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Länderberichte

Parlamentswahlen in Neuseeland

von Eva Wagner

Die Nationals „Back on Track“

Neuseeland hat ein neues Parlament gewählt. Nach dem vorläufigen Wahlergebnis hat die National Party die meisten Stimmen erhalten und kann mit der ACT Party die Regierung bilden. Allerdings verfügen beide Parteien bisher nur über eine denkbar knappe Mehrheit von einem Sitz und es sind noch nicht alle Stimmen ausgezählt.

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Der Überblick in Kürze

Das vorläufige Wahlergebnis

Nach dem vorläufigen Wahlergebnis hat die National Party of New Zealand die meisten Stimmen (derzeit 50 von 121 Sitzen) bei den Parlamentswahlen am 14. Oktober gewonnen.

Es ist daher davon auszugehen, dass die Partei in Koalition mit ihrem traditionellen Koalitionspartner, der ACT Party die Regierung unter dem Parteivorsitzenden und designierten Premierminister Christopher Luxon wird bilden können. Zusammen verfügen beide Parteien derzeit über 61 Sitze. Aufgrund der denkbar knappen Mehrheit, der noch ausstehenden Auszählung der Briefwahl und einer Todesfall bedingten Nachwahl in einem Wahlkreis könnte die rechts-konservative Volkspartei zusätzlich auf die Unterstützung der New Zealand First Party angewiesen sein. Die Partei unter dem Vorsitz von Winston Peters gilt als rechts-populistisch und wird voraussichtlich über acht Sitze verfügen. Der Parteivorsitzende Luxon steht bereits in Koalitionsverhandlungen mit beiden Parteien. Das endgültige Wahlergebnis wird am 3. November bekanntgegeben.

 

Warum ist diese Wahl wichtig?

Das Land steht vor wichtigen (innenpolitischen) Herausforderungen. Die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie, die Energiewende und der Umgang mit der Maori-Bevölkerung beschäftigen die gut fünf Millionen Neuseeländer. Darüber hinaus wird sich die neue Regierung außenpolitisch klar positionieren müssen: Eine Entscheidung über das Ausmaß der weiteren Unterstützung der Ukraine, die Krise im Nahen Osten und ein etwaiger Beitritt zum „second pillar“ des AUKUS Partnership Agreements stehen dem Land bevor.

 

Warum ist das Ergebnis so wie es ist?

Das vorläufige Wahlergebnis reflektiert einerseits eine zunehmende Unzufriedenheit der Wähler mit der Politik der Labour Party. Über zwei Jahre pandemiebedingte Grenzschließungen, hohe Lebenshaltungskosten und die schleppende Umsetzung von kritischen Wahlversprechen wie dem Wohnungsbau und dem Ausbau und der Modernisierung der Infrastruktur haben die „Jacindamania“ zum Ende gebracht. Auch die Übergabe der Regierungsgeschäfte an Nachfolger Chris Hipkins konnte die Labour-Regierung nicht mehr retten. Andererseits wird auch in Neuseeland in Krisenzeiten traditionell eher konservativ gewählt; man traut den Konservativen in der Regierung zumindest das bessere wirtschaftliche Krisenmanagement zu. Bei den vorhergehenden Wahlen hatte Labour – erstmals seit Einführung des personalisierten Verhältniswahlrechts in den 1990er Jahren –noch eine absolute Mehrheit erreicht. Doch währte die Popularität der Krisenmanagerin Ardern ebenso wie das erfolgreiche „Ausschließen“ der Corona-Pandemie aus dem ozeanischen Inselstaat nicht dauerhaft.

 

Was ist von einer neuen Regierung zu erwarten?

Der designierte Premierminister Luxon[1] versprach im Wahlkampf unter anderem eine Reduzierung des Staatsapparats, Steuersenkungen, Investitionen in den Wohnungsbau, die Infrastruktur und den Gesundheitssektor, eine Reform des Bildungs- und Erziehungssektors, Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen (zur Umsetzung des bestehenden net zero by 2050-Ziels) sowie eine Verschärfung des Strafrechts. Auch im Umgang mit der Maori-Bevölkerung dürfte sich etwas ändern: Die ACT Party möchte Debatten um verschiedene Formen der politischen Einbindung der indigenen Maori durch ein Referendum beenden.[2]   Der Parteivorsitzende Luxon stellt sich gegen die Priorisierung der Maori-Sprache und Maori-Bevölkerung im Gesundheitssystem sowie gegen das Prinzip des Ko-Management/Ko-Regierung. In der oftmals bi-partisanen neuseeländischen Außenpolitik dürfte es vorerst keine wesentlichen Änderungen geben.

