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Auftakt 1949–1969: Von Adenauer zu Barzel
Die Fraktion in der Ära von Brentano und Krone
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Von der Konstituierung der Bundestagfraktion nach der ersten Bundestagswahl 1949 bis zur Bundestagswahl 1969, in deren Folge die Union erstmals Oppositionsfraktion wurde, standen der CDU/CSU vier Vorsitzende vor: Konrad Adenauer im September 1949 wenige Tage bis zu seiner Wahl zum Bundeskanzler, Heinrich von Brentano, Heinrich Krone und schließlich ab 1964 Rainer Barzel.
☛ Auftakt und Organisation im Provisorium
☛ Adenauer und die Fraktionsvorsitzenden von Brentano, Krone und Barzel
☛ Parlamentarische Arbeit und Wirken der Fraktion
☛ Fazit
Auftakt und Organisation im Provisorium
Auf die CDU/CSU-Fraktion kamen in der ersten Legislaturperiode grundlegende politische und organisatorische Herausforderungen zu. Es waren weitreichende Entscheidungen für die Zukunft der Bundesrepublik zu treffen, die später kaum eine andere Legislaturperiode zu bewältigen hatte.
In Bonn fehlten für diese Aufgaben sowohl Wohnraum für die Abgeordneten als auch Büroräume für die tägliche Arbeit. Da im Bundeshaus kein Platz war, tagte und arbeite die CDU/CSU-Fraktion zunächst weiter im Bürgerhaus, wo auch die Eröffnungssitzung stattfand. Zudem waren nur sehr wenige Räume für die Abgeordneten vorhanden, sodass sich beispielsweise zwölf bis 19 Abgeordnete ein Büro teilen mussten. Ebenso gab es in den Anfangsjahren nur wenige Fraktionsmitarbeiter. Unter diesen Bedingungen aber mit viel Engagement begann auch der organisatorische Aufbau der Fraktion, der sich schließlich im Dezember 1950 in einer ersten Arbeitsordnung manifestierte.
Zunächst organisierte sich die Arbeit der Fraktion in der ersten Wahlperiode in acht Arbeitskreisen und weiteren kleineren Arbeitseinheiten. Durch den Aufwuchs der Fraktion nach der Bundestagswahl 1953 von 141 auf 249 Abgeordnete musste die Arbeitsteilung effizienter gestaltet werden. Die Fraktion richtete fünf Arbeitskreise ein:
1. Allgemeines und Rechtsfragen, 2. Wirtschafts- und Landwirtschaftsfragen, 3. Finanz- und Steuerfragen, 4. Sozialfragen und 5. Auswärtiges und Verteidigungsfragen.
Es folgte 1961 mit dem AK 6 noch ein Arbeitskreis Gesellschaftspolitik, Kulturpolitik und Publizistik.
Die Vorsitzenden der Arbeitskreise waren auch Mitglied im Vorstand der Fraktion und gehörten auch dem „Elferrat“ an, der informell als geschäftsführender Vorstand fungierte.
Diese Gliederung hatte, mit kleineren Veränderungen, bis zur Reform durch Helmut Kohl 1980 grundsätzlich Bestand.
Die Fraktion war ein Abbild der gesamten Union, die eine heterogene Sammlungspartei war, in der sich die beiden damals großen Konfessionen zusammenfanden. So bildeten sich schnell soziologische Interessengruppen wie Arbeitnehmer und Arbeitgeber, der Mittelstand oder die Landwirtschaft, die durchaus als Machtblöcke zu verstehen waren. Gleiches galt für die regionalen Interessen, die sich in den verschiedenen Landesgruppen organisierten, darunter die weitgehend eigenständige CSU-Landesgruppe.
