Asset-Herausgeber

IMAGO / ZUMA Wire

Länderberichte

Ukraine und Israel: Internationale Krisen im Wahlkampf einer kriegsmüden USA

von Paul Linnarz, Jan Bösche

Eine Analyse ein Jahr vor der Wahl im November 2024

US-Präsident Joe Biden spricht von einem „Wendepunkt in der Geschichte“: Die Kriege zwischen Russland und der Ukraine und zwischen der Hamas und Israel fordern die amerikanische Außenpolitik heraus – in einer Zeit, in der viele Amerikaner eine Konzentration auf das eigene Land bevorzugen. Dieses Spannungsfeld bestimmt den anstehenden Wahlkampf.

Asset-Herausgeber

Es war erst die zweite Rede von Joe Biden aus dem Oval Office, eine Rede an die Welt, aber vor allem an die eigene Bevölkerung. Der Demokrat hielt die TV-Ansprache im Oktober unmittelbar nach seiner Nahostreise – und die zentrale Frage sowohl für Israel als auch für die Ukraine stellte er gleich selbst: „Ich weiß, dass diese Konflikte weit weg erscheinen können. Und es ist ganz natürlich, sich zu fragen: Warum ist das für Amerika wichtig?“ In seiner Antwort bewertete der Präsident die Unterstützung beider Länder als entscheidend für die nationale Sicherheit der USA: „Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Terroristen, die keinen Preis für ihren Terror zahlen, und Diktatoren, die keinen Preis für ihre Aggression zahlen, mehr Chaos, Tod und Zerstörung verursachen.“ Amerikanische Führung halte die Welt zusammen, amerikanische Allianzen sorgten dafür, dass Amerika sicher sei.[1]

Biden habe im Oval Office versucht, das amerikanische Volk als globalen Verteidiger der Demokratie zu vereinen, schätzte Jenna Ben-Yehuda, Vizepräsidentin des Atlantic Council, die Rede ein.[2] Daniel Fried, stellvertretender Außenminister unter Präsident George W. Bush, nannte die Ansprache eine Werbung für eine „internationalistische Agenda“.  Es sei aber schwierig, eine skeptische US-Öffentlichkeit, „in der der zynische Isolationismus zum ersten Mal seit Generationen wieder zu einer politischen Kraft geworden ist“, davon zu überzeugen.[3] Republikanische Präsidentschaftskandidaten und Senatoren befeuern diese isolationistischen Tendenzen vor allem mit Blick auf die Ukraine bereits seit Monaten.

 

„America First“ auf dem Vormarsch

Im Januar kritisierte Donald Trump auf der Social-Media-Plattform Truth Social, die USA seien ein „Trottel“ und bezahlten den größten Teil der NATO-Rechnung an die Ukraine. Das sei unfair.[4] Bei einem Wahlkampfauftritt im Juli rief er die Republikaner im Kongress dazu auf, keine weiteren Hilfen freizugeben. Er warf vielmehr Präsident Biden vor, die USA in einen globalen Konflikt zu ziehen, weil seine Familie geschäftliche Interessen in der Ukraine habe. Ein Vorwurf, den der Ex-Präsident bereits in seiner Amtszeit geäußert hatte und der bis heute nicht belegt ist.[5] Trump sagte im Oktober, wenn er wieder im Weißen Haus sei, werde die Welt wissen, dass Amerika stark und sicher sei, „dass wir uns um unser Volk, die Männer und Frauen unseres Landes kümmern und uns keine Sorgen um den Rest der Welt machen werden“.[6] Trumps früherer Nationaler Sicherheitsberater John Bolton behauptete, in einer zweiten Amtszeit Trumps werde es mit großer Sicherheit einen amerikanischen Rückzug aus der NATO geben.[7]