 

Das vorläufige Wahlergebnis

Ausweislich des vorläufigen Wahlergebnisses hat die National Party knapp 39% der Stimmen (50 Sitze - 17 mehr als 2020) erreicht; die Labour Party folgt mit knapp 27% der Stimmen (34 Sitze - 31 weniger als 2020); gefolgt von der Green Party mit 10,8% (14 Sitze - 4 mehr als 2020); die ACT Party mit 9% (11 Sitze, 1 Sitz mehr als 2020); die NZ First Party mit 6,5% (8 Sitze - 8 mehr als 2020, seinerzeit war die Partei an der 5% Hürde gescheitert) und der Maori Party mit 2,6% (4 Sitze - 2 mehr als 2020). Nach dem vorläufigen Wahlergebnis würde es also 121 Abgeordnete, einschließlich eines Überhangmandats, geben.

Nach derzeitigem Stand der Dinge könnte die National Party in Koalition mit ihrem traditionellen Koalitionspartner, der ACT Party, also eine knappe Regierungsmehrheit bilden. An dem vorläufigen Wahlergebnis könnte sich aus zwei Gründen jedoch noch etwas ändern.

Erstens steht die Auszählung der sogenannten Sonderstimmen (special votes)[7] noch aus, deren Anzahl vorläufig auf 567,000 (20,2% aller Stimmen) (vgl. 2020: 504,621) geschätzt wird. Hierzu gehören unter anderem Simmen aus dem Ausland (overseas votes) (vorläufig auf ca. 80,000) (vgl. 2020: 62,787), die bei Eingang binnen zehn Tagen nach der Wahl noch berücksichtigt werden.[8] Bisher haben Wähler im Ausland überwiegend links gewählt, wovon die meisten Kommentatoren auch diesmal wieder auszugehen scheinen. Andererseits dürften sich unter den Wählern im Ausland einige befinden, die während der Pandemie quasi aus dem Land ausgeschlossen waren. Es ist daher denkbar, dass diese Wähler der hierfür vor allem verantwortlichen Labour Party einen Denkzettel verpassen wollen.[9] Zweitens ist nach dem Tod des Kandidaten (Neil Christensen von der ACT Party)[10] für den Wahlkreis Port Waikato eine Nachwahl (by-election) erforderlich geworden, welche für den 25. November anberaumt wurde. Hierbei könnte sich theoretisch ein (weiteres) Überhangmandat ergeben.[11] In dem Fall wäre die National Party bei der Regierungsbildung zusätzlich auf die Unterstützung der New Zealand First Party angewiesen.[12] Der Parteivorsitzende Winston Peters könnte sich wiederum als „Königsmacher“ (kingmaker) herausstellen. Dies wären keine guten Nachrichten für die National Party, hat er (Peters) sich in der Vergangenheit doch als schwieriger Koalitionspartner (die Rede war von „eratic“ und „handbrake“) erwiesen. Das vorläufige Fazit von The Guardian: New Zealand in political limbo as National considers shape of coalition.[13]

Die Wahlbeteiligung wird vorläufig mit 78,4% (vgl. 2020: 82,2%) der registrierten Wähler eingeschätzt (Stand: 14. Oktober um 17 Uhr neuseeländischer Zeit). Wähler im Ausland (außerhalb von Neuseeland) konnten ihre Stimme seit dem 27. September abgeben. In Neuseeland war eine vorzeitige Stimmabgabe seit dem 2. Oktober möglich, hiervon haben diesmal ca. 1,15 Mio. (vgl. 2020: ca. 1,98 Mio.; 2017: ca. 1,24 Mio.) Wähler Gebrauch gemacht.

Das offizielle Wahlergebnis, einschließlich der sogenannten „special votes“, wird am 3. November bekanntgegeben.

 

Exkurs: Neuseeländisches Wahlsystem

Neuseeland wählt alle drei Jahre ein neues Parlament. Das „House of Representatives“ (nur eine Kammer) verfügt über 120 Sitze (ggfs. plus Überhangmandate). Wahlberechtigt sind alle Staatsbürger und Einwohner mit dauerhafter Aufenthaltsgenehmigung (unter bestimmten Bedingungen auch solche, die nicht in Neuseeland leben), die mindestens 18 Jahre alt sind.[14] Alle Wahlberechtigten müssen sich vor den Wahlen registrieren lassen; die Stimmabgabe ist hingegen freiwillig. 1993 wurde ein personalisiertes Verhältniswahlrecht (Mixed Member Proportional System) (MMP)[15] nach deutschem Vorbild[16] per Referendum beschlossen und bei den Wahlen 1996 erstmals eingesetzt. Alle registrierten Wähler können jeweils eine Stimme für den Direktkandidaten im jeweiligen Wahlbezirk und eine Stimme für die bevorzugte Partei abgeben. Insgesamt 72 Sitze werden über Direktmandate nach dem Mehrheitswahlprinzip vergeben, davon sind sieben Wahlkreise für Vertreter der indigenen Bevölkerung (Maori) reserviert.[17] Die verbleibenden Sitze werden nach einem Verhältniswahlsystem über Wahllisten der Parteien besetzt. Ähnlich wie im deutschen Wahlsystem gilt für die Parteien hierbei grundsätzlich eine 5%-Hürde, um im Parlament vertreten zu sein.

