Präsidentschaftswahlen – Neue Mehrheiten in Uruguay
Nach 15 Jahren Linksbündnis der Frente Amplio brodelte es bereits seit Monaten im politischen Uruguay, die Zustimmungswerte der Regierung gingen zurück. Die steigende Arbeitslosigkeit, die abflauende Konjunktur, der Rückgang ausländischer Investitionen, die lähmende Arbeits- und Sozialgesetzgebung sowie eine erhebliche Verschlechterung der Sicherheitslage waren Wasser auf die Mühlen der Opposition und der Regierungskritiker, die einen Wechsel für überfällig hielten. Die unbestrittenen gesellschaftspolitischen Erfolge des Linksbündnisses im Bereich der Gleichberechtigung von Mann und Frau, des Minderheitenschutzes aber auch im Umweltschutz reichten nicht aus, um von den ökonomischen Defiziten abzulenken.
In der Wahl am 27. Oktober 2019 konnten die bürgerlichen Parteien eine neue Mehrheit gegen das sozialistisch dominierte Linksbündnis der Frente Amplio erreichen. Die konservative Partido Nacional, die sich eher in der Mitte als im politischen Mitte-rechts-Spektrum einsortieren lässt, unter Führung des 46-jährigen Präsidentschaftskandidaten Luis Lacalle Pou kam auf 28,59% der Stimmen. Ernesto Talvi der bürgerlich-liberal orientierten Colorados schnitt mit 12,32% ab und der Ex-General Guido Manini Rios, als Kandidat seiner neu gegründeten rechts-konservativen Cabildo Abierto konnte 10,88% der Stimmen hinter sich versammeln. Der Kandidat der sozialistischen Frente Amplio, Daniel Martinez, schnitt mit 39,17% zwar am besten ab, kann aber auf keine weiteren Koalitionsoptionen zurückgreifen.
Wie in Uruguay üblich kam es knapp einen Monat später zu einer Stichwahl zwischen den zwei stärksten Kandidaten Martinez und Lacalle Pou. Der Wahlausgang vom 24. November könnte kaum knapper sein. Lacalle Pou führt mit einem hauchdünnen Vorsprung von 50,6% zu 49,3%, die auf Martinez entfielen. Lacalle Pou erhält als Sieger somit den Auftrag, in Koalitionsverhandlungen einzusteigen, bevor die neue Regierung im März kommenden Jahres ihr Mandat antreten wird.
Sturmfeste Demokratie-Tradition
Nach der 12-jährigen autokratischen Militärregierung Uruguays, die 1985 ihr Ende fand, kehrte das Land zu seiner demokratisch republikanischen Tradition zurück, die von großer Toleranz gegenüber dem politischen Mitbewerber, fairem politischen Wettbewerb und Minderheitenschutz gekennzeichnet ist. Diese Ingredienzien bilden politische Stabilität, gesellschaftlichen Frieden und demokratisch verlaufende Regierungswechsel, die Uruguay zu einem Solitär in der lateinamerikanischen Staatengemeinschaft gemacht haben. Nicht zu unterschätzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist auch der ausgeglichene uruguayische Sozialstaat, dessen grundsätzliche Bedeutung von allen politischen Parteien erkannt und getragen wird.
Dieser republikanisch-demokratische Geist, der es im Wahlkampf ermöglicht, dass die Anhänger gegensätzlicher Parteien friedlich nebeneinander für ihre Politik werben, wird nun auch helfen, die Hängepartie bis zur Ergebnisverkündung in Ruhe zu überwinden. Kandidat Martinez hat bereits verkündet, das Ergebnis nach Verkündung in guter demokratischer Tradition anzuerkennen, ganz egal wie knapp der Unterschied sein wird.
