„Alternance“ ist das Schlagwort für bevorstehende politische Wechsel im Senegal: So geschehen im März 2000 als Abdoulaye Wade an die Macht kam und im Juni 2012 mit der Wahl von Macky Sall zum Präsidenten der Republik. Das Ergebnis der kürzlich stattgefundenen Parlamentswahl zeigt eindeutig: Die Opposition gewinnt an Einfluss. Dies könnte ein Indiz für eine dritte „Alternance“ bei der nächsten Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2024 sein. Aber: Die Regierung hält massiv dagegen. Dafür sprechen insbesondere zwei Entwicklungen: zum einen der Fall Pape Diop, ein Abgeordneter, der nach der Wahl in das Bündnis der Regierungskoalition herübergezogen wurde, um dieser eine absolute Mehrheit zu sichern; zum anderen auch die Wahl des neuen Parlamentspräsidenten, Dr. Amadou Mame Diop, der als Überraschungskandidat der Regierungskoalition in dieses wichtige Amt berufen wurde. Weder bekannt noch besonders erfahren, steht er der Präsidentenfamilie nahe. Überraschend auch, weil damit Aminata Touré, Gesicht der Wahlkampagne und Spitzenkandidatin der Regierungskoalition, plötzlich ins Abseits gestellt wurde. Jede Parlamentswahl eröffnet dem Präsidenten die Möglichkeit, eine Erneuerung der Regierung einzuleiten. Dies wurde vom Staatschef prompt umgesetzt. Macky Sall berief finanzkräftige und deutlich jüngere Gefolgsleute in wichtige Ministerämter. Das Ziel: Der Opposition sollen keine Spielräume gelassen werden.
Die neue Regierung besteht nun insgesamt aus 31 Männer und acht Frauen[1]. Interessante Neuzugänge sind Oulimata Sarr, Minsiterin für Wirtschaft und Kooperation, sowie Victorine Ndeye, Ministerin für Mikrofinanzen und solidarische Wirtschaft (auch einige der wenigen Bürgermeisterinnen Senegals).
Macky Sall berief nun auch – zehn Monate nach der Ankündigung der Wiederbesetzung des Amtes – mit Amadou Ba erneut einen Premierminister. Ba diente schon als Außenminister sowie als Wirtschafts- und Finanzminister.
Ein neues Parlament: Wird sich die Opposition einbringen können?
Am Abend des Wahltages am 31.07.2022 war bereits klar, dass die Opposition mit dem Doppelbündnis YEWWI ASKAN Wi / WALLU wesentliche Gewinne für sich verbuchen würde. Das Regierungsbündnis Benno Bok Yakar hielt wortstark dagegen. Knapp vier Tage nach der Wahl ermöglichte der Lagerwechsel von Pape Diop (BOK GIS GIS) aus dem Oppositions- in das Regierungsbündnis, dass die Regierung nun doch über eine absolute Mehrheit mit jetzt 83 Sitzen verfügen wird. Die Opposition besetzt 80 Plätze.
Die Befürchtung, dass die Opposition das Ergebnis nicht anerkennen würde und damit die Spannung weiter aufheizen würde, trat zur großen Erleichterung der Bevölkerung nicht ein. Es hieß, dass sich im Hintergrund sowohl die religiösen Führer als auch die Mediatoren der Zivilgesellschaft dafür eingesetzt hätten. Die Abgeordneten der 14. Legislaturperiode wurden offiziell am 12. September 2022 vereidigt. Tumultartige Szenen und im Senegal ungewohnte Bilder beherrschten die Einsetzung der neuen Abgeordneten und die Wahl des neuen Parlamentspräsidenten. Wüste Beschimpfungen, Handgreiflichkeiten, nackte Füße auf Tischen, ein Oberbürgermeister (die im Senegal auch Abgeordnete sein dürfen), der ein Mikrophon an sich riss, ein Abgeordneter, der die Wahlurne kaperte, verstreute Dokumente: Die Gendarmerie musste eingreifen, um Ruhe und der Geschäftsordnung wieder Geltung zu verschaffen. Inwieweit das neue Parlament arbeitsfähig sein wird, wird sich zeigen. Die Opposition hat bereits angekündigt, sich intensiv einbringen zu wollen. Bisher wurde dem Parlament wenig zugetraut. Kommissionen wurden in ihrer Arbeit zum Teil durch die Entscheidungen von Ministern oder vom Präsidenten selbst immer wieder behindert. Außerdem schwebt über diesem Parlament das Damoklesschwert einer möglichen vorzeitigen Auflösung im Zuge der für 2024 vorgesehenen Präsidentschaftswahl.
