Wahlen unter Ausschluss der (englischsprachigen) Bevölkerung?
Am 22. Oktober wurde der 86-jährige Paul Biya von der kamerunischen Wahlkommission zum siebten Mal in Folge als Sieger der Präsidentschaftswahl ausgerufen. Er erhielt 71,3 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Maurice Kamto erreichte 14,2 Prozent. Die Opposition vermutet eine Manipulation der Ergebnisse, Anträge auf Neuwahlen wurden jedoch vom Verfassungsgericht abgewiesen. Vor Verkündung des offiziellen Wahlergebnisses hatte sich überraschenderweise Oppositionsführer Kamto als Wahlsieger ausgerufen. Dennoch kam es seit den Wahlen zu keinen Unruhen oder Protesten, die „riot police“ des kamerunischen Innenministeriums ist auf den Straßen Yaoundés jedoch unübersehbar präsent.
Präsident Paul Biya sicherte sich als Spitzenkandidat des regierenden Cameroon People’s Democratic Movement (CPDM) laut offiziellen Zahlen die Mehrheit aller Stimmen in acht der neun Provinzen Kameruns. Lediglich die wirtschaftsstärkste Provinz des Landes, Littoral, rund um die Wirtschaftsmetropole Douala ging an Oppositionsführer Kamto, der 2012 aus der Regierungspartei austrat und die MRC gründete. Einen Achtungserfolg errang der 36-jährige Libii Cabral, der seinen Wahlkampf hauptsächlich via Youtube und Twitter auf die junge Bevölkerung ausrichtete, die sich jedoch zu großen Teilen nicht für die Wahlen registrieren ließen.
Kandidat |
Partei |
Wahlergebnis |
Paul Biya |
CPDM |
71,3 % |
Maurice Kamto |
MRC |
14,2 % |
Libii Cabral |
Univers |
6,3 % |
Vor dem Hintergrund des anglophonen Konflikts und Problemen bei der Wählerregistrierung rutschte die Wahlbeteiligung landesweit auf 54 Prozent ab. In den beiden englisch-sprachigen Provinzen Nordwest und Südwest konnten die Wahlen zwar stattfinden, die Wahlbeteiligung lag hier jedoch nach offiziellen Angaben nur bei 5 bzw. 16 Prozent. Grund war der Boykottaufruf verschiedener Rebellengruppen und Paramilitärs und die Gefahr drohender Anschläge. Die nationale Wahlkommission ELECAM schloss bzw. verlegte daraufhin einzelne Wahlstationen. Am Wahltag selber erschoss das Militär vor Wahlstationen in den englischsprachigen Provinzen nach bisherigen Angaben drei Rebellen, die angeblich wiederum auf wählerwillige Passanten das Feuer eröffnet haben sollen.
In den französischsprachigen Provinzen lag die Wahlbeteiligung bei 67 Prozent, jedoch wird berichtet, dass es gerade in ländlichen Gebieten zu Einschüchterungen von Seiten des Regierungslagers kam und daher davon ausgegangen werden kann, dass sich hier vorwiegend regierungsaffine Bevölkerungsschichten registrieren ließen. EU-Wahlbeobachter waren nicht vor Ort. Die Wahlbeobachtungskommission der Afrikanischen Union berichtete, die Wahl sei „generell friedlich“ abgelaufen, jedoch seien Vertreter der Oppositionsparteien als Beobachter an den Wahllokalen nicht vertreten gewesen. Als Falschmeldung stellte sich die von staatlichen Medien zirkulierte Pressemitteilung von Transparency International heraus, welche am Tag nach den Wahlen diese als „absolut frei und fair“ analysierten. Die in Berlin ansässige Organisation distanzierte sich von der Mitteilung und bestätigte keine Wahlbeobachter vor Ort gehabt zu haben.