Auch Trumps Herausforderer Ron DeSantis äußerte sich wiederholt kritisch. In einer Fernsehdebatte der republikanischen Präsidentschaftsbewerber sagte er, es sei im amerikanischen Interesse, diesen Krieg zu beenden. Es gebe keinen Blankoscheck für die Ukraine, vielmehr müssten die Europäer mehr unternehmen. Er warf der aktuellen US-Regierung vor, ukrainische Staatsausgaben zu finanzieren, während die USA selbst einen „Einmarsch“ erlebten – eine Anspielung auf die Flüchtlingssituation an der Grenze zu Mexiko.[8] Dieser Denkweise folgt auch die Kritik des republikanischen Senators JD Vance an der Biden-Rede: Es sei „ekelerregend“, wie Biden versuche, mit toten Kindern in Israel seine desaströse Ukrainepolitik „zu verkaufen“.[9] Demgegenüber sagte die frühere US-Botschafterin Nikki Haley, der russische Angriffskrieg sei „größer als die Ukraine“. Es sei ein Krieg für Freiheit, den man gewinnen müsse.[10] Auch der frühere Vizepräsident Mike Pence sprach sich dafür aus, die Ukraine weiter zu unterstützen. Das sei im Interesse der Vereinigten Staaten.[11] Im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur konnten Pence und Haley mit ihrem Plädoyer für weitere Ukrainehilfen bislang jedoch nicht punkten, Pence hat inzwischen seine Kandidatur zurückgezogen.

Alles spricht stattdessen dafür, dass sich Donald Trump in den Vorwahlen durchsetzen wird. Für eine Nominierung werden dem Ex-Präsidenten im Vergleich zu seinen republikanischen Mitbewerbern die besten Chancen ausgerechnet. Seitdem er seine erneute Kandidatur erklärt hat, liegt Trump in Umfragen mit Abstand vorne. Regelmäßig trennen ihn zweistellige Prozentpunkte vom nächstplatzierten Kandidaten Ron DeSantis. Weitere Mitbewerber wie Nikki Haley oder Vivek Ramaswamy erreichen in den meisten Umfragen derzeit nur einstellige Zustimmungswerte.[12] Für den Fall, dass im eigentlichen Wahlkampf die beiden wahrscheinlichen Kandidaten Biden und Trump aufeinandertreffen, ist mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zu rechnen.[13] Nach den letzten Umfragen („Generic Congressional Vote“) liegt die Republikanische Partei in der Wählergunst mit den Demokraten gleichauf.[14]

Sollte die Grand Old Party (GOP) mit Donald Trump im November nächsten Jahres tatsächlich gewinnen, sind Befürchtungen vor einer neuerlichen Eintrübung des transatlantischen Verhältnisses angesichts der bisherigen Äußerungen des Ex-Präsidenten begründet. Erhebliche Kurskorrekturen bereiten dessen Unterstützer aber längst nicht nur mit Blick auf die künftige Ukrainepolitik vor.

 

Neue „Truppen“ und „Lastenteilung“

In ihrer Kritik an der bisherigen Politik der US-Regierung stützen sich Donald Trump und seine republikanischen Mitbewerber um die Präsidentschaftskandidatur auf das „Project 2025“. Das Projekt hatte im Sommer bereits international für Aufsehen gesorgt. Darin arbeitet die konservative Heritage Foundation mit über 70 Organisationen zusammen. Das erklärte Ziel ist, die nächste konservative Regierung so vorzubereiten, dass ein republikanischer Präsident sofort loslegen kann („to be ready on Day One“).[15] Das „Project 2025“ erarbeitet Listen mit loyalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für eine neue Regierung, aber auch konkrete Pläne und Konzepte für alle Bereiche der Regierungsarbeit. Kern der Bemühungen ist ein über 800 Seiten starkes Papier mit dem Titel „Mandate for Leadership – the Conservative Promise“.[16]

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Personalpolitik, das wird auch in den Kapiteln zur Sicherheits- und Außenpolitik deutlich. Der Vorwurf lautet, „(die) Bürokratie ist notorisch unfreundlich gegenüber konservativen Ideen“.[17] So müsse das Offizierskorps überprüft werden, so dass bei Beförderungen wieder militärische Kompetenzen eine höhere Rolle spielten als „polarisierende“ Themen wie Klimawandel oder „erfundener Extremismus“. Den Mitarbeitern des Außenministeriums wird vorgeworfen, zu großen Teilen „linksorientiert“ zu sein und der politischen Agenda eines konservativen Präsidenten ablehnend gegenüberzustehen. Darum müssten zum Beispiel Botschafter so schnell wie möglich überprüft und gegebenenfalls abberufen werden.