 

Ausgangslage

Die vorausgegangenen Parlamentswahlen fanden im Oktober 2020, d.h. mitten in der Pandemie, statt. Seinerzeit konnte die von der ehemaligen Premierministerin und ehemaligen Parteivorsitzenden Jacinda Ardern geführte Labour Party erstmals seit der Reform des neuseeländischen Wahlsystems in den 1990er Jahren von einem Mehrheitswahlrecht (First Past the Post) nach britischem Vorbild auf ein personalisiertes Verhältniswahlrecht (Mixed Member Proportional System) nach deutschem Vorbild[18] die absolute Mehrheit gewinnen. In der darauffolgenden Zeit gelang es Jacinda Ardern und der Labour Party noch länger von dem Bonus zu zehren, den ihnen der Umgang mit der Pandemie und anderer Krisen (Vulkanausbruch White Island; Terrorangriff auf Moscheen in Christchurch) eingebracht hatte:

Der erste Corona-Virus-Erkrankte wurde am 28. Februar 2020 gemeldet[19]; am Wahltag (16. Oktober 2020) lagen die Fallzahlen dank früher und stringenter Grenzschließungen gerade mal bei 1524[20]. Jene Grenzschließungen (März 2020 bis Juli 2022) sollten sich jedoch deutlich auf die Wirtschaft des Landes auswirken. So war es nicht weiter verwunderlich, dass die Stimmung im Lande nach und nach zu kippen begann.[21] Im März 2022 konnte die National Party (37%) die Labour Party (39%) erstmals wieder überholen. Im September 2023 - bei Auftakt der Wahlkampagne - lag die National Party mit 11% vor der Labour Party; in der Woche vor dem Wahltag waren es immer noch 9% Vorsprung (National Party: 37%; Labour: 28%).

Im Januar des Jahres kündigte Jacinda Ardern mit der Begründung ihren Rücktritt an, ihr sei die Kraft für die Amtsausübung (no longer enough in the tank to do the job) ausgegangen.[22]  Der wahre Grund dürfte in den fallenden Umfragewerten liegen, die nicht länger vermuten ließen, dass Labour die Wahlen unter ihrer Führung gewinnen würde. Nach ihrem Rücktritt übernahm Chris Hipkins die Parteiführung.[23] Der auch unter dem Spitznamen „Chippy“ bekannte Politiker war vor seiner Ernennung zum Premierminister unter anderem für das Pandemie-Management verantwortlich.[24] Auch die National Party unterzog sich in dieser Legislaturperiode einem Führungswechsel. Die seit dem Rücktritt von Todd Mueller (Juli 2020) amtierende Parteivorsitzende Judith Collins (erst die zweite Frau an der Spitze der Partei) wurde im November 2021 abgesetzt. Der Auslöser für die Absetzung dürfte Collins Entscheidung gewesen sein, ihren Amtsvorgänger und innerparteilichen Rivalen, Simon Bridges, wegen des Vorwurfs schwerer Verfehlungen (serious misconduct) seiner Funktionen zu entheben. Konkret soll Bridges in der Vergangenheit unangemessene Bemerkungen gegenüber einer Amtskollegin gemacht haben.[25] Collins wurde durch Christopher Luxon, den ehemaligen Geschäftsführer von Air New Zealand, ersetzt. Im Dezember 2021 enthob der neue Parteivorsitzende Luxon seinerseits seine Vorgängerin (Collins) ihrer Rollen und verwies sie auf die Rückbank (back bench).[26]

In den Wahlumfragen lag Jacinda Ardern zunächst lange als bevorzugte Premierministerin vorne (Januar 2022: 35% gegenüber 17% für Christopher Luxon). Im November 2022 konnte der Parteivorsitzende der National Party Jacinda Ardern erstmals als bevorzugter Premierminister überholen. Im Januar 2023 (nach Arderns Rücktritt) hatte dann zunächst der neue Parteivorsitzende der Labour Party, Chris Hipkins, die Nase vorne. Am Tag vor der Wahl lagen beide mit 25% gleichauf.