Adenauer und die Fraktionsvorsitzenden von Brentano, Krone und Barzel
Konrad Adenauer, der die erste Sitzung der Fraktion am 1. September 1949 eröffnete und damit leitete, wurde einstimmig zum Vorsitzenden gewählt – ein Amt, das er nur kurz bis zu seiner Wahl zum Bundeskanzler führte. Ihm folgte Heinrich von Brentano am 30. September 1949, der sich gegen Friedrich Holzapfel, der die Fraktion zwischenzeitlich kommissarisch leitete, durchsetzte und die gemeinsame Fraktion durch die Aufbauphase des Bundestages und der Bundesrepublik führte. Der Fraktionsvorsitzende hat unter anderem die Aufgabe, die Fraktion nach außen zu vertreten, ihre Interessen zu verteidigen, die Strömungen innerhalb der Fraktion zu moderieren und ihre Leistungen zu präsentieren. So stellten beispielsweise Heinrich von Brentano und später seine Nachfolger auf den Parteitagen der CDU mit den Rechenschaftsberichten der Fraktion die Arbeit der Abgeordneten vor.
Ein wichtiger Aspekt in der Tätigkeit der Fraktionsvorsitzenden in der Ära Brentano und Krone war die Wahrung und Vertretung der Interessen der Fraktion gegenüber dem Bundeskanzler und der Regierung, gerade bei politischen und personellen Fragen. Dass dies gelang, belegt eine Anekdote, bei der Adenauer zum Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier meinte, „Für mich ist es das Fegefeuer, wenn ich in die Fraktion muss“.[1]
Mit Heinrich von Brentano, der von 1949 bis 1955 sowie von 1961 bis zu seinem frühen Tod 1964 den Vorsitz führte, und Heinrich Krone, der von 1955 bis 1961 Fraktionsvorsitzender war, gab es in der Kanzlerschaft von Konrad Adenauer nur zwei Fraktionsvorsitzende. Beide stellten sich in den Dienst der Regierung Adenauer, um dessen Politik zu unterstützen, achteten aber auf die Mitwirkung der Fraktion. Gerade in innenpolitischen Fragen hatte sie sich auch gegenüber Adenauer, der eher auf die außenpolitischen Entscheidungen schaute, einen breiteren Gestaltungsraum erkämpft. Heinrich von Brentano sah die Fraktion durchaus als Hausmacht an und strebte selbst nach dem Amt des Außenministers, das er schließlich von 1955 bis 1961 innehatte. Heinrich Krone agierte lieber im Stillen und führte die Fraktion ruhig, aber sehr effektiv. Während Krone nach der Bundestagswahl 1961 auf Wunsch Adenauers das Amt des Bundesministers für besondere Aufgaben übernahm, kehrte Heinrich von Brentano politisch und auch bald gesundheitlich geschwächt als Vorsitzender in die Fraktion zurück. Aufgrund seiner Krebserkrankung wurde von Brentano ab Ende 1963 von Rainer Barzel im Fraktionsvorsitz vertreten. Nach dem Tode von Brentanos wurde Rainer Barzel 1964 zum Vorsitzenden der Fraktion gewählt. Ihm gelang es in kürzester Zeit, die Fraktion effektiv zu steuern und zu organisieren und er setzte Akzente in seinem bevorzugtem Politikfeld, der Deutschlandpolitik.
Sein Hauptverdienst war in der Zeit der Kanzlerschaft Ludwig Erhards, der 1963 auf Adenauer folgte, die Vermittlungstätigkeit in zwei zusammenhängenden Gebieten.
Dies war einerseits die Regierungskoalition mit der FDP. Hier galt es, Kompromisse zu finden, aber auch die eigenen Positionen der Fraktion durchzusetzen. Andererseits versuchte Barzel, zwischen Adenauer, der ja Parteivorsitzender blieb, und Erhard als Bundeskanzler zu moderieren, die sich gegenseitig bekämpften, und die Fraktion aus diesen Kämpfen herauszuhalten. Dies betraf auch die Diskussion um die außenpolitische Ausrichtung der Bundesrepublik zwischen „Atlantikern“ und „Gaullisten“.