In der Sicherheitspolitik betonen die Autoren immer wieder die Notwendigkeit von Lastenteilung und Gegenseitigkeit. Die Verbündeten der USA müssten viel mehr Verantwortung für ihre konventionelle Verteidigung übernehmen. Dafür müsse die NATO so umgestaltet werden, dass Verbündete den größten Teil der konventionellen Streitkräfte stellen, die zur Abschreckung Russlands erforderlich sind. Bei der nuklearen Abschreckung könnten sie sich weiter auf die USA verlassen. Das Ziel sei, die Streitkräfte der USA in Europa zu reduzieren und die Verteidigungsausgaben der NATO-Mitgliedsländer auf zwei Prozent oder mehr zu erhöhen.

Die Autoren verlangen, dass Handelsvereinbarungen zwischen der EU und den USA „umfassend“ überprüft werden, „um sicherzustellen, dass US-Unternehmen fair behandelt werden und um eine produktive Gegenseitigkeit aufzubauen“.[18] Mit einem verstärkten transatlantischen Handel könne Europa außerdem aus seiner Abhängigkeit von China befreit werden.

Die Volksrepublik wird als größte Bedrohung der USA wahrgenommen. Die kommunistische Partei sei seit Jahrzehnten mit den USA „im Krieg“: „Peking ist eine Herausforderung für die amerikanischen Interessen in allen Bereichen der nationalen Macht, aber die militärische Bedrohung, die es darstellt, ist besonders akut und bedeutend.“[19]

Die Bedrohung durch Russland wird differenzierter gesehen. Die Autoren räumen ein, dass es unter amerikanischen Konservativen unterschiedliche Sichtweisen gibt, wie sehr Russland und seine Aggression in der Ukraine amerikanische Sicherheitsinteressen berühren. Sie bieten einen Kompromiss zwischen den Lagern an, der sowohl „Isolationismus als auch Interventionismus“ ablehne. Militärisches Engagement müsse den Interessen der USA entsprechen, fiskalisch verantwortungsbewusst sein und die amerikanische Freiheit und Souveränität schützen. In Bezug auf die Ukraine müsse ein fortgesetztes US-Engagement also finanzierbar sein, sich auf militärische Hilfe beschränken und eine klar definierte nationale Sicherheitsstrategie verfolgen, die das Leben von Amerikanern nicht gefährdet. Um die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Ukraine sollten sich die europäischen Verbündeten kümmern.

Zu Recht wurde dieses Papier in den vergangenen Wochen von Diplomaten und Journalisten eingehend studiert, weil es Hinweise gibt, wie die Politik unter einem republikanischen Präsidenten nach einem Wahlsieg aussehen könnte. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass es sich um Vorschläge von Experten (wenn auch einflussreichen) handelt. Präsident Trump war in seiner ersten Amtszeit bekannt dafür, sich über Expertenrat hinwegzusetzen. Der britische Analyst John Lloyd konstatierte schon 2017, dass Donald Trump keine traditionelle Diplomatie betreibe, sondern jedes außenpolitische Thema als separates Ereignis betrachte, „auf das er je nach seiner Stimmung reagiert“.[20]

Zudem findet das „Project 2025“ unter republikanischen Experten und Vertretern namhafter konservativer Think Tanks keineswegs ungeteilte Zustimmung. So kritisierte Geoffrey Kabaservice vom Niskanen Center die Pläne, Mitarbeiter der Bundesverwaltung in großem Stil auszuwechseln. Das sei nichts weniger als „ein Versuch, die Regierung auszuhöhlen und sie durch Handlanger von Trump zu ersetzen". Das tiefere Problem, so Kabaservice, sei, dass "die Republikaner die Idee von Fachwissen immer noch nicht mögen“. Kevin Kosar, Wissenschaftler am konservativen American Enterprise Institute, sieht das größte Problem dieser neuen Agenda darin, wie „undurchsichtig“ sie in Wirklichkeit sei, ganz zu schweigen davon, dass kein endgültiges Ziel genannt werde.[21]

