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Regierungsfraktion und Wiedervereinigung 1983–1998
Die CDU/CSU-Fraktion unter Alfred Dregger und Wolfgang Schäuble
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Nach „13-jähriger Durststrecke“ (Küsters, S. 161) wurde am 1. Oktober 1982 durch das konstruktive Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt und die Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler aus der Oppositionsfraktion eine Regierungsfraktion. Viele Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fanden sich in einer für sie neuen, ungewohnten, manchmal auch nur vergessenen Rolle wieder.
☛ Die CDU/CSU-Fraktion als Regierungsfraktion
☛ Verluste bei der Bundestagswahl 1994
Die CDU/CSU-Fraktion als Regierungsfraktion
Mit der Rückkehr an die Regierungsmacht mussten sich die Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erst wieder an die neuen Gestaltungsspielräume gewöhnen. Der Erfolg bei der Bundestagwahl 1983 wurde in den Reihen des Fraktionsvorstands „in erster Linie Helmut Kohl“ zugeschrieben (Fraktionsprotokoll 08. März 1983, ACDP-08-001-1512). Alfred Dregger wurde am 4. Oktober 1982 mit großer Zustimmung (bei nur drei Nein-Stimmen) u.a. wegen seiner Grundsatztreue und Verlässlichkeit zum Fraktionsvorsitzenden gewählt.
Mit Beginn der 11. Wahlperiode wurde in der Fraktion eine neue Struktur von 17 Arbeitsgruppen eingerichtet. Diese Arbeitsgruppen spiegelten Anzahl und Themen der existierenden Bundesministerien wider. Aufgabe war es, die Ministerien parlamentarisch zu kontrollieren und deren Arbeit zur Gesetzgebung zu begleiten. Nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl wurde am 27. Juni 1986 die analog zum neuen Bundesministerium für „Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit“ benannte 18. Arbeitsgruppe der CDU/CSU-Fraktion gegründet. Grundlage der Arbeit war die Arbeitsordnung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der am 23. März 1983 angepassten Form, bestätigt am 17. Februar 1987.
Eine Vielzahl von Themen und Politikfeldern wurde in den Fraktionsgremien diskutiert: der Haushalt und dessen Konsolidierung, das Pro und Contra von vorgezogenen Neuwahlen, § 218 sowie eine Finanzplanung für erforderliche Maßnahmen u.a. für die Entsorgung von Atommüll. Auch Rüstung und Abrüstung sowie eine mögliche Wehrpflichtverlängerung waren viel diskutierte Themen in dieser 11. Wahlperiode.
Unter Dregger als Vorsitzendem war der Zusammenhalt der Fraktionsgemeinschaft weitgehend stabil, abgesehen von einer Episode im Jahr 1988. Der Versuch, Dregger frühzeitig durch Wolfgang Schäuble zu ersetzen, schlug fehl. Schäuble wurde zunächst Bundesminister für Inneres, Rudolf Seiters folgte Schäuble im Amt des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers. Ausschließlich der Vorsitzende Dregger, und nicht die Mitglieder der Fraktion, war in diese Personalentscheidung involviert.
Die Fraktion wählte Dregger auch zu Beginn der 12. Wahlperiode wieder zu ihrem Vorsitzenden. In Folge des Wiedervereinigungsprozesses wurden vom 3. Oktober 1990 bis zum Ende der Wahlperiode die Mitglieder der CDU/DA-Fraktion der DDR-Volkskammer zu Mitgliedern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Diskutiert wurden in dieser Zeit gesetzliche Regelungen zu den Stasi- und SED-Akten sowie die Frage des künftigen Regierungssitzes und die schwierige Finanzlage. Um eine Nähe zu den neuen Bundesländern aufzubauen, wurden immer wieder Amtsträger aus den Neuen Ländern zu Sitzungen eingeladen. Personalbesetzungen zum neuen Kabinett wurden in der Fraktion vorgestellt, aber nicht diskutiert.
