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Narendra Modi / flickr / CC BY-SA 2.0

Länderberichte

Wenn der Elefant den Drachen zum Tanz bittet

von Romina Liesel Elbracht, Alina Moser

Informelles Gipfeltreffen zwischen Modi und Xi

Vom 11. bis zum 12. Oktober 2019 haben sich der indische Premierminister Narendra Modi und der chinesische Staatspräsident Xi Jinping im südindischen Tamil Nadu zu einem informellen Gipfel getroffen. Während viele Beobachter dem Ereignis insbesondere aufgrund der diesjährigen Spannungen zwischen den beiden Staaten erwartungsvoll entgegensahen, waren die Ergebnisse überschaubar. Durch seinen informellen Charakter hatte das Zusammentreffen eher symbolische Bedeutung.

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Ein kleiner Küstenort wird auf den Kopf gestellt

Besucher des beliebten Touristenortes Mamallapuram im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu staunten nicht schlecht, als am Wochenende vom 11. bis zum 12. Oktober die berühmten historischen Stätten für Touristen gesperrt wurden, denn kein geringerer als der chinesische Staatspräsident Xi Jinping war zu Besuch in dem kleinen Küstenort. Tausende Menschen reisten an, um Fotos an dem Ort zu machen, an dem Modi und Xi sich zuvor die Hände geschüttelt hatten. Einige versuchten sogar, die Szenen nachzustellen, die sie zuvor in den Medien gesehen hatten. Der indische Premierminister Narendra Modi hatte Xi beim letzten Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) zu einem informellen Treffen nach Indien eingeladen. Obwohl Xi die Einladung angenommen hatte, wurde sein Besuch erst wenige Tage vor der Zusammenkunft offiziell bestätigt. Die indisch-chinesischen Beziehungen wurden dieses Jahr vor allem aufgrund der aktuellen Ereignisse in Kaschmir sowie andauernden Handelsstreitigkeiten erneut vor Herausforderungen gestellt. Im Vorlauf des Treffens wurden deshalb in den indischen Medien Mutmaßungen laut, dass Xi das Treffen absagen könnte. Der Gipfel kam jedoch nicht nur wegen der Entwicklungen der letzten Monate zu einem interessanten Zeitpunkt, denn nur wenige Tage vor Xi Jinpings Besuch war Pakistans Premierminister Imran Khan nach Peking gereist. China und Pakistan sind seit Jahrzehnten enge Verbündete. Im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative hat sich diese Partnerschaft verstärkt: China baut derzeit den China-Pakistan-Wirtschaftskorridor (CPEC), der teilweise durch den von Pakistan kontrollierten Teil Kaschmirs führt. Die Zugehörigkeit Kaschmirs ist zwischen Indien, Pakistan und China umstritten. Pakistan hatte bereits in den 1960er Jahren alle Ansprüche an den aktuell von China kontrollierten Teil Kaschmirs, der Region Aksai Chin, an China abgetreten, wodurch zwischen China und Pakistan kein territorialer Disput mehr besteht. Die indische Regierung sieht hierin allerdings einen Eingriff in die indische Souveränität, da Indien die gesamte Region Kaschmir als indisches Territorium betrachtet. Durch die freundschaftlichen chinesisch-pakistanischen Beziehungen fühlte sich Indien bereits des Öfteren vor den Kopf gestoßen. Erst kürzlich hatte China den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) bezüglich der aktuellen Situation in Kaschmir angerufen und Pakistan in seiner Kritik an der indischen Regierung unterstützt. Im Vorlauf des Treffens wurden vor allem die Handelsbeziehungen zwischen Indien und China als eines der Hauptthemen für das Zusammentreffen identifiziert.

