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Alisdare Hickson / fickr / CC BY-NC-SA 2.0 / creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/

Essay

From Rebellion to Hamas: Zur Symbiose von „wokem“ Linksextremismus und Islamismus

von Dr. Rudolf van Hüllen

Antisemitismus, Antiimperialismus und (Anti-)Rassismus bei der postkolonialen Linken

Der Wokismus zeigt Einflüsse extremistischer Ideologien, was der Schulterschluss Postkolonialer mit Islamisten zu bestätigen scheint. Woken Linksextremismus und Islamismus verbinden gemeinsame Freund-Feindbilder und eine vollständige Täter-Opfer-Umkehr. Diese „ganz neue Linke“ hat sich von den Ideen der universalen rechtlichen Gleichheit, der Menschenwürde sowie der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verabschiedet – Kritiker beschrieben das als einen Prozess der ‚Selbstfaschisierung‘. Warum man das so sehen kann, erläutert Extremismusforscher Rudolf van Hüllen.

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Am 18. Oktober 2023 – elf Tage nach dem Pogrom der Hamas – sitzen ein paar hundert eher junge, äußerlich unauffällige Menschen vor dem Auswärtigen Amt – Außenministerin Annalena Baerbock ist in Israel, um das Land der deutschen Unterstützung zu versichern. Die jungen Menschen skandieren „Free Palestine from German guilt!“ Prangern hier Neonazis oder rechte Geschichtsrevisionisten den „deutschen Schuldkult“ an? Nein, es sind „Linke“, und ihre Botschaft bedarf im Kontext keiner großen Interpretation. Die deutsche Verantwortung für Israels Existenz soll endlich einer klaren Parteinahme für die palästinensischen „Opfer“ weichen: Eine Revision der deutschen Erinnerungskultur zu Shoah und den Verbrechen des Nationalsozialismus wird gefordert.

 

Von der „Neuen Linken“ zu einer „ganz neuen Linken“: Die „wachsame Identitätsdiskurslinke“

Solcher als Antizionismus verbrämter Antisemitismus ist in der radikalen deutschen Linken nichts Neues. Die so genannte „alte Linke“, also die moskauorientierten Kommunisten, wechselten 1967 von pro-israelisch auf pro-arabisch. Abgesehen davon, dass schon die Kommunistische Partei der Sowjetunion (KPdSU) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) starke antisemitische Ressentiments pflegten, war das ein Kurswechsel auf Befehl: Die Sowjetunion hatte sich entschlossen, die arabische Seite aufzurüsten, und so mussten die „Bruderparteien“ dem Kurswechsel folgen. Die so genannte „Neue Linke“, ein Entmischungsprodukt der APO aus Maoisten, Trotzkisten, undogmatisch-marxistischen Gruppen einerseits und den anarchistischen Autonomen andererseits, war ohnehin stark antisemitisch. Einer ihrer undogmatischen Aktivisten, Dieter Kunzelmann, hatte schon 1970 die Genossen aufgefordert, den „Judenknacks“ zu überwinden und den „organisierten Kampf gegen die heilige Kuh Israel“ aufzunehmen.

 

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Heute sind neben die Reste dieser traditionellen Akteure ganz andere Aktivisten getreten. Sie machen sich auch optisch dadurch deutlich, dass sie auf die traditionellen Feldzeichen, Symbole, Plakate und Transparente verzichten, ohne die ihre Vorgänger niemals auf Demonstrationen gegangen wären. Und ihre Aufmärsche sind kaum verhüllte pro-Hamas-Kundgebungen, Seite an Seite mit Islamisten, auch wenn nach außen vorgetäuscht wird, es handele sich doch nur um Solidarität mit dem durch israelische „Kriegsverbrechen“, gar durch „Völkermord“, bedrohten „palästinensischen Volk“.

Es sind andere Akteure aus einer anderen, jüngeren Generation. Studentisches Ambiente scheint optisch vorzuherrschen. Gibt es also jetzt eine „ganz neue“ Linke?

