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Der Bundestag wählt Helmut Kohl mit 378 gegen 257 Stimmen und 9 Enthaltungen zum ersten gesamtdeutschen Bundeskanzler

von Christine Bach
In seiner Regierungserklärung vom 30. Januar 1991 kündigte der Bundeskanzler an, die Deutschen wollten von ihrer neu gewonnen gemeinsamen Freiheit „verantwortungsvollen Gebrauch machen“.

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Gesamtdeutsche Wahlen zum 12. Bundestag

Die Wahlen zum Deutschen Bundestag vom 2. Dezember 1990 standen  ganz im Zeichen der Deutschen Einheit. „Ja zu Deutschland – Ja zur Zukunft“: In ihrem Programm, mit dem die CDU im Herbst 1990 in den Wahlkampf gezogen war, bekannte sich die Partei zu der in Friede und Freiheit wiedervereinten deutschen Nation. Das Dokument betonte den Gestaltungswillen der Union für die gemeinsame politische Zukunft der deutschen Länder.

CDU und CSU erreichten am Wahltag einen Stimmenanteil von 43,8 Prozent. Für die FDP, den bisherigen Koalitionspartner der Union im Bund, stimmten 11 Prozent der Wähler. Die SPD verzeichnete dagegen mit einem Zweitstimmenergebnis von nur 33,5 Prozent eine deutliche Niederlage. Ausschlaggebend hierfür war die ablehnende Haltung ihres Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine gegenüber dem Vereinigungsprozess und seine Wahlstrategie, die darauf abgestellt hatte, die Angst der Bürger vor den Kosten der Wiedervereinigung zu schüren. Die Grünen verfehlten mit einem Stimmenanteil von nur 3,9 Prozent den Wiedereinzug in den Bundestag, auch das war eine Folge des Zögerns vor dem Einheitswillen der Deutschen. „SPD und Grüne wurden als Bremsklötze der Vereinigung bestraft“ kommentierte  die Welt das Wahlergebnis am 3. Dezember 1990. Die PDS, die Nachfolgepartei der SED, zog mit 17 Abgeordneten erstmals in den Deutschen Bundestag ein, obwohl sie bundesweit nur 2,4 Prozent der Zweitstimmen erhalten hatte. Der Grund hierfür war eine bei dieser Wahl geltende Sonderregelung, wonach die neuen Bundesländer und die alten Bundesländer inklusive West-Berlin jeweils ein Wahlgebiet bildeten, für das jeweils die Fünfprozenthürde gültig war.

Auf der Grundlage des Wahlergebnisses führten Helmut Kohl und die Union  Koalitionsgespräche mit der FDP, ihrem Partner im Bund seit 1982.

 

Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung

Am 6. Dezember 1990 begannen die Koalitionsverhandlungen zwischen der Union und der FDP. Sie dauerten bis zum 16. Januar 1991.

Umstritten waren vor allem Finanz- und Steuerfragen. Die FDP, die bei den Bundestagswahlen ihren Zweitstimmenanteil gegenüber ihrem Wahlergebnis von 1987 von 9,1 Prozent auf 11 Prozent gesteigert hatte, bildete nun in der Regierung vor der CSU die zweitstärkste politische Kraft. Vor diesem Hintergrund traten die Liberalen in den Koalitionsgesprächen mit großem Selbstvertrauen auf. Um Investitionen anzuregen und der anwachsenden Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland entgegenzuwirken, forderte die FDP ein Niedrigsteuergebiet. „Ohne Niedrigsteuergebiet keine Kanzlerwahl“ beharrten führende FDP-Politiker wie Otto Graf Lambsdorff noch im Januar 1991. Die Union lehnte ein Niedrigsteuergebiet in den neuen Bundesländern jedoch ab, da man nach dem gerade erst erfolgten Zusammenschluss der deutschen Länder nicht erneut eine Spaltung verursachen wollte. Außerdem war damit zu rechnen, dass eine abweichende Besteuerung Mitnahmeeffekte auslösen wurde. Mit dieser Haltung setzte sich die Union schließlich durch. Als Kompromiss einigten sich die Gesprächspartner auf den Abbau von Gewerbe- und Vermögenssteuern ab dem 1. Januar 1991.

