Neben der Bedrohung durch terroristische Gruppen kommt als weiteres besorgniserregendes Element die hohe Zahl anderer bewaffneter Gruppen und Milizen hinzu. Diese sind zumeist anhand ethnischer Trennlinien organisiert, wie z.B. die „Selbstverteidigungsmiliz“ Dan Na Ambassagou der Dogon in Zentralmali, die beschuldigt wird, Massaker in Dörfern der Bevölkerungsgruppe der Peul zu verantworten. Weite Gebiete der Sahelstaaten sind de facto nicht mehr oder nur noch in geringem Maße unter Kontrolle der überforderten und schlecht organisierten (zentral-)staatlichen Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen.
Die problematische Sicherheitslage ist vor dem Hintergrund fundamentaler entwicklungspolitischer Herausforderungen im Sahel zu sehen: Ein sehr hohes Bevölkerungswachstum führt zu einem weiteren Anwachsen der Zahl perspektivloser Jugendlicher. Nach Schätzungen liegt das Durchschnittsalter der Bevölkerung bei nur etwa 15-17 Jahren; die ohnehin schon desolate Infrastruktur und das katastrophale Bildungs- und Gesundheitswesen geraten durch dieses Bevölkerungswachstum weiter unter Druck.
Korruption und Ineffizienz verhindern zudem durchgreifende Reformen in der staatlichen Verwaltung (u.a. im Sicherheitssektor) oder Fortschritte in der Infrastrukturentwicklung; nicht umsonst hatte im Juli 2019 der scheidende deutsche Botschafter in Bamako öffentlich geäußert, er könne mit Blick auf das korrupte Justizwesen des Landes keinem deutschen Unternehmer raten, in Mali zu investieren. Darüber hinaus erhöhen die geringen eigenen Einnahmen aus Steuern und Zöllen die strukturelle Abhängigkeit der Sahelstaaten von externer Hilfe. Diese Liste grundsätzlicher Probleme nennt nur die drängendsten und ließe sich weiter verlängern.
Weitere Verschärfung der Sicherheitslage?Trotz der erheblichen, jahrelangen internationalen Präsenz (VN-Mission MINUSMA, europäische Missionen EUTM, EUCAP Sahel Mali und Niger, französische Anti-Terroroperation „Barkhane“ und bilaterale Unterstützung der Sicherheitskräfte, u.a. durch die Ertüchtigungsinitiative Deutschlands oder die US-Streitkräfte) ist es bisher weder gelungen, den Sicherheitsapparat der Sahelstaaten nachhaltig zu verbessern, noch die Aktivitäten terroristischer Gruppen zurückzudrängen oder zunehmende interethnische Konflikte zu unterbinden.
Im Gegenteil: Es droht zum einen ein Übergreifen der Instabilität auf die westafrikanischen Küstenländer, wie dies u.a. durch die Entführung zweier französischer Touristen im Grenzgebiet Burkina Faso/Benin deutlich wurde. Nicht zuletzt aufgrund dieser Bedrohungslage für ganz Westafrika, fand am 14. September 2019 in Burkina Faso ein Sondergipfel der Staatengemeinschaft CEDEAO/ECOWAS statt. Die westafrikanischen Staaten sicherten dabei der Sahelregion Unterstützung im Antiterrorkampf zu. Diese soll auch finanzielle Zuwendungen in Höhe von 1 Mrd. US$ beinhalten. Wesentlich wichtiger ist für viele Beobachter allerdings eine deutlich verbesserte grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte.
Zum anderen wird häufig vergessen, dass die Sahelregion auch durch die prekäre Sicherheitslage in den Nachbarstaaten Libyen und Nigeria unter Druck steht. So sieht sich Niger nicht allein den Angriffen terroristischer Gruppen im Grenzgebiet mit Mali ausgesetzt, sondern hat in der Tschadseeregion den Kampf mit Boko Haram bzw. Islamic State's West Africa Province (ISWAP) zu führen. Gerade die komplett instabile Lage im Nordosten Nigerias ist für das riesige Staatsgebiet Nigers ein weiterer, ständiger und konkreter Bedrohungsherd.