Das ist durchaus so. Ein radikaler Bruch mit bisherigen Normen in radikal linken Weltbildern hatte sich zunächst schleichend vollzogen. Im Oktober 2023 ist er eruptiv deutlich geworden. Schon zuvor hat sich diese „ganz neue Linke“ an den Universitäten zunächst in den USA, dann in Europa ausgetobt; in Frankreich fand man für sie die Bezeichnung Islamo-gauchistes, in Großbritannien postcolonial left. Es erwies sich als durchaus schwierig, sie auf einen Begriff zu bringen. In der richtigen Einsicht, dass es sich in der Regel um studierende weiße Mittelschichtjugendliche handelte, wurden sie auch champaigne left oder gauche caviar genannt. Als der Sozialwissenschaft ihre korporatistische, rechtsextremismusnahe Ideologie auffiel, erhielten sie die sperrige Arbeitsbezeichnung „Identitätsdiskurslinke“. Schließlich setzte sich eine Eigenbezeichnung durch: Woke-Linke. Wie jede Selbstbezeichnung bleibt auch diese analytisch problematisch. Das trifft schon auf die gängige Übersetzung zu: „aufgeweckt“, besonders „aufmerksam“, „sensibel“, „wachsam“ – positive Begriffe, aber unbrauchbar zur Beschreibung des Phänomens. Selbst „wachsam“ ist in der politischen Ideengeschichte ambivalent; der Begriff stand im kommunistischen Sprachgebrauch für die Säuberung von abweichenden Gedanken mit dem Ziel der Gleichschaltung. Und tatsächlich trifft die Übersetzung von woke als „Erleuchtete“, mit der „richtigen“ Moral ausgestattete „Durchblicker“ auch präziser die Parallele zu ihren jakobinischen Vorläufern von 1793. Diese kannten wiederum eine noch stärker radikalisierte Variante, die Enragés, also diejenigen, die wutgetrieben und exterministisch motiviert waren. Und hier, in einem weitgehenden Ersatz der Ratio durch das Gefühl, erkennen wir auch die wokes“. Ihre kognitiven Defizite werden ergänzt durch die unbeugsame Überzeugung, stets moralisch im Recht zu sein. Mit Jakobinern konnte man nicht diskutieren, mit wokes kann man es auch nicht. Sie beschimpfen das Gegenüber als „Rassist“ oder schreien ihm „Free Palestine“ ins Gesicht. Auf Argumente gehen sie nicht ein. Dialektisch lauert in der Nähe eines solch hypertrophen Anspruchs die Gewalt: Sie hat sich nach dem Pogrom der Hamas an US-amerikanischen und europäischen Universitäten bereits in Sympathiebekundungen für die Hamas gezeigt. Wem der Begriff wokes die Assoziation eines Politkommissars oder Blockwarts aufruft, liegt demnach nicht falsch.
 

„Pro-palästinensische” Demonstranten bei einer Demonstration in London am 25. Juni 2024. Die rot gefärbten Hände sollen das "Blut an den Händen Großbritanniens" durch Beteiligung am vermeintlichen "Genozid in Gaza" symbolisieren, erinnern aber an ein ikonisches Foto nach einem Lynchmord an zwei Israelis im Jahr 2000: Damals hatte einer der palästinensischen Mörder seine blutigen Hände der jubelnden Menge vor einem Polizeirevier triumphierend entgegengestreckt. Alisdare Hickson / fickr / CC BY-NC-SA 2.0 / creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/
„Pro-palästinensische” Demonstranten bei einer Demonstration in London am 25. Juni 2024. Die rot gefärbten Hände erinnern an ein ikonisches Foto nach einem Lynchmord an zwei Israelis im Jahr 2000: Damals hatte einer der palästinensischen Mörder seine blutigen Hände der jubelnden Menge vor einem Polizeirevier triumphierend entgegengestreckt.

Woke Angriffe auf Demokratie und Freiheit

Charakteristisch für die wokes als „ganz neue Linke“ ist, dass sie jeden Anspruch aufgegeben hat, Erben der europäischen Aufklärung und des großen Programms der amerikanischen (1776 und 1787) und der Französischen Revolution (1789) zu sein. Sie verachtet alles, was damit zusammenhängt: die Erkenntnis, dass der Mensch als Individuum Verstand hat und zu urteilen versteht, ohne auf ein imaginäres Kollektiv zurückzugreifen, die Überzeugung von einer universalen rechtlichen Gleichheit und Würde von Menschen, die Idee von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Gewiss, auch die früheren Enragés und die späteren Parteikommunisten, Leninisten, Stalinisten, Maoisten desavouierten durch ihre Praxis den Anspruch auf die reklamierten Ideale. Aber niemals gaben sie ihn derartig offen auf, wie es die woke Linke mit ihren rassistischen critical whiteness-Theorien, den geschichtsfälschenden postcolonial studies und der impliziten Annäherung an rechtsextreme völkisch-kollektivistische Ideologeme – mit ihnen teilen sie unter anderem die Vorstellung eines Vorrangs ethnischer, ja „rassischer“, Identitäten – und an das islamistische Spektrum samt seinem genozidalen Antisemitismus vollkommen ungeniert vollzieht.

