Ein historischer Moment
Die Ankunft des japanischen Premierministers in China löste schon im Vorfeld hitzige Diskussionen aus, die dazu führten, dass die geplante Reise kurzfristig um einige Tage verschoben werden musste. Ursprünglich sollte Shinzo Abe bereits am 23. Oktober nach Peking reisen - zufällig am 150. Jahrestag der Meiji-Restauration. Für Peking Grund genug, Tokio um Verschiebung des Besuchs zu bitten. Die Meiji-Restauration markiert die Konstitution der japanischen Regierung, die für die Aggressionskriege im Zweiten Weltkrieg verantwortlich war.
Der Besuch Shinzo Abes in Peking wurde anlässlich des symbolträchtigen 40. Jahrestags des Freundschafts- und Friedensvertrags beider Staaten, der der Normalisierung diplomatischer Beziehungen der Länder im Jahr 1972 folgte, ausgemacht. Wegweisend war der Besuch allein deshalb schon, da sich das Klima zwischen den Nachbarn in jüngerer Vergangenheit in einer Eiszeit befand.
Nur wenige Tage dauerte die erste offizielle Reise von Shinzo Abe in seiner Funktion als Premierminister nach Peking - bisher reduzierte sich die Kommunikation lediglich auf kleinere bilaterale Treffen am Rande internationaler Konferenzen. Während seines dreitägigen Besuchs traf der japanische Premier den chinesischen Präsidenten Xi Jinping sowie Ministerpräsidenten Li Keqiang. Es wurden wirtschaftliche Zusagen für gemeinsame Projekte ohne weitergehende politische Verpflichtungen erwartet, wobei es am Ende auch bleiben sollte.
Mehr als eine "Stabilisierung" der gemeinsamen Beziehung wird kurzfristig nicht erwartet, wie die japanische Seite später durchblicken ließ. Zu groß sind die politischen Differenzen zwischen den beiden ostasiatischen Mächten.
Politik ist nicht Wirtschaft
Auf der Gesprächsagenda standen verschiedene Themen, u. a. die zukünftigen Wirtschaftsbeziehungen, Entwicklungshilfen, Investitionsprojekte, ODA – der Inselstaat wird seine „official development assistance" (ODA) an China zum Ende dieses Fiskaljahres einstellen -, aber auch politisch fragile Situation um Nordkorea sowie die USA. Mehr als die erwarteten Lippenbekenntnisse wurden allerdings nicht erzielt.
Seit Mai 2010 befinden sich die sino-japanischen Beziehungen auf einem Tiefpunkt. Nach der Verstaatlichung der Senkaku-Inselgruppe durch das Inselreich kühlte sich das Klima gegenüber der Volksrepublik rapide ab. Bisher haben es beide Staatschefs nicht geschafft, die konfliktträchtigen Spannungen ansatzweise zu lösen.
Am 8. Juli 2017 dann der Durchbruch in Hamburg am Rande des G20-Gipfels: Während eines privaten Gesprächs mit Abe offerierte Xi Jinping die Idee, dass politische Meinungsverschiedenheiten nicht notwendigerweise hinderlich für ökonomische Zusammenarbeit seien. Der Grundstein für eine signifikante Verbesserung der Zusammenarbeit war gelegt oder wie Shinzo Abe es ausdrückt: "eine Rückkehr zum Normalzustand".
China ist der größte Abnehmer japanischer Produkte - im Jahr 2017 hat Japan Waren im Wert von 132,7 Milliarden USD nach China exportiert, auf der anderen Seite 164,3 Milliarden USD importiert. Nippon kann dementsprechend nur an einer Sicherstellung nachhaltiger ökonomischer Beziehung zur Volksrepublik interessiert sein. Auch wenn Skepsis gegenüber dem Agieren Chinas existiert, Tokio muss schon aus Eigeninteressen viel an einer Verbesserung der Zusammenarbeit mit Peking gelegen sein.
Die Rolle Donald Trumps
Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an den Gesprächen haben die USA unter Führung Donald J. Trumps. Sie zeigt sich verantwortlich sowohl für die neue Offenheit Chinas, aber auch für die Handlungsmöglichkeiten Japans. Es kann sogar davon gesprochen werden, dass die Gespräche ohne das erratische Verhalten Trumps nicht möglich gewesen wären.
