Der portugiesische Ministerpräsident António Costa und seine Sozialistische Partei (PS) haben bei den Parlamentswahlen in Portugal am 6. Oktober 2019 einen deutlichen Sieg errungen. Die PS konnte ihren Stimmenanteil seit der letzten Wahl 2015 von 32,3 auf 36,7% erhöhen und 20 Mandate hinzugewinnen. Sie stellt nun 106 Abgeordnete. Die erhoffte absolute Mehrheit von 116 der insgesamt 230 Mandate im Parlament hat die PS allerdings verpasst. Costa muss sich nun weiterhin auf die Unterstützung einer oder mehrerer anderer Partei stützen. Sehr wahrscheinlich wird das bisherige Linksbündnis fortgesetzt, das keine formale Koalition war. Zu diesem Bündnis gehörte der sogenannte Linksblock (BE), der wie vor vier Jahren 19 Mandate (9,7%) gewann, und die kommunistische Partei CDU, die mit 6.5% fünf Mandate verlor und nun 12 Abgeordnete stellt. Costa reicht diesmal ein Abkommen mit nur einer der beiden Parteien. Dennoch ist es möglich, dass er die bisherige Form der Zusammenarbeit mit beiden fortsetzt und eventuell sogar um zwei Parteien erweitert, die erstmal in der Abgeordnetenkammer vertreten sind: der Umwelt- und Tierschutzpartei PAN, die mit einem Anteil von 3,3% vier Mandate gewann, und der neuen Linkspartei Partei Livre, die mit 1,1% ein Mandat gewann.
* Wahlkoalition «Portugal à Frente» aus PSD und CDS-PP
Die konservativen Oppositionsparteien erlitten eine deutliche Niederlage. Das Ergebnis der Sozialdemokratischen Partei PSD/PPD, die programmatisch als liberal-konservativ zu kennzeichnen ist, war zwar erfolgreicher, als die Umfragen im Vorfeld der Wahlen befürchten ließen, dennoch ist dies das bisher schlechteste Ergebnis der Partei in einer Parlamentswahl seit der Nelkenrevolution von 1974. Mit 27,9% der Wählerstimmen entsendet sie 77 Abgeordneten ins Parlament, zwölf weniger als nach der letzten Wahl von 2015. Die innerparteiliche Kritik an dem Vorsitzenden Rui Rio wird dadurch nicht verstummen. Weil das Ergebnis der PSD aber besser war als befürchtet, hat Rio gute Chancen einen neuerlichen Aufstand zu überleben und den Parteivorsitz zu verteidigen. Wohl auch deshalb feierte er in der Wahlnacht das Ergebnis der PSD wie einen Sieg, was manche Anhänger und Gegner erstaunte.
Die konservative CDS-PP erhielt nur 4,3% der Stimmen und verlor 13 von 18 Mandaten im Parlament. 2015 waren PSD/PPD und CDS-PP, die in den Jahren davor mit Premierminister Pedro Passos Coelho die Regierung gestellt hatten, in einer Wahlallianz angetreten und hatten damals zusammen eine relative Mehrheit von 38,5% gewonnen. In den vergangenen Jahren versuchte die CDS-PP sich aus der engen Anbindung an die PSD zu lösen und ein eigenständiges, konservatives Profil herauszubilden. Sie brachte u.a. zwei letztlich gescheiterte Misstrauensanträge gegen Ministerpräsident Costa im Parlament ein. Die Wähler haben das nicht honoriert. Das überraschend gute Ergebnis der Parteivorsitzenden Assunção Cristas bei den Kommunalwahlen 2017 in Lissabon hatte die Bemühungen um eine Distanzierung von der PSD beflügelt. Doch schon in der Wahlnacht, als das Ergebnis der Wahl noch nicht feststand, das schlechte Abschneiden der CDS-PP aber offensichtlich war, übernahm Cristas die Verantwortung für die Niederlage und die ihr zugrundeliegende falsche Strategie und trat vom Parteivorsitz zurück.