Der Weg dahin führt sie heute an die Seite der Hamas, einer terroristischen antisemitischen Bewegung, die eine gnadenlose religiös motivierte Diktatur im Gazastreifen aufgebaut hat, die eigene Bevölkerung als Schutzschilde benutzt und der Welt mit der Dystopie eines islamistischen Kalifats droht. Wer sich als „Linker“ mit all dem solidarisieren kann, hat eine Entwicklung durchlaufen, die man am besten mit dem Politikwissenschaftler Clemens Heni als „Selbstfaschisierung“ beschreiben kann. Ein solcher von ihm beschriebener Prozess ist der Schlüssel für den gegenwärtigen Schulterschluss Postkolonialer mit den Islamisten.

 

Die „French Theory“: Postmodernismus, Konstruktivismus und Dekonstruktivismus

Der ideologische Treiber heißt French Theory, benannt nach französischen Akademikern wie Michel Foucault, Gilles Deleuze, Félix Guattari oder Jacques Derrida. Was sie eint: Bei allen ist die Frustration über das Scheitern kommunistischer Utopien, manchmal seit dem Volksaufstand in Ungarn 1956, manchmal seit dem Prager Frühling 1968, oft erst nach 1989, nachvollziehbar, und sie führte zur Ausspinnung von Ideologemen, die zunächst über Jahrzehnte Nischenprodukte exotischer Universitätsseminare blieben.

French Theory wurde zum Sammelbegriff für ein krudes Gemisch sozialwissenschaftlicher Ideologeme, die mit dem Anspruch, eine wissenschaftliche Theorie, bisweilen eine Erkenntnistheorie, zu sein, auftreten. Drei Zutaten des Gemischs sind identifizierbar:
Da ist erstens der „Postmodernismus“. Seine zentrale These besteht darin, dass die „großen Erzählungen“ der Ideengeschichte wie Rationalismus, Demokratie, Technik, aber auch Wahrheit und Logik in ihrem Universalitätsanspruch gescheitert seien. Als Reaktion wird allen politischen und sozialen Ordnungen Gleichwertigkeit zugesprochen. Islamismus, Schamanismus oder westliche Demokratie hätten demnach sämtlich ihre Berechtigung; die Reichweite ihrer Gültigkeit werde lediglich durch die ihnen zusprechenden Kollektive definiert. Universalistische Werte wie Menschenrechte haben in diesem Konzept keinerlei Verbindlichkeit mehr.

Eine „erkenntnistheoretische“ Weiterentwicklung des „Postmodernismus“ führte zur Theorie des „Konstruktivismus“. Zu Ende gedacht, bestreitet sie die Fähigkeit objektivierbarer Erkenntnis überhaupt. Denn die Realität werde nur durch die unterschiedlichen Sichtweisen unterschiedlicher Kollektive und Kulturen geschaffen, existiere aber nicht als objektive Gegebenheit. Logik, Argumente und Beweise werden damit entbehrlich. Hat jemand die Erde nicht als Kugel, sondern als Scheibe „gelesen“, so kann dieser „Diskurs“ bei entsprechender Verbreitung zum „herrschenden“ werden. Und natürlich kann man dann auch Mörder als Freiheitkämpfer „lesen“.