 

Der Wahlkampf

Die National Party kündigte bei ihrem Parteitag im Juni des Jahres an, Neuseeland wieder auf den richtigen Kurs (back on track) bringen zu wollen. Die stellvertretende Parteivorsitzende, Nicole Willis, machte deutlich, dass die Lebenshaltungskosten und die wirtschaftliche Erholung des Landes (we will stop the despair and start the great repair) im Fokus der Partei stehen würde. Die (auf dem Parteitag wiedergewählte) Parteipräsidentin, Sylvia Wood, betonte, National würde das von der Labour Party hinterlassene Chaos aufräumen (clean up the mess). Der Parteivorsitzende Luxon kündigte unter anderem ein reichweitendes strafrechtliches Reformpaket (restore law and order) an. Der Wahlkampf-Manager (campaign chair), Chris Bishop, sprach von der wichtigsten Wahl seit 1984 (nothing less than a fight for the future of our great country).

Im Rahmen des Wahlkampfauftakts am 3. September konkretisierte Luxon die Wahlversprechen der National Party (Pledge Card[27]) wie folgt:

 

  • Economy - Lower inflation and grow the economy
  • Finance - Tax cuts
  • Infrastructure - Build infrastructure through its Roads of National Significance policy
  • Legal system - restore law & order (inter alia by introducing boot camps for serious young offenders and stronger sentencing)
  • Education - Lift school achievement through an enforced hour of reading, writing and maths, alongside banning mobile phones and regular assessment)
  • Health - Cut health waiting times by training more health workforce
  • Seniors - Support through the Winter Energy Payment and increasing Super every year
  • Environment – Net zero emissions by 2050[28]

 

Die Wahlkampagne der Labour Party stand unter dem Motto „In for You“. In seiner Rede zum Wahlkampfauftakt der Partei am 2. September hob der Parteivorsitzende Hipkins unter anderem das aus seiner Sicht erfolgreiche Pandemie-Management, die Klimapolitik, den Wohnungsbau, Infrastrukturprojekte und den Kampf gegen Kinderarmut hervor. Sein Wahlversprechen: „A Government I lead will continue to invest in health and education and housing and transport and clean energy“. Das als „big spending socialist manifesto“ der Labour Party bezeichnete Wahlprogramm sieht unter anderem den Ausbau von kostenloser Kindererziehung (free early childhood education for 2 year olds), kostenlose Zahnbehandlungen für unter 30-jährige (free dental health care for under 30s) und andere finanzielle Erleichterungen vor. Die ehemalige Premierministerin Helen Clarke zeigte sich hoffnungsvoll: „We‘ve been here before and we won“.[29]

Die Veranstaltung wurde massiv von der sogenannten „Freedoms NZ“ Bewegung gestört, welche vom Vorsitzenden der Destiny Church, Brian Tamaki, zusammen mit der prominenten Impfgegnerin und Rechtsanwältin Sue Grey angeführt wird.[30] Es handelt sich hierbei um eine Dach-Vereinigung (umbrella party), zu der auch Vision NZ (unter der Führung von Hannah Tamaki) und die Outdoors & Freedom Party gehören. Die gleiche Bewegung führte Ende September einen Protestmarsch unter dem Motto „Abandon Agenda 2030“ (der Vereinten Nationen) auf das neuseeländische Parlament an. Medien zufolge richtete sich der Protest gegen „gender identity, politics, and everything in between” und verursachte ein massives Verkehrschaos in der Hauptstadt Wellington.[31] Hierbei soll Tamaki - wohl in Anlehnung an den Slogan (make America great again) des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump - propagiert haben: „I want New Zealand again to rise up out of the ashes. . . I have a vision of a New Zealand that can be great again.”

Die ehemalige Premierministerin Jacinda Ardern (sie absolviert gegenwärtig ein Fellowship an der University of Harvard) hat sich lange im Wahlkampf zurückgehalten[32] und erst in letzter Minute in den Wahlkampf eingeschaltet.[33] In einem auf den sozialen Medien übertragenem live Video ermutigte Ardern die Wähler, sich bei der Wahl von ihren Überzeugungen leiten zu lassen:

“If you voted for me in 2017, then thank you for that, but it probably means you were also voting for issues of child poverty and climate change … and the Labour party has had two terms in office – long enough to make progress, but not long enough to finish the job. Our country needs them to finish the job.”

Die Aufforderung dürfte einige Wähler angesprochen haben, aber wohl nicht genug, um der Labour Party eine weitere Amtszeit zu sichern.

 

Die TV-Duelle

Die drei TV-Duelle ließen deutliche Unterschiede zwischen den beiden Parteivorsitzenden erkennen. Der Berufspolitiker Hipkins (seit 2008) trat gegen den Newcomer Luxon (seit 2020) an.