Bemerkenswert ist die Aufsplitterung des Parteiensystems, sodass nun erstmals auch eine Reihe von Parteien Mandate in der Abgeordnetenkammer gewannen, die bisher nicht vertreten waren, darunter auch einige erst in jüngerer Zeit gegründete Parteien. Die bereits erwähnte Tier- und Umweltschutzpartei PAN wurde vor zehn Jahren gegründet und gewann nun erstmals 4 Mandate. Auch die Partei Livre, die ein buntes Programm mit linken, sozialistischen und ökologischen Elementen vertritt, wurde bereits vor sechs Jahren gegründet und gewann nun ein Mandat. Die wirtschaftsliberale „Iniciativa Liberal“ wurde erst vor zwei Jahren gegründet und erreichte nun mit 1,3% Stimmenanteil ein Mandat. Große Aufmerksamkeit erhielt aber vor allem das Abschneiden der neu gegründeten Partei „Chega!“ (übersetzt: Genug!), die sich als national-konservative Partei präsentierte und mit einem Anteil von 1,1% der Stimmen ebenfalls ein Mandat gewann. Damit ist nun auch in Portugal erstmals eine national-populistische Partei im Parlament repräsentiert. Sie erhielt zwar nur 66.442 Stimmen, die vor allem in einigen Stadtrandgebieten Lissabons und Setubals, in denen ansonsten die extreme Linke stärker vertreten ist, zusammenkamen. Doch manche Beobachter befürchten, dass auch in Portugal die Sichtbarkeit des Rechtspopulismus durch das Parlamentsmandat zunehmen und die Partei künftig noch mehr Stimmen gewinnen könnte. Programmatisch vertritt die Partei einen diffusen Konservativismus vor allem zugunsten einer Verkleinerung des Staates und der Bürokratie, während sie sich bei gesellschaftspolitischen Themen eher liberal gibt. Ihr Nationalismus artikuliert sich nicht durch die Kritik an der Immigration, sondern durch Kritik an der Notwendigkeit zur Emigration vieler Portugiesen, die am Versagen des Staates und der „alten“ politischen Eliten festgemacht wird. Zwar gibt es in Portugal schon seit längerem die rechtsradikale Partido Nacional Renovador (PNR), doch hatte sie bisher nie relevante Wahlergebnisse. Die euroskeptischen Positionen wurden im portugiesischen Parlament bisher von der extremen Linken mit den Kommunisten und dem Linksblock vertreten. Künftig wird nun auch mit „Chega“ eine Stimme der extremen Rechten dazu kommen.
Die niedrige Wahlbeteiligung wurde in vielen Kommentaren hervorgehoben. Mit 45,5% Enthaltung, 2,5% leeren und 1,7% ungültigen Wahlzetteln setzte sich ein Trend fort, der bereits im Anschluss an die Nelkenrevolution begann. Die Wahlbeteiligung sinkt seitdem von Wahl zu Wahl und lag in diesem Jahr noch einmal 2,5% niedriger als 2015. Allerdings hängt die niedrige Wahlbeteiligung auch damit zusammen, dass diesmal die Erfassung der großen Zahl im Ausland lebender Portugiesen anders als früher erfolgte. Schätzungsweise 20% der Portugiesen leben im Ausland. Im Wahlregister sind mehr als 1,4 Millionen im Ausland lebende Wahlberechtigte registriert. Von diesen nimmt traditionell nur ein geringer Anteil an den Wahlen teil. Außerdem scheint das Wahlregister nicht sehr korrekt die Wahlberechtigten zu erfassen, sodass viele Personen, die bereits verstorben sind, noch in den Wählerlisten geführt werden. Bei Rückschlüssen aus der niedrigen Wahlbeteiligung ist deshalb Zurückhaltung geboten.
Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa hat in den Tagen nach der Wahl mit Vertretern aller ins Parlament gewählten Parteien gesprochen und den bisherigen Ministerpräsidenten António Costa mit der Regierungsbildung beauftragt. Dieser hat gleich nach der Wahl seine bisherigen Partner vom Bloco de Esquerda und der CDU sowie die möglichen neuen Partner PAN und Livre zu Gesprächen eingeladen. Bereits in der Wahlnacht hatte Costa angekündigt, ein Abkommen für die gesamte Legislaturperiode anzustreben, machte dabei allerdings gleich klar, dass sich die Ausgangsposition gegenüber 2015 geändert habe. Die Sozialistische Partei sei nach der Wahl als einzige der Geringonça entstiegen, der „Klapperkiste“ wie das Regierungsbündnis, das keine formale Koalition war, zuweilen genannt wurde. Auch wenn er nun zum Regieren weiterhin Partner braucht, wird Costa künftig deutlich mehr Spielraum für Entscheidungen haben. Dies verdankt er dem besseren Wahlergebnis seiner Partei, den neuen Optionen für Kooperationspartner im linken Parteienspektrum sowie der fragmentierten und geschwächten Opposition.
Zur Erklärung des Wahlergebnisses
Zu verdanken hat Costa das gute Wahlergebnis vor allem zwei Faktoren: zum einen der günstigen Wirtschaftsentwicklung der letzten vier Jahre, die der Regierung neue Haushaltsspielräume für einige sozial- und arbeitsmarktpolitische Entscheidungen eröffnete, die von wichtigen Wählerschichten begrüßt wurden. Zum anderen der einnehmenden Persönlichkeit des Ministerpräsidenten, der sich trotz einiger eher ungeschickter Auftritte und Aussagen insgesamt eine anhaltend hohe Sympathie bei vielen Portugiesen genießt.
