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Veranstaltungsberichte

Rundes Leder zwischen Licht und Schatten

von Constanze Brinckmann

ADLAF-Tagung zum Thema "Fußball und Gesellschaft in Lateinamerika" zu Gast in Berlin

Seit knapp einer Woche regiert wieder König Fußball die Welt. Eine besonders große Rolle spielt der Fußball in Lateinamerika, wo der Sport eng mit gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen verknüpft ist. Eine Woche vor Beginn der Weltmeisterschaft in Russland fand in Berlin die internationale Fachtagung „Fußball und Gesellschaft“, organisiert mit der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung (ADLAF), statt. Einer der Höhepunkte der Tagung war die Auftaktveranstaltung am 7. Juni mit prominenten Gästen aus Sport, Politik und NGOs sowie einem großen Fußballgartenfest.

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Anpfiff

Laut Definition des deutschen Duden bedeutet das Wort Bolzen „mit dem Fuß irgendwohin schießen“ oder „planlos, ohne System Fußball spielen“. Der gute alte Bolzplatz weckt bei vielen von uns Erinnerungen an Schotterplätze hinter dem Haus, aufgeschürfte Knie und Spielregeln, die nicht immer ganz konform mit dem offiziellen DFB-Regelwerk waren. Was Aylin Yaren bei der Eröffnungsveranstaltung der ADLAF-Tagung in Berlin zeigt, hat auf den ersten Blick gar nichts mit Bolzen zu tun. Wie eine Tänzerin bewegt sie den Ball von der Fußspitze zum Kopf und wieder zurück. Während die 250 Gäste im Forum der Akademie bereits motorisch herausgefordert ist, im Takt der Sambarhythmen zu klatschen, zeigt die Profifußballerin und Freestylerin Balltricks, die die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft zu setzen scheinen. Mehrere Meter wirbelt sie den Ball in die Luft, um ihn wenige Sekunden später sicher mit der Schulter wieder aufzufangen. Beim Fußballspielen kann sie frei sein, sagt die 28-Jährige, die im Alter von fünf Jahren zum ersten Mal gegen einen Fußball tritt. Mit Talent und Hartnäckigkeit schafft sie es schließlich in die U17-Auswahl der deutschen Nationalmannschaft und die U19-Mannschaft der Türkei. Heute spielt sie beim Zweitligisten Arminia Bielefeld und absolviert als Ballakrobatin auch öffentliche Auftritte im Fernsehen. Doch neben dem jahrelangen Training für die Profimannschaften ist es das Bolzen, das Kräftemessen mit ihrem Brunder und den anderen Jungs auf dem Platz, das sie zu der Frau gemacht hat, die sie heute ist. „Auf dem Platz achtet keiner darauf, wer du bist und wo du herkommst“, sagt Aylin nach ihrer Performance im Gespräch.

"Fußball verbindet"

„Fußball verbindet die Menschen“, so auch die Meinung von Frank Priess, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit und bekennender Bayern-Fan. Die Familie Priess ist das lebende Beispiel dafür, wie der Sport Menschen über Vereins- und Ländergrenzen zusammenbringen kann. Bei der WM in Russland wird nicht nur die deutsche Nationalmannschaft angefeuert, sondern auch Argentinien und Kolumbien. Priess weist aber auch auf die Schattenseiten des Fußballs hin: Gewalt, Rassismus und die zunehmende Kommerzialisierung sind nur einige Schlagwörter, die mit dem Fußball immer wieder in Verbindung gebracht werden. Als Stiftung, die sich stark mit dem Thema Demokratieförderung beschäftige, müsse man auch über die Standards bei der Vergabe von Weltmeisterschaften dikutieren, so Priess. Was kann der Fußball gesellschaftlich und politisch leisten und wie begegnen wir den negativen Auswirkungen? Die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Lateinamerikaforschung (ADLAF) hat bereits im Jahr 2016 den Plan gefasst, dass Thema Fußball und Lateinamerika wissenschaftlich zu beleuchten. „Fußball reißt Menschen auf der ganzen Welt mit“, sagt Thomas Fischer, Vorsitzender der ADLAF bei der Auftaktveranstaltung der Fachtagung. Der Fußball sei eine Sportart, die in fast allen Ländern der Welt eine Rolle spiele und die Menschen auf allen sozialen Ebenen begeistere. Positiv sieht Fischer die Entwicklung, dass auch immer mehr Mädchen ihre Begeisterung für den Fußball entdecken. Die sozial- und geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Fußball steht jedoch noch ganz am Anfang. Das Tagungsprogramm der dreitägigen Tagung zeigt die Vielfalt des Themas: Auf insgesamt sieben Panels diskutieren Wissenschaftler aus Europa, Lateinamerika und den USA u.a. über die Auswirkungen von Mega-Events wie Weltmeisterschaften, die Entwicklung von Geschlechterrollen und Rassismus im Fußball.