Politisch nutzbar wird dieser Obskurantismus erst durch die Theorie des „Dekonstruktivismus“. Ihm wird eine Reihe von nicht weiter begründeten Annahmen vorgeschaltet. Zum einen seien die aktuell herrschenden Diskurse diejenigen des „weißen Westens“ und sie würden auf dem für diesen Westen gesetzmäßig und stets vorhandenen Rassismus beruhen. Vor allem in den USA sind die zugeordneten Universitätssparten die critical race- oder critical whiteness studies. In Frankreich, Großbritannien und anderen früheren Kolonialmächten tritt hingegen der Vorwurf eines permanenten Kolonialismus (postcolonial studies), der sich in einem unüberwindbaren (ausschließlich weißen) strukturellen Rassismus manifestiere. Zum Zweiten wird eine Dichotomie aus Täterkollektiven (oppressives) und Opfern (oppressed) suggeriert. Die damit erzeugten Freund- und Feindbilder sind im Allgemeinen ziemlich sichere Indikatoren für eine extremistische Ideologie. Und drittens wird Parteinahme gefordert: zugunsten der oppressed versteht sich, die essentialistisch immer Opfer sind, ebenso wie die oppressives nichts anderes als Täter sein können. Geschichtsforschung und Sozialwissenschaft sind demnach nicht mehr faktenbasierte und ergebnisoffene Prozesse, sondern haben parteiisch und parteilich zu sein – ein Mechanismus, den man noch vom klassischen Marxismus-Leninismus her kennt.

Und nun ist die Schlussfolgerung zwingend: Die ungerechten, weißen, kolonialistischen, rassistischen Herrschaftsdiskurse müssen „dekonstruiert“, die der Opfer an ihre Stelle gesetzt werden. Das erledigen woke Aktivisten, indem sie angeblich rassistische Sprache regulieren, um durch „minderheitensensible“ Gendersprache stets die oppressed sichtbar zu machen, Straßen umbenennen, Denkmäler stürzen, Bücher verbrennen etc. etc. Für all das gibt es eher unerfreuliche Vorläufer in der Geschichte. Seinerzeit sollten Mathematik und Physik „entjudet“ werden, heute wird gefordert, sie zu „dekolonialisieren“ und zu „dekonstruieren“.
 

Zum Jahrestag des islamistischen Anschlags vom 11. September 2001: In New York hält auf einer Demonstration gegen „Islamophobie“ ein Demonstrant ein Plakat hoch, 11. September 2010. Viktor Nagornyy / flickr / CC BY 2.0 / creativecommons.org/licenses/by/2.0/
Zum Jahrestag des islamistischen Anschlags vom 11. September 2001: In New York hält auf einer Demonstration gegen „Islamophobie“ ein Demonstrant ein Plakat hoch, 11. September 2010.

Suggestion, Obskurantismus und Faktenfreiheit statt evidenzbasierter Wissenschaft

Woker Wahn stellt insofern ein Spitzenprodukt unter den faktenfreien Ideologien dar. Definitionen und Rationalität, Faktenbasierung und intersubjektive Nachvollziehbarkeit, der klassische logische wie experimentelle Beweis, sie alle verdampfen im Nebel rein subjektiver Befindlichkeiten. Politisch umgesetzt hätte man es nicht einmal mit einer klassischen Utopie, sondern eher mit einer Dystopie zu tun, deren Suggestionsbrei sich als Wissenschaftstheorie inszeniert.

Als Selbstfaschisierung des Linksextremismus kann man den Wokismus deshalb bezeichnen, weil er die grundlegende programmatische Unterscheidung zwischen klassischem Linksextremismus einerseits und Rechtsextremismus und Islamismus andererseits einebnet: die zumindest dem Anspruch nach existierende Bindung an die europäische Aufklärung. Linke strebten demnach seit 1989 die Emanzipation des Individuums von irrationaler Herrschaft an. Dabei war die Klassenlage nicht notwendig unüberwindbar: Auch ein Kapitalist konnte nach dem Studium von Marx und Engels aus seiner Unwissenheit treten und auf die richtige Seite der Barrikade wechseln. Bei der woke-Linken ist das vorbei: Der Mensch wird bestimmt durch das Kollektiv, dem er essenziell (durch Gender, sexuelle Orientierung, Ethnie, Religion) angehört. Die Unüberwindbarkeit des Kollektivs ist das eine Element, das nunmehr alle drei Extremismusphänomene miteinander verbindet. Die fehlende Befugnis, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, bildet das zweite. Für die Wokes bestimmt sich, wie die britischen Sozialwissenschaftler Helen Pluckrose und James Lindsay feststellen, „everything about race, gender and identity“. Bei den Rechtsextremisten erfolgt diese geistige Gefangenschaft über den Sozialdarwinismus, bei den Islamisten über die nicht hinterfragbare Rolle Allahs. Und während die klassische Linke noch auf der materialistisch fundierten sozial-ökonomischen Analyse bestand, in die sich gefälligst keine theologisch-transzendenten Aspekte einzumischen hatten, ist auch das nun vorbei: Mangelnder „Respekt“ vor dem Islam gilt bei Wokes schlicht als Rassismus.