Spannungen nach Verfassungsänderungen durch die indische Regierung

Die indische Regierung hatte im August dieses Jahres dem indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir seinen Sonderstatus entzogen. Der Bundesstaat wurde in zwei Unionsterritorien (UT) aufgeteilt: Jammu und Kaschmir einerseits sowie Ladakh andererseits. Ladakh grenzt an die von China kontrollierte Region Aksai Chin und soll, wie für die meisten indischen UT üblich, künftig direkt von Delhi aus verwaltet und regiert werden. Im Zusammenhang mit den jüngsten Verfassungsänderungen[1] wurden kritische Stimmen laut, auch seitens China. Der Grenzverlauf zwischen Indien und China war nie offiziell festgelegt worden. Dies hatte die indisch-chinesischen Beziehungen in der Vergangenheit mehrmals auf die Probe gestellt. Seit Ende des indisch-chinesischen Grenzkriegs im Jahr 1962 hat es zwar noch einige Auseinandersetzungen an der Grenze gegeben, eine schwerwiegende Eskalation des Konflikts konnte jedoch bisher immer verhindert werden. Trotz dutzender Gespräche zur Klärung des Grenzkonflikts zwischen den beiden Staaten konnte bisher keine Einigung erzielt werden. Sprecher der indischen Regierung hatten jedoch im Vorlauf des Treffens verlauten lassen, dass Ladakhs neuer Status die Line of Actual Control – den von beiden Seiten momentan tolerierten Verlauf der Grenze –  in keiner Weise beeinflussen werde. Kaschmir sollte zudem kein Diskussionsthema des Treffens werden; Xi Jinping würde allerdings bei Bedarf zur aktuellen Lage informiert werden. Dies spiegelt Indiens konsequente Haltung seit den Verfassungsänderungen wider, dass eine Einmischung anderer Staaten in interne Angelegenheiten Indiens inakzeptabel sei.

Indisch-chinesische Handelsbeziehungen

China und Indien pflegen seit mehreren Jahrzehnten rege Handelsbeziehungen. Indien sieht sich dabei jedoch im Nachteil. Das bilaterale Handelsvolumen ist in den vergangenen Jahren zwar angestiegen, jedoch wuchs zugleich auch das Handelsdefizit zu Ungunsten Indiens, welches im Jahr 2018 fast 58 Milliarden US-Dollar betrug. Dass Indien mit dieser Entwicklung nicht zufrieden ist und hier dringenden Handlungsbedarf sieht, ist nicht verwunderlich. China hatte sich bisher jedoch nur wenig kompromissbereit gezeigt. Dies wird insbesondere bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) deutlich, das seit 2012 zwischen den ASEAN-Mitgliedstaaten und sechs weiteren Ländern, darunter auch Indien und China, ausgehandelt wird. Vor dem Hintergrund des chinesisch-amerikanischen Handelskrieges wäre eine Freihandelszone dieses Ausmaßes von großer strategischer Relevanz für China, weshalb Peking in der Vergangenheit wiederholt Druck auf Indien ausgeübt hatte, seinen Markt zu öffnen. Indien war bisher diesbezüglich zurückhaltend, da die meisten indischen Industriesektoren sich gegen die Zollvergünstigungen im Rahmen des Abkommens ausgesprochen hatten. Insgesamt ist die Angst in Indien groß, dass chinesische Waren in Zukunft den indischen Markt noch mehr überschwemmen und heimische Industrien und Produkte verdrängen könnten, wenn die Handelsbeziehungen nicht ausgeglichener gestaltet werden.

Auch das Thema 5G belastet die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Staaten. China ist ein dominanter Akteur in Indiens Telekommunikationssektor und chinesische Unternehmen waren bereits am Ausbau der 2G-, 3G- und 4G-Netze beteiligt. Wie schon seitens der USA und seinen Verbündeten, wurde auch von indischer Seite Kritik am chinesischen Telekommunikationsunternehmen Huawei laut. Hierbei stehen insbesondere Sicherheitsbedenken im Vordergrund. Die indische Regierung hat bisher noch nicht entschieden, welche Firmen mit dem Ausbau des 5G-Netzes beauftragt werden sollen. Die chinesische Regierung hat diesbezüglich verlauten lassen, dass indische Unternehmen in China mit Konsequenzen zu rechnen hätten, sollte Huawei künftig nicht mehr in Indien tätig sein können. Um die Handelsbeziehungen zwischen beiden Staaten in Zukunft ausgeglichener zu gestalten, wäre ein Entgegenkommen Chinas unabdingbar.