Nach dem Ende der CDU/FDP-Regierung und der Bildung der ersten Großen Koalition mit der SPD unter der Führung von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger 1966 konnte Barzel seine Stärken als Moderator in seiner Eigenschaft als Fraktionsvorsitzender voll ausspielen. Durch die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit seinem Gegenpart von der SPD, Helmut Schmidt, konnten wichtige Gesetzesvorhaben wie die Verjährungsfrage bei Mord und Völkermord, die Notstandsgesetze und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erfolgreich abgeschlossen werden. Rainer Barzel blieb unangefochten Fraktionsvorsitzender nach der Wahlniederlage 1969 und führte die Fraktion in die Oppositionszeit.
Parlamentarische Arbeit und Wirken der Fraktion
Die künftige Wirtschaftsordnung und der Sozialaufbau sowie die Außenpolitik mit der Westbindung und die Europapolitik waren die großen Politikfelder der ersten Wahlperioden.
So war bereits im Bundestagswahlkampf 1949 die Soziale Marktwirtschaft eines der Kernthemen gewesen und bildete nun das einigende Band für die CDU/CSU-Fraktion. Unbedingte Priorität hatten der Wiederaufbau der Wirtschaft und damit begleitend die sozialpolitischen Maßnahmen. Dem Konzept Ludwig Erhards, das Adenauer in der CDU durchsetzte, folgte auch die Fraktion und stützte Erhard auch 1951, als kurzzeitig Zweifel am Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft aufkamen, bevor der Wirtschaftsboom in der Bundesrepublik einsetzte. Die Fraktion verfolgte in der Sozialpolitik einen Kurs der Mitte und wirkte ausgleichend, auch wenn es anfangs zu zentralen Themen, wie etwa dem Lastenausgleich, der Kriegsopferfürsorge und der Steuer- und Gesundheitspolitik, keine Einigkeit in der Fraktion herrschte.
Der Beitrag der CDU/CSU-Fraktion zur Außen- und Deutschlandpolitik gehört sicherlich zu den herausragenden Leistungen in der Geschichte der jungen Bundesrepublik. So galt es unter anderem, die westlichen Besatzungsmächte als Bündnispartner und Schutzmächte zu gewinnen, was sich mit der Mitgliedschaft in der NATO und der Westeuropäischen Union (WEU) auch erfüllte. So waren die Mitglieder der Fraktion während der 1950er-Jahre pro-amerikanisch eingestellt, da die USA als unverzichtbare Schutzmacht gesehen wurden. Adenauer, der enttäuscht war von der Nachgiebigkeit der USA in der Berlinfrage 1961 und kritische Anmerkungen in Richtung John F. Kennedys und der USA sendete und stattdessen auf das Frankreich Charles de Gaulles setze, stieß hier auf den Widerspruch der „Atlantiker“ in der Fraktion, die weiter auf die USA setzten. Diese Diskussionen hatte 1963 auch Auswirkungen auf die Frage nach der Nachfolge Adenauers, da mit Ludwig Erhard und Gerhard Schröder beide Favoriten „Atlantiker“ waren. So wurden die außenpolitischen Flügelkämpfe in der Fraktion nicht etwa um die Ost- und Deutschlandpolitik geführt, sondern um den Weg der besten Westpolitik.
Gleichwohl gehörten auch die Teilung Deutschlands inklusive der Berlinfrage sowie die Ostpolitik zu den Schwerpunktthemen in der parlamentarischen Arbeit.
In der Europapolitik, mit der neuartige Integrationsprozesse einhergingen und die auch Auswirkungen auf territoriale Fragen wie die Saarfrage hatte, wirkten unter anderem Heinrich von Brentano, Eugen Gerstenmaier, Kurt Georg Kiesinger, Franz Etzel und Franz Josef Strauß bereits früh im Europarat. Nicht zu vergessen ist in dieser Zeit der Versuch, mit der Wiedergutmachungsgesetzgebung (Luxemburger Abkommen von 1952) nationalsozialistisches Verbrechen finanziell zu lindern und mit Israel in Kontakt zu kommen.