Im ersten TV-Duell (19. September) sprachen beide wesentliche Vorhaben (core policies) ihrer jeweiligen Parteien an, u.a. die von der National Party geplanten Steuersenkungen. Beide debattierten heftig Maori im Gesundheitssystem, Ko-Management (co-governance)[34] (bspw. Waikato River Authority) und die Maori Gesundheitsbehörde (Maori Health Authority).[35]

Im zweiten TV-Duell (27. September) kamen unter anderem die gestiegene Kriminalitätsrate, insbesondere verursacht durch kriminelle Vereinigungen, und Drogenmissbrauch (z.B. bei Musikfestivals) zur Sprache.[36]

Das dritte TV-Duell fand kurz vor dem Wahltag statt (12. Oktober).[37] Der Parteivorsitzende Hipkins nutze die Gelegenheit, Luxon im Hinblick auf die Verfehlungen eines konservativen Abgeordneten (Sam Uffindell) in seiner Jugend zu brüskieren, nachdem dieser ihn zuvor umgekehrt für die Verfehlungen zweier seiner Abgeordneter zur Rede gestellt hatte. Es folgte eine hitzige Debatte der wesentlichen innenpolitischen Wahlkampfthemen (u.a. Lebenshaltungskosten, Steuern und Kinderarmut).

 

Die wirtschaftliche Lage

Das Pre-Election Economic and Fiscal Update (PREFU) wurde ca. einen Monat vor dem Wahltag veröffentlicht und belegt einen Aufwärtstrend: „PREFU shows no recession, growing economy, more jobs and wages ahead of inflation”.[38]

Die wichtigsten Punkte:

 

  • Economy to grow 2.6% on average over forecast period
  • Treasury not forecasting a recession
  • Inflation to return to the 1-3% target band next year
  • Wages set to grow 4.8% a year over forecast period
  • Unemployment to peak below the long-term average
  • Fiscal Rules met - Net debt to peak at 22.8% of GDP in 2024/25 and return to surplus in forecast period (2026/27).

 

In den Worten von Finanzminister Grant Robertson:

 

„The economy is turning a corner, but the challenges remain very real. New Zealand continues to feel the ongoing ripples of the 1-in-100 year economic shock from the global pandemic. Earlier this year, the country also experienced its second largest natural disaster.”

Gemeint ist der tropische Zyklon Gabrielle, der Anfang des Jahres erhebliche Schäden auf der Nordinsel verursacht hat:

„Cyclone Gabrielle has caused significant damage to homes, infrastructure, and livelihoods across northern and eastern regions of the North Island. The cyclone is New Zealand’s costliest non-earthquake natural disaster, with economic losses expected to exceed the NZD 2bn-4bn of losses of the 2016 Kaikōura earthquake.“[39]

China bleibt Neuseelands größter Handelspartner (2022: NZD 40,3 Bio. bilateraler Handel)[40], gefolgt von Australien und den USA.

 

Innen- und außenpolitische Herausforderungen

Die neue Regierung von Neuseeland wird sich multipler innen- und außenpolitischer politischer Herausforderungen annehmen müssen. Zu den innenpolitischen Herausforderungen gehören die nach wie vor hohen Lebenshaltungskosten[41], der Wohnungsmangel (einschließlich der Frage ausländischer Investoren/Eigentümer)[42], fehlende bzw. marode Infrastruktur[43], die Energiewende (angeblich gut aufgestellt, es bleiben jedoch Hürden)[44],das umstrittene Bildungs- und Erziehungssystem (u.a. ineffektive Lehrmethoden durch selbstbestimmtes Lernen)[45], und die steigende Kriminalitätsrate (laut The New Zealand Initiative um 12% zwischen 2017 und 2022)[46].

