Ausnahmezustand – aber das Leben geht weiter
Am Abend des 23. März erklärte der senegalesische Staatschef Macky Sall einen vorerst unbefristeten Ausnahmezustand für das ganze Land. Die hierbei erlassenen Maßnahmen wirken, im Vergleich zu vielen Ländern im Rest der Welt, auf den ersten Blick noch relativ moderat. Eine absolute Ausgangssperre zwischen 20.00 Uhr abends und 06.00 Uhr morgens als auch eine Internierung der 1.561 Corona Verdachtsfälle sind die unmittelbaren Folgen des Notstands. Öffentliche und private Veranstaltungen, Versammlungen und Menschenaufläufe waren bereits die Woche vorher verboten worden, der Flugverkehr wurde vor zwei Wochen ebenfalls größtenteils ausgesetzt. Schulen und Universitäten sind schon seit über vierzehn Tagen geschlossen, Restaurants und Bars hatten vor dem Ausnahmezustand bereits ihren Betrieb weitestgehend eingestellt.
Das Leben geht im Senegal dennoch auch nach der Verhängung des Ausnahmezustands bisher relativ normal weiter - die Straßen sind halbwegs voll, der Großteil der Geschäfte ist geöffnet und sogar der öffentliche Transport innerhalb der Städte funktioniert - mit Abstrichen - normal. Sogar einige Märkte, auf denen sich nach wie vor tausende Menschen tummeln, sind in vielen Städten geöffnet - trotz des Verbots von Menschenansammlungen.
Abstriche in der Demokratie hinnehmen?
Betrachtet man die Regelungen zum Ausnahmezustand allerdings etwas genauer, dann wird deutlich, dass bereits jetzt zu Gunsten der Eindämmung der Pandemie bei demokratischen Prinzipien und Grundpfeilern teils recht drastische Abstriche vorgenommen werden. So möchte Präsident Macky Sall vom Parlament noch im Laufe dieser Woche ein Gesetz verabschieden lassen, mit dem für mindestens drei Monate die bisherige verfassungsmäßige Ordnung faktisch außer Kraft gesetzt würde. Im Falle einer Verabschiedung kann der Präsident ohne Parlamentskonsultation und -beschluss eigenständig Gesetze und Verordnungen erlassen.
Kritisch betrachtet werden zudem die sehr allgemein gehaltenen und unkonkreten, aber umfangreichen Ermächtigungen für Polizei, Militär und öffentlicher Verwaltung. Diese können jetzt selbständig die Bewegungsfreiheit von Personen und Fahrzeugen an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten beschränken. Die Polizei und das Militär können öffentliche und private Versammlungen auflösen sowie alle Örtlichkeiten schließen, die hierfür genutzt werden. Diese Maßnahmen können je nach Bedarf ergänzt werden.
Es herrscht dementsprechend eine große Unklarheit in der Öffentlichkeit und auf allen Ebenen der Verwaltung, wie Einschränkungen im Einzelfall vorgenommen und umgesetzt werden sollen. So ist seit einigen Tagen beispielsweise der Verkehr zwischen den einzelnen Regionen in einem Erlass des Verkehrsministers weitreichend eingeschränkt worden – allerdings mit Ausnahmeregelungen für dienstlich/professionell dringende Belange, den Lieferverkehr und Reisen von medizinischem und Sicherheitspersonal. Die Implementierung der Regelungen sorgt zurzeit für großes Chaos, da die öffentliche Verwaltung nicht in der Lage ist, diese administrativ zeitnah umzusetzen.
Vertrauen in Präsidenten und starken Staat
Im Rahmen der „Checks and Balance“ kann sich Senegal in der Regel auf seine aktive Zivilgesellschaft verlassen, wenn es darum geht, Missstände oder Fehlentwicklungen anzuprangern und zu kritisieren. Die Tatsache, dass die Anwendung des Ausnahmezustands dem Präsidenten rein theoretisch die Aussetzung aller in der Verfassung verankerten Freiheiten des Individuums als auch der demokratischen Strukturen und Institutionen ermöglicht, eine Beschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit erlaubt und quasi einen „Blankocheck“ für staatliche Eingriffe aller Art erteilt, würde unter anderen Umständen nicht widerspruchslos hingenommen werden. Wahrscheinlich ist es der kollektiven Angst vor der Ausbreitung des Virus zuzuschreiben, dass dennoch alle Teile der senegalesischen Öffentlichkeit die Verhängung des Ausnahmezustands begrüßt haben – darunter auch die politische Opposition und prominente zivilgesellschaftliche Organisationen. Die senegalesischen Bürger sind in dieser noch nie dagewesenen Situation verunsichert und dankbar für die kraftvolle Ansage des Staatschefs, der ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt: Der starke Staat wird das Problem schon lösen.