Die Kritik aus den eigenen Reihen dürfte an den Unterstützern des „Project 2025“ abperlen – für sie steht der künftige Kurs einer von den Republikanern bestimmten US-Politik längst fest. Trotzdem wäre es für Deutschland und Europa verhängnisvoll, die eigenen Hoffnungen und Befürchtungen über die künftigen außenpolitischen Positionen und Prioritäten der USA nur davon abzuleiten, ob Donald Trump wieder ins Weiße Haus einzieht, ein anderer Republikaner gewinnt oder Joe Biden wiedergewählt wird. Das Ausland wäre, im Gegenteil, gut beraten, sich losgelöst vom Ergebnis der Präsidentschaftswahl auf Kursänderungen und neue Anforderungen einzustellen. Denn ein allzu enger Fokus auf den künftigen Regierungschef und dessen Staatsdiener im Washingtoner Regierungsapparat ließe zwei entscheidende Einflussfaktoren außer Acht: die Mehrheitsverhältnisse im US-Kongress und die öffentliche Meinung.

 

Brüchige Mehrheiten im Kapitol

Im November 2024 wird nicht nur über den künftigen Präsidenten und seinen Vizepräsidenten beziehungsweise seine Vizepräsidentin entschieden, sondern auch über 34 der 100 Senatsposten und alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus.

Wenn es um das Geld geht, hat im Kongress das Repräsentantenhaus das Sagen. Die dort von den Abgeordneten mehrheitlich beschlossenen Gesetzentwürfe über die Höhe des Staatshaushaltes und die Staatsverschuldung, die Verwendung von Steuereinnahmen und die Verteilung der finanziellen Mittel auf die verschiedenen Ressorts müssen anschließend noch vom Senat bestätigt werden, bevor sie in Kraft treten. Ohne die Zustimmung beider Kammern des Kongresses sind der US-Regierung bei zusätzlichen Staatsausgaben oder einer Kürzung bereits bewilligter Finanzmittel die Hände gebunden.

Entscheidend ist insofern, dass sich die US-Regierung in beiden Kammern des Kongresses auf verlässliche Mehrheiten stützen kann. Für die Zeit nach der Präsidentschaftswahl und die Außenpolitik der USA hängt deshalb viel davon ab, ob die Partei des künftigen Präsidenten in beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit hat oder, wie derzeit, nur in einer der beiden Kammern oder unter Umständen in keiner der beiden Kammern. Es war zwar häufiger der Fall, dass neue Präsidenten ihre Amtszeit mit Mehrheiten in Repräsentantenhaus und Senat starten, das änderte sich aber meistens bei den ersten Zwischenwahlen. So begannen der Republikaner Donald Trump und die Demokraten Barack Obama und Bill Clinton ihre Amtszeiten mit Mehrheiten ihrer jeweiligen Parteien in beiden Kammern; aber bei jeder dieser Präsidentschaften wechselte mindestens eine Kammer nach den ersten beiden Regierungsjahren.[22] Ein Beispiel für die außenpolitischen Auswirkungen eines solchen „divided government“ sind die Haushaltsverhandlungen vor einigen Wochen: Die US-Regierung scheiterte mit ihrer Forderung nach zusätzlichen Hilfen für die Ukraine am Widerstand der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus.

Für alle möglichen Konstellationen ist aber auch wichtig, wie knapp die jeweiligen Mehrheiten sind. Denn „Fraktionsdisziplin“ ist weder im Senat noch im Repräsentantenhaus und weder bei den Demokraten noch bei den Republikanern durchgängig vorauszusetzen. Bei knappen Mehrheiten können schon wenige Abweichler in den eigenen Reihen jede Gesetzesinitiative im Keim ersticken. Beispielsweise war das milliardenschwere „Build Back Better“-Paket der Biden-Administration am Widerstand zweier demokratischer Senatoren gescheitert. Das Schicksal von Kevin McCarthy als Sprecher des Repräsentantenhauses wurde trotz republikanischer Mehrheit von nur acht Gegnern aus den eigenen Reihen besiegelt. 

Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Daniel Drezner würde Donald Trump in einer zweiten Amtszeit von Republikanern im Kongress unterstützt werden, die in ihren Ansichten weitaus stärker auf ihn ausgerichtet sind als die alte Garde der republikanischen Führung vor fünf Jahren.[23] Andererseits ist die „Vor-Trump-GOP“ nicht verschwunden, analysiert der politische Kolumnist Jonathan Martin. Das zeige sich vor allem im Senat. Die Folge sei eine in zwei Flügel gespaltene Partei. Die Republikaner im Kongress „mögen Mitbewohner sein, aber sie sind nicht verheiratet“.[24]

Außenpolitisch wurden die unterschiedlichen Auffassungen im März deutlich, als sich sowohl Donald Trump als auch Ron DeSantis dafür aussprachen, die Hilfen für die Ukraine zu begrenzen. Vor allem republikanische Senatoren widersprachen öffentlich. Marco Rubio, Vizevorsitzender des Geheimdienstausschusses, sagte damals, es sei im Interesse der nationalen Sicherheit, der Ukraine mehr Hilfe zu gewähren. Senator Lindsey Graham schrieb in den sozialen Medien: "Diejenigen, die glauben, dass Russlands unprovozierte und barbarische Invasion der Ukraine keine Priorität für die Vereinigten Staaten hat, verpassen eine Menge".[25]

Nach den aktuellen Umfragen ist, wie gesagt, völlig offen, ob sich im November nächsten Jahres von den beiden wahrscheinlichen Kandidaten Joe Biden oder Donald Trump wird durchsetzen können. Bevor im Juli die Republikaner und im August die Demokraten ihre Nominierungsparteitage veranstalten, müssen sich die Präsidentschaftskandidaten ab Januar zunächst bei den Vorwahlen in den Bundesstaaten behaupten. Für einen Wahlsieg im November sind dann nicht die Mehrheit aller abgegebenen Stimmen, sondern die Mehrheit der Stimmen im Wahlleutegremium („electoral college“) entscheidend. Der eigentliche Wahlkampf konzentriert sich auf einige wenige besonders umkämpfte Bundesstaaten („swing states“). Dort waren die Ergebnisse in den vergangenen Jahren überaus knapp. Schon 100.000 Stimmen mehr oder weniger können in den wahlentscheidenden Bundesstaaten darüber entscheiden, wer künftig das Land regiert. Auch für den Kongress spricht nichts dafür, dass entweder die Republikaner oder die Demokraten im nächsten Jahr einen erdrutschartigen Sieg mit komfortablen Mehrheiten davontragen werden.

Sollte Donald Trump zwar erneut ins Weiße Haus einziehen, die Republikaner allen voran im Senat aber die Mehrheit verfehlen, stieße das „Project 2025“ rasch an seine Grenzen. Denn schon die neuen Kandidatinnen und Kandidaten für Botschafterposten und wichtige Regierungsämter müssen vom Senat bestätigt werden. Und trotz seiner erheblichen Machtfülle kann ein US-Präsident auch über einen Truppenabzug aus Europa nicht im Alleingang entscheiden. Denn dieser kostet Geld. Und das muss vom Kongress bewilligt werden. Umgekehrt müsste auch Joe Biden im Falle eines Wahlsiegs Kompromisse eingehen. Der linke Flügel seiner Demokratischen Partei hält sich mit Kritik an milliardenschweren Militärhilfen und Waffenlieferungen an die Ukraine noch zurück. Zunehmender Widerstand aus den eigenen Reihen ist aber programmiert.

Schon jetzt hat die Biden-Administration bei ihrem außen- und sicherheitspolitischen Engagement aber noch ein anderes Problem: die öffentliche Meinung. Sie ist der zweite Einflussfaktor, mit dem sich das Ausland unabhängig vom Ergebnis der Präsidentschaftswahl in einem Jahr mit Blick auf mögliche Kursänderungen und neue Prioritäten in der US-Außenpolitik dringend auseinandersetzen muss.