Bei der Bundestagswahl 1957 erreichten CDU und CSU die absolute Mehrheit der Stimmen und der Sitze im Deutschen Bundestag und stellten fortan 278 der 492 Abgeordneten. Der inhaltliche Schwerpunkt der politischen Arbeit lag in dieser Zeit auf dem Gebiet der Innenpolitik. Zu den schwierigsten und umstrittensten Bereichen gehörte die Sozialpolitik. Hier wurde unter anderem über die Kriegsopferversorgung, die Neuregelung der Kindergeldfrage und die Wohnungspolitik intensiv beraten, ebenso über das sogenannte Sozialpaket mit Krankenversicherungsneuregelungsgesetz, das Bundeskindergeldgesetz und das Lohnfortzahlungsgesetz.
Außenpolitisch führten die Berlin-Krise von 1959 und erst recht der Mauerbau 1961 in der Fraktion zu intensiven Diskussionen, an denen auch Bundeskanzler Adenauer in der Fraktion teilnahm.
Schwerpunkte der politischen Arbeit der Fraktion nach dem Verlust der absoluten Mehrheit von 1961 bis 1966 waren die Steuer-, Finanz-, und die Rechtspolitik. Hier gab es teilweise nur schleppende Fortschritte, sodass Rainer Barzel gerade im Hinblick auf die Aktienrechtsreform vor einem Scheitern warnte, in dessen Folge der Union die Reformfähigkeit hatte abgesprochen werden können. Im Zentrum der Bemühungen stand auch die Notstandsgesetzgebung, bei der es aber nur gelang, kleinere Vorhaben unterhalb der Änderung des Grundgesetzes durchzubringen. In der Frage der Eigentumspolitik konnten hingegen Erfolge erzielt werden.
Die Verjährungsdebatte der Jahre 1964/65 wurde in der Fraktion sehr sorgfältig behandelt und konnte mit einem Kompromiss, den Altbundeskanzler Adenauer einbrachte, vorläufig gelöst werden.
Fazit
Dass die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag das parlamentarische Regierungssystem der Bundesrepublik stabilisiert hat, muss man als ihre herausragende Leistung hervorheben. Es ist heute in der Forschung anerkannt, dass das bundesdeutsche Parteiensystem einen unersetzlichen Beitrag zur Stabilität der Demokratie geleistet hat, und dies beruht nicht zuletzt auf der Arbeit der Fraktionen im Deutschen Bundestag und damit maßgeblich auf der parlamentarischen Arbeit der CDU/CSU-Fraktion. Sie war vor allem in den ersten Legislaturperioden an richtungsweisenden Entscheidungen maßgebend beteiligt.
Michael Hansmann
[1] Siehe Hans-Peter Schwarz: „Für mich ist das Fegefeuer, wenn ich in die Fraktion muss.“ – Die CDU/CSU-Fraktion in der Ära Adenauer 1949-1963., in: Hans-Peter Schwarz: Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute, München 2009, S. 9 – 37, hier Seite 14.
Literatur und Quellen:
- Karl Dietrich Bracher, Rudolf Morsey, Hans Peter Schwarz (Hrsg.):
- Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1949–1953. Bearb. v. Helge Heidemeier. Düsseldorf 1998.
- Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1953–1957. Bearb. v. Helge Heidemeier. Düsseldorf 2003
- Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1957–1961. Bearb. v. Reinhard Schiffers. Düsseldorf 2004,
- Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1961–1966. Bearb. v. Corinna Franz. Düsseldorf 2004.
- Die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sitzungsprotokolle 1966–1969. Bearb. v. Stefan Marx. Düsseldorf 2011.
- Günter Buchstab: Ein parlamentarisches Unikum: Die CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009, S. 255–274.
- Hans-Peter Schwarz: „Für mich ist das Fegefeuer, wenn ich in die Fraktion muss.“ Die CDU/CSU-Fraktion in der Ära Adenauer 1949–1963., in: Hans-Peter Schwarz: Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009, S. 9–37.
Quellen im Archiv für Christlich-Demokratische Politik:
- CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag (08-001)
- Nachlass Heinrich Krone (01-028)