Asset-Herausgeber
Modernisierung in der Opposition
Die CDU 1969 bis 1982
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Bundestagswahl 1969: Die Union erstmals in der Opposition
Nach der Bundestagswahl am 28. September 1969 endete die 20jährige Regierungszeit der Union. Zwar blieb die CDU/CSU-Fraktion mit 46,1 Prozent der Zweitstimmen und 242 Mandaten stärkste Kraft. Darüber hinaus zählten acht Berliner Abgeordnete zur Fraktion, die im Bundestag nicht voll stimmberechtigt waren. Doch mit der Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten im März 1969 hatte sich bereits angedeutet, dass SPD und FDP erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik auf Bundesebene eine Koalition eingehen würden. Mit 42,7 (SPD) und 5,8 Prozent (FDP) der Zweitstimmen verfügte das neue sozial-liberale Bündnis, an dessen Spitze künftig Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) stand, über eine Mehrheit von zwölf Mandaten.
Viele Mitglieder der Unionsfraktion, für die der Machtverlust völlig überraschend kam, konnten die Oppositionsrolle nur schwer akzeptieren. Dazu zählte auch der CDU-Vorsitzende und bisherige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. In den Wochen nach der Wahl überließ er zunehmend Rainer Barzel die Initiative, der am 16. Oktober 1969 mit 199 von 211 Stimmen als Fraktionsvorsitzender bestätigt wurde. Schneller als viele andere fand Barzel sich in die neue Rolle ein, sorgte dafür, dass sich die Fraktion aus der um sich greifenden Schockstarre befreite und formierte sie zu einer schlagkräftigen Opposition. Kiesinger hingegen wurde zwar beim Bundesparteitag in Mainz am 17./18. November 1969 mit 386 von 471 Stimmen abermals zum Bundesvorsitzenden gewählt, in der täglichen Arbeit spielte er jedoch keine Rolle mehr.
Da die Fraktion in den vergangenen 20 Jahren stets von den Bundesministerien in ihrer Arbeit unterstützt worden war und ein eigener Apparat nur in Ansätzen existierte, trieb Barzel zunächst den Aufbau des Mitarbeiterstabs voran: Beschäftigte die Fraktion im Juli 1969 nur 55 Mitarbeiter, stieg deren Zahl im Lauf der Legislaturperiode auf knapp 170 an. Politisch war es Barzels Ziel, mit eigenen Initiativen die Unionsfraktion als bessere Alternative zur Bundesregierung zu präsentieren: Insgesamt 122 eigene Gesetzentwürfe brachte die Bundestagsfraktion bis September 1972 ein. Umstritten – vor allem auf Seiten der CSU-Abgeordneten – blieb jedoch, dass Barzel einen kooperativen und kompromissbereiten Oppositionsstil vorgab.
Sein energisches Vorgehen führte dazu, dass Barzel schon nach kurzer Zeit als alleiniger Oppositionsführer wahrgenommen und nicht die Partei, sondern die Fraktion zum politischen Machtzentrum der CDU wurde. Nach Kiesingers Rückzug gewann Barzel auf dem Bundesparteitag am 4. Oktober 1971 in Saarbrücken die Kampfabstimmung gegen Helmut Kohl deutlich mit 520 zu 174 Stimmen und wurde neuer CDU-Bundesvorsitzender. Wie zuvor in der Fraktion initiierte Barzel erste Maßnahmen, um den bis dahin schwach entwickelten Parteiapparat zu modernisieren. Symbolisch stand dafür auch der Bau der neuen Parteizentrale, die 1971 bezogen wurde.
Barzels Engagement wurde jedoch durch die anhaltenden Auseinandersetzungen um die Ost- und Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung getrübt. Während Barzel versuchte, aus der Opposition heraus Einfluss auf die Vertragsverhandlungen zu nehmen, lehnte die Mehrheit der Fraktion die Annäherung an den Osten strikt ab. Auch in den Regierungsfraktionen SPD und FDP war die sogenannte Neue Ostpolitik umstritten: Nachdem mehrere Abgeordnete aus Protest zur Unionsfraktion gewechselt waren, schmolz die ohnehin knappe Regierungsmehrheit zusammen. Dennoch scheiterte das am 27. April 1972 von der Unionsfraktion eingebrachte konstruktive Misstrauensvotum völlig unerwartet. Wie sich später herausstellen sollte, hatte die DDR-Staatssicherheit mehrere Abgeordnete bestochen, um Brandt im Amt zu halten. Barzels Autorität war in der Folge schwer beschädigt, zumal es ihm auch im weiteren Ringen um die Ostverträge nicht gelang, die Fraktion auf ein einheitliches Votum festzulegen.
