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Adenauer und de Gaulle unterzeichnen in Paris den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag

von Hanns Jürgen Küsters
Am 22. Januar 1963 unterzeichneten Charles de Gaulle und Konrad Adenauer in Paris den Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit. Dieser Freundschaftsvertrag, der ursprünglich nur die Form einer Vereinbarung haben sollte, setzte sich zum Ziel, das Ende der "Erbfeindschaft" zwischen Deutschland und Frankreich zu besiegeln.

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Entstehungsgeschichte

Als die Gründung einer europäischen politischen Union (Fouchet-Plan) im April 1962 an der Frage der Beziehungen zu den USA und an den unterschiedlichen Ansichten über einen EWG-Beitritt Großbritanniens und eine supranationale europäische Intergration endgültig zu scheitern drohte, verstärkten sich die Bemühungen um eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit.

Staatspräsident de Gaulle war es, der dem deutschen Bundeskanzler während seines ersten offiziellen Staatsbesuches in Frankreich im Juli 1962 unmißverständlich die Frage stellte, ob er bereit sei, falls die Verhandlungen über eine Politische Union der Sechs scheitern sollten, zu zweit zusammenzuarbeiten. Adenauer antwortete nach anfänglichem Zögern schließlich uneingeschränkt mit "Ja". Den letzten Anstoß zu einer intensiveren deutsch-französischen Kooperation gab de Gaulles Staatsbesuch in Deutschland vom 3. bis 9. September 1962. Immer wieder betonte de Gaulle in seinen Reden vor dem begeisterten deutschen Publikum die Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich und die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit im europäischen Rahmen. Nur so seien Frieden und Entspannung dauerhaft zu erreichen. In seiner Rede an die deutsche Jugend in Ludwigsburg unterstrich er die Bedeutung deutsch-französischer Jugendbegegnungen für eine gemeinsame Zukunft und forderte die Jugend auf, aktiv an der Gestaltung dieser Zukunft mitzuwirken. Inhalt und Gestaltung der künftigen bilateralen Zusammenarbeit, so einigten sich die beiden Staatsmänner, sollten in einer Niederschrift festgehalten werden. De Gaulle versprach, den Entwurf einer Vereinbarung zu übersenden.

Bereits am 18. September 1962 legte er ein sechsseitiges Memorandum vor, in dem er eine Kooperation in den Bereichen vorschlug, die ursprünglich Gegenstand der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene sein sollten: Außenpolitik, Verteidigung, Erziehung und Jugend. Die deutsche Antwort vom 8. November 1962 enthielt einige Anmerkungen zu Einzelfragen, stimmte aber den allgemeinen Grundsätzen zu. Am 16. und 17. Dezember 1962 verständigten sich die Außenminister Gerhard Schröder und Maurice Couve de Murville in Paris auf die Grundzüge eines Protokolls, das eine Zusammenarbeit in den genannten Bereichen vorsah; ein nächstes Treffen der beiden Regierungschefs wurde für Mitte Januar 1963 ins Auge gefaßt. An einen Vertrag dachte zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Erst am 18. Januar 1963, so scheint es, ließ Adenauer dem Quai d'Orsay mitteilen, daß die deutsche Seite an einen Vertrag denke. Dieser Entscheidung lagen u.a. verfassungspolitische Bedenken zugrunde. Die bilateralen Vereinbarungen waren so weitreichend, daß der Bundeskanzler – ein Protokoll hätte keiner Ratifikation durch den Bundestag bedurft – eine Verfassungsklage riskiert hätte. Dies wollte er unbedingt vermeiden, mußte aber andererseits dafür eine Ratifikationsdebatte in Kauf nehmen. Adenauer sah schließlich in einem Vertrag mehr Vor- als Nachteile. Ein ratifizierter Vertrag wäre bindend und würde Kontinuität in den deutsch-französischen Beziehungen sichern. Denn ein deutsch-französischer Zweibund fand vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lage Anfang 1963 alles andere als uneingeschränkte Zustimmung, wie die Diskussion um die Präambel bestätigen sollte. Adenauer ließ sich jedoch von den kritischen Stimmen nicht irritieren. Am 22. Januar 1963 unterzeichnete er zusammen mit Staatspräsident de Gaulle, Premierminister Pompidou und den beiden Außenministern im Elysée-Palast den Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit.

 

Inhalt des Vertrages

Die Zusammenarbeit in den Bereichen Außenpolitik, Verteidigung, Erziehung und Jugend sollte neben den regelmäßigen Treffen der Staats- und Regierungschefs durch ein engmaschiges Netz von Konsultationen auf Ministerebene gewährleistet werden. Ebenso wie die Außen- und Verteidigungsminister sollten sich die für Erziehungs- und Kulturfragen zuständigen Minister mindestens alle drei Monate treffen. Begegnungen zwischen dem Bundesminister für Familien- und Jugendfragen und seinem französischen Kollegen waren sogar alle zwei Monate vorgesehen. Eine auf französischer Seite bereits gebildete interministerielle Kommission sollte die Aktivitäten zwischen beiden Ländern koordinieren und Bericht erstatten.

