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Plötzlich Überraschungen: Bidens Rückzug und der Wahlkampf in den USA

von Dr. Hardy Ostry, Jan Bösche

Der Rückzug von Präsident Biden verändert das Rennen um das Weiße Haus grundlegend

Lange sah es danach aus, dass die Wahlen in den USA eine Wiederholung der Wahlen von vor vier Jahren sein würden: Joe Biden gegen Donald Trump. Das hat sich jetzt geändert: Nach einem schwachen Auftritt in einer Fernsehdebatte und einer immer lauter werdenden Debatte innerhalb der Demokratischen Partei hat sich Präsident Biden aus dem Rennen verabschiedet.

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Bidens Rückzug

Es dauerte dreieinhalb Wochen: Ende Juni hatte sich Präsident Joe Biden einer Fernsehdebatte mit seinem Herausforderer (und Vorgänger) Donald Trump gestellt. Biden hatte den Termin vorgeschlagen, um seinem Wahlkampf neuen Schwung zu geben und Kritikern zu beweisen, dass er trotz seines Alters noch kraftvoll auftreten kann. Allerdings geschah das Gegenteil: Bidens fahriges Auftreten entflammte eine Diskussion innerhalb der Demokratischen Partei, ob er der richtige Kandidat ist.

Dreieinhalb Wochen lang widersetzte sich Biden allen öffentlichen und privaten Aufrufen, seine Kandidatur zu überdenken. Der Druck wurde aber zu groß: Kritische Äußerungen bekannter Demokraten, schlechte Umfragewerte und vor allem die Zögerlichkeit vieler Spender, seinen Wahlkampf weiter zu unterstützen, führten dazu, dass Biden schließlich per Brief seinen Rückzug aus dem Wahlkampf ankündigte.

In dem Brief heißt es, es sei die größte Ehre seines Lebens, als Präsident zu dienen. Und obwohl er sich eigentlich um eine Wiederwahl bemühen wollte, glaube er, dass es das Beste für die Partei und das Land sei, sich zurückzuhalten und sich voll darauf zu konzentrieren, seine Pflichten als Präsident für den Rest der Amtszeit auszufüllen.

In seinem Brief dankte Biden allen, die sich für seine Wiederwahl eingesetzt hatten, vor allem Vizepräsidentin Kamala Harris. Nicht in dem Brief, sondern eine halbe Stunde später in den Sozialen Medien erklärte Biden dann, dass er Harris als neue Kandidatin vorschlage und voll unterstütze.  

 

Wie geht es weiter?

Bidens Rückzug mitten im Vorwahlkampf stellt die Demokratische Partei vor organisatorische Herausforderungen. Biden hatte fast alle Vorwahlen gewonnen. Das bedeutet, dass die überwiegende Mehrheit der Delegierten auf dem Parteitag im August für ihn stimmen sollten. Biden kann diese Delegierten freigeben, er kann sie aber nicht einer anderen Kandidatin versprechen. Das bedeutet, die Delegierten können frei entscheiden, welche Kandidatur sie unterstützen wollen. Einen solchen „offenen“ Parteitag gab es für die Demokraten das letzte Mal 1968.

Jamie Harrison, Vorsitzender des Democratic National Committee, teilte mit, es werde einen transparenten und geordneten Prozess geben. Die Delegierten seien bereit, ihre Verantwortung ernst zu nehmen und den Amerikanern schnell einen neuen Kandidaten zu geben.

Fragen sind noch offen, wie schnell diese Nominierung passieren kann. Eigentlich hatte die Partei noch vor dem Parteitag eine virtuelle Abstimmung der Delegierten geplant. Sie sollte sicherstellen, dass Präsident Biden so rechtzeitig nominiert wird, dass er ohne Probleme auch auf den Wahlzetteln in Ohio stehen kann. Der Bundestaat hat sehr frühe Meldefristen. Da Bidens Delegiertenzahl so hoch ist, gab es an dem Ausgang dieser Abstimmung keinen Zweifel. Die Frage ist nun, ob die Partei diese virtuelle Abstimmung weiterhin abhalten wird, welche Kandidaten daran teilnehmen können und wie aussagekräftig ein Ergebnis wäre. Alles deutet darauf hin, dass die Parteiführung diese virtuelle Abstimmung weiterhin durchführen will. Ein Grund: Die große Zustimmung, die Kamala Harris als mögliche neue Kandidatin bereits erhalten hat.