Erneute Niederlage bei der Bundestagswahl 1972
Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum hatte die Koalition keine handlungsfähige Mehrheit mehr, sodass Bundespräsident Heinemann nach einer negativ beantworteten Vertrauensfrage des Bundeskanzlers im September 1972 den Bundestag auflöste. Auch wenn die Union vor allem in Fragen der Wirtschaftspolitik die desaströse Bilanz der Regierung im Wahlkampf in den Mittelpunkt rückte, gelang es ihr nicht, mit ihrem Kanzlerkandidaten Barzel bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 19. November 1972 die Mehrheit zu erringen. Vielmehr löste die SPD die Union erstmals als stärkste Kraft ab und konnte ihre zuvor knappe Regierungsmehrheit mit der FDP ausbauen: Bei den Zweitstimmen erzielten sie 45,8 (SPD) und 8,4 Prozent (FDP), die CDU kam auf 44,9 Prozent. Damit verfügte die Koalition im neugewählten Bundestag über 284 Mandate, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zählte künftig 234 Abgeordnete.
In der Union setze sich derweil die Auffassung durch, dass man nicht länger auf einen schnellen Regierungswechsel hoffen könne und ein umfassender Erneuerungsprozess in Gang kommen müsse. Am 11. Dezember 1972 bestätigte die Fraktion Barzel im Amt des Fraktionsvorsitzendenden mit einem schwachen Ergebnis – nur 165 Mitglieder stimmten für Barzel, bei 22 Nein-Stimmen, zehn Enthaltungen und 40 nicht abgegebenen Stimmen. Bei einer Klausur des CDU-Bundesvorstands im Januar 1973 gestand er schließlich ein: „Wir müssen irgendwann in den 60er Jahren, und zwar wir alle, die geistige Führung verloren haben.“ Einigkeit herrschte darin, dass sich die Partei nicht mehr allein auf ihre in den 1950er und 1960er Jahren erbrachten Leistungen berufen könne, sondern sich den gesellschaftlichen Veränderungen stellen und insbesondere für bislang vernachlässigte Gruppen – Intellektuelle, junge Menschen, Arbeiter und Frauen – attraktiver werden müsse.
Politisch schwer angeschlagen versuchte Barzel damit nach der Bundestagswahl 1972 die innerparteilichen Reformen weiter voranzutreiben. Als die Fraktion im Mai 1973 seiner Empfehlung zum UNO-Beitritt der Bundesrepublik und der DDR nicht folgte, verkündete er jedoch seinen Rücktritt vom Amt des Fraktionsvorsitzenden und verzichtete auf eine erneute Kandidatur für den CDU-Vorsitz. Am 17. Mai 1973 wählte die Fraktion Karl Carstens mit 131 von 219 Stimmen zu ihrem neuen Vorsitzenden, der sich in einer Kampfabstimmung gegen Gerhard Schröder (26 Stimmen) und Richard von Weizsäcker (58 Stimmen) durchgesetzt hatte. Wenige Wochen später wurden auch an der Parteispitze die Weichen neu gestellt: Am 12. Juni 1973 wurde Helmut Kohl auf dem 21. Bundesparteitag in Bonn mit 520 von 600 gültigen Stimmen zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Dieses Amt sollte er 25 Jahre innehaben.
