Die Europäische Kommission schlug Ende Juli 2022 vor, dass jedes EU-Mitglied zum einen den Gasverbrauch zwischen dem 1. August 2022 und dem 31. März 2023 um 15 % reduzieren und zweitens die Erdgasspeicher bis zum 1. November 2022 zu mindestens 80 % gefüllt haben sollte, um die Versorgung im Winter sicherzustellen. Diesen Forderungen ist Rumänien rechtzeitig und ohne große Mühe nachgekommen. Rumänien ist mit mehr als 3 Mrd. Kubikmeter Gas im Speicher in diesen bislang außergewöhnlich milden Winter gestartet. Zudem zählt das Land im Süden Osteuropas seit Jahren zu den EU-Ländern mit dem geringsten Gasverbrauch. Auch Rumäniens Gesamtenergieverbrauch von 25 Mio. Tonnen Rohöleinheiten im Jahr 2020 entspricht nur 2,5 % des Verbrauchs der gesamten EU. Oder anders formuliert: Nur 11 % des deutschen Verbrauchs. Pro Person sind dies 2,7 Mwh pro Jahr.
So wundert es kaum, dass Rumäniens Importe von russischen Energieträgern insgesamt 17 % unter dem EU-Durchschnitt liegen: Laut Eurostat betrug die Gesamtabhängigkeit der EU von russischen Energieträgern im Jahr 2020 rund 24%. In Rumänien waren es bei Gas 15,5 %, bei Erdöl 37 % und bei Kohle 11,8 %. Abgesehen vom Erdöl – wo sich die russischen Lieferungen noch relativ leicht ersetzen lassen - ist Rumänien also nicht in einem bedrohlichen Umfang von russischen Energieträgern abhängig.
Rumänien ist der zweitgrößte Gasproduzent in der EU
Warum aber ist Rumänien überhaupt von russischen Energieträgern abhängig? Rumänien produziert derzeit täglich 25 bis 26 Millionen Kubikmeter Gas aus landeseigenen Gasvorkommen. Das ist zwar genug für den gesamten Sommerverbrauch des Landes, aber zu wenig für die kalte Jahreszeit: Der tägliche Gasverbrauch erreicht in Rumänien im Sommer 13 Millionen Kubikmeter pro Tag, im laufenden Winter 2023 wird an Frosttagen ein Spitzenwert von etwa 55 Millionen Kubikmetern beim Gasverbrauch erwartet. Bis 2022 verließ man sich in Rumänien für die Deckung dieser Versorgungslücke auf das relativ preiswerte Gas aus Russland.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die folgenden Turbulenzen auf den europäischen Energiemärkten und die Preisexplosion im Energiesektor haben nun dazu geführt, dass Rumänien seine Exporte nach Europa gekürzt hat, um den Eigenbedarf zu sichern. Ebenfalls hat Rumänien die Förderkapazität aus den aktuellen Lagerstätten auf 32 Millionen Kubikmeter pro Tag erhöht, so der Direktor des rumänischen Gasunternehmens Transgaz, Ion Sterian. Geholfen hat auch, dass große rumänische Industrieverbraucher (z. B. der Düngemittelhersteller Azomureș oder der Aluminium-Produzent Also Slatina) ihre Aktivität teils komplett eingestellt, teils reduziert haben. Allerdings: Nicht dieser Winter ist in Rumänien problematisch, sondern die langfristige Produktionsaussicht - so der Tenor unter Fachleuten der Branche.
Die rumänische On-Shore Gasförderung wird in den kommenden Jahren langsam zurückgehen, weil sich die Vorkommen erschöpfen. Die On-Shore Vorkommen ersetzen könnte das gewaltige rumänische Off-Shore-Gasverkommen „Neptun Deep“ im Schwarzen Meer, das auf über 80 Mrd. Kubikmeter Gas geschätzt wird. Ob und wann „Neptun Deep“ ausgebeutet werden kann, hängt derzeit von einer unternehmerischen Einigung zwischen dem rumänischen staatlichen Gasunternehmen Romgaz und dem österreichischen Öl- und Gasunternehmen OMV ab. Erst in einigen Monaten werde eine Investitionsentscheidung erwartet, heißt es in Rumänien. Zudem müsse noch eine verlässliche Gesetzgebung für Subventionen und Besteuerung geschaffen und umgesetzt werden. In einem optimistischen Szenario, in dem sowohl Romgaz als auch OMV Petrom die endgültige Investitionsentscheidung noch im Jahr 2023 treffen, würden die Vorarbeiten für die tatsächliche Extraktion von Gas aus dem Schwarzen Meer etwa vier Jahre in Anspruch nehmen. 2027 wäre damit das früheste Jahr, in dem Rumänien mit der Förderung von Gas aus den Gewässern des Schwarzen Meeres beginnen könnte. Angesichts der aktuell angespannten Beziehung zwischen Rumänien und Österreich wegen des von Wien jüngst abgelehnten Schengen-Beitritts Rumäniens, wird sich die für die Großinvestition benötigte Einigung zwischen Romgaz und OMV aber wohl eher noch verspäten. Zugleich wird damit gerechnet, dass der rumänische Energiebedarf aufgrund der positiven Wirtschaftsentwicklung des Landes in den nächsten Jahren deutlich wachsen wird.
