. Allerdings verlangt Vox hier eine formale Übereinkunft auch mit Ciudadanos, wozu diese Partei auch nach dem Beschluss vom 4. Juni nicht bereit ist. Daran könnte die Wahl des Bürgermeisters scheitern. Sofern bis zum 15. Juni keine Koalition zustande kommt, wird Bürgermeisterin Carmena automatisch in ihrem Amt bestätigt, weil ihre Liste die relative Mehrheit gewann.

Die ausstehende Bildung der nationalen Regierung

Bis zum 15. Juni werden die Parteien vielerorts noch intensive Verhandlungen führen, um sich über die Wahl von Bürgermeistern und die künftigen lokalen und regionalen Regierungen zu verständigen. Dabei gerät zum Teil etwas außer Acht, dass auch die nationale Regierung noch keineswegs bestätigt ist. Ministerpräsident Pedro Sánchez hat sich in den vergangenen Wochen sehr zurückgehalten und den Beginn der Verhandlungen über seine Wiederwahl nicht forciert. Aus den Europa-, Regional- und Kommunalwahlen sind er und seine Sozialistische Partei gestärkt hervorgegangen. Allerdings braucht Sánchez in der Abgeordnetenkammer eine Mehrheit, die er nicht hat. Pablo Iglesias, der Vorsitzende von Unidas Podemos, wird nicht müde, sich als Koalitionspartner anzubieten,  sich sogar geradezu anzubiedern. Nach den schwachen Wahlergebnissen für Unidas Podemos im April und Mai tritt Iglesias schon etwas bescheidener auf und aus den Reihen seiner Gruppierung gibt es Stimmen, die bereits den Anspruch auf Ministerämter aufgeben.

Sánchez reagiert bisher auf alle Forderungen und Avancen von Iglesias mit einer kalten Schulter. Er will unbedingt eine Alleinregierung der PSOE erreichen, was ihm erheblichen politischen Handlungsspielraum sichern wird, auch wenn er keine Mehrheit im Parlament hat; seit einem Jahr regiert er mittels Dekreten, was verfassungspolitisch zwar problematisch, aber kaum zu verhindern ist. Die Alleinregierung würde es ihm auch erlauben, die traditionelle Klientelpolitik und Ämterpatronage fortzusetzen, was nicht zuletzt ein Mittel ist, um die eigene Herrschaft zu zementieren.

Die Volkspartei sieht andererseits eine längere Periode vor sich, in der sie die Rolle der stärksten Oppositionspartei ausfüllen wird. Der Angriff von Ciudadanos, mit dem Ziel die Volkspartei als dominierende Partei des Mitte-Rechts-Lagers abzulösen, scheint vorerst abgewehrt. Allerdings muss sich die Volkspartei programmatisch und organisatorisch neu aufstellen, um künftig wieder mit größerer Aussicht auf Erfolg an Wahlen teilzunehmen. Die innerparteiliche Personaldebatte scheint nach dem Ergebnis der Regional- und Kommunalwahlen, das letztlich weniger dramatisch ausfiel als befürchtet, verstummt, zumal auch die Kritiker des Vorsitzenden Casado in ihren Sprenkeln keine guten Ergebnisse erzielten.

Insgesamt haben die Europa-, Regional- und Kommunalwahlen die Fragmentierung des spanischen Parteiensystems bestätigt. Zwar gingen die Sozialisten aus allen Wahlen als stärkste Kraft hervor. Doch sie repräsentieren weniger als ein Drittel der spanischen Wählerschaft. In den Autonomen Gemeinschaften und den Kommunen wird es deshalb nun zu vielfältigen Koalitionen mit unterschiedlicher Zusammensetzung kommen. Für die Verständigung und Kompromissfähigkeit der demokratischen Parteien, die der politische Prozess in Spanien manchmal vermissen ließ, wird das förderlich sein. Auf nationaler Ebene sträubt sich Pedro Sánchez noch gegen eine Koalition und versucht an dem Modell einer Ein-Parteien-Regierung mit gelegentlicher Unterstützung kleinerer Parteien festzuhalten. Selbst wenn ihm das noch einmal gelingt, ist fraglich, ob dieses Modell für Spanien zukunftsfähig bleibt.

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