Innerparteiliche Erneuerung
Fortan forcierte Kohl, der sich schon als Ministerpräsident in den Jahren zuvor einen Namen als Reformer gemacht hatte, die Transformation der CDU von der Honoratioren- zur Mitgliederpartei. Unterstützt wurde er dabei von seinen Generalsekretären Kurt Biedenkopf (1973–1977) und Heiner Geißler (1977–1989). Für Biedenkopf hatte nach dem Wechsel an der Parteispitze zunächst die Neuorganisation der Bundesgeschäftsstelle und die Stärkung des hauptamtlichen Apparats in den Parteigliederungen Priorität. Die Professionalisierung führte dabei zu einer Aufwertung der Bundespartei, die auch Kohl anstrebte. Neben der personellen Stärkung wurde der Schulung der Funktionärsebene größere Aufmerksamkeit geschenkt, zudem wurden die Öffentlichkeitsarbeit verbessert und die Werbung neuer Mitglieder intensiviert, mit Erfolg: Die Partei wuchs von rund 423.000 Mitgliedern im Jahr 1972 auf 652.00 im Jahr 1976 und erreichte 1984 mit 730.000 Mitgliedern den Höchststand.
Die organisatorische Professionalisierung ging in diesen Jahren mit der weiteren Schärfung des programmatischen Profils einher. Zwar waren in den vergangenen Jahren bereits mit dem Berliner Programm (1968) und dessen Fortschreibung (1971) umfassende Schriften entstanden. Das Bedürfnis nach programmatischer Vergewisserung und Erneuerung konnten die Berliner Programme, die in erster Linie „Aktionsprogramme“ mit einem konkreten politischen Maßnahmenpaket waren, jedoch nicht stillen. Mit der Mannheimer Erklärung (1975) und der Idee der „Neuen Sozialen Frage“, mit der die Belange nicht organisierter Gruppen wie Frauen oder Rentner in den Blick genommen werden sollten, markierte die CDU ihren Willen zur programmatischen Modernisierung. Höhepunkt der Debatten war die Verabschiedung des ersten Grundsatzprogramms in der Geschichte der CDU beim Bundesparteitag in Kohls Heimatstadt Ludwigshafen im Oktober 1978, mit dem die Partei die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit definierte.
Bundestagswahl 1969: Die Union erstmals in der Opposition
Nach der Bundestagswahl am 28. September 1969 endete die 20jährige Regierungszeit der Union. Zwar blieb die CDU/CSU-Fraktion mit 46,1 Prozent der Zweitstimmen und 242 Mandaten stärkste Kraft. Darüber hinaus zählten acht Berliner Abgeordnete zur Fraktion, die im Bundestag nicht voll stimmberechtigt waren. Doch mit der Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten im März 1969 hatte sich bereits angedeutet, dass SPD und FDP erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik auf Bundesebene eine Koalition eingehen würden. Mit 42,7 (SPD) und 5,8 Prozent (FDP) der Zweitstimmen verfügte das neue sozial-liberale Bündnis, an dessen Spitze künftig Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) stand, über eine Mehrheit von zwölf Mandaten.
Viele Mitglieder der Unionsfraktion, für die der Machtverlust völlig überraschend kam, konnten die Oppositionsrolle nur schwer akzeptieren. Dazu zählte auch der CDU-Vorsitzende und bisherige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger. In den Wochen nach der Wahl überließ er zunehmend Rainer Barzel die Initiative, der am 16. Oktober 1969 mit 199 von 211 Stimmen als Fraktionsvorsitzender bestätigt wurde. Schneller als viele andere fand Barzel sich in die neue Rolle ein, sorgte dafür, dass sich die Fraktion aus der um sich greifenden Schockstarre befreite und formierte sie zu einer schlagkräftigen Opposition. Kiesinger hingegen wurde zwar beim Bundesparteitag in Mainz am 17./18. November 1969 mit 386 von 471 Stimmen abermals zum Bundesvorsitzenden gewählt, in der täglichen Arbeit spielte er jedoch keine Rolle mehr.
Da die Fraktion in den vergangenen 20 Jahren stets von den Bundesministerien in ihrer Arbeit unterstützt worden war und ein eigener Apparat nur in Ansätzen existierte, trieb Barzel zunächst den Aufbau des Mitarbeiterstabs voran: Beschäftigte die Fraktion im Juli 1969 nur 55 Mitarbeiter, stieg deren Zahl im Lauf der Legislaturperiode auf knapp 170 an. Politisch war es Barzels Ziel, mit eigenen Initiativen die Unionsfraktion als bessere Alternative zur Bundesregierung zu präsentieren: Insgesamt 122 eigene Gesetzentwürfe brachte die Bundestagsfraktion bis September 1972 ein. Umstritten – vor allem auf Seiten der CSU-Abgeordneten – blieb jedoch, dass Barzel einen kooperativen und kompromissbereiten Oppositionsstil vorgab.