Der Treaty of Waitangi und Umgang mit der Maori-Bevölkerung bleibt ebenfalls ein wichtiges innenpolitisches Thema in Neuseeland. Die indigene Bevölkerung macht derzeit ca. 17% der Bevölkerung[47] aus (vgl. indigene Bevölkerung in Australien ca. 3,8%[48]). Neben Englisch ist Maori eine der offiziellen Sprachen; das Land wird regelmäßig als Aotearoa New Zealand bezeichnet, eine Umbenennung in Aotearoa (land of the long white cloud) immer mal wieder gefordert[49]. Auch andere Behörden, Organisationen und Institutionen verfügen über jeweils zwei Bezeichnungen; Veranstaltungen werden regelmäßig zweisprachig eröffnet. Der Lehrplan für das rechtswissenschaftliche Studium muss demnächst zwingend Maori-Recht beinhalten.[50] Das Verfassungsgericht (Supreme Court) bestätigte bereits letztes Jahr die Bedeutung von Maori-Recht im neuseeländischen Rechtswesen.[51] Die Priorisierung von Maori im Gesundheitssystem (u.a. verkürzte Wartezeiten bei Operationen[52]) wird ebenso kritisch debattiert wie das Thema Ko-Management (co-governance), einschließlich der Frage eines quasi ständigen Sitzes für einen Maori-Abgeordneten im Parlament.[53]  Letzteres hat der Parteivorsitzende Luxon ausdrücklich abgelehnt. Er wolle Entscheidungen weiterhin auf der Grundlage des nationalen Interesses und nicht ethnischen Gründen treffen. Der Parteivorsitzende Hipkins hatte hierzu eine vage Alternative (mahi tahi – working together) vorgeschlagen, ohne auf die Einzelheiten einzugehen.

Zu den außenpolitischen Herausforderungen der neuen Regierung gehören insbesondere der geopolitische Wettbewerb zwischen den Großmächten USA und China, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine (und damit verbundenen Frage der weiteren Unterstützung – bisher NZD 70 Mio.)[54] und der Konflikt im Nahen Osten (die bisherige Labour-Regierung hat kurz vor der Wahl NZD 5 Mio. an humanitärer Hilfe bereitgestellt)[55].

Darüber hinaus wird die neue Regierung voraussichtlich die Frage beantworten müssen, ob das Land dem sogenannten „second pillar“ des AUKUS Partnership Agreement[56] zwischen den USA, dem Vereinigten Königreich und Australien beitreten soll.[57] Hierbei geht es vor allem um den Austausch von Informationen zu neuen innovativen Verteidigungstechnologien (new cutting-edge defence technologies) wie zum Beispiel künstliche Intelligenz (KI), Qantencomputing und Cybertechnologien (cyber capabilities). Neuseeland gehört bekanntlich bereits der nachrichtendienstlichen Vereinigung (Five Eyes) zwischen Australien, Kanada, dem Vereinigten Königreich und den USA an; ein Beitritt zum AUKUS-Deal würde quasi eine Erweiterung dessen darstellen. Es fragt sich, ob Neuseeland hierdurch seine vielbetonte außenpolitische Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit als nuklearfreies Land einbüßen würde.

Eine weitere außen- bzw. handelspolitische Priorität der National Party stellt der Abschluss eines Freihandelsabkommens mit Indien dar.[58] Die Verhandlungen wurden 2010 aufgenommen, die letzte Verhandlungsrunde fand im Februar 2015 statt.[59] Der Abschluss wäre deshalb wichtig, weil es Neuseelands wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduzieren könnte. Das neuseeländische Außen- und Handelsministerium schätzt die Verhandlungen wegen der Bedeutung von Milch- und Milchprodukten in beiden Ländern als schwierig ein.[60] Darüber hinaus hat der Parteivorsitzende und designierte Premierminister Luxon[61] die bilateralen Beziehungen mit Australien als außenpolitische Priorität der National Party hervorgehoben[62], gleiches gilt unzweifelhaft für die transatlantischen Beziehungen mit den USA und der Pazifik-Region. Dementsprechend hat Luxon angekündigt, seine erste Auslandsreise werde nach Australien führen; er wolle sowohl am APEC Leaders Summit in San Francisco als auch am PIF Leaders Forum auf den Cook Inseln (beide noch im November) teilnehmen.[63]

Der Wahlkampf-Manager der National Party, Chris Bishop, geht davon aus, dass die Partei nach Auszählung aller Stimmen einen Sitz verlieren wird.[64] Vor diesem Hintergrund hat der Parteivorsitzende Luxon sowohl Koalitionsverhandlungen mit David Seymour von der ACT Party als auch mit Winston Peters von der New Zealand First Party aufgenommen. Bis zur Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses will er sich mit Aussagen zu etwaigen Absprachen zurückhalten (no parlour games).[65]

Die stellvertretende Parteivorsitzende und bisherige parteipolitische Sprecherin der National Party für Finanzen, Nicola Willis[66], wird als neue Finanzministerin gehandelt.[67] Der bisherige parteipolitische Sprecher für Justiz, Paul Goldsmith[68], hat inoffiziell sein Interesse an der Rolle des Außenministers verlauten lassen. Die genaue Zusammensetzung der neuen Regierung hängt jedoch vom endgültigem Wahlergebnis und darauf beruhenden Koalitionsverhandlungen ab.