Kernstück des Vertrages ist die Konsultationsverpflichtung in außenpolitischen Fragen. Die beiden Regierungen verpflichten sich dazu, vor jeder Entscheidung in allen wichtigen Fragen der Außenpolitik und in erster Linie in den Fragen von gemeinsamem Interesse, den Partner zu konsultieren, um soweit wie möglich zu einer gleichgerichteten Haltung zu gelangen. Im Bereich der Verteidigungspolitik sollten Fragen der Strategiebildung gemeinsam diskutiert, der Personalaustausch zwischen den Streitkräften verstärkt, die Rüstungszusammenarbeit enger gestaltet und die Voraussetzungen für eine Kooperation auf dem Gebiet des zivilen Bevölkerungsschutzes geprüft werden. Die Vereinbarungen auf dem Gebiet Erziehungs- und Jugendfragen betreffen die Sprachförderung, die Gleichwertigkeit der Diplome, die wissenschaftliche Forschung und den Jugendaustausch. Hervorzuheben ist hier die Absichtserklärung der beiden Länder, zur Förderung des deutsch-französischen Jugendaustausches ein "Austausch- und Förderungswerk", wie das spätere deutsch-französische Jugendwerk zunächst genannt wurde, zu errichten (Abkommen vom 5. Juli 1963). Dieses Vorhaben zeichnet die eigentliche Originalität des Vertrages aus, der somit nicht nur Regierungen und Verwaltungen in die Pflicht nimmt, sondern über die Jugend erstmalig beide Völker in ihrer Gesamtheit anspricht.

 

Reaktionen

Die Bedeutung des Vertrages für die deutsch-französische Aussöhnung, die Adenauer auch als ein Hauptziel seiner Außenpolitik bezeichnet hatte, ist unumstritten. Seine Unterzeichnung im Januar 1963 hat sich im Laufe der langjährigen, nicht immer ungetrübten "deutsch-französischen Ehe" als weitsichtige Entscheidung des Bundeskanzlers und als Stützpfeiler der Europäischen Einigung erwiesen. So richteten sich auch die Proteste, die sich im In- und Ausland bereits vor der Unterzeichnung gegen den Vertrag erhoben hatten, keineswegs gegen eine deutsch-französische Aussöhnung, zumal diese die Westbindung der Bundesrepublik untermauerte. Unmut erregte vielmehr die europapolitische Botschaft, die der französische Staatspräsident mit diesem Vertrag verband. De Gaulles Ablehnung eines britischen Beitritts zur EWG, die er bereits auf seiner spektakulären Pressekonferenz vom 14. Januar 1963 verkündet hatte, und sein Insistieren auf einer eigenen französischen atomaren Verteidigung bei gleichzeitiger Ablehnung einer multilateralen europäischen Atomstreitmacht (MLF) hatten die amerikanischen Interessen in Europa empfindlich getroffen und auch heftige Proteste bei den europäischen Partnern ausgelöst. In der Bundesrepublik lieferten sich die sogenannten "Atlantiker", die sich gegen eine exklusive Beziehung mit Frankreich zu Lasten der Bindung an Amerika wandten, und die Befürworter des Vertrages ("Gaullisten") heftige Diskussionen. Diese Meinungsverschiedenheiten über den künftigen außenpolitischen Kurs der Bundesrepublik zogen sich durch alle Parteien und sorgten auch innerhalb der CDU auf allen Parteiebenen mehrere Jahre für Diskussionsstoff. So konnte der Vertrag zwar am 16. Mai im Deutschen Bundestag mit überwältigender Mehrheit ratifiziert werden, aber nur mit einer Präambel, die die bisherigen Grundsätze westdeutscher Außenpolitik bekräftigte und ein Zugeständnis an das "atlantische Lager" darstellte. De Gaulle verhehlte seine Enttäuschung über diese Präambel nicht. Bei seinem ersten Staatsbesuch in Deutschland nach der Vertragsunterzeichnung, im Juli 1963, brachte er sie in einem inzwischen häufig zitierten Satz über die Dauer von Verträgen zum Ausdruck: "Les traités sont comme les roses et les jeunes filles, ils ne durent qu'un matin" – Verträge sind wie Rosen und junge Mädchen: Sie blühen nur einen Morgen. Adenauer griff diese Worte auf und versuchte seinerseits, ihnen eine optimistische Deutung zu verleihen: "Rosen und junge Mädchen, natürlich haben sie ihre Zeit, aber die Rose – und davon verstehe ich nun wirklich etwas ... – ist die ausdauerndste Pflanze, die wir überhaupt haben – sie hält jeden Winter durch."

 

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