 

Kamala Harris‘ Chancen

Eine entscheidende Frage der kommenden Tage ist nun, wer alles die Nachfolge von Biden als demokratischer Kandidat antreten will. Die naheliegende Kandidatin ist Kamala Harris, Bidens Vizepräsidentin. Sie verbrachte den Sonntag nach Bidens Ankündigung, um mit mehr als 100 Parteivertretern, Gouverneuren und Kongressmitgliedern zu sprechen. Ihre Botschaft: Sie sei dankbar für Bidens Unterstützung, wolle sich die Nominierung aber selbst verdienen.[1]

Harris hat bereits erheblichen Rückenwind: Biden schlug sie als neue Kandidatin vor. Bekannte Demokraten wie Bill und Hillary Clinton haben bereits ihre Unterstützung erklärt. Wichtige Signale kommen auch von Demokraten, die als potenzielle Präsidentschaftskandidaten der Partei gehandelt werden: Die Gouverneure von Kalifornien, Pennsylvania und Illinois, Gavin Newsom, Josh Shapiro und J.B. Pritzker erklärten, Harris unterstützen zu wollen. Die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, sagte, dass sie in diesem Jahr nicht für das Präsidentenamt kandidieren werde.

Wichtig für Harris ist auch, dass sich der Abgeordnete James Clyburn aus South Carolina für sie ausgesprochen hat. Clyburns Unterstützung für Biden vor vier Jahren gilt als entscheidender Wendepunkt in Bidens erfolgreicher Präsidentschaftskandidatur. [2]

Entscheidend war aber die Unterstützung der früheren Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Sie kommt wie Harris aus Kalifornien und half, die Delegierten aus diesem Bundesstaat auf Harris einzuschwören. Damit hat Harris schon die nötige Zahl an Delegierten erreicht, die zugesagt haben, auf dem Parteitag für sie zu stimmen.

Andere Demokraten, allen voran der frühere Präsident Barak Obama, hielten sich mit einer offenen Unterstützung noch zurück und plädierten für einen offenen Wettstreit auf dem Parteitag.

Harris hat einen weiteren Vorteil auf ihrer Seite: Geld. Als Bidens Vizepräsidentin hat sie dessen Wahlkampagne mitgetragen, die Organisation änderte ihren Namen offiziell zu „Harris for President“.  Experten gehen davon aus, dass Harris damit auch Bidens Millionen-Dollar schwere Spendenkasse weiter nutzen kann. Saurav Ghosh vom „Campaign Legal Center“ sagte, Biden und Harris hätten das Geld bereits geteilt, weil die Gesetze es den Kandidaten für Präsident und Vizepräsident erlauben würden, gemeinsam anzutreten. Wenn sie offizielle Kandidatin werde, bleibe der Zugriff auf das Geld erhalten. [3]

Die Demokratische Spendenplattform „ActBlue“ meldete, in den Stunden nach Bidens Ankündigung habe Harris fast 47 Millionen Dollar von Kleinspendern eingenommen, die größte Tagessumme dieses Wahlkampfes.[4]

Solche Spenden gelten als wichtiger Indikator für die Unterstützung eines Kandidaten. Je mehr Harris davon einsammeln kann, und je mehr prominente Demokaten sich für sie aussprechen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich Harris ohne große Auseinandersetzungen die Präsidentschaftskandidatur sichern kann.

Dann beginnt die eigentliche Aufgabe: Harris muss zeigen, dass sie die Wahl gewinnen kann. Ihre Nominierung kann besonders junge und weibliche Wählergruppen motivieren, die für den Biden-Harris Wahlerfolg vor vier Jahren entscheidend waren. Harris hat sich in den vergangenen Monaten stark für das Abtreibungsrecht eingesetzt, ein wichtiges Wahlkampfthema. Andererseits war sie im Weißen Haus auch für Einwanderung und die Lage an der Grenze zuständig – das andere zentrale Wahlkampfthema, mit dem die Republikaner besonders punkten wollen.

Harris muss beweisen, dass sie auch in anderen wichtigen Themen sprechfähig ist, und sie muss zeigen, dass sie aus den Fehlern gelernt hat, die vor vier Jahren zum Ende ihrer eigenen Präsidentschaftskandidatur geführt hatten.

 

Auswirkungen auf die Republikaner

Bidens Rückzug verändert den Wahlkampf der Republikaner entscheidend – die zweite Änderung innerhalb einer Woche. Am Wochenende vorher hatte Donald Trump knapp ein Attentat bei einer Wahlkampfveranstaltung überlebt. Der Anschlag erschütterte das Land und zementierte Trumps Position an der Spitze der Republikanischen Partei. Das machte sein Nominierungsparteitag in den Tagen nach dem Anschlag deutlich.