Sein energisches Vorgehen führte dazu, dass Barzel schon nach kurzer Zeit als alleiniger Oppositionsführer wahrgenommen und nicht die Partei, sondern die Fraktion zum politischen Machtzentrum der CDU wurde. Nach Kiesingers Rückzug gewann Barzel auf dem Bundesparteitag am 4. Oktober 1971 in Saarbrücken die Kampfabstimmung gegen Helmut Kohl deutlich mit 520 zu 174 Stimmen und wurde neuer CDU-Bundesvorsitzender. Wie zuvor in der Fraktion initiierte Barzel erste Maßnahmen, um den bis dahin schwach entwickelten Parteiapparat zu modernisieren. Symbolisch stand dafür auch der Bau der neuen Parteizentrale, die 1971 bezogen wurde.
Barzels Engagement wurde jedoch durch die anhaltenden Auseinandersetzungen um die Ost- und Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung getrübt. Während Barzel versuchte, aus der Opposition heraus Einfluss auf die Vertragsverhandlungen zu nehmen, lehnte die Mehrheit der Fraktion die Annäherung an den Osten strikt ab. Auch in den Regierungsfraktionen SPD und FDP war die sogenannte Neue Ostpolitik umstritten: Nachdem mehrere Abgeordnete aus Protest zur Unionsfraktion gewechselt waren, schmolz die ohnehin knappe Regierungsmehrheit zusammen. Dennoch scheiterte das am 27. April 1972 von der Unionsfraktion eingebrachte konstruktive Misstrauensvotum völlig unerwartet. Wie sich später herausstellen sollte, hatte die DDR-Staatssicherheit mehrere Abgeordnete bestochen, um Brandt im Amt zu halten. Barzels Autorität war in der Folge schwer beschädigt, zumal es ihm auch im weiteren Ringen um die Ostverträge nicht gelang, die Fraktion auf ein einheitliches Votum festzulegen.
Erneute Niederlage bei der Bundestagswahl 1972
Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum hatte die Koalition keine handlungsfähige Mehrheit mehr, sodass Bundespräsident Heinemann nach einer negativ beantworteten Vertrauensfrage des Bundeskanzlers im September 1972 den Bundestag auflöste. Auch wenn die Union vor allem in Fragen der Wirtschaftspolitik die desaströse Bilanz der Regierung im Wahlkampf in den Mittelpunkt rückte, gelang es ihr nicht, mit ihrem Kanzlerkandidaten Barzel bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 19. November 1972 die Mehrheit zu erringen. Vielmehr löste die SPD die Union erstmals als stärkste Kraft ab und konnte ihre zuvor knappe Regierungsmehrheit mit der FDP ausbauen: Bei den Zweitstimmen erzielten sie 45,8 (SPD) und 8,4 Prozent (FDP), die CDU kam auf 44,9 Prozent. Damit verfügte die Koalition im neugewählten Bundestag über 284 Mandate, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zählte künftig 234 Abgeordnete.
In der Union setze sich derweil die Auffassung durch, dass man nicht länger auf einen schnellen Regierungswechsel hoffen könne und ein umfassender Erneuerungsprozess in Gang kommen müsse. Am 11. Dezember 1972 bestätigte die Fraktion Barzel im Amt des Fraktionsvorsitzendenden mit einem schwachen Ergebnis – nur 165 Mitglieder stimmten für Barzel, bei 22 Nein-Stimmen, zehn Enthaltungen und 40 nicht abgegebenen Stimmen. Bei einer Klausur des CDU-Bundesvorstands im Januar 1973 gestand er schließlich ein: „Wir müssen irgendwann in den 60er Jahren, und zwar wir alle, die geistige Führung verloren haben.“ Einigkeit herrschte darin, dass sich die Partei nicht mehr allein auf ihre in den 1950er und 1960er Jahren erbrachten Leistungen berufen könne, sondern sich den gesellschaftlichen Veränderungen stellen und insbesondere für bislang vernachlässigte Gruppen – Intellektuelle, junge Menschen, Arbeiter und Frauen – attraktiver werden müsse.