Erster Gratulant zur Wiederwahl war der Präsident des benachbarten Äquatorialguineas, Teodoro Nguema, mit 39 Jahren im Amt dienstältester Präsident Afrikas. Zuletzt zeigte der afrikanische Kontinent jedoch viele positive Beispiele auf: jahrzehntelang regierende Präsidenten oder Diktatoren wurden, mitsamt ihren Patronagenetzwerken, zum Rücktritt gezwungen um Platz für politischen Fortschritt und demokratische Reformen zu machen. So zum Beispiel Simbabwes Langzeitpräsident Robert Mugabe (1987-2017), Angolas Dos Santos (1979-2017) oder Gambias Yammeh (1996-2017). In anderen Ländern wie Äthiopien oder Südafrika sind zudem autokratisch regierende Staatspräsidenten von ihren Parteien zum Rücktritt gezwungen worden. Diesen positiven Entwicklungen sollte Kamerun leider nicht folgen.
Wahlen in Zeiten des „Ambazonien-Konflikts“
In der einst für Stabilität stehenden ehemaligen deutschen Kolonie sind Gewalt-ausschreitungen und Konflikte in allen geografischen Teilen des Landes präsent:
- Im Westen überlagert der derzeitige Konflikt in den anglophonen Provinzen die weiteren Konflikte im Osten und Norden des Landes.
- Im Osten überqueren mehr und mehr Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) die kamerunische Staatsgrenze, die Auseinandersetzungen zwischen der kamerunischen Bevölkerung und den Flüchtlingen nehmen aufgrund begrenzter Ressourcen zu.
- Im Norden (Region Extreme North sowie rund um den Tchadsee) operiert weiterhin Boko Haram. Auch wenn seit 2014 Nigeria, Niger, Tschad und Kamerun in Form eines „Joint Military Efforts“ gemeinsame Streitkräfte in der Grenzregion koordinieren, kam es bislang zu mehr als 2.000 Todesfällen durch Übergriffe der Terroristen.
Es ist anzunehmen, dass der derzeit stattfindende Abzug des Militärs aus dem Norden (eingesetzt um gegen Boko Haram zu kämpfen) und Osten (Sicherung des friedlichen Zu-sammenlebens zwischen Flüchtlingen aus der ZAR und kamerunischer Bevölkerung) in die anglophonen Westprovinzen zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage in den genannten Landesteilen führen wird. Laut World Food Programme sollen sich mittlerweile über 300.000 Flüchtlinge in Kamerun aufhalten.
Das Land Kamerun besteht aus zehn Provinzen, acht davon französischsprachig (ca. 20 Mio. Einwohner), zwei davon englischsprachig (ca. 5 Mio. Einwohner). In den beiden englischsprachigen Provinzen herrscht seit über einem Jahr ein Konflikt, der nahe an der Stufe eines Bürgerkriegs „niedriger Intensität“ steht. Allein im letzten Jahr starben bei den Unruhen mehr als 400 Personen, viele tausend Kameruner flüchteten oder wurden aus ihren Häusern vertrieben. Seit Beginn der der gewaltsamen Auseinandersetzungen im Jahr 2016 lähmen Streiks, Proteste und Demonstrationen Kameruns englischsprachige Regionen. Staatliche Schulen sind teilweise seit mehr als einem Jahr geschlossen. Generell wird der Zentralregierung eine Unterrepräsentation der englischsprachigen Minderheit (ca. 20 Prozent der Bevölkerung) vorgeworfen. In der Tat sind im Kabinett zum Beispiel nur drei von 36 Ministerposten für anglophon-stämmige Minister reserviert. Diese „Schieflage“ ist in ähnlicher Form auch im Rechtssystem vorhanden, da das Justizsystem hauptsächlich auf dem frankophonen Gewohnheitsrecht basiert.
