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Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung

von Matthias Oppermann
Die drei Parteien der bald sogenannten „Weimarer Koalition“ aus DVP, SPD und Zentrumspartei kamen zusammen auf 76,2 Prozent. Es bleibt das Verdienst dieser Parteien, dass sie im Jahr 1919 und mehrmals danach – zum Teil unter Einbeziehung der DVP – über ihren ideologischen Schatten gesprungen sind. Damit haben sie der Republik ohne Republikaner eine Lebenschance verschafft und die Wahl vom 19. Januar 1919 zu einem Erfolg für Freiheit und Demokratie werden lassen.

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Nicht jede Hypothek muss derjenige tragen, der sie aufgenommen hat. Die deutsche Republik, die Philipp Scheidemann am 9. November 1918, ausrief, war weder für den Ersten Weltkrieg noch für die deutsche Niederlage verantwortlich. Und doch war für jeden sichtbar, dass das militärische Scheitern des Kaiserreichs und die Revolution ihre Geburtshelfer waren. Von Anfang an, so hört man oft, war die Republik deswegen belastet. Sie stand unter keinem guten Stern. Das ist zwar richtig, aber ebenso trifft zu, dass, wenn man auf die Ereignisse im Herbst und Winter 1918 sieht, alles hätte schlimmer kommen können.

Tatsächlich war der Beginn der Weimarer Republik – die so heißt, weil sie eben in Weimar und nicht im damals von Unruhen erschütterten Berlin ihren Anfang nahm – besser, als man hatte hoffen dürfen. In den Wahlen zur verfassungsgebenden Natio-nalversammlung vom 19. Januar 1919 erreichten die Parteien eine Mehrheit, die vereinbart hatten, die Revolution durch die Konstituante zu beenden. Genauer gesagt, wollten sie nicht einfach die Revolution beenden, sondern in eine liberale Demokratie münden lassen. Indem die Sozialdemokratische Partei Deutschland (SPD), die Deutsche Zentrumspartei und die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) eine Mehrheit erhielten, war fürs Erste zweierlei gesichert: das Deutsche Reich würde eine Republik sein, und diese Republik würde demokratisch und liberal sein.

Gemeinsam kamen die drei Parteien der bald sogenannten „Weimarer Koalition“ auf 76,2 Prozent, wobei davon 37,9 auf die SPD, 19,7 auf das Zentrum und 18,6 auf die DDP entfielen. Nachdem die Nationalversammlung am 6. Februar 1919 im Deutschen Nationaltheater in Weimar zusammengetreten war, bildeten diese drei Parteien eine Regierung und wählten den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann an ihre Spitze. Nationalversammlung und Regierung hatten nun zwei große Aufgaben: zum einen, einen erträglichen Friedensschluss mit den Siegermächten des Ersten Weltkriegs zu erreichen; zum anderen, eine Verfassung für die neue Republik auszuarbeiten.

Es sollte sich bald zeigen, dass die zweite Aufgabe weit leichter zu bewältigen war als die erste. Am 31. Juli 1919 verabschiedete die Nationalversammlung die Weimarer Reichsverfassung, die Reichspräsident Friedrich Ebert am 11. August unterzeichnete. Am 14. August trat sie in Kraft. Der republikanische Charakter des Deutschen Reiches schien festgeschrieben zu sein. So einfach war es freilich nicht. Schon in der Nationalversammlung zeigten sich einige der strukturellen Probleme, die die Weimarer Republik bis zu ihrem Ende im Jahr 1933 begleiteten.

Natürlich hatte der Untergang der Weimarer Republik viele Ursachen. Eine der wichtigsten war, dass die liberaldemokratische Republik, die 1919 entstand, im Grunde nur von einer Minderheit der Deutschen unterstützt wurde. So jedenfalls muss man die Wahlergebnisse der kommenden Reichstagswahlen verstehen. Bereits bei der Wahl vom 6. Juni 1920 verlor die Koalition ihre Mehrheit und sollte sie danach nie zurückgewinnen. Eine Mehrheit hätte nun nur eine „Große Koalition“ aus SPD, Zentrum, DDP und der nationalliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) gehabt, die sich jetzt vernunftrepublikanisch gab und auf den Boden der Verfassung stellte. Da aber die SPD eine Koalition mit der der Großindustrie nahestehenden DVP ablehnte, kam nur ein bürgerliches Minderheitskabinett aus Zentrum, DDP, und DVP zustande. In der Folge regierte bis zum Beginn der Zeit der Präsidialkabinette im Jahr 1930 in der Regel eine Minderheitsregierung aus Zentrum und DDP, zu der entweder auf der Linken die SPD hinzutrat oder auf der Rechten die DVP. Zumindest zweimal, im Jahr 1923 und von 1928 bis 1932 regierte jedoch eine Große Koalition aus SPD, Zentrum, DDP und DVP.

Keine dieser Regierungen hat lange gehalten, was auf das Grundübel der Weimarer Parteiendemokratie zurückzuführen ist: Die Unfähigkeit der Parteien, untereinander Kompromisse zu schließen. Darin und nicht in der Zahl der Parteien lag das eigentliche Strukturproblem des Parlamentarismus in der Weimarer Republik. Da das Verhältniswahlrecht anders als in der Dritten Französischen Republik mit ihrem absoluten Mehrheitswahlrecht, keine klare Lagerbildung zuließ, setzte die Bildung und Stabilisierung von Regierungen stets voraus, dass eine ausreichend große Zahl von Parteien sich einigte. Das jedoch war von Beginn an fraglich, denn die große Mehrheit der Weimarer Koalition vom 19. Januar 1919 täuschte eine Stabilität vor, die es gar nicht gab. Die Weimarer Koalition war nämlich alles andere als ein natürliches Bündnis.

Kompromissunfähigkeit konnte man den drei Parteien der Weimarer Koalition im Januar und Februar 1919 nicht vorwerfen. Im Gegenteil: Sie schlossen ein Bündnis, obwohl in allen drei Parteien große Vorbehalte gegenüber den beiden jeweils anderen herrschten. Die SPD stand der DP in Fragen der Kultur- und Bildungspolitik durchaus nahe, nicht aber in der Sozialpolitik, in der es größere Übereinstimmungen mit dem Gewerkschaftsflügel des Zentrums gab. DDP und Zentrum wiederum konnten sich in wirtschaftspolitischen Fragen einigen, in kulturellen dagegen ebenso wenig wie SPD und Zentrum. Die Koalition war also nicht mehr als eine Vernunftehe, die vor allem deshalb zustande kam, weil die DDP sich weigerte, ohne das Zentrum in eine Regierung mit der SPD einzutreten. In einer Sache waren sich die drei Parteien aber ohne Einschränkung einig, und das war ihre Zustimmung zur Staatsform der Republik. Es bleibt ihr großes Verdienst, dass sie im Jahr 1919 und mehrmals danach – zum Teil unter Einbeziehung der DVP – über ihren ideologischen Schatten gesprungen sind. Damit haben sie der Republik ohne Republikaner zumindest eine gewisse Lebenschance verschafft und die Wahl vom 19. Januar 1919 zu einem Erfolg für Freiheit und Demokratie werden lassen.

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Prof. Dr. Matthias Oppermann

Dr. Matthias Oppermann

Stv. Leiter Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Leiter Zeitgeschichte

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