Politisch schwer angeschlagen versuchte Barzel damit nach der Bundestagswahl 1972 die innerparteilichen Reformen weiter voranzutreiben. Als die Fraktion im Mai 1973 seiner Empfehlung zum UNO-Beitritt der Bundesrepublik und der DDR nicht folgte, verkündete er jedoch seinen Rücktritt vom Amt des Fraktionsvorsitzenden und verzichtete auf eine erneute Kandidatur für den CDU-Vorsitz. Am 17. Mai 1973 wählte die Fraktion Karl Carstens mit 131 von 219 Stimmen zu ihrem neuen Vorsitzenden, der sich in einer Kampfabstimmung gegen Gerhard Schröder (26 Stimmen) und Richard von Weizsäcker (58 Stimmen) durchgesetzt hatte. Wenige Wochen später wurden auch an der Parteispitze die Weichen neu gestellt: Am 12. Juni 1973 wurde Helmut Kohl auf dem 21. Bundesparteitag in Bonn mit 520 von 600 gültigen Stimmen zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Dieses Amt sollte er 25 Jahre innehaben.
Innerparteiliche Erneuerung
Fortan forcierte Kohl, der sich schon als Ministerpräsident in den Jahren zuvor einen Namen als Reformer gemacht hatte, die Transformation der CDU von der Honoratioren- zur Mitgliederpartei. Unterstützt wurde er dabei von seinen Generalsekretären Kurt Biedenkopf (1973–1977) und Heiner Geißler (1977–1989). Für Biedenkopf hatte nach dem Wechsel an der Parteispitze zunächst die Neuorganisation der Bundesgeschäftsstelle und die Stärkung des hauptamtlichen Apparats in den Parteigliederungen Priorität. Die Professionalisierung führte dabei zu einer Aufwertung der Bundespartei, die auch Kohl anstrebte. Neben der personellen Stärkung wurde der Schulung der Funktionärsebene größere Aufmerksamkeit geschenkt, zudem wurden die Öffentlichkeitsarbeit verbessert und die Werbung neuer Mitglieder intensiviert, mit Erfolg: Die Partei wuchs von rund 423.000 Mitgliedern im Jahr 1972 auf 652.00 im Jahr 1976 und erreichte 1984 mit 730.000 Mitgliedern den Höchststand.
Die organisatorische Professionalisierung ging in diesen Jahren mit der weiteren Schärfung des programmatischen Profils einher. Zwar waren in den vergangenen Jahren bereits mit dem Berliner Programm (1968) und dessen Fortschreibung (1971) umfassende Schriften entstanden. Das Bedürfnis nach programmatischer Vergewisserung und Erneuerung konnten die Berliner Programme, die in erster Linie „Aktionsprogramme“ mit einem konkreten politischen Maßnahmenpaket waren, jedoch nicht stillen. Mit der Mannheimer Erklärung (1975) und der Idee der „Neuen Sozialen Frage“, mit der die Belange nicht organisierter Gruppen wie Frauen oder Rentner in den Blick genommen werden sollten, markierte die CDU ihren Willen zur programmatischen Modernisierung. Höhepunkt der Debatten war die Verabschiedung des ersten Grundsatzprogramms in der Geschichte der CDU beim Bundesparteitag in Kohls Heimatstadt Ludwigshafen im Oktober 1978, mit dem die Partei die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit definierte.
CDU und CSU
Die innerparteiliche Modernisierung trieb Kohl in den ersten Jahren nach seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden noch von Rheinland-Pfalz aus voran, wo er seit 1969 das Amt des Ministerpräsidenten innehatte. Ungeachtet seiner Erfolge als Ministerpräsident und bei der Erneuerung der Partei waren seine Schwächen allgemein bekannt. Dazu zählten seine mangelnde Bindung an die Bundestagsfraktion, seine geringe Auslandserfahrung und seine fehlenden Kompetenzen in Wirtschaftsfragen. Zudem war er wenig charismatisch. Trotz dieser Defizite hatte er nach seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden die Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 1976 fest im Blick und arbeitete gezielt an seinen Schwachstellen.