Hintergründe des Treffens

Ungeachtet der Rhetorik im Sinne eines immer noch währenden „Wuhan Spirits”[2] ist das Verhältnis der beiden asiatischen Giganten Indien und China keinesfalls frei von Konflikten. Nicht zuletzt zählen dazu strategische Probleme, die mit dem Kräfteringen der Großmächte in der Indopazifik-Region eng verwoben sind. Dieses Spannungsfeld ist zwar nicht neu, dennoch legt Indien heutzutage eine größere Bereitschaft an den Tag, sich dem chinesischen Druck in der Region entgegenzustellen.

Sinnbildlich dafür steht die jüngste Aufwertung des Quadrilateral Security Dialogue (kurz: Quad). Das jüngste Treffen auf Ministerebene Ende September 2019 in New York demonstrierte hierbei die Ernsthaftigkeit, mit der die Partner, Australien, Indien, Japan und die USA, die Initiative schlagkräftiger machen wollen. Die geplanten militärischen Übungen Indiens mit einer Reihe von Ländern im Indopazifik sowie weiteren Partnern sind ein Beweis dafür, dass Neu-Delhi versuchen wird, einerseits die Beziehungen zu Peking zu verbessern; andererseits aber sein eigenes Netzwerk an strategischen Partnern weiter auszubauen, um seine Flexibilität und Kapazitäten in der Region zu erhöhen.

Wenig Output trotz extravaganter Symbolik

Auch wenn das indische Außenministerium den Besuch des chinesischen Präsidenten als „hochproduktiv“ bezeichnete, blieben die Ergebnisse des Treffens eher niedrig. In dem an die bilateralen Gespräche zwischen Modi und Xi Jinping sich anschließenden Medienbriefing erläuterte der Staatssekretär des indischen Außenministeriums, Vijay Gokhale, dass Indien und China vom Wuhan-Gipfel 2018 bis zum Mamallapuram-Gipfel 2019 „sichtbare Fortschritte" gemacht hätten. Dennoch sind die sichtbaren Fortschritte ausschließlich im Handelsbereich durch einen von Präsident Xi vorgeschlagenen „Mechanismus“ zu verzeichnen, in dessen Rahmen er ein zukünftiges Treffen zwischen dem chinesischen Vizeministerpräsidenten Hu Chunhua und der indischen Finanzministerin Nirmala Sita Raman festhielt, das sich konkret mit den Handelsbeziehungen und dem für Indien problematischen Handelsdefizit auseinandersetzen soll. Laut Gokhale waren sich beide Regierungschefs einig, dass sie über dieses zukünftige Treffen auch die Möglichkeit prüfen sollten, auch industrielle Partnerschaften einzugehen. In diesem Kontext schlug der indische Premierminister vor, dass beide Seiten bestimmte Branchen ermitteln sollten, die sich insbesondere für Investitionen eignen und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen ankurbeln würden.

Während des Wuhan-Gipfels hatten sich beide Nationen auf eine gemeinsame Zusammenarbeit bei Projekten in Drittländern geeinigt. Obwohl die Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten in Afghanistan durchaus Potenzial böte, hinken Indien und China bei der konkreten Implementierung gemeinsamer Maßnahmen hinterher. Der Mangel an substanziellen Fortschritten in Afghanistan seit dem letzten Abkommen könnte daher dieses Mal eine Vertiefung der Diskussion verhindert haben. Zusicherungen zur Bekämpfung von Terrorismus und Radikalismus, wurden in der Vergangenheit auch schon in Foren wie BRICS und SCO erwähnt. Daher können diese nicht unbedingt als innovativer „Fortschritt" angesehen werden.

Präsident Xi unterstrich seinerseits die Wichtigkeit der Aufgabe, das indisch-chinesische Engagement im Sicherheits- und Verteidigungssektor zu erhöhen. Dies würde das gegenseitige Vertrauen zwischen den beiden Militärs und den Sicherheitskräften stärken. Im selben Atemzug lud er den indischen Verteidigungsminister zu einem Besuch nach China ein, dessen Datum jedoch nicht festgelegt wurde.