Seitdem sich der Handelskonflikt zwischen China und den USA immer weiter zuspitzt, ist die Volksrepublik um einen freundlicheren Kurs gegenüber seinen unmittelbaren Nachbarn in der Asien-Pazifik-Region bemüht. Deswegen ist die Volksrepublik auch seit geraumer Zeit zu einer Entspannung der Wirtschaftsbeziehungen bereit. Für sie macht es strategisch wenig Sinn, die diplomatischen Beziehungen mit Korea und Japan vor dem Hintergrund des schlechtesten sino-amerikanischen Verhältnisses seit den 1970er Jahren unnötig zu strapazieren. Für die Inselnation war ein solcher Schritt bis vor wenigen Monaten kaum denkbar.
Nippon muss selber aufpassen, ihren engsten Partner nicht gegen sich aufzubringen. Das Land der aufgehenden Sonne hat zu große sicherheitspolitische Abhängigkeiten zu den USA, als dass es sich der Inselstaat leisten könnte, der Führung in Peking allzu viele Zugeständnisse zu machen – selbst dann, wenn sie daran interessiert sind. Die Japaner müssen sehr gut abwägen, ob und wie weit sie auf China zugehen. Ein weiteres Auseinanderdriften zwischen der Volksrepublik und den USA könnte Tokio dazu veranlassen, Distanz zu Peking zu wahren.
Vorbehalte bestehen weiterhin auf beiden Seiten. Japan sorgt sich um seine sicherheitspolitische Situation. Die aggressive militärische und maritime Expansionspolitik Chinas lassen in Tokio Befürchtungen über den Hegemonialanspruch der Volksrepublik entstehen. China wiederum sieht die Gefahr, dass sich Japan noch enger mit den USA verbündet und so einen weiteren politischen und ökonomischen Aufstieg des Reichs der Mitte verhindert.
Wie geht es weiter?
Was bleibt von der historischen Reise übrig? Shinzo Abe und Xi Jinping haben sich darauf verständigt, die vorhandenen Beziehungen weiter zu stärken. Im Vordergrund stehen hier klar wirtschaftliche Interessen – eine echte politische Annäherung sollte bisher nicht erwartet werden.
Im nächsten Jahr findet der G20-Gipfel in Osaka statt. Spätestens dann werden sich Xi Jinping und Shinzo Abe wieder begegnen - dieses Mal im Land der aufgehenden Sonne. Wahrscheinlich wird es sogar noch ein weiteres bilaterales Treffen geben. Es ist schwer zu beurteilen, ob beide Staaten wirklich bereit sind, weitreichendere politische Zugeständnisse zu machen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass alte Konfliktlinien sehr leicht wieder aufbrechen können, auch wenn sich das Verhältnis zu verbessern scheint. Noch heute liegen die historischen Lasten auf dem fragilen bilateralen Verhältnis schwer.
Ein erster Schritt ist jedoch getan. Auch wenn die Ergebnisse bisher überschaubar sind, noch vor wenigen Monaten war ein Treffen auf höchster Ebene zwischen den beiden Nationen undenkbar. Gesprächsbereitschaft ist vorhanden, die Basis für eine zukünftige Zusammenarbeit ebenfalls. Für eine nachhaltige Entwicklung der diplomatischen Beziehungen sind nun jedoch regelmäßige Treffen auf Spitzenebene notwendig. Dann erst wird sich zeigen, ob der Wille beider Nationen groß genug ist, um das gemeinsame Verhältnis grundlegend aufzufrischen und zu verstetigen.
Bereitgestellt von
Auslandsbüro China
Themen
Über diese Reihe
Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in rund 110 Ländern auf fünf Kontinenten mit einem eigenen Büro vertreten. Die Auslandsmitarbeiter vor Ort können aus erster Hand über aktuelle Ereignisse und langfristige Entwicklungen in ihrem Einsatzland berichten. In den "Länderberichten" bieten sie den Nutzern der Webseite der Konrad-Adenauer-Stiftung exklusiv Analysen, Hintergrundinformationen und Einschätzungen.
Bitte melden Sie sich an, um kommentieren zu können.