Zu seinem schärfsten Widersacher wurde in diesen Jahren der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß, der in der Großen Koalition unter Kiesinger das Amt des Bundesfinanzministers innegehabt hatte. Vor allem die Idee zur Gründung einer vierten Partei, die Strauß immer wieder vorbrachte, belastete das Verhältnis zwischen CDU und CSU. Eine vierte Partei könne, so Strauß´ Argumentation, zusätzliche Wähler rechts der CDU mobilisieren und so die Chancen auf eine eigene Mehrheit ohne die FDP, die eng an der Seite der SPD stand, verbessern. Die CDU lehnte diese Idee, deren Umsetzung stets vage blieb, kategorisch ab. Vorläufiger Höhepunkt der Auseinandersetzung bildete Strauß‘ Sonthofener Rede am 18. November 1974, in der er nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen den CDU-Vorsitzenden polemisierte und mit der er sich letztlich seine Chance auf die Kanzlerkandidatur verbaute.
Während die Bundesregierung in den 1970er Jahren mit den Folgen der Öl- und Wirtschaftskrise kämpfte und Bundeskanzler Willy Brandt nach der Affäre um den DDR-Spion Günter Guillaume am 6. Mai 1974 zurücktrat, gewann die Union deutlich an Zustimmung. So verliefen nicht nur die Kommunal- und Landtagswahlen überaus erfolgreich, auch die Bundespartei konnte sich in diesen Jahren über hervorragende Zustimmungswerte erfreuen, im Februar 1975 lag sie bei 53 Prozent. Strauß letzte Versuche, Kohls Kanzlerkandidatur zu verhindern, sollten am Ende scheitern: Am 12. Mai 1975 nominierte der CDU-Bundesvorstand Kohl zum Kanzlerkandidaten, wenige Wochen später wurde seine Kandidatur bei einer gemeinsamen Sitzung der Parteispitzen von CDU und CSU bestätigt. Die Delegierten stärkten Kohl beim Bundesparteitag vom 23. bis 25. Juni 1975 in Mannheim den Rücken und wählten ihn mit 696 von 707 Stimmen erneut zum Parteivorsitzenden.
Bei der Bundestagswahl am 3. Oktober 1976 erzielte die Union 48,6 Prozent der Zweitstimmen – das zweitbeste Ergebnis in ihrer Geschichte – und war damit erneut die mit Abstand stärkste Kraft im neuen Bundestag. Die SPD verlor und erreichte nur noch 42,6 Prozent, die FDP 7,9 Prozent. Die Kampagne der Union war emotional und auf die Person Helmut Kohl zugeschnitten, der konfrontative Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ (in Bayern: „Freiheit oder Sozialismus“) ein Zugeständnis an Kohls Widersacher Strauß. Vor allem jene, die ihre Zweifel an Kohl niemals ablegen sollten, überraschte das Ergebnis – zumal sich Kohl gegenüber einem starken Gegner hatte behaupten müssen. Brandts rhetorisch begabter Nachfolger Helmut Schmidt galt schon damals als fachlich versierter „Weltökonom“. Dass die Union aufgrund des weiter bestehenden engen Bündnisses zwischen SPD und FDP in der Opposition verharrte – es fehlten ihr nur sechs Mandate für eine eigene Mehrheit –, verstärkte erneut die Differenzen zwischen den Schwesterparteien.
Der Kreuther Trennungsbeschluss der CSU
Nachdem Strauß bereits nach der Bundestagswahl 1972 kurzzeitig den Fortbestand der Fraktionsgemeinschaft in Frage gestellt hatte, stand die künftige Zusammenarbeit nach der Bundestagswahl 1976 tatsächlich vor ihrem Ende: Am 19. November beschloss die CSU-Landesgruppe bei ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth, die seit 1949 bestehende Fraktionsgemeinschaft nicht zu erneuern und eine eigene Fraktion zu bilden. Der CSU-Vorsitzende machte die Wahlkampfführung der CDU für die „Niederlage“ verantwortlich und sprach Kohl wenige Tage später in der sogenannten „Wienerwald-Rede“ am 24. November 1976 die Befähigung für das Amt des Bundeskanzlers ab. Auch die Gründung einer vierten Partei brachte die CSU abermals ins Spiel.