Strom ist die Schwachstelle im System
Die mittel- und langfristigen Herausforderungen im Bereich der Gas-Versorgung lassen sich jedoch im Alltagsleben gut beiseiteschieben. Dies erklärt, warum weder die rumänische Regierung noch Kreis- oder Stadtverwaltungen die Bürger so nachdrücklich zu Energiesparmaßnahmen aufrufen, wie dies in anderen EU-Staaten passiert. Und dennoch ist Rumänien im Hinblick auf seine Energiesicherheit verwundbar. Das drängendste Problem liegt jedoch nicht im Gas- sondern im Stromsektor.
Rumäniens Energieministerium und auch die Regulierungsbehörde des Energiemarktes (ANRE) verweisen auf große rumänische Stromkapazitäten: 22 GW sollen es 2019 gewesen sein - mehr als das Doppelte der Kapazität, die für einen Spitzenverbrauch von 9-10 GW im Land benötigt wird. Fachleute und Industrie beklagen jedoch, dass ein Großteil dieser Kapazitäten nur auf dem Papier existiere. Tatsächlich zeigen Statistiken zum Betrieb des Stromsystems, dass Rumänien seit 2019 zum Nettoimporteur von elektrischer Energie geworden ist und dies mittelfristig voraussichtlich auch bleiben wird. In den letzten Jahren mussten nicht mit Umwelt- und Klimaschutz konforme, veraltete oder wirtschaftlich ineffiziente fossile Kraftwerke vom Netz genommen werden. Gleichzeitig wurden diese ausfallenden Produktionskapazitäten nicht durch Neuinvestitionen bspw. in Produktionsanlagen für erneuerbare Energie ersetzt. Trotz der offiziellen Vorgabe bis 2030 30,7 % des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen zu decken, wurden hierfür seit 2016 praktisch keine neuen Produktionskapazitäten mehr in Rumänien installiert. Zudem klagt insbesondere die Industrie, dass Stromkapazitäten bisweilen nicht am benötigten Standort zur Verfügung gestellt werden könnten, was das Wachstum hemme.
Die Energiesicherheit Rumäniens ließe sich also relativ einfach durch massive Investitionen in den Ausbau des Stromnetzes und die Schaffung weiterer Produktionskapazitäten erreichen. Auch EU-weit koordinierte energiepolitische Initiativen, wie z. B. zur Beschleunigung der Interkonnektivität der Infrastruktur, ein gemeinsamer Gas-Einkauf unter der Leitung der Europäischen Kommission oder Solidaritätsmechanismen zur gegenseitigen Unterstützung zwischen den EU-Mitgliedern bei Energieengpässen würden aus rumänischer Sicht helfen, die Energiesicherheit langfristig zu gewährleisten.
Verteilung der installierten Produktionskapazität für Strom im Oktober 2022
Quelle | Kapazität |
---|---|
Wasserkraftwerke | 6.641 MWh (36,3 % der Gesamtleistung) |
Kohlekraftwerke | 3.092 MWh (16,9 %) |
Windparks | 3.014 MWh (16,5 %) |
Kohlenwasserstoffkraftwerke (Gas, Öl) | 2.615 MWh (14,3 %) |
Kernreaktoren | 1.413 MWh (7,7 %) |
Photovoltaikanlagen | 1.393 MWh (7,6 %) |
(Quelle: ANRE)
Kapital steht zur Verfügung
Grundsätzlich ist Rumänien technikoffen, was den Ausbau der Produktionskapazitäten im Stromsektor angeht. Kernenergie eingeschlossen. So hat Rumänien 2022 einen Vertrag mit den USA über die Entwicklung von kleinen modularen Reaktoren (SMR, Small modular reactors) geschlossen. NuScale Power will bis spätestens 2030 den ersten kleinen modularen Kernreaktorkomplex in den USA bauen und hat schon ein erstes Memorandum mit der hiesigen Regierung für den Bau eines ersten SMR-Kraftwerks in Doicești (Kreis Dâmbovița) aufgenommen.
