Veranstaltungsberichte
Ein deutsch-amerikanischer Workshop der Konrad-Adenauer-Stiftung beleuchtete Licht- und Schattenseiten der Digitalisierung und zeigte auf, dass zwischen dem normativ-europäischen Blick und der explorativ-amerikanischen Perspektive bisweilen Welten liegen. Derweil nutzen autoritäre Regime die Digitaltechnologien geschickt aus.
Ohne Zweifel ist die transatlantische Partnerschaft dieser Tage nicht frei von politischen Spannungen. Auf vielen Politikfeldern, sei es die Handels-, Sicherheits- oder Digitalpolitik, haben europäische Regierungen und die Trump-Administration gegensätzliche Ansichten. Trotz dieser Dissonanzen bemüht sich die Konrad-Adenauer-Stiftung Gesprächskanäle offen zu halten und konkrete transatlantische Themen zu besprechen, die über die Tagespolitik hinausreichen. Aus diesem Grund kamen deutsche Digitalexperten mit Vertretern renommierter amerikanischer Denkfabriken erst in Washington und bei einer anschließenden Folgeveranstaltung in Berlin zusammen.
Die Digitalisierung verwirft, beschleunigt, verbindet alles
Ziel war es, die digitale Transformation der Wirtschafts- und Arbeitswelt auf beiden Seiten des Atlantiks zu beleuchten, die je nach Region und Branche als Fluch oder Segen wahrgenommen wird. Während amerikanische, aber auch deutsche Technologie-Optimisten beschwichtigen und das Entstehen neuer Arbeitsplätze versprechen, sehen Kritiker eher eine Polarisierung der Arbeitsmärkte und den Wegfall zahlreicher Jobs im produzierenden Gewerbe, dem Dienstleistungsbereich und der Agrarwirtschaft voraus. Beide Argumentationslinien wurden während des deutsch-amerikanischen Workshops auf Plausibilität überprüft und mögliche politische Antworten (Veränderungen im Bildungs- und Sozialversicherungssystem, Grundeinkommen) diskutiert.
Einig war sich der Teilnehmerkreis, dass die vierte industrielle Revolution im Hinblick auf Geschwindigkeit und Wucht deutlich von vorhergehenden Industrialisierungswellen (Dampfkraft, Elektrifizierung, Automation) zu unterscheiden ist und kein rein technisches sondern ein zutiefst politisches Phänomen ist, das es zu gestalten gilt. Bei nüchterner Betrachtung zeichnen sich die Effekte der digitalen Transformation wie Technisierung, Verdichtung, Beschleunigung und Rationalisierung der Lebens- und Arbeitswelt bereits heute deutlich ab, sind die Schattenseite der hypervernetzen Welt, etwa Cyberangriffe, Datenspionage oder private wie staatliche Überwachung, weltweit zu studieren. Letztlich bedürfen diese Tendenzen einer wertgebundenen, politischen Antwort und ganz konkreter Regelsetzung, etwa im Hinblick auf Arbeitsrecht, Datensouveränität, Wettbewerbsrecht und Ethik.
Transatlantischer Dialog wichtiger denn je
Die Diskussion der Digitalexperten machte deutlich, dass beide Weltregionen im Hinblick auf das Thema „Digitalisierung“ unterschiedliche Ansätze sowie ökonomische, politische und kulturelle Unterschiede aufweisen. Fünf Schlussfolgerungen lassen sich als Zwischenergebnis festhalten.
Erstens: Die amerikanische Seite hat im Umgang mit dem Thema „Digitalisierung“ nicht nur einen technologischen Vorsprung, sondern auch einen mentalen Vorteil. Das Vertrauen in die gesellschaftliche Anpassungsfähigkeit und die Kraft marktwirtschaftlicher Mechanismen ist deutlich ausgeprägter. Vermeintliche Risiken wie potentielle Arbeitsplatzverluste werden nachweisbaren Wohlstandsgewinnen des Plattform- und Tech-Kapitalismus gegenübergestellt. Die Sichtweise auf Chancen dominiert die digitalpolitische Debatte in den USA, wobei ethische und gesellschaftspolitische Fragen im Hinblick auf die Tech-Giganten (Wettbewerbsstrukturen, Datensicherheit) mittlerweile stärkeren Raum einnehmen. Dabei sind es weniger führende Politiker, sondern namhafte Tech-Persönlichkeiten, die die Debatte hier prägen und Fehlentwicklungen bzw. Gefahren klar benennen.