Besonders betont wurde bei dem Treffen weiterhin die Vertiefung der „people-to-people-ties”. In diesem Zusammenhang wurde das kommende Jahr prominent benannt, da es das 70. Jubiläum indisch-chinesischer Freundschaft markiere. In Anbetracht dessen wurde beschlossen, dass es im nächsten Jahr pro Land jeweils 35 Veranstaltungen geben solle, die speziell die indisch-chinesischen Beziehungen als übergeordnetes Motto feiern sollen.

War man vor der indisch-chinesischen Zusammenkunft noch gespannt gewesen, ob die Jammu-und-Kaschmir-Thematik angesprochen werden würde, so stellte Gokhale in der anschließenden Pressekonferenz klar, dass das Thema in keiner Weise erörtert wurde und daher keine weiteren Anmerkungen zu diesem Thema erforderlich seien. Dennoch verwies er in diesem Kontext deutlich auf die öffentlich und vorab zum Ausdruck gebrachte Position der indischen Regierung: Jammu und Kaschmir bleibe ein ausschließlich die inneren Angelegenheiten des Landes betreffender Sachverhalt.

Ausblick

Dass China letztlich bei der Auflistung von Masood Azhar, dem Gründer der in Pakistan ansässigen Terrororganisation Jaish-e-Mohammed, als Terrorist bei den VN einlenkte, kann als Beispiel dienen, dass das chinesisch-pakistanische Verhältnis bei genügend internationalem Druck und Kritik kein unerschütterliches Bollwerk darstellt. China hatte Azhars Einstufung als Terrorist bei den Vereinten Nationen in der Vergangenheit durch sein Veto-Recht als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates mehrmals verhindert. China verfügt in seinen Beziehungen zu Pakistan, zum Nachteil von Islamabad, über einen flexiblen Spielraum, den es bereit ist, zu seinem Interesse zu nutzen.

Was nach dem Gipfel in Mamallapuram festzuhalten bleibt, ist die Tatsache, dass sowohl Indien als auch China, alle aus ihrer Sicht rein inneren Angelegenheiten auch in Zukunft ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten der Nachbarstaaten selbst bestimmen werden.  So wie Indiens Entscheidung, Jammu und Kaschmir neu zu organisieren, hält China ebenfalls an seinen Investitionen am Wirtschaftskorridor CPEC fest. Die Regierungen in Neu-Delhi und Peking müssen daher einerseits ein politisch nicht durchweg freundliches Klima navigieren und dabei andererseits mit den Herausforderungen eines unausgeglichenen bilateralen Handels umgehen.

In den Medienkommentaren nach Abschluss des Treffens überwiegen nüchterne und nachdenkliche Töne. Konsens ist, dass sich Indien nur selbst mit einem höheren Wirtschaftswachstum den Weg zu derzeit noch weit entfernter Gleichrangigkeit mit China, vor allem in Handels- und Verteidigungsfragen, ebnen kann. Der informelle Gipfel war einer der symbolischen Bilder – über die tiefgehenden Differenzen zwischen beiden Ländern konnte er allerdings nicht hinwegtäuschen.

[1] Im Rahmen der jüngsten Änderungen wurde sowohl Artikel 370 als auch Artikel 35a der indischen Verfassung abgeschafft. Diese hatten den indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir seit der Unabhängigkeit Indiens einen Sonderstatus verliehen.

[2] Vor etwas mehr als einem Jahr, als sich Ministerpräsident Narendra Modi und der chinesische Staatspräsident Xi Jinping zu ihrem ersten „informellen Gipfel“ trafen, waren die indisch-chinesischen Beziehungen an einem Tiefpunkt. Nur wenige Monate zuvor hatten sich indische und chinesische Truppen auf dem Doklam-Plateau gegenübergestanden.

Nichtsdestotrotz schafften es Modi und Xi in Wuhan, ihre Differenzen nicht zum Streitpunkt zu machen und die friedlichen indisch-chinesischen Beziehungen als Oberziel in den Vordergrund zu stellen. Der „Wuhan Spirit“ war geschaffen.

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