Historisch lässt sich der Konflikt auf problematische Grenzziehungen der ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien zurückführen. Nach dem ersten Weltkrieg wurde die deutsche Kolonie Kamerun zwischen Frankreich (vier Fünftel) und Großbritannien (ein Fünftel, darunter der englischsprachige Westteil Kameruns) im Rahmen des Versailler Vertrags aufgeteilt. 1960 erlangte das französische Kamerun die Unabhängigkeit. Der nördliche Teil des britischen Mandatsgebietes stimmte bei einer vorangegangenen Volksabstimmung für den Anschluss an Nigeria, der südliche Teil für einen Anschluss an den Staat Kamerun. Hier beginnt die gemeinsame Geschichte zweier komplett getrennter Verwaltungssysteme mit den Amtssprachen Französisch und Englisch, welche am 20. Mai 1972 in einen zentralistischen Einheitsstaat umgewandelt (Vereinigte Republik Kamerun) wurde. Die bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden föderalen Strukturen wurden aufgelöst, seitdem gibt es im Land zwei Amtssprachen, zwei Rechtssysteme und zwei Bildungssysteme.
Die Regierung Biyas bekräftigte, dass sie in keinerlei Hinsicht Änderungen der Staatsform in Betracht ziehe und lässt das Militär hart gegen die Separatisten vorgehen. Seit Mitte 2017 kam es zunehmend zu Verhaftungen von regierungskritischen Gegnern, Rechtsanwälten und Veranstaltern von Protestaktionen. Der kamerunische Staat setzt Sezessionsbestrebungen mit Terrorismus gleich. Allerdings fühlt sich die anglophone Bevölkerung bei der Umsetzung des Systems diskriminiert, friedliche Proteste von Lehrern und Anwälten eskalierten im Jahr 2017 in gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dem Militär. Daraufhin radikalisierten sich Teile der Bevölkerung und fordern seitdem die Unabhängigkeit der anglophonen Provinzen als eigenen Staat „Ambazonien“.
Im Deutschen Bundestag fand im Juni 2018 ein Antrag der FDP-Fraktion Gehör. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Repression des kamerunischen Nationalstaats gegenüber Zivilisten soll die Entwicklungszusammenarbeit mit Kamerun auf den Prüfstand gestellt werden. Der Antrag fand keine Mehrheit. In einer 45-minütigen Generaldebatte am 11. Oktober 2018 forderten die Liberalen zudem, finanzielle Zusagen gegebenenfalls an Konditionen zu knüpfen. Ein weiterer Antrag der Fraktion der Grünen rief dazu auf, dass sich Deutschland als Vermittlungspartner im Konflikt stärker einbringen solle. Zudem solle Deutschland seinen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat dazu nutzen, durch UN-Maßnahmen zur Konfliktlösung beizutragen. Insgesamt zeigt dieser parlamentarische Austausch, dass die Lage in Kamerun auch in Berlin entsprechend verfolgt wird. Die Bundesregierung hat zudem versucht, im UN-Menschenrechtsrat eine offizielle Rüge gegen Kamerun zu erwirken.
Das „System Biya“: Mehrparteiensystem seit 1990 und zersplitterte Opposition – Auf dem Weg zu mehr Autokratie?
Kamerun verfügt offiziell über ein Mehrparteiensystem, das 1990 unter Paul Biya eingeführt wurde und aktuell über 200 registrierte Parteien umfasst. Die politische Öffnung Kameruns, in der Oppositionsparteien verstärkt die Chance bekamen, sich der Dominanz der Regierungspartei Rassemblement démocratique du Peuple Camerounais (RDPC) entgegenzustellen, führte jedoch bislang nicht zu einer grundlegenden Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse. Ein Blick auf die Sitzverteilung der vorangegangenen Wahlen der 180 Mandate umfassenden Nationalversammlung verdeutlicht dies:
- 2007: RDPC 153 (85%), SDF 16, UNDP 6, UDC 4, MP 1;
- 2013: RDPC 148 (82%), SDF 18, UNDP 5, UDC 4, UPC 3, MDR 1, MRC 1.