 

Ukrainehilfen zunehmend unpopulär

Nur wer die eigenen Anhängerinnen und Anhänger in den entscheidenden „swing states“ ausreichend mobilisiert, hat im November 2024 die Chance auf einen Wahlsieg. Die Stimmung in der Gesellschaft und die öffentliche Meinung sind für die Positionierung der Kandidatinnen und Kandidaten in der zutiefst polarisierten US-amerikanischen Mediendemokratie mithin entscheidend. Außenpolitik hat dabei bereits seit vielen Jahrzehnten eine untergeordnete Rolle gespielt. Seit einigen Jahren gerät sie aber nicht nur insgesamt noch stärker ins Hintertreffen, sondern nehmen auch die Meinungsunterschiede zwischen den Anhängerinnen und Anhängern der Demokratischen und der Republikanischen Partei zu.

Noch im Jahr 2021 war nach einer Umfrage des Pew Research Center etwa die Hälfte der US-Amerikaner der Meinung, die Regierung sollte den Problemen im Ausland weniger Aufmerksamkeit schenken und sich auf die Herausforderungen im eigenen Land konzentrieren. Die andere Hälfte vertrat die Auffassung, es sei das Beste für die Zukunft der USA, sich aktiv am Weltgeschehen zu beteiligen. Seit der damaligen Umfrage ist der Anteil derer, die dem außenpolitischen Engagement des Landes skeptisch gegenüberstehen, kontinuierlich gestiegen. Während eine aktive Beteiligung am Weltgeschehen unter den Wählerinnen und Wählern der Demokraten weiterhin von 60 Prozent der Befragten befürwortet wird, sprechen sich inzwischen rund 70 Prozent der Republikanerinnen und Republikaner dafür aus, das internationale Engagement der USA zurückzufahren.[26]

Besonders kritisch sind die Umfragewerte für die Ukrainehilfe: Nur 23 Prozent der registrierten Wählerinnen und Wähler sind nach einer Umfrage von Morning Consult vom Oktober der Meinung, dass die russische Invasion der Ukraine zu den fünf wichtigsten außenpolitischen Themen der USA zählt. Unter den Demokraten vertreten 30 Prozent diese Auffassung, unter den Republikanern nur 15 Prozent.[27]  Wenn man die Top 3 der außenpolitischen Themen vergleicht, die demokratische und republikanische Anhänger für wichtig erachten, ist Terrorismus die einzige Gemeinsamkeit: Für Republikaner sind die Top 3 Einwanderung, Terrorismus und Drogenschmuggel, für Demokraten Klimawandel, Terrorismus und die Vermeidung einer weiteren Pandemie.

Die Einschätzung der Lage in der Ukraine hat sich im Verlaufe eines Jahres gewandelt: In den ersten Tagen der russischen Invasion waren noch rund 62 Prozent der Amerikaner der Meinung, die USA sollten sich stärker einbringen. Nun sagt eine knappe Mehrheit, die USA hätten genug getan.[28]

Die Kandidatinnen und Kandidaten der Republikaner machen sich im Wahlkampf zu den Fürsprechern derer, für die das außenpolitische Engagement der USA zur Unterstützung der Ukraine hinter andere Herausforderungen, darunter allen voran die illegale Einwanderung, zurücktreten sollte. Zustimmung finden sie damit derzeit vor allem in der Bevölkerungsgruppe zwischen 35 und 64 Jahren sowie bei Menschen ohne Hochschulabschluss. Ältere Wählerinnen und Wähler über 65 Jahre sprechen sich hingegen mehrheitlich (58 Prozent) für eine Fortsetzung der Hilfsleistungen aus. Gerade in den heiß umkämpften „swing states“, wo es um jede einzelne Stimme geht, spielen überdies die Wahlberechtigten, die sich als unabhängig („independent“) registriert haben, eine entscheidende Rolle. Davon sind 44 Prozent der Auffassung, der Kongress sollte zusätzliche Mittel für die Ukraine bereitstellen. Der Wert liegt zwar deutlich unter dem der demokratischen Wählerinnen und Wähler (69 Prozent), aber weit über dem Anteil der Republikaner (28 Prozent).[29]