„Transhumance“ – gängige politische Praxis und ein Spiel mit doppeltem Boden
Transhumance bezeichnet im Senegal politische Lagerwechsel. Wörtliche übersetzt: „Nomadentum“. Pape Diop ist ein Mann mit vielen Gesichtern. Er war von 2002 bis 2009 Oberbürgermeister von Dakar und von 2002 bis 2005 Parlamentspräsident. 2012 gründet er seine eigene Partei BOK GIS GIS, die in diesen Wahlen ein Bündnis mit der Partei LIGGEY eingegangen war. Lange bevor er in die Politik einstieg, war er – und ist er immer noch – ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er ist mit dem Export von Fisch reich geworden. Seinen überraschenden Wechsel ins Regierungslager im Nachgang der Wahl begründete er mit seiner Verantwortung gegenüber dem senegalesischen Volk. Er wolle Einheit und Stabilität. Mit seinem Schritt habe er für die absolute Mehrheit der Regierungskoalition gesorgt und garantiere somit, dass Parlamentshandlungen von der Opposition nicht blockiert werden könnten. Ein gesetzliches Schlupfloch macht das möglich: Nur wenn ein Abgeordneter seine Partei verlässt, verliert er sein Mandat; wechselt jedoch die gesamte Partei das Bündnis hat dies keinerlei Konsequenzen – wenn man von kritischen Kommentaren in den Medien und den Parteiaustritten empörter Wegbegleiter Diops absieht.
Aminata Touré gerät ins Abseits, neuer Parlamentspräsident ist Dr. Amadou Mame Diop
Die Ökonomin und ehemalige Premierministerin ist ein bekanntes Gesicht im Senegal. Sie gilt als konsensorientiert und steht seit langem an der Seite von Präsident Macky Sall in der Regierungskoalition Benno Bok Yakar. In den zwei Wochen der Wahlkampagne reiste sie durch das Land und mobilisierte die Massen. Sie war das Gesicht der Kampagne der Regierungskoalition: lächelnd, souverän und selbstbewusst, volksnah. Sie pries die Errungenschaften der letzten Jahre, ganz im Sinne der Regierung. Sie repräsentierte die Hoffnung vieler Wähler, dass das Parlament in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen würde. In Afrika schreibt man Frauen generell mehr Gemeinsinn zu. Im Senegal gibt es genügend Frauenthemen, die mit einer Parlamentspräsidentin Touré wohl mehr Aufmerksamkeit bekommen hätten. Die Parität in gewählten Instanzen ist seit 2010 gesetzlich verankert, wurde aber bislang eher formal quantitativ als qualitativ umgesetzt. Weshalb Aminata Touré jetzt ins Abseits rutschte, ist unklar. Allerdings ist sie, ob ihrer unerschrockenen und selbstbewussten Haltung, mit der sie ihre Meinung vertritt, nicht bei allen politischen Akteuren – auch in der Regierungskoalition – beliebt. Anscheinend hatten einige Parlamentarier der Regierungskoalition ihren Widerstand gegen die Kandidatin erfolgreich in die Beratungen nach der Wahl einbringen können. Angesichts der sehr knappen Mehrheitsverhältnisse wurde offenbar ein Kandidat bevorzugt, der keine Kontroversen auslöste. Die Regierungskoalition – oder vielleicht auch Macky Sall persönlich – sorgte dafür, dass Dr. Amadou Mame Diop in dieses wichtige Amt gewählt wurde. Er ist der Öffentlichkeit bisher wenig bekannt, gehört aber als Kommunalpolitiker zu den treuen Gefolgsleuten des Präsidenten im Norden des Landes. Er hat Pharmazie studiert und ist Inhaber einer Apotheke. In diesem Jahr wurde er als Bürgermeister von Richard Toll (Stadt der Zuckerproduktion im Norden des Senegal) wiedergewählt. Darüber hinaus wurde er im vergangenen Jahr als Direktor der Investitionsplattform für Tourismus eingesetzt.