Zwar waren die drei Parteien des bisherigen Regierungsbündnisses 2016 angetreten mit dem Versprechen einer Anti-Austeritäts-Politik und einem Ende der Sparmaßnahmen, mit der die Vorgängerregierung von Pedro Passos Coelho das Land seit 2011 aus der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise geführt hatte. Doch in der Praxis hielt sich Costa weitgehend an die Linie seines Vorgängers und beachtete die Vorgaben aus Brüssel, auch wenn er und seine Alliierten verbal immer wieder gegen die Sparpolitik polemisierten. Gerade weil die Anpassungspolitik ab 2016 erste Erfolge verzeichnete, hatte Costa nun den finanziellen Spielraum, um Gehaltskürzungen im öffentlichen Sektor wieder rückgängig zu machen und auch die Sozialversicherungsleistungen an das Vorkrisenniveau anzupassen. Der Stopp von Beamtenbeförderungen wurde aufgehoben, es gab jährlich eine moderate Anhebung des Mindestlohns und auch besonders einflussreichen Gruppen wie Ärzten und Lehrern machte die Regierung einige gesonderte Zugeständnisse. Viele Bürger spürten, dass sie nun am Ende des Monats mehr Geld übrig hatten. Dabei achteten Costa und sein Finanzminister Centeno darauf, das Haushaltsdefizit niedrig zu halten. 2018 wurde es auf das Rekorddefizit von 0,5% des Sozialprodukts gesenkt. Für das laufende Jahr 2019 ist es das Ziel der Sozialisten, das Defizit sogar noch weiter auf 0,2% zu senken. Die Idee einer erfolgreichen linken Alternative zur sogenannten neoliberalen Austeritätspolitik gewann zunehmende Beachtung und erhielt großes Echo in den Medien.
Auf europäischer Ebene erntete die sozialistische Regierung Lob dafür, die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts einzuhalten. Noch im Amt des deutschen Finanzministers bezeichnete Wolfgang Schäuble seinen portugiesischen Kollegen Mário Centeno, der inzwischen Vorsitzender der Euro-Gruppe ist, als den „Cristiano Ronaldo der Finanzpolitik“. Eine größere Auszeichnung ist in Portugal kaum möglich.
Aufgrund der günstigen internen und auch externen Umstände wuchs die portugiesische Wirtschaft in den letzten Jahren stetig. 2017 und 2018 lag das Wachstum mit 3,5% bzw. 2,4% sogar über dem europäischen Durchschnitt. Die Arbeitslosigkeit ist mittlerweile auf ein Rekordtief der letzten 15 Jahre von 6,6% gesunken. Dass es trotz einiger sozialpolitischer Wohltaten noch etliche Problembereiche gibt wie die ungenügende Finanzierung des öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesen, ist von der PSD im Wahlkampf immer wieder angemahnt worden. Doch weil die Linksparteien aus dem Regierungsblock diese Kritik zum Teil ebenfalls artikulierten, wanderten die Stimmen der Unzufriedenen nicht zur traditionellen Opposition, sondern verteilten sich im linken Lager und entfielen auch auf die neuen Parteien. Auch die verheerenden Waldbrände im Sommer 2016, bei denen 65 Menschen starben und allgemein ein Behördenversagen beim Krisenmanagement kritisiert wurde, beeinträchtigten die Beliebtheit des Ministerpräsidenten. Ebenso wenig die Anklage und vorläufige Verhaftung des ehemaligen sozialistischen Premierministers José Sócrates wegen Korruption und Geldwäsche oder der wenige Tage vor der Wahl wieder aufgekommene Skandal um den Diebstahl von Militärwaffen, die unter bizarren Umständen wieder aufgefunden wurden, was schließlich zum Rücktritt des Verteidigungsministers führte.
Anders als in Spanien ist in Portugal mit einer baldigen Regierungsbildung und einer stabilen und weiterhin europafreundlichen Regierung für die nächsten vier Jahre zu rechnen. Sofern sich die internationalen Rahmenbedingungen nicht deutlich eintrüben, ist auch mit einer Fortsetzung der wirtschaftlichen Konsolidierung zu rechnen und entsprechend weiteren sozialpolitischen Spielräumen für die Regierung. Das Land und seine Regierung schauen der Übernahme der Präsidentschaft des Europäischen Rats im ersten Halbjahr 2020 und der dann engeren Zusammenarbeit mit Deutschland, das im 2. Halbjahr die Ratspräsidentschaft übernimmt, mit Zuversicht entgegen. Angesichts der sonstigen Baustellen in Europa sind das durchaus positive Signale aus Portugal.
Bereitgestellt von
Auslandsbüro Spanien und Portugal
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