Die Labour Party wird sich in der Opposition neu aufstellen müssen, wobei der bisherige Parteivorsitzende Chris Hipkins vorerst in seiner Rolle bestätigt wurde.[69] Die Green Party mit einem vorläufigem Zugewinn gegenüber 2020 von vier auf insgesamt 14 Sitzen wird entsprechend mehr Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen können. Gleiches gilt für die Maori Party, die die Anzahl ihrer Sitze im Parlament (von zwei auf vier) verdoppeln konnte. Bemerkenswerterweise ging der Wahlkreis der bisherigen Außenministerin Nanaia Mahuta an die erst 21-jährige Hana Maipa-Clarke von der Maori Party.[70] Die New Zealand First Party unter dem Parteivorsitzenden Winston Peters hat die 5% Hürde diesmal wieder überwinden können und wird voraussichtlich mit acht Abgeordneten im Parlament vertreten sein - ob in der Regierung oder in der Opposition ist noch offen.

 

Ein Kurswechsel für Neuseeland

Das vorläufige Wahlergebnis kommt nicht überraschend (die Wahlumfragen hatten es angedeutet). Neuseeland steht so nach zwei Labour-Regierungen unter Jacinda Ardern und zuletzt Chris Hipkins ein Kurswechsel bevor. Der National Party ist es gelungen, eine Vielzahl der abtrünnigen Labour-Wähler auf sich zu vereinigen. Viel wird in den kommenden Wochen von der Auszählung der Briefwahl abhängen. Sollte es bei einer hauchdünnen Mehrheit für die National Party und die ACT Party bleiben, befände man sich auf gewohntem Terrain: Bereits von 2008 bis 2017 wurde das Land von einer solchen Koalition –mit verschiedenen weiteren Partnern – regiert. Sollte die Regierungskoalition auf die Stimmen der rechts-populistischen New Zealand First Party angewiesen sein, dürfte dies die Verhandlungen erschweren. Christopher Luxon steht nach dem Ende der Pandemie keine einfache Aufgabe bevor. Die Neuseeländer erwarten schnelle wirtschaftliche Verbesserungen. Der erfahrene Wirtschaftslenker Luxon hatte deshalb im Wahlkampf mit einem umfassenden Reformpaket geworben. Nun stellt sich die Frage, wie und vor allem mit wem er dieses umsetzen kann.

Das offizielle Wahlergebnis wird am 3. November bekanntgegeben.

 

[1] From selling deodorant to running the country: New Zealand’s new PM, Christopher Luxon | New Zealand | The Guardian

[2] ACT proposes referendum on co-governance - ACT New Zealand

[3] Election - Overall Results (electionresults.govt.nz)

[4] 2020 General Election official results | Elections

[5] E9 Statistics - Overall Results (electionresults.govt.nz)

[6] Election - Overall Results (electionresults.govt.nz)

[7] Casting your vote from anywhere - special and overseas voting - New Zealand Parliament (www.parliament.nz)

[8] Preliminary results for the 2023 General Election | Elections

[9] Thousands of heartbroken Kiwis ‘in limbo’ as they remain locked out of New Zealand (smh.com.au)

[10] Election 2023: Act candidate Neil Christensen dies, by-election Port Waikato to be held - NZ Herald

[11] Port Waikato electorate could hold sway, with by-election that could add extra MP | Stuff.co.nz

[12] Election 2023: National will still need NZ First to form government, Westpac economist predicts - NZ Herald

[13] New Zealand in political limbo as National considers shape of coalition | New Zealand | The Guardian

[14] Enrol to vote | New Zealand Government (www.govt.nz)

[15] What is MMP? | Elections

[16] Polls Apart: NZ And Germany Interpret MMP Quite Differently | Newsroom

[17] Electorate profiles 2020 - New Zealand Parliament (www.parliament.nz)

[18] Polls Apart: NZ And Germany Interpret MMP Quite Differently | Newsroom

[19] Single case of COVID-19 confirmed in New Zealand | Ministry of Health NZ

[20] 4 new imported cases of COVID-19 | Ministry of Health NZ

[21] How polls have shifted as the election approached (1news.co.nz)

[22] Jacinda Ardern resigns as prime minister of New Zealand | Jacinda Ardern | The Guardian

[23] Chris Hipkins to become Labour leader, replace Ardern as PM (1news.co.nz)

[24] Chris Hipkins profile: who is New Zealand’s next prime minister after Jacinda Ardern? | New Zealand | The Guardian

[25] Simon Bridges demoted by National Party leader Judith Collins following serious misconduct allegation involving historic interaction with MP Jacqui Dean - NZ Herald

[26] New Zealand opposition leader Judith Collins ousted after move to demote rival backfires | New Zealand | The Guardian

[27] National Party election campaign launch: Christopher Luxon unveils ‘pledge card’ promises to voters - NZ Herald