Funktioniert hat die Selbstfaschisierung der woken Linken allerdings über die Adaption des als Wissenschaft verkauften Obskurantismus der French Theory. Sie gestattet den Wokes problemlos, selbst rassistisch zu werden. Ibram X. Kendi, einer ihrer mit Professortitel versehenen Protagonisten, fordert, der Antirassismus der Zukunft müsse ein Rassismus gegen Weiße sein. Pierre-André Taguieff, Verfasser einer Vielzahl von Büchern zur Geschichte des (tatsächlichen) Rassismus und Erfinder des treffenden Etiketts des Islamo-gauchisme, weiß zu berichten, dass Wokes in den USA darüber streiten, ab welcher Hautpigmentierung es ein Mensch in den Opferstatus (Black, Indigenious and People of ColourBIPoC –) schafft. Werden sie demnächst Farbpaletten für oppressed und oppressives herausgeben?

Und so reicht für die Parteinahme zugunsten der Hamas der woke Werkzeugkasten allemal aus: „Die Juden“ (alle!) sind Weiße (racists), Reiche (colonials) und Imperialisten (oppressors). Palästinenser (wiederum: alle) sind essentialistisch Opfer, und dafür ist es eben nicht entscheidend, was sie (als Individuen oder Gruppen) tatsächlich tun. Das alles ist selbstverständlich völliger Unsinn, aber auf Fakten, auch evidente oder historische, kommt es ja nicht an. Das übrigens verbindet woken Wahn mit dem klassischen Antisemitismus: Er kommt ohne Begründung und Fakten, gegebenenfalls auch ohne handelnde Juden aus: Das „Gerücht über die Juden“, wie schon Jean-Paul Sartre wusste, hat von jeher ausgereicht.

 

Gemeinsame Grundlagen und Anliegen von woken Linken und Islamisten

Die strategisch vorgehende Muslimbrüderschaft mit ihrem palästinensischen Klon, der Hamas, und die fluide, irrationale woke Linke sind keine „Verbündeten“ auf Augenhöhe. Eine Hamas-Versteherin wie die woke Ikone Judith Butler würde als lesbische Person mit jüdischem Hintergrund einen Spaziergang im Gazastreifen aller Wahrscheinlichkeit nach keine halbe Stunde überleben. Vielmehr nutzt der Islamismus die Tumbheit der Wokes aus, um über die internationale Blase des woken Aktivismus Punkte in der veröffentlichten Meinung angeblicher westlicher „Eliten“ zu machen. Aber selbst die Hamas hatte wahrscheinlich nicht erwartet, dass eine selbstfaschisierte Linke in dem seit Oktober 2023 evidenten Ausmaß zu einem derartig wirksamen Verstärker ihres Anliegens werden könnte.

Systematisch betrachtet, gibt es in den Ideologien von Islamisten und Wokes ein paar sich gegenseitig stützende Bauelemente, deren Schlussstein der gemeinsame Antisemitismus ist.

Zum einen teilen Islamismus und Linksextremismus die Erfahrung substanzieller Frustration; letzterer spätestens seit 1989, ersterer seit dem Ende des türkischen Kalifats 1923. Die unmittelbare Reaktion war die Gründung der Muslimbruderschaft (MB) 1928, einer teils politisch-legalistisch, teils militärisch-terroristisch arbeitenden Organisation. Ihre personell-familiäre Kontinuität reicht vom Gründer Hassan al-Banna über dessen Sohn Said Ramadan, der das erste Islamische Zentrum in Deutschland installierte, bis zu seinem Enkel, dem „Reformislamisten“ Tariq Ramadan, der als Islamwissenschaftler mit dem Professorentitel einer britischen Universität unterwegs ist. Das ist symptomatisch: Da sich Muslimbrüder in der Regel nicht als solche zu erkennen geben, reichen ihre Tentakel bis in die Islamkonferenz des deutschen Innenministeriums, aus der sie erfolgreich sämtliche ihnen nicht genehmen Kräfte entfernen konnten.
 