In den Gremien der CDU wurde die Nachricht mit Entsetzen aufgenommen – sie sahen die Einheit der Union bedroht und fürchteten dramatische Folgen für die politische Stabilität der Bundesrepublik, sollte es zur Spaltung kommen. In dieser Situation zeigte Kohl Führungsstärke, indem er der CSU für den Fall der Gründung einer vierten Partei mit der Ausweitung der CDU auf Bayern drohte. Kohls Strategie war erfolgreich: Am 12. Dezember 1976 einigten sich die Spitzen von CDU und CSU auf die Fortsetzung der Fraktionsgemeinschaft, jedoch zum Preis einer stärkeren Eigenständigkeit der CSU-Landesgruppe innerhalb der gemeinsamen Unionsfraktion.
Oppositionsführer Kohl
Am 1. Dezember 1976 wurde Kohl zunächst von den CDU-Mitgliedern der Fraktion mit 184 von 189 Stimmen zum neuen Vorsitzenden gewählt, mit der Erneuerung der Fraktionsgemeinschaft bestätigte ihn schließlich auch die Gesamtfraktion am 13. Dezember mit 230 von 243 Stimmen. Die Fortsetzung der Fraktionsgemeinschaft bedeutete indessen keineswegs, dass fortan eine harmonische Zusammenarbeit zu erwarten war. Vor allem blieb die Frage nach der richtigen Oppositionsstrategie umstritten. Während Strauß in seiner Sonthofener Rede eine radikale Strategie der Verweigerung propagiert hatte, knüpfte Kohl an seinen Vorvorgänger Barzel an: Als konstruktive Opposition wollte Kohl Einfluss auf Gesetzesvorhaben nehmen und setzte darauf, dass die Gemeinsamkeiten zwischen FDP und SPD früher oder später aufgebraucht sein würden.
Problematisch war für Kohl, dass er in der Fraktion, der er zuvor nie angehört hatte, keine eigene Hausmacht hatte. So blieb die Mehrheit der Mitglieder auf Distanz zu dem Neuling aus der Provinz. Seine Herkunft wurde nicht zuletzt im Vergleich mit Helmut Schmidt als Nachteil betrachtet. Trotz aller inhaltlicher Differenzen, die es mit Blick auf die Öl- und Wirtschaftskrise, die Inflation und die steigende Arbeitslosigkeit gab, zeigten die beiden Kontrahenten aber auch ihre Fähigkeit zur Zusammenarbeit, als es im „Deutschen Herbst“ 1977 galt, vor dem Hintergrund der Drohungen, Entführungen und Morde der Roten-Armee-Fraktion Stärke zu zeigen und sich gegen den Terrorismus nachdrücklich zur Wehr zu setzen.
Kohls schwache Verwurzelung in der Fraktion führte dazu, dass in den ersten Bonner Jahren die Partei Kohls Machtbasis blieb. Als CDU-Vorsitzender pflegte er einen moderierenden und konsensorientierten Führungsstil, der bisweilen jedoch auch als Führungsschwäche ausgelegt wurde. Da in Zeiten der Opposition die disziplinierende Bindung durch die Regierungsverantwortung fehlte, bemühte er sich in besonderem Maße um die Integration der verschiedenen Interessen und Flügel in der Partei. Sein informeller Führungsstil wurde später bekannt als „System Kohl“. So wurden wichtige Entscheidungen nicht in den Gremien erarbeitet, sondern in vertraulichen Beraterkreisen. Ergänzt wurde dieses System, das auf Vertrauen, besonderen Freundschaften und der Förderung einzelner politischer Talente basierte, durch ein umfassendes Kommunikationsnetz und den direkten Kontakt Kohls zu den Funktionären an der Parteibasis. Über viele Jahre diente dieses Netzwerk Kohl zur Information und Machtsicherung.
Bundestagswahl 1980
Nicht nur die Differenzen mit der CSU blieben nach der Bundestagswahl 1976 bestehen, auch innerhalb der CDU machte sich Unzufriedenheit mit Kohl breit. Im Januar 1977 zog sich Biedenkopf vom Amt des CDU-Generalsekretärs zurück und sprach sich zur Jahreswende 1978/79 in einem Memorandum dafür aus, Partei- und Fraktionsvorsitz zu trennen. Kohls Autorität wurde damit offen in Frage gestellt. Bei seiner Wiederwahl zum Bundesvorsitzenden auf dem Kieler Parteitag vom 25. bis 27. März 1979 erhielt er mit nur 83,38 Prozent sein bislang schwächstes Ergebnis. In dieser Situation beanspruchte Strauß die Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 1980 für sich und drohte erneut mit der Spaltung.