[28] Speech: Campaign Launch (national.org.nz)

[29] Chris Hipkins: Speech Labour 2023 Campaign Launch - NZ Labour Party

[30] Election 2023: Labour Party campaign launch hijacked by Freedoms NZ supporters - NZ Herald

[31] Wellington protest: Freedom and Rights coalition march on Parliament ends, roads to reopen - NZ Herald

[32] Why is Jacinda Ardern absent from New Zealand election campaign? | New Zealand | The Guardian

[33] Jacinda Ardern throws support behind Labour days before New Zealand election | New Zealand | The Guardian

[34] What the hell is co-governance? An explainer…… - Democracy Action

[35] Leaders clash over core policy, find common ground in scrappy debate | The Post

[36] Hipkins and Luxon debate drugs, gangs and when they last took the bus in second leaders' debate | The Post

[37] Hipkins launches last-ditch, scorched-earth attack on Luxon | The Post

[38] PREFU shows no recession, growing economy, more jobs and wages ahead of inflation | Beehive.govt.nz

[39] Cyclone Gabrielle’s impact on the New Zealand economy and exports - March 2023 | New Zealand Ministry of Foreign Affairs and Trade (mfat.govt.nz)

[40] China | New Zealand Ministry of Foreign Affairs and Trade (mfat.govt.nz)

[41] New Zealand voters search for relief from ‘shocking’ living costs as election looms | Cost of living crisis | The Guardian

[42] New Zealand's housing crisis persists after four decades | RNZ

[43] Infrastructure Report: Opinion - Filling NZ’s $210b infrastructure deficit black hole - NZ Herald

[44] NZ 'well placed' to reach 100% renewable energy - but obstacles must be overcome | RNZ News

[45] Disagreement over how to tackle the education crisis - or if it even exists | RNZ News

[46] Pointing a water pistol at a forest fire: NZ crime rates out of control | The New Zealand Initiative (nzinitiative.org.nz)

[47] Māori population estimates: At 30 June 2022 | Stats NZ

[48] Aboriginal and Torres Strait Islander Peoples | Australian Bureau of Statistics (abs.gov.au)

[49] Aotearoa or New Zealand: has the moment come to change the country’s name? | New Zealand | The Guardian

[50] Tikanga Māori to be taught in law degree courses – Te Ao Māori News (teaonews.co.nz)

[51] Peter Ellis: Supreme Court decision reaffirms tikanga relevance to legal framework | RNZ News

[52] New Zealand starts giving priority to Māori and Pacific elective surgery patients | New Zealand | The Guardian

[53] New Zealand elections: Working together or co-governance? | Lowy Institute

[54] New Zealand’s strategic priority in the Indo-Pacific is not AUKUS – it's helping to defeat Russia in Ukraine (theconversation.com)

[55] Israel-Gaza conflict: New Zealand government providing $5m towards humanitarian aid | RNZ News

[56] Factsheet: Implementation of the Australia – United Kingdom – United States Partnership (AUKUS) (pmc.gov.au)

[57] The defence dilemma facing NZ's next government: stay independent or join 'pillar 2' of AUKUS? (theconversation.com)

[58] India Free Trade Agreement priority for National

[59] New Zealand-India FTA | New Zealand Ministry of Foreign Affairs and Trade (mfat.govt.nz)

[60] National wants India trade deal, but MFAT officials sceptical - NZ Herald

[61] Meet Christopher Luxon (national.org.nz)

[62] NZ PM-elect Chris Luxon singles out Australia relationship as priority (afr.com)

[63] New PM Chris Luxon wants ‘right chemistry’ in New Zealand coalition (afr.com)

[64] Luxon tight-lipped over coalition negotiations: No 'parlour games' (1news.co.nz)

[65] Luxon tight-lipped over coalition negotiations: No 'parlour games' (1news.co.nz)

[66] Nicola Willis (national.org.nz)

[67] New Zealand PM-elect Luxon says Willis 'locked in' as finance minister | Reuters

[68] Paul Goldsmith (national.org.nz)

[69] Chris Hipkins remaining as Labour leader - for now (1news.co.nz)

[70] Nanaia Mahuta unseated by 21-year-old newcomer Hana Maipi-Clarke (1news.co.nz)

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Leiter Regionalprogramm Australien und Pazifik

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Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in rund 110 Ländern auf fünf Kontinenten mit einem eigenen Büro vertreten. Die Auslandsmitarbeiter vor Ort können aus erster Hand über aktuelle Ereignisse und langfristige Entwicklungen in ihrem Einsatzland berichten. In den "Länderberichten" bieten sie den Nutzern der Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung exklusiv Analysen, Hintergrundinformationen und Einschätzungen.