Im Senat, 2013 eingeführt, hält die RDPC 81 von 100 Sitzen (81 Prozent). Auch in den vorangegangenen Wahlperioden dominierte stets die frankophone Regierungspartei RDPC. Die (mittlerweile fast nur noch) anglophone Partei Social Democratic Front (SDF) stellt im Moment die größte oppositionelle Partei mit 18 Sitzen dar. Insgesamt ist in Kamerun die Opposition stark zersplittert. Die nächsten Parlamentswahlen sollen im kommenden Jahr stattfinden, nachdem sie aufgrund der Konflikte in diesem Jahr nicht durchgeführt werden konnten.
Paul Biya regiert das zentralafrikanische Land seit 36 Jahren. Er ist damit einer der am längsten regierenden Staatschefs in Afrika. Biya steht vor allem wegen der Beschränkung der Meinungsfreiheit und wegen staatlicher Gewalt in der Kritik. Prominente Oppositionelle sitzen in Haft. Politische Beobachter und Menschenrechtsaktivisten prangerten zuletzt den Einsatz der Spezialeinheit Brigade d’Intervention Rapide (BIR) an, um politische Kontrahenten der Biya-Regierung einzuschüchtern. Freedom House stuft Kamerun aktuell als unfreie, stark defizitäre Demokratie ein, in der Meinungsfreiheit, freie Wahlen und Menschenrechte zwar offiziell durch die Verfassung garantiert werden, in der Praxis aber oftmals nicht durchgesetzt werden können.
Im Laufe der Jahre hat sich Paul Biya zunehmend aus der Tagespolitik zurückgezogen. Anstatt sich mit dem Parlament und anderen politischen Instanzen auseinanderzusetzen, regiert er immer öfter per Dekret. Öffentliche Posten wie Minister und Staatssekretäre oder Leitungspositionen in Staatsunternehmen besetzt er zunehmend mit Vertrauten. Biya verzichtete auch darauf, einen Parteitag einzuberufen, damit die Regierungspartei RPDC seine Kandidatur absegnen konnte.
Ausblick
Die ehemalige deutsche Kolonie Kamerun galt in den vergangenen Jahrzenten als Stabilitätsanker Zentralafrikas. Heute ist das Land innenpolitisch gespalten und geprägt von Konflikten und humanitären Krisen an allen Landesgrenzen. Schon überwunden geglaubter Tribalismus unter den verschiedenen Volksgruppen flammt zudem wieder auf. Nach Ablauf seiner siebten Amtszeit wäre Paul Biya 93 Jahre alt.
Es bleibt abzuwarten, ob das Ergebnis der Wahlen die schon bestehenden Konfliktpotentiale noch verstärkt. Faktisch haben die Wahlen in den beiden englischsprachigen Provinzen nicht stattgefunden. Die erstmalige Abstinenz ganzer Bevölkerungsgruppen sowie die Zurückweisung des Wahlergebnisses durch die Opposition sind Anzeichen, dass sich die Lage im Land verschlechtern könnte. Die Stabilität Kameruns ist bereits heute durch die jüngsten Entwicklungen auf eine harte Probe gestellt. Es bleibt abzuwarten, ob der neue alte Präsident Paul Biya in der Lage ist, die Unruhen im Land beizulegen. Gegebenenfalls wird der ehemalige „Stabilitätsanker“ Zentralafrikas diesem Status wohl nicht länger gerecht werden können.
Ähnlich wie in der Demokratischen Republik Kongo könnte die katholische Kirche ein Mediator in dem Konflikt darstellen. Ende November wird auf Initiative der größten vier Kirchen des Landes ein Gipfel stattfinden, der einen wichtigen Schritt zur Friedensfindung in Kamerun darstellen könnte.
Bereitgestellt von
Regionalprogramm Energiesicherheit und Klimawandel Subsahara-Afrika
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