Am 2. Juli 1979 stimmte die Bundestagsfraktion mehrheitlich für Strauß – und nicht für den von Kohl ins Rennen geschickten niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht. Strauß‘ stark polarisierender Wahlkampf bescherte der Union jedoch eine herbe Niederlage: Bei der Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 erzielten CDU und CSU mit 44,5 Prozent ihr bislang schwächstes Ergebnis. Nach Strauß´ Scheitern beruhigte sich das Verhältnis zwischen den Schwesterparteien. Die Fraktionsgemeinschaft wurde einstimmig fortgeführt und Helmut Kohl mit 210 Ja-, zwei Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen als Fraktionsvorsitzender bestätigt.
In den folgenden Monaten beeindruckte die Fraktion mit einem enormen Arbeitspensum: Mit zahlreichen Kongressen, Aktionsprogrammen und Arbeitspapieren präsentierte sich die Union wie schon zuvor als Alternative für eine potenzielle Regierungsübernahme. Allerdings änderte Kohl vor dem Hintergrund der zunehmenden Differenzen in der sozial-liberalen Regierung seine Strategie und machte sie für die miserable politische Lage insbesondere in der Wirtschafts-, Finanz- und Beschäftigungspolitik verantwortlich. Differenzen in der Sicherheitspolitik (NATO-Doppelbeschluss) sowie die ersten Wahlerfolge der neugegründeten Grünen trieben die Koalition weiter auseinander.
In Folge der Veröffentlichung des von FDP-Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff verfassten Papiers „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ – dem sogenannten „Scheidungspapier“ – zerbrach am 17. September 1982 die Koalition. Die Einsicht in die Notwendigkeit der dauerhaften Konsolidierung der Staatsfinanzen sowie die Kritik an den Friedensdemonstrationen, die den NATO-Doppelbeschluss ablehnten, hatten zur Annäherung von FDP und CDU/CSU geführt. Am 1. Oktober 1982 wurde Kohl nach einem erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum im Bundestag mit den Stimmen von Union und FDP zum Bundeskanzler gewählt.
Literatur:
- Günter Bannas: Helmut Kohl – Der CDU-Vorsitzende, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 27–50.
- Frank Bösch: Macht und Machtverlust. Die Geschichte der CDU. Stuttgart/München 2002.
- Ders.: Die CDU-Vorsitzenden und Generalsekretäre, in: Norbert Lammert (Hg.): Christlich Demokratische Union. Beiträge und Positionen zur Geschichte der CDU. München 2020, S. 53–78.
- Günter Buchstab: Die CDU in der Ära Kohl, in: Norbert Lammert (Hg.): Handbuch zur Geschichte der CDU. Grundlagen, Entwicklungen, Positionen. Darmstadt 2023, S. 165–191.
- Philipp Gassert: Die CDU in der (ersten) Großen Koalition und Opposition: Reformerische Aufbrüche unter Kiesinger und Barzel, in: Norbert Lammert (Hg.): Handbuch zur Geschichte der CDU. Grundlagen, Entwicklungen, Positionen. Darmstadt 2023, S. 147–164.
- Horst Möller: Franz Josef Strauß. Herrscher und Rebell, München 2015.
- Wulf Schönbohm: Die CDU wird moderne Volkspartei. Selbstverständnis, Mitglieder, Organisation und Apparat 1950–1980 (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Bd. 7). Stuttgart 1985.
- Hans-Peter Schwarz: Helmut Kohl. Eine politische Biographie. München 2012.
- Kai Wambach: Streben nach Konsens – Rainer Barzels Vorsitz der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestags, in: Historisch-Politische Mitteilungen, 20/2013, S. 199–228.
- ders.: Rainer Barzel. Eine Biographie. Paderborn 2019.
- Kathrin Zehender: „Grundsätze sind kein selbsttätiger Besitz“. Richard von Weizsäcker als Vorsitzender der CDU-Grundsatzprogrammkommission, in: Michael C. Bienert/Matthias Oppermann/Kathrin Zehender (Hg.): „Die Freiheit geschieht nicht an uns, sie geschieht durch uns“. Richard von Weizsäcker und die deutsche Politik. Berlin 2023.