Deutlich ausbaufähig mit großem Wachstumspotenzial ist der Sektor der Energie aus erneuerbaren Quellen. Leider hat Rumänien in den letzten Jahren stark an Attraktivität in Bezug auf Investitionen just in diesen nachhaltigen Sektor verloren: Teilweise aufgrund fehlender Regularien, Richtlinien und Vorschriften und teilweise aufgrund fehlender staatlicher Unterstützung, Förderung und Subvention.
Der Investitionsstau im Ausbau erneuerbarer Stromerzeugungskapazitäten ist umso misslicher, als der Zugang zu Finanzierungsinstrumenten besser ist als je zuvor. Allein die EU-Instrumente „Just Transition Fund“, „Modernisation Fund“ und der „PNRR“ (rumänischer Entwicklungsplan basierend auf dem „Recovery and Resilience Mechanism“) sind vollständig oder mindestens teilweise der Produktion von sauberer Energie gewidmet. Der PNRR sieht beispielsweise 460 Mio. EUR Direktinvestitionen für zusätzliche 950 MW bis 2026, plus 440 Mio. EUR für Stromspeicherung und Recycling von erneuerbaren Geräten vor. Hinzu kommt, dass Banken und andere kommerzielle Finanzinstitute mittlerweile sogar selbst zögern, den Bau von konventionellen Kapazitäten zur Energieerzeugung zu finanzieren. Ebenso sind Investoren zunehmend bereit, eigenes Kapital zu investieren, um den Ausbau erneuerbarer Energiekapazitäten zu fördern.
Am Zug ist nun also die rumänische Regierung. Sie muss prioritär die notwendigen staatlichen rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen setzen, um damit den Damm für diese Investitionen zu öffnen. Dies muss die Regierung jedoch mit ruhiger Hand und verlässlichen Planungshorizonten tun. Kaum ein anderer Sektor der rumänischen Wirtschaft hat in den letzten 10-15 Jahren so viele Gesetzes- und Normenänderungen erfahren wie der Energiesektor. Das Vertrauen von Investoren ist nachhaltig beschädigt worden, was zum aktuellen Investitionsstau führte.
Auf entsprechende vertrauensbildende politische Initiativen wartet nicht nur der rumänische Energiemarkt sondern auch die breite Bevölkerung. Sie würde direkt von einer stärkeren Konkurrenz auf dem rumänischen Energiemarkt und dann vermutlich kleineren Preisen profitieren. Gegenwärtig ist der rumänische Staat selbst der größte Nutznießer der erhöhten Energiepreise im Land: Atomenergieproduzent Nuclearelectrica und Erdgasförderer Romgaz sind Staatsunternehmen. Das Energieministerium hält darüber hinaus 20% der Anteile an OMV Petrom und führt die größten Stein- und Braunkohlegruben des Landes. Der Großteil der – auch durch die Inflation zusätzlich gestiegenen - Gewinne wurde in den letzten zwölf Monaten allerdings für die Finanzierung des rumänischen Haushaltsdefizits genutzt und nicht für Neuinvestitionen.
Vielen Worten müssen Taten folgen
Rumänien könnte ein stabiler Energie-Anker für Südosteuropa, Osteuropa und sogar Ostmitteleuropa sein und sich selbst mit seiner Energieproduktion und Gas-Exporten ein solides Wachstum sichern. Die Finanzmittel stehen für alle Sparten der Erdgasproduktion, Stromerzeugung, Netz- und Infrastrukturstärkung zur Verfügung. Notwendig ist jetzt jedoch der politische Wille.
Unabhängige Energieexperten kritisieren einen Mangel an Professionalität in den Verwaltungs- und Aufsichtsräten, den sie auf die politisch motivierte Ernennung von Quereinsteigern und Parteifreunden zurückführen. Zudem müssten die Verwaltungskapazitäten des Staates rasch und massiv in allen Schlüsselpositionen verbessert werden: Im Energieministerium, bei der Regulierungsbehörde ANRE, in den staatlichen Energie-Unternehmen und bei den Netzbetreibern Romgaz, Transelectrica und Transgaz.
Gefragt ist ein starkes politisches Engagement für Entwicklung, Investition und Innovation in direkter Abstimmung mit der EU-Kommission und den anderen EU-Mitgliedstaaten. Benötigt werden ehrliche Zahlen und eine transparente Bestandsaufnahme der eigenen Energie-infrastruktur. Zudem ein mittel- und langfristiger Energiesicherheitsplan. Im Einklang mit „Fit for 55“ und den „Green Deal“-Prioritäten muss ein stabiles und zuverlässiges Investitionsumfeld für den Aufbau von Energiekapazitäten in Rumänien geschaffen werden. Dies betrifft sowohl Gas als auch die erneuerbaren Energiekapazitäten. Vielen Worten müssen in Rumänien jetzt Taten folgen.
Bereitgestellt von
Political Academy in Sidirokastro, Serres
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