So sehr sich Joe Biden also (noch) auf mehrheitliche Zustimmung aus den Reihen der Demokraten stützen kann, so stark muss er sich im Wahlkampf gleichzeitig um die Stimmen der Unabhängigen bemühen. Die republikanischen Präsidentschaftskandidaten können die Unabhängigen ebenso wenig ausklammern; seit dem Angriff der Hamas auf Israel geraten sie auch in den eigenen Reihen aber in Erklärungsnöte. Zwar mögen sich die Isolationisten und „America First“-Befürworter gegen zusätzliche Hilfen für die Ukraine aussprechen – Israel steht für wichtige republikanische Wählergruppen aber auf einem anderen Blatt.

Donald Trump versicherte, Israel habe nie einen besseren Freund im Weißen Haus gehabt als während seiner Präsidentschaft. In seiner Regierungszeit habe es Frieden im Nahen Osten gegeben, dank seiner Abraham-Abkommen – jetzt gebe es Krieg in Israel: „Was für ein Unterschied ein Präsident macht, ist das nicht erstaunlich?“[30] Fast im gleichen Atemzug übte Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung scharfe Kritik an Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und bezeichnete die libanesische Hisbollah als „sehr schlau“. Sowohl Mike Pence als auch Ron DeSantis widersprachen in aller Deutlichkeit.[31] Präsident Biden fand mit seiner entschlossenen Unterstützung für Israel auch unter republikanischen Politikern hingegen ungewohnte Zustimmung.[32] Demokratische Strategen hoffen nun, dass er mit seinem aktiven Krisenmanagement außenpolitische Kompetenz beweisen kann.[33]

 

Präsidentschaftskandidat Vivek Ramaswamy warf anderen Republikanern vor, „hysterisch statt rational“ zu reagieren. Auch er unterstütze Hilfen für Israel, sprach gleichzeitig aber von einer „selektiven moralischer Empörung“. Mittelfristig wolle er als Präsident dafür sorgen, dass Israel nicht mehr auf amerikanische Unterstützung angewiesen sei. Der frühere Vizepräsident Mike Pence warf Ramaswamy und anderen republikanischen Mitbewerbern vor, Israel nicht ausreichend helfen zu wollen. Seine eigene Unterstützung erklärte er mit seinem christlichen Glauben.[34] Besonders unter evangelikalen Christen in den USA ist diese Haltung weit verbreitet. Sie sind eine wichtige Wählergruppe der Republikaner. Das Onlinemagazin Axios betrachtet den Angriff der Hamas auf Israel als einen „Test“ für die wachsende „America First“-Bewegung innerhalb der Republikanischen Partei.[35] Obwohl der Angriff der Hamas auf Israel den Verfechtern einer internationalen Führungsrolle der USA insofern zwar zusätzliche Argumente geliefert hat, wird die Bevölkerung das Landes unabhängig vom Ergebnis der Präsidentschaftswahl mehrheitlich kriegsmüde bleiben.


[1] https://www.whitehouse.gov/briefing-room/speeches-remarks/2023/10/20/remarks-by-president-biden-on-the-unites-states-response-to-hamass-terrorist-attacks-against-israel-and-russias-ongoing-brutal-war-against-ukraine/

[2] https://www.atlanticcouncil.org/blogs/new-atlanticist/experts-react-to-bidens-inflection-point-address-on-ukraine-and-israel/

[3] Ebenda.

