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Welche Fernziele verfolgen Linksextremisten?

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Die wichtigsten linksextremistischen Strömungen tragen ihre Fernziele im Namen: Für Kommunisten ist der Kommunismus, für Anarchisten ist die Anarchie der ideale und zugleich endgültige Zustand der Gesellschaft. In beiden Fällen handelt es sich um Utopien, d.h. um Entwürfe des „Nirgendwo“: Weder Kommunismus im Sinne der Kommunisten noch Anarchie im Sinne der Anarchisten haben jemals existiert oder funktioniert, obwohl es eine Reihe von Versuchen gegeben hat, sie einzurichten. Was verbinden also Linksextremisten mit diesen utopischen Zielen?

Anarchisten träumen von einer „herrschaftsfreien Gesellschaft“. Sie wollen alle politischen Herrschaftsverhältnisse, sozialen Ungleichheiten, alle formalen Regeln, Gesetze, Gebote und Verbote radikal abschaffen. Denn sie gehen davon aus, dass sie einer natürlichen menschlichen Freiheit widersprechen und dass alle gesellschaftlichen Konflikte letztlich auf ihre Existenz zurückzuführen sind. Der Hauptfeind in diesem Weltbild ist der angeblich „Repression“ ausübende Staat, besonders seine Institutionen wie Polizei und Justiz (siehe auch Was heißt Anarchismus?).

Den naheliegenden Einwand, dass die Beseitigung aller Regeln und Autoritäten letztlich zur Gewaltherrschaft der jeweils Stärksten und Skrupellosesten führen müsste, lassen überzeugte Anarchisten nicht gelten. Denn nach ihrer Auffassung sind solche kriminellen Regungen gerade nicht in der menschlichen Natur angelegt, sondern sind die Folge einer seit Jahrtausenden völlig fehlgeleiteten gesellschaftlichen Entwicklung. Sie verschwänden daher mit ihr und es stelle sich Anarchie, verstanden als „Ordnung ohne Herrschaft“, ein.

Allerdings zeigen Erfahrungen mit dem Zerfall von Staaten, beispielsweise in Afrika und im arabischen Raum, dass am Ende solcher Prozesse nicht etwa allgemeine Freiheit, sondern der Terror allgemein krimineller oder politisch motivierter Banden steht. Es gibt kein Beispiel dafür, dass ein anarchistisches Konzept völliger Herrschaftsfreiheit irgendwo Bestand gehabt hätte.

Problematisch ist auch, dass Anarchisten zur Beseitigung der bestehenden Institutionen Gewalt bis hin zu Terror und Mord an politischen Gegnern propagieren. Die in Deutschland gängigen Vertreter des Anarchismus, die „Autonomen“, gehen im Allgemeinen nicht so weit. Trotzdem bleibt Bereitschaft zur Ausübung von Gewalt (in Form von Anschlägen gegen Personen oder Sachen oder als Straßengewalt) für Autonome geradezu ein „Markenzeichen“ und oft Bestandteil ihres Lebensgefühls (siehe auch Wie stehen Linksextremisten zur Gewalt als Mittel der Politik?). „Einig sind wir uns darin“, schrieben Autonome in den 1980er Jahren in einem ihrer Gründungsdokumente, „dass wir den Staat nur zerstören und uns ihm gegenüber nicht konstruktiv formulieren wollen.“1

Auch Kommunisten haben sich eine Utopie zurechtgelegt: Im Kommunismus, einer „klassenlosen Gesellschaft“, gibt es keine gesellschaftlichen Konflikte mehr (siehe auch Was ist Kommunismus?). Kommunismus ist das Endziel geschichtlicher Entwicklung, deren Verlauf man nach Marx und Engels wissenschaftlich wie ein Naturgesetz vorhersagen kann. Alle früheren historischen „Gesellschaftsformationen“ (Marx nannte sie Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus und Kapitalismus) sind demnach Klassengesellschaften, die von extremer sozialer Ungleichheit und Ausbeutung gekennzeichnet sind. Das ändere sich erst mit der Revolution und der historisch endgültigen Gesellschaftsformation „Sozialismus/Kommunismus“; sie solle sich anders als die anarchistische Utopie vor allem durch völlige soziale Gleichheit der Menschen auszeichnen. Im Sozialismus (er wurde angeblich in der Sowjetunion seit 1917 und in der DDR seit 1949 „aufgebaut“) müsse die Kommunistische Partei noch eine „Diktatur des Proletariats“ ausüben, weil es sonst zur Wiedereinführung des überwundenen Kapitalismus („Konterrevolution“) kommen könne. Diese Phase auf dem Weg zum „Kommunismus“ hat in den realsozialistischen Ländern rund 100 Millionen Tote verursacht.2

Wie der Kommunismus als Endziel der Geschichte und Idealgesellschaft aussehen soll, wird auch bei Kommunisten nur selten beschrieben. Ein sowjetisches Lehrbuch zum Marxismus-Leninismus aus den 1960er Jahren behandelt ihn lediglich auf 21 von 826 Seiten.3 Die SED beschrieb Kommunismus als „klassenlose Gesellschaftsordnung, in der die Produktionsmittel einheitliches Volkseigentum und alle Mitglieder der Gesellschaft sozial gleichgestellt sein werden, in der alle Mitglieder der Gesellschaft ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten allseitig entwickeln und zum Wohle der Gemeinschaft einsetzen.“4 Bekanntermaßen wurde keine dieser Eigenschaften in der DDR erreicht, und es scheint auch unwahrscheinlich, dass Menschen generell so selbstlos sein könnten, auf die Verfolgung eigener Interessen völlig zu verzichten. Die kommunistische Vision machte daher einen neuen Menschen nötig, dessen Existenz man allenfalls durch massiven Zwang vortäuschen könnte.

Angesichts des Scheiterns des realen Sozialismus sind die meisten heutigen kommunistischen oder postkommunistischen Parteien von der Meinung abgerückt, der Kommunismus entstehe unabwendbar aufgrund angeblich zwingender Gesetze des Geschichtsverlaufs. Als Vision haben sie ihn aber nicht aufgegeben – und die menschenverachtenden Vorstellungen von einer radikalen Gleichschaltung aller Menschen auch nicht.

 

Rudolf van Hüllen

 


Szenezeitschrift „Radikal“ Nr. 97 (Herbst 1981), S. 10.

Eine entsprechende Aufstellung der Opfer findet sich bei Stéphane Courtois/Nicolas Werth/Jean-Louis Panné/Andrzej Paczkowski/Karel Bartosek/Jean-Louis Margolin, Das Schwarzbuch des Kommunismus, München 1997, S. 16; vgl. auch Kap. III.5.

Grundlagen des Marxismus-Leninismus, Berlin (Ost) 1960. Das sowjetische Original erschien im gleichen Jahr.

Programm der SED von 1976, S. 105; hier zitiert nach „Kleines politisches Wörterbuch“, 7. Auflage Berlin (Ost) 1988, S. 500.

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Felix Neumann

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