Der Staat: abwesend oder bedrohlichDie Staaten der Region werden durch den Bürger im Alltag entweder als Bedrohung oder schlicht überhaupt nicht wahrgenommen. So sind beispielsweise die Beamten der Wasser- und Wälderbehörden, deren Aufgabe der Schutz natürlicher Ressourcen und Naturschutzgebiete ist, bei der Landbevölkerung regelrecht verhasst. Die bäuerliche Bevölkerung fühlt sich von den Beamten der „Eaux et Fôrets“ um ihre traditionellen lokalen Ressourcen gebracht und ungerecht bestraft: Die Beamten verhängen Bußgelder bei Verstößen gegen „Naturschutzvorschriften“, die von der armen Bevölkerung schlichtweg als „Abzocke“ betrachtet werden, ohne im Gegenzug konkrete Alternativen zu erhalten. Umgekehrt gelingt es den staatlichen Autoritäten auf dem Land zumeist nicht, Sicherheit zu schaffen und Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen bereit zu stellen.
Es ist nicht verwunderlich, dass bewaffneten Milizen und auch terroristischen Gruppen in der Herstellung von „Gerechtigkeit“ und Sicherheit oftmals mehr vertraut wird als den ineffizienten, korrupten und in ihren Strukturen für viele Menschen unverständlichen staatlichen Verwaltungs- und Sicherheitsapparaten. Selbst in vom Terrorismus kaum betroffenen Gebieten gerät die staatliche Autorität unter Druck, wie z.B. in der Region Kayes im Westen Malis. Dort treten oftmals staatliche Leistungen hinter die selbst organisierten und durch Rücküberweisungen von Auslandsmaliern finanzierten Projekte weit zurück. Entsprechend gering ist in den Augen der lokalen Bevölkerung das Ansehen des Staates.
Deutsches Engagement in der RegionDeutschland engagiert sich auf vielfältige Weise in der Sahelregion. Neben der – in den Medien vielfach präsenten – Beteiligung der Bundeswehr an den Einsätzen der Vereinten Nationen (MINUSMA) und der Europäischen Union (EUTM) ist Deutschland sowohl entwicklungspolitisch wie auch sicherheitspolitisch auf bilateraler Basis aktiv. Im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative unterstützt Deutschland beispielsweise die Streitkräfte Malis und Nigers durch Ausrüstung und Fortbildung. Deutschland hat u.a. die malischen Streitkräfte mit minengeschützten Truppentransportern ausgestattet, eine Initiative, die ganz konkret die Einsatzmöglichkeiten und den Eigenschutz der malischen Soldaten stärkt. Auch ist die GIZ mit Projekten, u.a. im Landwirtschafts- und Bildungsbereich, in den Sahelstaaten seit Jahrzehnten aktiv. Gerade in der Verzahnung ziviler und militärischer Unterstützung – im Sinne eines „vernetzten Ansatzes“ - liegt erhebliches Potential, um Sicherheit und Entwicklung zu verbessern.
Deutschland – im Verbund mit Frankreich – ist zudem ein wesentlicher Treiber für ein verstärktes europäisches und internationales Engagement in der Sahelregion. Dies zeigt sich sowohl in der Unterstützung des Regionalverbunds G5 Sahel seit seiner Gründung 2014 als auch in der jüngsten Sahelinitiative, welche auf dem G7 Treffen in Biarritz Ende August angekündigt wurde. Berlin und Paris sind sich bewusst, dass noch viel mehr zur Verbesserung der Sicherheitslage in der Region getan werden muss und dass die Sahelstaaten hierfür auf weitere Unterstützung der internationalen Gemeinschaft angewiesen sind.
Was tun?Es mag paradox klingen, aber eine grundsätzliche Verbesserung der Lage in der Sahelregion kann nur durch die Stärkung der oben beschriebenen schwachen staatlichen Strukturen gelingen. Dies bedeutet nicht allein eine Stärkung der Sicherheitskräfte, sondern des gesamten Verwaltungsapparats. Der Staat muss für den Bürger positiv wahrnehmbar werden, indem er Sicherheit, Bildung und Infrastrukturentwicklung garantieren kann. Konkret erscheint es beispielsweise nicht mehr hinnehmbar, die Sicherheitskräfte der Region mit Ausbildung und Material zu unterstützen, ohne dies mit klaren, zeitlich terminierten und qualitativ messbaren Zielen zu unterlegen. Aktuell sind beispielsweise Ausbildungserfolge bei Armee und Polizei in der Region nur vereinzelt sichtbar.
Gleichwohl zeigt ein Blick auf die lange Liste der Herausforderungen, dass sich eine Verbesserung der Lage im Sahel nur schrittweise erreichen lassen wird – während eine „Trendwende“ in der Sicherheitslage indessen dringend und zeitnah notwendig ist.
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