Aufgeheiztes Klima im Vorfeld der Kampagne
Auch diese Wahl wurde wieder von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit mindestens drei Toten überschattet. Ursache war eine Zurückweisung von Kandidatenlisten wegen Formfehlern. Es betraf die Liste der Stellvertreter der Regierungskoalition BBY und die nationale Liste der Oppositionskoalition YEWWI ASKAN WI / WALLU. Diese Entscheidung rief landesweit Politiker und Bürger auf den Plan, die ihrer Empörung freien Lauf ließen. Der Regierung wurde unterstellt, die Opposition von vorneherein ausschalten zu wollen. Ousmane Sonko, Spitzenkandidat der Opposition, amtierender Bürgermeister von Ziguinchor und Parteichef von PASTEF Les Patrioten, einer der Parteien des Oppositionsbündnisses, konnte somit nicht zur Wahl antreten. Er rief zu Massenkundgebungen in Dakar und Ziguinchor noch vor Beginn der Wahlkampagne auf. Diese wurden in letzter Minute unter massiven Sicherheitsvorkehrungen genehmigt. An den Kundgebungen nahmen vor allem Jugendliche teil. Im Ergebnis gab es sehr unschöne Bilder: brennende Reifen, Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, zerstörte Einrichtungen. Leider gab es im Rahmen der Proteste auch drei Tote zu verzeichnen. Bis heute ist unklar, wie es zu den Todesfällen kam und ob von der Politik vorsätzlich gehandelt wurde. Politiker wurden festgenommen und erst Tage später wieder freigelassen. Es wurde außerdem eine Gruppe festgenommen, der man terroristische Sabotageakte unterstellte, u.a. mit Verbindungen zu den Rebellengruppen im Süden. Zwei weitere Personen dieser Gruppe starben aus bisher ungeklärten Gründen in Untersuchungshaft. Die Untersuchungen dazu dauern an. Obwohl ursprünglich weitere Kundgebungen geplant waren, wurden diese von der Opposition selbst abgesagt – einerseits weil Spitzenkandidaten zum Teil daran gehindert wurden, ihre Häuser zu verlassen, um an diesen Kundgebungen teilzunehmen; zum anderen, weil die Opposition selbst die mit den Kundgebungen einhergehenden Gefahren erkannt hatte. Die Opposition versicherte, das Land nicht in Flammen sehen zu wollen und das Wahlergebnis voll und ganz zu akzeptieren. Die breite Bevölkerung beobachtete das Spektakel mehr oder weniger gelassen: Man vermied großräumig die Schauplätze, ging früher nach Hause oder blieb ganz zu Hause, um nicht in den Megastaus von Dakar stecken zu bleiben.
Das politische Gewicht der Jugend ist nicht zu unterschätzen
Von ca. 7,03 Mio. registrierten Wählern kamen 46,6 % in die Wahllokale. Der Wahltag selbst verlief friedlich. Wahlbeobachter der Zivilgesellschaft und auch der ECOWAS sowie viele Medien bestätigten diesen Eindruck. Eine große Herausforderung und Ursache für die geringe Wahlbeteiligung war sicher auch die Tatsache, dass viele Bürger das Dokument zur Wahlberechtigung nicht besaßen, sprich einen gültigen Ausweis oder eine Wahlberechtigungskarte.