Adolf Hitler empfing 1941 den Großmufti von Palästina, den islamisch-arabischen Nationalisten und Antisemiten Mohammed Amin al-Husseini, „zu einer herzlichen und für die Zukunft der arabischen Länder bedeutungsvollen Unterredung“, wie es in der Original-Bildunterschrift heißt. Bundesarchiv, Bild 146-1987-004-09A / Heinrich Hoffmann / CC-BY-SA 3.0 / creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.de
Adolf Hitler empfing 1941 den Großmufti von Jerusalem, den islamisch-arabischen Nationalisten und Antisemiten Mohammed Amin al-Husseini, „zu einer herzlichen und für die Zukunft der arabischen Länder bedeutungsvollen Unterredung“, wie es in der Original-Bildunterschrift heißt.

Die Ideen der MB inspirierten sowohl Al Quaida als auch Daesh, den „Islamischen Staat“. Man kann sie getrost als die einflussreichste islamistische Formation der Gegenwart bezeichnen.

Ihren Antisemitismus musste sie keineswegs – wie etliche philoislamistische Forscher behaupten – aus dem europäischen Rechtsextremismus importieren. Er war einerseits autochthon im Koran verankert, andererseits wurde er durch den realen Nahost-Konflikt befeuert. Zudem gibt es eine historische Verbindung der MB zu den Nationalsozialisten: Der Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, einst regionaler Statthalter der MB, organisierte in den 1930er Jahren die ersten Pogrome gegen eingewanderte Juden und wusste sich fest an der Seite des „Dritten Reichs“. Legendär ist ein im Bundesarchiv aufbewahrtes Bild von 1941. Es zeigt Großmufti und Führer beim angeregten Gespräch in der Reichskanzlei. Hinsichtlich des Feindbildes war ihre ideologische Kongruenz perfekt. Auch heute würde sich die Hamas keineswegs mit einem free palestine begnügen, sondern hat gegenüber den Juden generell genozidale Absichten. Die Bevölkerung des Gaza-Streifens stand kurz nach dem Pogrom des 7. Oktober gemäß den Erhebungen eines palästinensischen Instituts zu 60 Prozent hinter dem Massaker. Straßenszenen zeigen, dass im Gaza-Streifen die Präsentation ermordeter jüdischer Opfer gefeiert wurde. Und die offensichtliche und von den Tätern selbst dokumentierte Lust, mit der sie gemordet haben, liegt im historischen Maßstab auf der Ebene des Vorgehens der Waffen-SS in Oradour-sur-Glane und Lidice – falls man so etwas überhaupt vergleichen möchte.

Islamismus und woken Linksextremismus verbindet zweitens eine vollständige Täter-Opfer-Umkehr: Terroristen mutieren zu Befreiungskämpfern, militärische Maßnahmen gegen sie zu genozidalen Menschenrechtsverletzungen. Dass dies von der Hamas beabsichtigt war, mag man ihr nachsehen: Strategie und eingeübter Antisemitismus gehen hier Hand in Hand. Dass akademisches Publikum an westlichen Universitäten, das sich für „fortschrittlich“ hält, darin einstimmt, diskreditiert es wissenschaftlich wie ethisch.

Möglich ist sie geworden durch die vollständige ethische Entkernung der woke-Linken. Sie geht weit über die selektiven, verlogenen und parteiischen polit-ökonomischen und „antiimperialistischen“ Deutungsmuster des klassischen Linksextremismus hinaus. Hielten deren Deutungsmuster immerhin noch einige Argumente und Fakten vor, über die sich diskutieren ließ, bewegt sich die Ideologie der Wokes im gänzlich luftleeren Raum ideologischer Wahngebilde. Auch darin gleicht der Antisemitismus der Wokes eins zu eins demjenigen der Rechtsextremisten und der Islamisten. Denn Antisemitismus benötigt für Antisemiten keine Begründungen, ein „Gerücht über die Juden“ reicht für diesen Aufstand gegen die westliche Moderne allemal aus.

 

Dr. Rudolf van Hüllen, Politikwissenschaftler und Extremismusforscher, ist Lehrbeauftragter an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen.

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