Zweitens: Der Alarmismus im Hinblick auf das vermeintliche „Ende der Arbeit“ (Frey/Osborne-Studie, 2013), den es zum Teil in Deutschland gibt, wird in den USA nicht geteilt. Außerhalb von Fachzirkeln dominieren in den USA ohnehin eher Themen der „old economy“ die öffentliche Diskussion. Es geht um Reindustrialisierung, Zoll- und Handelspolitik, strategische Industrie-, Rüstungs- sowie Energiepolitik. Es scheint als führe Deutschland, insbesondere wenn man das Agenda-Setting im Rahmen der G20-Präsidentschaft (Initiierung des ersten Treffens der G20-Digitalminister) und die Schwerpunkte des Koalitionsvertrages einbezieht, derzeit eine vergleichsweise zukunftsorientierte Debatte; zum Teil ängstlich-abwägend, aber immerhin bezogen auf die absehbaren Digitaltrends der kommenden Dekade: Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz, Big Data, Robotik. Eine politische Leistung, die von US-Vertretern wahrgenommen wird, ist der deutsche Versuch Breitbandausbau in der Fläche zu leisten, Fragen der Datensicherheit- und des Dateneigentums zu klären und die Potenziale des digitalen, europäischen Binnenmarktes zu heben.
Drittens: Die Gespräche legen den Schluss nahe, dass es derzeit keine stringente Digitalagenda der US-Bundesebene oder politische Reflexionen zum Arbeitsmarkt der Zukunft (vergleichbar mit dem Weißbuch „Arbeit 4.0“ des deutschen Arbeitsministeriums) gibt. Während insbesondere asiatische Volkswirtschaften ambitionierte Entwicklungspläne (bspw. Singapur, China, Japan) vorlegen, die explizit auf den Kompetenzaufbau in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Big Data, Robotik konzentriert sind, liegen diesbezügliche US-Debatten seit den letzten Amtsjahren von Barack Obama auf Eis. In den USA dominiert aktuelle die Ansicht, dass ein kompetitiv-liberales Regulierungsumfeld ausreichend Chancen für Unternehmen bietet und in der Gewährleistung dieses unbürokratischen, energiegünstigen Umfeldes die Hauptaufgabe der Politik liegt. Mitunter gibt es auf Ebene größerer Städte oder auf Landesebene (bspw. Kalifornien) digitalpolitische Förderungen und Pläne, die aber im Vergleich mit asiatischen Volkswirtschaften oder selbst der „digitalen Agenda“ der Bundesregierung kleinteilig und wenig strategisch ausgerichtet sind.
Viertens: Die Bereitschaft neu über staatliche Sicherungssysteme in einer Arbeitswelt des schnellen Wandels nachzudenken war ebenso vorhanden, wie die kritische Reflexion über Marktzutrittsbarrieren im US-Bildungssektor und des amerikanischen Ausbildungssystems im Allgemeinen. Soziale Verwerfungen und Chancenungleichheit werden durchaus als Entwicklungsproblem der amerikanischen Volkswirtschaft anerkannt, das deutsche System der Dualen Ausbildung – mit Abstrichen - als interessanter Entwicklungsweg gesehen. Gleichzeitig wurde darauf verwiesen, dass ein „paralysiertes politisches System“, derzeit nicht die Kraft habe, konsensstiftende Politikkonzepte im Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik vorzulegen. Vielfach zu hören war die Einschätzung, dass der Nationalpopulismus Trumps weniger mit wirtschaftlichen Faktoren zu erklären sei, sondern Fragen von Identität und Kultur eine größere Rolle spielten.
Fünftens: Die industrie- und geopolitischen Ambitionen Chinas, exemplarisch stehen das Programm „Made in China 2025“ und die „Seidenstraßeninitiative“ werden in den USA genau wahrgenommen, allerdings gab es seit dem Bericht des Weißen Hauses zum Thema „Künstliche Intelligenz“ (2016) keine Debatte dazu, womöglich auch weil der Boom der US-Wirtschaft von zukünftigen Herausforderungen ablenkt.
Volkswirtschaftliche Anpassungsfähigkeit entscheidendes Kriterium
Abschließend lässt sich festhalten, dass Deutschland vom transatlantischen Dialog profitiert, weil er die Perspektiven für die deutsche Debatte, weit über arbeitsmarktpolitische Fragen hinaus schärft. Während man bei uns unter dem Schlagwort „Digitalisierung“ vorrangig über Infrastrukturausbau, Datensicherheit, Arbeit 4.0 und Industrie 4.0 debattiert, wird der Begriff in der amerikanischen Debatte so kaum verwandt. Die USA vertrauen schlicht auf explorative Gründer, die in einem günstigen Regulierungsumfeld das nächste „Unicorn“ erschaffen. Von diesem Geist der Offenheit, der Anpassungsfähigkeit und der Fokussierung auf Wettbewerbsfähigkeit könnte sich Deutschland inspirieren lassen und mit einer liberalen Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik eine neue Dynamik entfachen.
Charles Darwin notierte einmal: “It is not the strongest species that survives, not even the most intelligent; it is the one most likely to adapt to change.” Für den Prozess der Digitalisierung gilt dies allemal.
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