Umfragewerte, Bidens schwacher Auftritt in der Fernsehdebatte und die folgenden Diskussionen um seine Präsidentschaft stärkten Trumps Position und seine Hoffnung, die Wahl zu gewinnen. Seine Entscheidung für seinen „Running Mate“ als Vizepräsidenten unterstreicht das: Statt einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu wählen, die seine politische Basis verbreitern und weitere Wählerschichten ansprechen könnte, entschied sich Trump für den jungen Senator J.C. Vance. Vance ist ein wortgewandter Verteidiger der rechtspolitischen Agenda Trumps: „Eine jüngere, attraktivere und wortgewandtere Version seiner selbst - er wollte seine Botschaft verstärken.“[5]

Bidens Rückzug aus dem Rennen hat Trump ein wichtiges Wahlkampf-Thema genommen: Jetzt ist Biden nicht mehr der älteste Kandidat in der Geschichte, sondern Trump selbst. Jetzt werden seine Wahlkampfauftritte verstärkt beobachtet werden, ob und wie sich sein Alter zeigt.

Trumps Reaktion auf Bidens Rückzug war eine Schimpftirade – sogar das konservative Wall Street Journal kommentierte, Trump habe eine Chance verspielt, präsidial zu reagieren: „Der größte Zweifel, den Wähler an Trump haben, ist, dass er ein spaltender, rachsüchtiger Mann ist, der nicht alle Amerikaner repräsentieren kann. Er hatte am Sonntag die Chance zu zeigen, dass er zu mehr fähig ist, aber er hat die Gelegenheit nicht genutzt.“[6]

Wie das Magazin „Atlantic“ berichtet, hat Bidens Rückzug die Republikaner geschockt. [7]Nach einem erfolgreichen Parteitag hätten viele von ihnen geglaubt, das Rennen sei vorbei. Jetzt müsse die Partei ihren Wahlkampf neu justieren, der bisher gegen Biden ausgerichtet war. Donald Trump selbst schrieb bei „Truth Social“, sie hätten Zeit und Geld in den Kampf gegen Biden investiert: „Jetzt müssen wir wieder von vorne anfangen.“[8]

Das Alter Bidens kann kein Argument mehr sein. Seine Leistungen – oder Verfehlungen – werden sie jetzt der amtierenden Vizepräsidentin anhängen – wenn Harris die Kandidatin der Demokraten wird. Republikaner werfen ihr vor, von Bidens Zustand gewusst und die Amerikaner darüber im Dunklen gelassen zu haben.

Harris‘ Rolle in der Einwanderungspolitik der Biden-Regierung macht sie angreifbar, weil viele Amerikaner die Lage an der Südgrenze als bedrohlich empfinden und die Republikaner hier eines ihrer wichtigsten Wahlkampfthemen sehen.

Dass Harris als erste schwarze Frau Präsidentin werden könnte, mindert Trumps Chancen, in der afroamerikanischen Bevölkerung zusätzliche Stimmen zu sammeln. Bei der wichtiger werdenden Wählergruppe der Latinos werden Umfragen zeigen, ob Harris oder Trump besser punkten können. Bislang zeigten sich diese Wähler bei vielen Themen mit Trump und Biden unzufrieden. Einer Umfrage des Pew-Centers zufolge hätten Beide gleichviele Stimmen von Latino-Wählern erhalten. [9] Vor allem aber dürfte Harris authentisch und wohl bedacht eine Karte im Wahlkampf ausspielen, die bereits Biden seinerzeit mit ins Amt verhalf: Nicht nur wegen der Abtreibungsdiskussion wird sie vermutlich wie keine andere in der Lage sein, die Frauen an die Wahlurnen zu bringen, die zuletzt eher indifferent Bidens Kandidatur begleitet haben.

 

[1] https://apnews.com/live/biden-trump-election-campaign-updates#00000190-da7c-db1f-aff3-dffd05100000

[2] Übersicht: https://www.nytimes.com/interactive/2024/07/22/us/politics/kamala-harris-democrats-endorsement-list.html

[3] https://www.vox.com/joe-biden/361991/361991biden-campaign-funds-after-drops-out?utm_source=pocket-newtab-en-us

[4] https://x.com/actblue/status/1815198823771165179

[5] https://www.brookings.edu/articles/trump-chose-vance-to-reinforce-his-message/

[6] https://www.wsj.com/articles/trump-gives-an-assist-to-democrats-truth-social-election-135a3e97?mod=opinion_lead_pos2

[7] https://www.theatlantic.com/politics/archive/2024/07/trump-campaign-biden-dropping-out/679183/

[8] https://truthsocial.com/@realDonaldTrump/112826696160137948

[9] https://pewrsr.ch/3LvXFdu

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Dr. Hardy Ostry

Dr. Hardy Ostry

Leiter des Auslandsbüros Washington, D.C.

hardy.ostry@kas.de

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