Der mangelnde Widerspruch in Medien und Opposition gegen die Notstandsregelungen liegt aber auch darin begründet, dass dem populären Präsidenten Macky Sall nicht zugetraut wird, die aktuelle Krise als Vorwand zum Ausbau seiner Machtposition zu nutzen. Macky Sall hat bisher alle Stufen des politischen Aufstiegs auf demokratische Art durchlaufen: Bürgermeister, Minister, Premierminister, Abgeordneter und Parlamentsvorsitzender und schließlich Präsident. Dabei setzte er stets auf politischen Dialog und gesellschaftlichen Konsens. Er hat den Aufstand der Zivilgesellschaft und der politischen Klasse im Jahr 2011 gegen den damalig zunehmend autokratischen Präsidenten Abdulaye Wade hautnah miterlebt. Vor diesem Hintergrund verlor Wade dann die nächsten Wahlen 2012 – gegen Macky Sall, der mit Hilfe eines großen Oppositionsbündnisses gewählt wurde.
So hat der Präsident im Rahmen der Verhängung des Ausnahmezustands auch direkt die politische Opposition mit an Bord geholt. Er stimmte sich mit allen Parteichefs der im Parlament vertretenen Oppositionsparteien ab und ging auf einige ihrer Vorschläge ein. Dieses offensichtliche Zugehen auf die politische Opposition in Krisenzeiten kann auf zweierlei Art und Weise gewertet werden: Einmal als Willensbekundung, dass die demokratischen Spielregeln auch in Zukunft beachtet werden; oder aber auch als taktisch berechneter Schritt, um der politischen Opposition durch den Dialog den „Wind aus den Segeln“ zu nehmen und somit möglichst wenig Widerstand gegen die doch massive Einschränkung der demokratischen Institutionen und deren Funktionsweise zu generieren.
So gibt es gerade in Subsahara-Afrika eine Vielzahl von Beispielen, bei denen sich ehemalige demokratische Hoffnungsträger im Laufe der Zeit zu Autokraten entwickelt haben.
Bruderschaften auch in der Krise einflussreiche politische Akteure
Ein weiterer Grund für die Verhängung des Ausnahmezustands mag im Senegal auch in der besonderen Rolle der politisch und wirtschaftlich einflussreichen, muslimischen Mouriden-Bruderschaften liegen. Trotz des allgemeinen Versammlungsverbots hielt Scheich Mouhamadou Mountakha Mbacké, Kalif und Religionsführer der Mouriden, noch am vorvergangenen Freitag mit tausenden Gläubigen das Freitagsgebet in der großen Moschee der Millionenstadt Touba ab. Dies wurde von vielen Medien und der senegalesischen Öffentlichkeit als ein Affront gegen das Versammlungsverbot des Präsidenten gewertet, auf den dieser reagieren musste. Durch das Ausrufen des Notstands hat Macky Sall daher auch seine Position gegenüber der Bruderschaft gefestigt. Der Kalif hat bereits eingelenkt und signalisiert, sich ab jetzt an das Versammlungsverbot zu halten und die Moscheen in Touba vorerst zu schließen.
In der Tat sind die Marabus und Kalifen der muslimischen Bruderschaften Senegals wichtige Meinungsführer. Diese waren seit Beginn der Krise eher der Auffassung, dass weitreichende Einschränkungen der Versammlungsfreiheit nicht notwendig seien, auch weil das traditionelle Freitagsgebet für das religiöse Selbstverständnis der Bruderschaften zentral ist. Diese Religionsführer aber gilt es zu überzeugen, wenn man in der Öffentlichkeit etwas durchsetzen möchte. In den ersten zwei Wochen war Touba die Stadt in Senegal, in der die meisten Covid 19-Fälle zu verzeichnen waren. Dort ist es besonders schwierig, Verdachtsfälle auf das Virus zu isolieren – vor allem, wenn sie den Schutz der religiösen Autoritäten genießen. Allerdings ist in der nun vierten Woche nach dem ersten Covid 19-Fall in Senegal und einer stetig ansteigenden Infektionsrate zu bemerken, dass die Bruderschaften sich mittlerweile hinter die Entscheidungen des Staatschefs stellen und die Gläubigen auffordern, den Bestimmungen und Restriktionen zu folgen.
Im Moment ziehen Regierung, politische Opposition, zivilgesellschaftliche Organisationen und Religionsgemeinschaften also tendenziell am selben Strang, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Bei einer Normalisierung der Verhältnisse ist aber davon auszugehen, dass sich insbesondere die Opposition wieder auf ihre Rolle des demokratischen Gegenspielers zur Regierung besinnt. Auch ist die einflussreiche Zivilgesellschaft des Senegals nicht dafür bekannt, sich vor Auseinandersetzungen mit der Regierung zu scheuen, sollten demokratische Spielregeln dauerhaft missachtet werden. Nichtsdestotrotz ist mit Vorsicht zu beobachten – wie übrigens in auch in vielen anderen Ländern weltweit - ob der verhängte Ausnahmezustand nicht doch zu einem dauerhaften Ausbau von Machtpositionen genutzt wird.
Bereitgestellt von
Auslandsbüro Senegal und Gambia
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