1. Halbzeit

Er wurde als Spieler Vizeweltmeister, Europameister, dreifacher deutscher Meister und zweifacher Pokalsieger. Und auch als Trainer und Manager feierte Felix Magath viele Erfolge u.a. beim Hamburger SV, VfL Wolfsburg oder beim Rekordmeister Bayern München. In der 1. Halbzeit der Eröffnungsveranstaltung erzählt Felix Magath, wie er schon in jungen Jahren zum Fußball gekommen ist wieso Geld für ihn nur Nebensache war. Im Jahr 1954 – ganz Deutschland ist nach dem Überraschungssieg der deutschen Mannschaft im WM-Finale gegen Ungarn im Fußballfieber – entdeckt ein gerade mal einjähriger Felix Magath seine Liebe für das runde Leder. Gemeinsam mit den Nachbarskindern spielt er fortan in fast jeder freien Minute. Vom reinen Zeitvertreib entwickelt sich der Fußball schnell zum Familienersatz. Magaths Vater stammt aus Puerto Rico und verlässt Deutschland als Magath gerade ein Jahr alt war. Mutter Helene arbeitet, um die Familie zu versorgen. Im Fußballverein findet er Gleichgesinnte und kann das tun, was ihm am meisten Spaß macht. Eine Profikarriere hatte er damals noch nicht im Sinn. Sein erstes Angebot von einem Profiverein lehnte er ab, um weiter gemeinsam mit seinen Mannschaftskameraden in seiner Heimatstadt Aschaffenburg zu spielen. „Ich war nie diszipliniert“, so Magath im Gespräch mit Moderatorin Shelly Kupferberg. Das gilt auch für die Schule, die er zugunsten des Sports immer öfter hintenanstellt. Als 18-jähriger erhält er sein erstes Profigehalt - 2.000 Mark. Kein Vergleich zu den zum Teil astronomischen Jahresgehältern eines Neymar oder Cristiano Ronaldo, aber „es reichte für Cola und Bier“. Magath ging es nie ums Geld. Dass er für das, was er am liebsten tut, Geld bekommen hat, war für ihn ein Glücksfall. Seinen Erfolg als Spieler erklärt er sich mit seiner Leidenschaft für das Spiel und seinem unbändigen Siegeswillen. „Ich kann einfach nicht verlieren“, so Magath.

Einmal so berühmt sein wie Thomas Müller oder Toni Kroos. Millionen Jungs (und immer mehr Mädchen) träumen heute von der großen Karriere als Fußballprofi. Magath kann mit dem Personenkult, der um manche Spieler veranstaltet wird, jedoch nur wenig anfangen. „Ich habe nie Vorbilder gehabt“, gibt Magath ehrlich zu. Fußball sei einfach ein Mannschaftssport und der einzelne Spieler nur so gut wie der Rest seines Teams. „Man muss alles für die Mannschaft geben“, so Magath, der als Trainer wegen seiner harten Trainingsmethoden den Spitznamen „Quälix“ erhielt. Besonders kritisch sieht er, wie Fußballkarrieren heute oftmals von ehrgeizigen Eltern geplant werden. Der Fußballnachwuchs in Deutschland habe heute sehr gute Trainingsbedingungen und die Jugendarbeit in den Vereinen werde immer professioneller. Was auf dem Weg zur Profikarriere jedoch oftmals verloren gehe, sei der Spaß am Fußball, stellt Magath fest. Während Fußball-Deutschland seit Donnerstag im WM-Fieber ist, will sich bei Felix Magath noch nicht die große Begeisterung einstellen. Der deutschen Nationalelf traut er die Mission Titelverteidigung durchaus zu (Anmerkung der Redaktion: Die Veranstaltung fand vor dem Spiel gegen Mexiko statt), aber auch die technisch extrem starken Brasilianer sowie die Argentinier und Kolumbianer dürfe man nicht unterschätzen. In einem WM-Finale ist es dann aber nicht die Technik, sondern die Tagesform oder Nervenstärke, die über Sieg und Niederlage entscheidet, so seine Einschätzung. Sein Geheimrezept gegen flatternde Nerven vor einem wichtigen Spiel? „Bier trinken!“, rät Felix Magath.