Die Opposition sprach sich vor allem für die Einbindung und Rechte der Jugend und gegen die vermeintlich illegalen Machenschaften der amtierenden Regierung aus. Ousmane Sonko reiste für seine Koalition YEWWI ASKAN WI durch das Land, obwohl er als Spitzenkandidat einer zurückgewiesenen Liste gar nicht zur Wahl stand. Alles solle man ändern, um sich aus Abhängigkeiten und Ungerechtigkeiten zu befreien. Ein mögliches drittes Mandat von Amtsinhaber Macky Sall, welches laut senegalesischer Verfassung nicht zulässig ist, sei auf jeden Fall zu vermeiden. Die Stimme der Jugend hatte politisches Gewicht, schon rein demografisch.
Wie geht es weiter?
Ob das neue Parlament der 14. Legislaturperiode seine Arbeit im Sinne der Wähler ausüben kann und will, wird sich zeigen. Die meisten Abgeordneten sind keine bekannten Persönlichkeiten. In der Regel wohnen sie nicht in ihrem Wahlkreis, weshalb sie von der Bevölkerung auch kaum wahrgenommen werden. Sie setzen sich nicht unbedingt für die Interessen der von ihnen vertretenen Regionen ein, es sei denn als Vorarbeit auf den nächsten besseren Posten. Bei der Besetzung der Spitzenkandidaten auf den Listen zählte vor allem das Ansehen im jeweiligen Bündnis. Diese Bündnisse sind im Senegal extrem volatil: Sie können sich schnell auflösen oder verändern, unabhängig vom Wählerwillen. Auch gewählte Abgeordnete können ohne größere negative Konsequenzen fürchten zu müssen die Koalition wechseln – wie jüngst praktiziert von Pape Diop. Schon jetzt haben alle Parteienbündnisse ihre Kandidaten für die voraussichtlich im April 2024 anstehende Präsidentschaftswahl benannt. Insbesondere die Opposition wird alles daransetzen, einen Machtwechsel voranzutreiben. Der Oppositionsführer Ousmane Sonko ist bereits wieder auf Tour. Es bleibt auch abzuwarten, ob die gegen ihn anhängigen Klagen wegen Vergewaltigung und Veruntreuung zur Verhandlung kommen. Die jüngst von der Opposition geäußerten Solidaritätsbekundungen zur Militärregierung in Bamako / Mali gegen imperialistische Einflüsse der westlichen Welt lassen ebenso aufhorchen. Ob dies nur Rhetorik oder ernst gemeinte Kampfansagen sind, ist derzeit nicht bewertbar. Die Regierung hat sich mit der gegenwärtigen Umbildung bereits jetzt für die Präsidentschaftswahlen in Stellung gebracht und ist mit der Finanzkraft seiner Getreuen deutlich im Vorteil.
Allen Unkenrufen, Warnungen, kritischen Einschätzungen namhafter Rechtsexperten und internationalen Medien, die Senegals Demokratie auf dem Weg in die Instabilität sehen, zum Trotz: Das Land ist nicht im Chaos versunken. Sicherlich zeigen sich ungewohnte Politikerprofile und radikale Oppositionspolitiker gewinnen an Einfluss. Neu sind sicherlich auch gewisse Verhaltensweisen in bislang respektierten Institutionen. Senegal stellt sich den Veränderungen, auch wenn eine Parlamentsmehrheit gegen den Präsidenten von der Regierungskoalition in letzter Sekunde durch die „Transhumance“ der Partei von Pape Diop verhindert werden konnte. Dennoch kommt die Opposition im neuen Parlament zahlenmäßig fast an die Regierungskoalition heran – eine Premiere in der Geschichte der senegalesischen Nationalversammlung. Dies könnte auch ein Schritt auf dem Weg zur nächsten „Alternance“ sein.
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