Wolfgang Schäuble übernimmt
Aufgrund seiner mannigfaltigen Erfahrungen in der Fraktionsarbeit – insbesondere als erster Parlamentarischer Geschäftsführer – wurde Wolfgang Schäuble am 25. November 1991 zum neuen Fraktionsvorsitzenden gewählt. Im Vorfeld hatte Dregger den Wechsel an der Fraktionsspitze unterstützt. Nun nutzte Schäuble seine langjährige Erfahrung in der Fraktion und als Bundesminister, um die Arbeit der Regierung und der Fraktion zu koordinieren und zu verbessern. Schäuble war es, der die Interessen Kohls als Bundeskanzler in die Arbeit der Fraktion einbrachte und somit immer mehr an Einfluss gewann. Für Helmut Kohl war Schäuble ein „leitender Kompaniefeldwebel“ (Küsters, S. 169). Die Politikfelder Außenpolitik (Kohl) und Innenpolitik sowie Organisationsmanagement (Schäuble) waren klar getrennt zwischen Kanzler und Fraktionsvorsitzendem. Schäuble galt weithin als legitimer Nachfolger von Helmut Kohl.
Diskutiert wurden in den Jahren von 1991 bis 1994 eine Vielzahl an Themen. Innenpolitisch wurde neben der wichtigen, aber umkämpften Änderung des Grundgesetztes für den „Asylkompromiss“, über Probleme der Haushaltsfinanzierung, eine Nachfolgeregelung für Richard von Weizäcker im Amt des Bundespräsidenten und die vielschichtigen Folgen der Wiedervereinigung diskutiert und teilweise gestritten. Im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik führte die Beteiligung der Bundeswehr am NATO-Einsatz im zerfallenden Jugoslawien zu einer grundsätzlichen Debatte über Auslandseinsätze. Schon zu Beginn der Schäuble-Zeit waren zudem der Erste Golfkrieg oder die Übergabe von Patriot-Raketen an Israel tiefgreifend innerhalb der CDU/CSU-Fraktionsgremien diskutiert worden.
Verluste bei der Bundestagswahl 1994
Nach deutlichen Verlusten der Union bei der Bundestagswahl 1994 verlor die Fraktion an Schlagkraft. Der Handlungsspielraum etwa bei der Gesundheitsreform oder der Arbeitslosenversicherung wurde besonders durch finanzielle Probleme der Bundesregierung stark eingeschränkt. Auch für größere Vorhaben fehlte es an notwendigen Finanzmitteln. Gesetzesinitiativen und Reformvorschläge, etwa die sog. Petersberger Beschlüsse, wurden zudem durch eine konsequente Blockade seitens des SPD-dominierten Bundesrates, federführend durch den neuen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, verhindert. Trotz dieser Probleme waren die Umwandlung der Bundesbahn zur „Deutsche Bahn Aktiengesellschaft“ zum 1. Januar 1994 und der Aufbau einer umlagefinanzierten Pflegeversicherung zwei bedeutende Gesetzgebungsverfahren in der 12. Wahlperiode.
Die europapolitischen Ziele, vor allem die Einführung einer gemeinsamen Währung, fanden in der Fraktion breite Unterstützung. Es gab nur wenige kritische Stimmen, etwa von Gerhard Stoltenberg oder Alfred Dregger. Eine ablehnende Grundsatzdiskussion gegen eine weitere Vertiefung der europäischen Integration gab es hingegen nicht. Auch Schäuble als Fraktionsvorsitzender, von Hans-Peter Schwarz als „Vernunft-Europäer“ betitelt, sprach sich für eine starke Verknüpfung mit der europäischen Gemeinschaft aus, um im 21. Jahrhundert in der Weltpolitik überhaupt bestehen zu können. So wurden die Verträge auf europäischer Ebene (Maastricht, Amsterdam, Nizza) auch in der Fraktion begleitet.
Das Ende der Legislaturperiode wurde insbesondere durch die lange ungeklärte Kanzlerkandidatenfrage begleitet. Schäubles Zeit als Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion fand am 16. Februar 2000 ein jähes Ende, als er nach dem aufgedeckten Spendenskandal der Fraktion vorschlug, vorzeitig einen neuen Vorstand ohne seine Beteiligung zu wählen.
Thilo Pries
Literatur und Quellen:
- Wolfram Pyta/Nils Havemann: Alfred Dregger. Zeitpolitiker der Wiedervereinigung und Anwalt des Parlamentarismus. Köln 2023.
- Hanns Jürgen Küsters: Kanzlerfraktion unter Alfred Dregger, 1982–1991, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009, S. 161–179.
- Hans-Peter Schwarz: Kanzlerfraktion unter Wolfgang Schäuble, 1991–1998, in: Hans-Peter Schwarz (Hg.): Die Fraktion als Machtfaktor. CDU/CSU im Deutschen Bundestag 1949 bis heute. München 2009, S. 181–199.