2. Halbzeit

Ohne Halbzeitpause geht es nach dem ehrlichen Gespräch mit Felix Magath gleich in die 2. Halbzeit. Vier Gäste diskutieren mit Romy Köhler im Eröffnungspanel unter der Überschrift „Korruption, Machismo und Rassismus - Die gesellschaftlichen Herausforderungen und die positive Kraft des Fußballs“.

„Brasilien ist ein Fußballland“, sagt Aline Pellegrino. Jedoch nur ein Fußballland für Männer, schränkt sie ein. Die ehemalige Spielführerin der brasilianischen Frauennationalmannschaft begann ihre Fußballkarriere ähnlich wie Freestylerin Aylin Yaren auf der Straße. Als Aline 1982 in São Paulo geboren wurde, ist es Frauen erst seit drei Jahren überhaupt erlaubt, Fußball zu spielen. Bis 1979 war Fußball für Frauen in Brasilien gesetzlich verboten. In der Diskussion mit Moderatorin Romy Köhler erzählt Aline Pellegrino von einer Zerrissenheit, die sie in ihrem Land mehr und mehr spürt. Der Sport habe die verbindende Kraft, die Menschen wieder zusammenzubringen. Damit das gelingt, müssen auch die Athleten Position gegen Geschlechterklischees und Vorurteile auf dem Spielfeld und auch in der Gesellschaft.

„Fußball kann soziale Veränderungsprozesse anstoßen“, ist sich Jürgen Griesbeck sicher. Der Gründer der Initiative Common Goal sieht in Kolumbien, wie zwei verfeindete Jugendgangs am Eingangstor des Sportplatzes ihre Waffen ablegen und gemeinsam Fußball spielen. Es ist die „Magie des Spiels“ und das Teamplay, was den Fußball ausmacht, sagt Griesbeck. Das Ziel von Common Goals ist, ein Prozent der Einnahmen aus dem Profifußball an die Organisation streetfootballworld zu spenden, die weltweit Projekte mit Fußballbezug unterstützt. Immer mehr Spielerinnen und Spieler (aber auch Trainer) unterstützen Common Goal, darunter Mats Hummels (Bayern München), Julian Nagelsmann (TSG 1899 Hoffenheim) oder Juan Mata (Manchester United). Bald sollen ganze Teams das Projekt unterstützen, so der Traum von Jürgen Griesbeck.

Fußball und Film – passt das zusammen? Bei uns in Deutschland schon mal sehr gut! Rund vier Millionen Zuschauer sahen im Jahr 2006 Sönke Wortmanns Dokumentation „Deutschland. Ein Sommermärchen“ in den deutschen Kinos, weitere zehn Millionen im Fernsehen. Antonio Leal ist Gründer und Direktor des Fußballfilmfestivals CINEfoot in Rio de Janeiro und Sao Paolo und will mit seinem Festival nicht nur „Glanz und Gloria des Sports“ zeigen, sondern „Geschichten von echten Menschen erzählen“. Beim CINEfoot kommen Filmemacher zusammen, die sich leidenschaftlich für das Thema Fußball interessieren. In diesem Jahr findet das Festival bereits zum neunten Mal statt. Leal ist es wichtig zu betonen, dass alle Veranstaltungen und Workshops für Kinder und Jugendliche bei der Cinefoot kostenlos sind. Er kritisiert, dass Tickets in den hypermodernen Fußballstadien der letzten WM mit 50 Dollar in der niedrigsten Preiskategorie für einen Großteil der Bevölkerung unbezahlbar seien. Selbst beim Fußball sei für ihn spürbar, dass die sozialen Unterschiede in Brasilien größer werden, sagt Leal in der Diskussion. Gemeinsam mit Brot & Spiel e.V. und 11mm zeigt CINEfoot am zweiten Veranstaltungstag fünf Kurzfilme aus Brasilien, Mexiko und Deutschland.

Cornelia Schmidt-Liermann, Mitglied der argentinischen Abgeordnetenkammer und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, erzählt in der Diskussionsrunde von ihrem Kampf gegen Korruption, nicht nur in der argentinischen Politik, sondern auch im Fußball. Wieso ist Fußball in Lateinamerika so emotional? Weil Fußball hier „Teil des Vaterlandes“ ist“, so die Politikerin.

Nachspielzeit

Hier finden Sie alle Bilder von der Eröffnungsveranstaltung

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Bei Facebook können Sie sich die komplette Eröffnungsveranstaltung im Video anschauen.

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