Zum Jahreswechsel 1990/91 gingen die Politiker noch von einem anhaltenden Wirtschaftswachstum in Westdeutschland aus. Deshalb, und weil der Bundeskanzler im Wahlkampf Steuererhöhungen zur Finanzierung des Transferbedarf der durch das SED-Regime heruntergewirtschafteten östlichen Länder ausgeschlossen hatte, verzichteten Union und FDP während der Koalitionsverhandlungen auf weitergehende Beschlüsse zur mittelfristiges finanziellen Absicherung der Folgekosten der Einheit. In seinen 2007 publizierten Erinnerungen räumte Kohl später ein, dies sei ein Fehler gewesen. Seine eigene Rolle bei den Verhandlungen beschrieb er im Nachhinein als die eines „Moderators und Schlichters“. „Dies mochte man mir als Schwäche auslegen; doch letztlich war eine Koalitionsregierung nur mit viel politischem Fingerspitzengefühl erfolgreich auf die Beine zu stellen.“

Neben den politischen Richtlinienentscheidungen für die Regierungsarbeit in der kommenden Wahlperiode erfolgte zwischen dem Tag der Bundestagswahlen und der Kanzlerwahl auch die Vergabe der Kabinettsposten. Die Namensliste des Kabinetts Kohl IV enthielt eine Reihe von Namen, die für Kontinuität in der Regierungsarbeit bürgen sollten. Hierzu zählen etwa Rudolf Seiters (CDU, Chef des Bundeskanzleramts), Hans-Dietrich Genscher (FDP, Bundesminister des Auswärtigen), Theo Waigel (CSU, Bundesminister der Finanzen) oder Gerhard Stoltenberg (CDU, Bundesminister der Verteidigung). Des Weiteren waren im Bundeskabinett nun zum ersten Mal auch drei Politiker aus den neuen Bundesländern vertreten. Dies waren Angela Merkel (CDU, Bundesministerin für Frauen und Jugend), Günther Krause (CDU, Bundesminister für Verkehr) und Rainer Ortleb (FDP, Bundesminister für Bildung und Wissenschaft).

 

Kanzlerwahl

Am 17. Januar 1991 wählten die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Helmut Kohl mit 378 Ja-Stimmen gegen 275 Nein-Stimmen und neun Enthaltungen in Bonn zum ersten Bundeskanzler des wiedervereinigten Deutschlands. Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses durch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth nahm Kohl die Wahl an und bedankte sich für das ihm entgegengebrachte Vertrauen. Noch am gleichen Tag leistete er den Amtseid des Bundeskanzlers.

In seiner Regierungserklärung versprach der Bundeskanzler eine zügige Umsetzung seiner Wahlversprechen: Die "geistige, kulturelle, wirtschaftliche und soziale Einheit Deutschlands" sowie eine rasche Angleichung der Lebensverhältnisse für die Menschen in den alten und neuen Bundesländern.

 


Regierungserklärung von Helmut Kohl zur 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages vom 30. Januar 1991 (Auszug):

„Mit der Wiedergewinnung der vollen Souveränität wächst uns Deutschen nicht nur mehr Handlungsfreiheit, sondern auch mehr Verantwortung zu. So sehen es auch unsere Partner in der Welt. Sie erwarten vom vereinten Deutschland, dass es dieser neuen Rolle gerecht wird. Es geht dabei nicht um nationale Alleingänge oder gar Machtambitionen; denn für uns gibt es auf dieser Welt nur einen Platz: in der Gemeinschaft der freien Völker. Gefordert sind jetzt mehr denn je Vernunft und Augenmaß und vor allem auch das Festhalten an den Zielen, die wir uns vorgenommen haben.

Wir stehen am Beginn eines langen und auch beschwerlichen Wegs: Wir wollen Deutschland zusammenführen, und zwar in jeder Hinsicht: geistig-kulturell, wirtschaftlich und sozial. Wir wollen mitwirken am Bau einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung für Europa, die alle Völker unseres so lange geteilten Kontinents in gemeinsamer Freiheit zusammenführt. Wir wollen an einer Weltfriedensordnung mitarbeiten, die auf die Herrschaft des Rechts gegründet ist: auf die Achtung der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts aller Völker sowie auf den gemeinsamen Willen zur Bewahrung der dem Menschen anvertrauten Schöpfung.“

 

Literatur:

  • Helmut Kohl, Erinnerungen 1990-1994. München 2007.
  • Hans-Peter Schwarz, Helmut Kohl: Eine politische Biographie. München 2012.

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