[4] https://truthsocial.com/@realDonaldTrump/posts/109620741365180385

[5] https://apnews.com/article/trump-republicans-impeachment-ukraine-pennsylvania-c22cda6a5f6783b5f6a1123b724ebaff

[6] https://www.c-span.org/video/?530983-1/donald-trump-campaigns-wolfeboro-nh

[7] https://thehill.com/blogs/blog-briefing-room/4136979-bolton-trump-second-term-nato/

[8] https://thepavlovictoday.com/read-second-republican-debate-transcript-september-27-2023/

[9] https://x.com/JDVance1/status/1715160252268593305?s=20

[10] https://www.rferl.org/a/us-nikki-haley-ukraine-support-2024-election/32445633.html

[11] https://www.nbcnews.com/meet-the-press/meetthepressblog/mike-pence-grilled-support-ukraine-tucker-carlson-rcna94321

[12] https://www.realclearpolitics.com/epolls/2024/president/us/2024_republican_presidential_nomination-7548.html

[13] RealClearPolitics - Election 2024 - General Election: Trump vs. Biden

[14] https://www.realclearpolitics.com/epolls/other/2024_generic_congressional_vote-7969.html

[15] https://www.dailysignal.com/2023/10/04/how-project-2025-is-gearing-up-for-next-conservative-presidential-administration/

[16] 2025_MandateForLeadership_FULL.pdf (thf_media.s3.amazonaws.com)

[17] https://www.heritage.org/political-process/commentary/5-things-you-can-do-right-now-help-dismantle-the-federal-bureaucracy

[18] Ebenda, Zitat Seite 187.

[19] Ebenda, Zitat Seite 93.

[20] https://www.reuters.com/article/us-trump-diplomacy-100days-commentary/commentary-the-danger-of-trumps-mood-based-diplomacy-idUSKBN17T3GW

[21] https://www.politico.com/news/magazine/2023/09/19/project-2025-trump-reagan-00115811

[22] https://www.pewresearch.org/short-reads/2021/02/03/single-party-control-in-washington-is-common-at-the-beginning-of-a-new-presidency-but-tends-not-to-last-long/

[23] https://www.foreignaffairs.com/united-states/bracing-trump-possible-return-allies-rivals

[24] https://www.politico.com/news/magazine/2023/10/18/gop-party-house-speaker-00122371

[25] https://www.axios.com/2023/03/14/senate-republicans-criticize-desantis-ukraine-aid

[26] https://www.pewresearch.org/global/2023/05/10/americans-hold-positive-feelings-toward-nato-and-ukraine-see-russia-as-an-enemy/

[27] https://pro.morningconsult.com/trackers/public-opinion-us-foreign-policy

[28] https://www.cnn.com/2023/08/04/politics/cnn-poll-ukraine/index.html

[29] https://www.brookings.edu/articles/republicans-are-turning-against-aid-to-ukraine/

[30] https://www.c-span.org/video/?530983-1/donald-trump-campaigns-wolfeboro-nh

[31] https://abcnews.go.com/Politics/trump-criticized-calling-hezbollah-smart-talked-potential-risk/story?id=103941138

[32] https://www.nbcnews.com/politics/2024-election/republicans-splinter-israel-politics-biden-trump-rcna120330

[33] https://www.cnn.com/2023/10/21/politics/fault-lines-biden-2024-israel/index.html

[34] https://www.nytimes.com/interactive/2023/10/18/us/politics/republican-candidates-2024-israel.html

[35] https://www.axios.com/2023/10/13/israel-gop-america-first-test-trump-desantis-2024

Asset-Herausgeber

Kontakt

Paul Linnarz

Paul Linnarz bild

Leiter des Länderprogramms Japan und des Regionalprogramms Soziale Ordnungspolitik in Asien (SOPAS)

paul.linnarz@kas.de +81 3 6426 5041
Kontakt

Jan Bösche

Jan Bösche

Referent

Jan.Boesche@kas.de +1 202 464 5849

comment-portlet

Asset-Herausgeber

Über diese Reihe

Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in rund 110 Ländern auf fünf Kontinenten mit einem eigenen Büro vertreten. Die Auslandsmitarbeiter vor Ort können aus erster Hand über aktuelle Ereignisse und langfristige Entwicklungen in ihrem Einsatzland berichten. In den "Länderberichten" bieten sie den Nutzern der Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung exklusiv Analysen, Hintergrundinformationen und Einschätzungen.