Neue Akteure auf der politischen Seekarte
Die neu gegründete rechts-konservative Partei Cabildo Abierto unter der Führung des Ex-Generals Manini wird drei von 30 Senatoren stellen und erwarb auch bei den Abgeordneten überraschend viele Sitze. Dies ist vor allem durch das konsequente Bewerben für ein stärkeres Engagement für innere Sicherheit zu erklären. Zu offensichtlich sind die Defizite: So stiegen zwischen 2017 und 2018 Diebstähle um 26%, Raubüberfälle um 54% und die Morde gar um 46%. Kaum ein Uruguayer kennt keine negativen Beispiele aus dem persönlichen Umfeld, sodass vor allem das in der Vergangenheit so gelobte Sicherheits-gefühl der Bevölkerung auf eine harte Probe gestellt wurde. Die Strafverfolgungsbehörden hatten unter der Frente Amplio-Regierung unter harten, auch politisch motivierten, Sparmaßnahmen sowie weitreichenden Beschneidungen von Befugnissen zu leiden.
Des Weiteren ziehen erstmalig zwei grüne Parteien in den Kongress ein, die jeweils einen Abgeordneten stellen werden. Klimaschutz gehört in Uruguay bisher nicht zu den politischen Topthemen. Langsam aber stetig entwickelt sich jedoch auch hier ein Bewusstsein für nachhaltiges Wirtschaften und die Notwendigkeit die einzigartige Natur des Landes besser zu schützen.
Drängende Aufgaben für eine neue Regierung
Die Opposition ist sich einig, dass Uruguay in einem Reformstau steckt, der das Land in seiner Entwicklung hemmt. Umfangreiche Maßnahmen besonders im Bereich der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik sind notwendig, um das Land auf Zukunftskurs zu bringen. So liegt die Schulabbrecherquote in der Sekundarschule bei 60%. Unter der Frente Amplio-Regierung waren 6% des BIP für Bildungsinvestitionen versprochen, ein Wert der jedoch nie erreicht wurde. Hinzu kommt eine strikte Blockadehaltung der Lehrer-Gewerkschaften, die dringenden Reformvorschläge bisher blockierten. Auch in der Wirtschaft des Landes, wo es zwar im Bereich von IT-Technik und Softwareentwicklung auch positive Entwicklungen in den vergangenen Jahren gab, treten strukturelle Probleme zu Tage: E in durch übermächtige Gewerkschaften recht unflexibler Arbeitsmarkt blockiert den internationalen Wettbewerb. Der hohe Lebensunterhalt und eine steigende Arbeitslosigkeit
in der Privatwirtschaft lassen immer mehr Bürger in die Armut abrutschen. Das Steigern der Staatsquote und die künstliche Schaffung von Arbeitsplätzen beim Staat fangen zwar Arbeitslose temporär auf, helfen jedoch nicht, die Ursachen des Problems zu beheben.
Luis Lacalle Pou sowie Ernesto Talvi von den Colorados, der als anerkannter Ökonom gilt und mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Ministeramt in der neuen Regierung übernehmen wird, wissen, dass ein harter Kurswechsel in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik gegen die Gewerkschaften das Land ins Chaos stürzen würde. Es bleibt daher zu hoffen, dass die so viel beschworene Tradition von Ausgleich, Vermittlung und Stabilität auch diesen Reformprozess leiten wird und eine liberal-konservative Regierung die Verantwortung erkennt, die Einheit der Gesellschaft und den sozialen Frieden vor aktionistische Maßnahmen zu setzen. Das Wahlergebnis verdeutlicht, dass in der Stichwahl nahezu die Hälfte des Landes dem sozialistischen Kandidaten ihre Stimme geschenkt hat. Um eine Spaltung zu vermeiden, muss Lacalle Pou dieser Realität in seinem Regierungshandeln gerecht werden.
Uruguay wird im aktuell krisengeschüttelten Kontinent eine immer wichtigere Rolle als Mediator und Stabilitätsanker zukommen. Somit ist das Land nicht nur im Kontext des EU-MERCOSUR-Abkommens, sondern auch als Brückenkopf für europäische Unternehmen und Institutionen sowie als außenpolitischer Akteur ein wichtiger Partner für die Bundesrepublik in Lateinamerika.
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